Der Diktator Ungern von Sternberg

Ungern von Sternberg, geboren 1885, stammt aus einer deutschbaltischen Adelsfamilie, wächst in Reval auf und geht bald zur russischen Armee. Mit seiner mordlüsternen Armee fällt er 1920 in der Mongolei ein, um dort ein asiatisches Großreich zu errichten.
Die Mongolei – Steppe, Pferdherden und Nomaden. Fast fünf Mal so groß wie Deutschland, aber nur 3 Millionen Einwohner. Pufferstaat zwischen Russland und China, Heimat von Dschingis Khan. Wirkungsstätte eines brutalen, eher unbekannten Diktators: des Barons Robert Nikolai Maximilian Ungern von Sternberg, dessen atmosphärisch dichte Biografie James Palmer nun vorlegt.

Der "blutige weiße Baron", wie Ungern von Sternberg später genannt wird, stammt aus einer deutschbaltischen Adelsfamilie, wird 1885 in Graz geboren, wächst in Reval auf und geht bald zur russischen Armee. Er kämpft 1904 im Russisch-Japanischen-Krieg, dann im Ersten Weltkrieg. Nach der Oktoberrevolution zieht es ihn nach Sibirien, wo er sich dem antibolschewistischen Widerstand anschließt.

Ungern ist ein Kämpfer mit Ziel: Er will, ausgehend von der Mongolei, ein asiatisches Großreich begründen. Sich selbst sieht er als wiedergeborener Dschingis Khan – als Kriegsherr nicht als Herrscher. Herrschen soll der Bogd Khan, das geistige Oberhaupt des Buddhismus in der Mongolei.

Ungerns Triebfeder ist ein kruder ideologischer Mix: Buddhismus, Antisemitismus, Nationalismus und Okkultismus. Palmer, der Reisen durch die Mongolei, Russland und China unternommen hat, gelingt es hervorragend, sich der Gedankenwelt Ungers zu nähern. Einer Männerwelt voller Disziplin, Gewalt und Frauenverachtung.

Der Autor hat Berichte von Zeitgenossen ausgewertet, anhand derer er die Quellen belegt, aus denen sich Ungers Denken speist: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Ein damals verbreitetes gefälschtes Pamphlet, das angeblich eine jüdische Weltverschwörung belegt – Antisemitismus ist Ungers Hauptantrieb. Aber auch sein Buddhismus ist gewaltbereit, was in dessen tibetischer und mongolischer Ausprägung durchaus normal ist. So berichtet der Autor anhand zahlreicher historischer Quellen von Grausamkeit im Namen der als so friedfertig angesehenen Religion, von Intrigen und Morden und beschreibt Tempelbilder voller brutaler Szenen und Grausamkeit.

Im August 1920 zieht Ungerns Heer in die Mongolei. Wer sich ihm widersetzt, wer als Jude oder Bolschewist gilt, wird getötet. Menschen werden auf zugefrorenen Seen ausgesetzt oder auf Bäume gestellt, wo sie die Nacht verbringen müssen – wer stürzt, stirbt. Seine Soldaten morden aus Spaß. Sechs Monate dauert die Tyrannei bevor die Rote Armee sie beendet. Ungern wird am 15. September 1921 hingerichtet. Sein Mythos aber lebt bis heute. In der Mongolei wird der weiße Baron, bei uns eher unbekannt, als Nachkomme Dschingis Khans verehrt.

Palmers Biografie lässt dieses Grauen lebendig werden und schließt damit ein Lücke in der populären Geschichtsschreibung. Detailliert beschreibt er das Leben des Barons und die Zeitumstände. Schlacht reiht sich an Schlacht, Personen kommen und gehen oder sterben.

Der Autor verliert dabei mitunter die große Linie. Eine Zeittafel hätte dem Buch deshalb gut getan. Was ihm aber durch seine Genauigkeit gelingt und das Buch so lesenswert macht, ist die Darstellung dieser gewaltgetränkten Zeit, die Erinnerung an vergessene Kriege, in der das menschliche Leben, auch das eigene, keinen Wert besitzt.

Und dies Buch macht mehr als deutlich: Ungerns Herrschaft ist die Vorschau auf Schlimmeres; die Gewaltorgien unter Stalin, die Eroberungen der Japaner in Ostasien, der Terror des nationalsozialistischen Deutschlands.

Besprochen von Günther Wessel

James Palmer: Der blutige weiße Baron. Die Geschichte eines Adligen, der zum letzten Khan der Mongolei wurde.
Aus dem Englischen von Nora Matocza und Gerhard Falkner
Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2010
384 Seiten, 32 Euro