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Im Labyrinth des Geistes
Berühmt wurde er als Dirigent, doch er war auch Komponist, Arzt und Archäologe. Giuseppe Sinopoli passte in keine Schublade, sein Universalismus begeisterte die einen und überforderte die anderen. Wie wird er 20 Jahre nach seinem frühen Tod gesehen?
Einen schöneren Tod kann sich vielleicht kein Dirigent vorstellen: am Pult, umgeben von Musik. Nur war Giuseppe Sinopoli dafür viel zu jung. Völlig unerwartet starb er während einer "Aida"-Vorstellung am 20. April 2001 in der Deutschen Oper Berlin.
Sein gerade einmal 54 Jahre währendes Leben macht in der Rückschau den Eindruck, als wäre es von mindestens drei Menschen gelebt worden. Und das, obwohl Sinopoli als spätem Debütanten nur eine vergleichsweise kurze, 20-jährige Dirigenten-Laufbahn beschieden war.
Nie war Sinopoli nur auf eine Sache fokussiert. Immer wollte er mehr lernen, mehr wissen, mehr können. Und so war er eben nicht nur ein Star-Dirigent und davor erfolgreicher Komponist, er war promovierter Arzt, kosmopolitischer Psychologe und Kriminalanthropologe.
Vom Orchestergraben zur Ausgrabungsstelle
Der umfassend gebildete Geistesmensch las die Vor-Sokratiker in Originalsprache und liebte Nietzsche; vielen galt er selbst beinahe als Philosoph. Und während ihn das Publikum und die Kritiker rund um die Welt als Bühnenkünstler verehrten, studierte er wieder, und zwar Archäologie bis zur Promotion.
Von Natur aus neigte Giuseppe Sinopoli dazu, jedem Ding seine Zeit und seine Reife zu gewähren. Es war ihm ein existenzielles Bedürfnis, komplementäre Interessen-Felder zu beackern und bestellen. Und selbst wenn das von außen nach einer gewissen Planlosigkeit aussah: Er folgte damit seinem inneren roten Faden von Ägypten und den alten Griechen über die Renaissance bis zum deutschen Idealismus und der innig geliebten Kultur des Wiener Fin de siècle.
Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden erinnern sich an Proben, die Vorlesungen glichen, weil Giuseppe Sinopoli als Chefdirigent beispielsweise Robert Schumann auf eine Stufe stellte mit Friedrich Hölderlin – ein Outsider mit unerhörter Kraft –, und damit Werke in einem Licht zeigte, in dem sie wohl noch niemand gesehen hatte. Oder wenn er Franz Schuberts "Unvollendete" in die Kategorie des Grabgesangs einordnete und psychologische Gedanken einflocht vom Vorbewussten und Traumbesitz, dann waren Aha-Erlebnisse im Orchester garantiert.
Erkenntniswege durchwanderte Giuseppe Sinopoli sein ganzes Leben, so wie Wagners Parsifal den Weg zum Gral. Komplexe kulturgeschichtliche Überlegungen zur Symbolik von Leben und Tod, Raum und Zeit, von mesopotamischer Palastarchitektur über die von ihm gesammelten griechischen Vasen bis hin zum allgegenwärtigen Dreh- und Angelpunkt in Sinopolis Denken: Gesundheit und Krankheit.
Spaghetti mit Schokoladensoße
Dabei war Sinopoli kein weltentrückter Eremit, sondern ein auch mit manch praktischem Talent gesegneter Familienvater, der von Freunden für seine kreativen Kochkünste geschätzt wurde. Karl-Dietrich Gräwe, Librettist von Sinopolis Oper "Lou Salomé" und langjähriger Moderator der "Interpretationen", erinnerte sich an die Spezialität "Spaghetti mit Schokoladensoße". Auch konnte man mit Sinopoli den perfekten al-dente-Moment beim Nudelkochen erfahren, indem man dem Blubbern des Wassers genau zuhörte.
All dem soll zum 20. Todestag des Universalisten in dieser Sendung nachgespürt werden. Beatrice Schwartner kommt ins Gespräch mit der Musikwissenschaftlerin Ulrike Kienzle, die eine umfangreiche Biografie über Sinopoli geschrieben hat, sowie mit dem Hörfunk-Produzenten Michael Oehme und zwei prägenden Musikern der Staatskapelle Dresden in der Ära Sinopoli: Peter Mirring (Konzertmeister) und Eckart Haupt (Soloflötist).