Der Doktor geht online

Von Michael Engel |
Wird der Arzt im weißen Kittel bald abgelöst durch ein piependes Handy? Zumindest soll durch "eHealth" dem Problem der zunehmenden Alterung der Gesellschaft bei gleichzeitigem Medizinermangel begegnet werden. Ob mobiles Notruftelefon oder telemedizinisches Zentrum für Zuhause - auf der Cebit in Hannover ist es zu besichtigen.
Schon heute gibt es nicht genügend Mediziner, vor allem in ländlichen Gebieten. Wer eine Sprechstunde haben möchte, insbesondere bei Fachärzten, muss nicht selten viele Wochen auf den Termin warten. Diese Situation wird sich nach Ansicht von Experten noch verschärfen. Einmal, weil die Zahl der Ärzte abnimmt, zum anderen, weil durch die sogenannte Überalterung der Gesellschaft immer mehr Menschen eine medizinische Versorgung benötigen.

Wie die Lösung des Problems aussehen könnte, ist dieser Tage auf der Computermesse Cebit in Hannover zu sehen: Das Ganze firmiert unter dem Begriff "eHealth". Michael Engel - was wird denn da eigentlich alles gezeigt?
Michael Engel: Das fängt an mit einem mobilen "Notruftelefon" für daheim und endet mit einem telemedizinischen Zentrum, das chronisch kranke Menschen über Datenleitungen zu Hause betreuen soll. "eHealth" bedeutet, dass die Daten der Patienten von A nach B transportiert werden. Deswegen auch der Begriff "Telemedizin".

Das Notruftelefon, das der Hersteller auf den Namen "Butler" getauft hat, verfügt zum Beispiel über einen Sturzmelder. Wenn so etwas bei einem Spaziergang passiert, schlägt das Gerät Alarm. In der Notrufzentrale kann der "Butler" auf mehrere hundert Meter genau über das normale Handynetz geortet werden. Die "Nahbereichsortung" erfolgt dann durch den eingebauten Peilsender - zum Beispiel vom Hubschrauber aus.

Sind denn die telemedizinischen Geräte, die auf der Computermesse gezeigt werden, ausschließlich für Seniorinnen und Senioren entwickelt worden?

Engel: Im Prinzip schon, weil die Firmen natürlich darauf achten, dass der potenzielle Kundenkreis möglichst groß ist, um hohe Stückzahlen zu fertigen. Es gibt aber auch Systeme, die sowohl für junge als auch für ältere Patienten interessant sein können. So wird auf der Cebit ein neuartiges Blutzuckermessgerät vorgestellt, das die Daten automatisch per Bluetooth - also drahtlos - auf das mitgeführte Handy überträgt, und das wiederum wählt automatisch eine Datenbank an.

Auf diese Weise landen die Blutzuckermesswerte telemedizinisch in einer elektronischen Patientenakte, auf die zunächst mal nur der Patient zugreifen kann. Ermöglicht man dem Hausarzt den Zugang zu der Patientenakte im Internet, können die Werte auch in der Praxis präsentiert werden. Für Eltern mit zuckerkranken Kindern gibt es eine weitere, interessante Option. Wenn nämlich das zuckerkranke Kind in der Schule ist oder auf Klassenfahrt, dann wissen die besorgten Eltern ja nicht, ob regelmäßig gemessen wird und wie die aktuellen Werte aussehen. Jedoch: Sobald das Kind gemessen hat, bekommen die Eltern eine SMS mit den Daten und können dann bei Bedarf sofort anrufen. Als Vater wäre ich da ziemlich beruhigt.

Nun haben Sie ja schon von einem "telemedizinischen Zentrum" gesprochen. Das lässt vermuten, dass es auch komplexere Entwicklungen gibt, die auf der Cebit zu sehen sind. Können Sie dazu etwas sagen?
Engel: Bislang haben wir ja von isolierten Insel-Lösungen gesprochen. Doch selbst die werden von den Krankenkassen bereits bezuschusst, weil sie sich Vorteile davon versprechen. Beim Notruftelefon zum Beispiel mit rund 16 Euro im Monat für das Abo einer Notrufzentrale. Will man die Vorteile, die in der Telemedizin stecken, richtig ausreizen, müssen die Geräte noch intelligenter miteinander vernetzt werden.

So hat "T-Systems" auf der Cebit ein richtiges Wohnzimmer aufgebaut. Auf dem Sofatisch, neben dem Sessel, sieht man einen Monitor, daneben ein Blutdruckmessgerät. Auf dem Teppich steht eine Waage. Die Entwickler nennen das Arrangement "Health-Guide" - ein "Gesundheitsführer" speziell für Menschen mit einer chronischen Herzmuskelschwäche. Die Patienten müssen täglich das Gewicht kontrollieren und den Blutdruck messen.

Die Werte landen automatisch ohne jedes Zutun in der Datenbank eines "telemedizinischen Zentrums". Dort sitzen dann "Online-Mediziner", die den eingehenden Datenstrom überwachen. Werden kritische Werte überschritten, können sie sich direkt an den Patienten wenden. Der Online-Mediziner erscheint dann - im Rahmen einer Videokonferenz - auf dem Monitor im Wohnzimmer und bespricht mit dem Patienten die notwendige Schritte.
Das klingt sehr aufwendig - nicht nur von der Technik her, sondern auch vom Personal und den Kosten. Wer soll das eigentlich bezahlen?

Engel: Die Krankenkassen natürlich! Die Hoffnungen gehen nämlich dahin, dass am Ende sogar Kosten gespart werden. Immerhin gibt es in Deutschland 2,5 Millionen Menschen mit einer Herzmuskelschwäche. Wenn die Pumpe nicht richtig arbeitet, lagert sich Wasser in den Körper ein, was zu einer schnellen Gewichtszunahme führt. Durch die tägliche "Online-Überwachung" kann man also schnell herausfinden, ob sich ein Infarkt anbahnt, wobei die zügige Intervention - durch Medikamente zum Beispiel - lange und vor allem teure Krankenhausaufenthalte vermeiden hilft.

Es gibt da übrigens schon ein Pilotprojekt in Deutschland: Das telemedizinische Zentrum ist in Ulm angesiedelt, die Online-Mediziner sitzen in Fürth, die teilnehmenden Patienten leben in ganz Deutschland. Und erste Erfahrungen zeigen, dass die Rechnung tatsächlich aufgeht.

Wann kommt denn nun eigentlich die Telemedizin? Und was wird dann in Zukunft aus der niedergelassenen Praxis um die Ecke?

Engel: Die Telemedizin ist ja eigentlich schon da und soll - Schritt für Schritt - ausgebaut werden. Nicht nur die Computerbranche macht sich dafür stark, sondern auch Mediziner und Krankenkassen. So hat die "Ärztekammer Niedersachsen" auf der Cebit ein Projekt namens "FITT-Stemi" vorgestellt.

Im Kern geht es darum, die Überlebensrate von Herzinfarktpatienten zu erhöhen. Patienten, die heute mit dem Rettungswagen in die Klinik kommen, landen ja zunächst mal in der "Notfallaufnahme", wo ein EKG gemacht wird. Dadurch gehen 40 wertvolle Minuten verloren. Durch "FITT-Stemi" wird das EKG schon im Rettungswagen aufgezeichnet und via Funk zur Klinik übertragen.

Statt in die Notfallaufnahme kommen die Betroffenen dann direkt ins Katheterlabor. In optimalen Fällen konnten die Herzkranzgefäße schon 21 Minuten nach der Einlieferung geöffnet werden. Bisher waren es im Durchschnitt 58 Minuten. Vierzig Kliniken bundesweit verwenden die Technik mit einem überzeugenden Ergebnis: So konnte die Zahl der Sterbefälle von neun auf sieben Prozent reduziert werden.

Keine Frage, die niedergelassene Praxis um die Ecke wird natürlich auch weiterhin eine wichtige, wenn nicht sogar weichen stellende Rolle spielen. Durch telemedizinische Zentren informiert, können Hausärzte den Gesundheitszustand ihrer Patienten besser beurteilen als je zuvor. Eine gute Grundlage also, in kritischen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen.