Der Dramatiker Tracy Letts

"Ich bin ein schlichter Typ"

Trang Le Hong und Felix Rech in "Wheeler" von Tracy Letts in der Regie von Oliver Reese am Berliner Ensemble.
Trang Le Hong und Felix Rech in "Wheeler" von Tracy Letts in der Regie von Oliver Reese am Berliner Ensemble. © Matthias Horn
Moderation: Susanne Burkhardt · 15.12.2018
Der US-Dramatiker Tracy Letts bringt familiäre Katastrophen und Neurosen meisterlich auf die Bühne. Im Gespräch erzählt er, warum er Tennessee Williams und Edward Albee nicht das Wasser reichen kann und was seine Figuren mit ihm zu tun haben.
Bitter und verloren ist "Wheeler" – ein Mann in der Midlifecrises und Anti-Held eines neuen gleichnamigen Stückes am Berliner Ensemble. Vor Kurzem war die Premiere, und in der saß auch der berühmte Autor des Stücks, der US-Dramatiker, Schauspieler und Pulitzerpreisträger Tracy Letts. Seinen größten Erfolg feierte der 53-Jährige bislang mit seinem Familiendrama "August: Osage County" - verfilmt unter anderem mit Meryl Streep, auf deutschen Bühnen bekannt und vielgespielt unter dem Titel "Eine Familie". Ein herrliches Zusammentreffen von familiären Neurosen und sexuellen Katastrophen.
Susanne Burkhardt: Wieviel Tracy Letts steckt eigentlich in Ihren Figuren?
Tracy Letts: Es steckt sehr viel von mir in all meinen Stücken und in all meinen Figuren. Sie repräsentieren allesamt verschiedene Aspekte meiner Persönlichkeit. Ich glaube, die Arbeit eines Dramatikers ist im Wesentlichen ein Akt der Empathie. Man versucht, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, zu sehen, was sie sehen, zu fühlen, was sie fühlen. Aber am Ende geht es immer um mich. Wenn man ein guter, ein ehrlicher Dramatiker ist, begnügt man sich aber nicht nur mit den schmeichelhaften Teilen der eigenen Person, da kommen die edelsten Charaktereigenschaften genauso zu Tage wie die furchtbarsten. Natürlich gibt es noch eine andere Möglichkeit, Stücke zu schreiben, die dann nicht so persönlich sind, aber ich weiß nicht, wie das geht. Bei meinen Texten kommen immer Teile von mir zum Vorschein.

Burkhardt: Und dann gehen Sie rum, fragen Ihre Freunde oder beobachten sie, wenn sie zusammen sind um da auch Figuren mitzunehmen oder Motivationen von Figuren?
HOLD FOR STORY: Tracy Letts poses for a portrait on Tuesday, January 16, 2018 in New York. (Photo by Amy Sussman/Invision/AP) |
Der Dramatiker Tracy Letts© Invision/AP Invision

"Ich bediene mich an eurem Leben"

Letts: Ja, das mache ich. Das ist nicht sehr nett, und es kam schon oft vor, dass Verwandte und Freunde meine Stücke gesehen und gesagt haben: "Hey, das bin doch ich." Oder: "Das habe ich doch mal gesagt." Und ich antworte dann: "Ja, das ist das Risiko, wenn man mit einem Dramatiker befreundet ist. Ich bediene mich an eurem Leben." Die Leute gehen natürlich davon aus, dass dann das gesamte Stück oder die komplette Figur ihnen nachempfunden ist. Aber so funktioniert das nicht. Das was man mir erzählt, wird einfach zu einem Teil von mir und meiner Erfahrungswelt.
Burkhardt: Das heißt, Sie haben noch keine Freunde verloren, durch das Stücke schreiben?

Letts: Nein, ich habe Freunde auf andere Weise verloren, aber nicht durchs Stückeschreiben.

Burkhardt: Ihre Stücke werden gern verglichen mit denen von Autoren wie Tennessee Williams oder Edward Albee – sehen Sie sich selber in dieser Tradition?

Letts: Ich weiß nicht. Diese Autoren haben mich bestimmt beeinflusst, sie sind wahre Meister, und ich kann ihnen nicht das Wasser reichen. Ich bin ja auch als Schauspieler in ihren Stücken aufgetreten, aber als Autor möchte man seine eigenen Sachen machen und nicht den Stil oder die Themen eines anderen Autors nachäffen. Edward Albee hat mir übrigens mal einen Preis verliehen für "August Osage County", und er sagte zu mir: Du musst diese Vergleiche ignorieren. Schreib einfach deine Stücke und bleib dir selbst treu. "August Osage County" ist zum Beispiel oft mit "Eines langen Tages Reise in die Nacht" verglichen worden – dabei haben die beiden Stücke ganz wenig miteinander gemein, bieten fürs Publikum völlig andere Erfahrungen.

"Ich glaube nicht, dass sich Theaterstücke gut verfilmen lassen"

Burkhardt: Sie kommen aus der amerikanischen Tradition des Erzählens – die ist ja eher filmisch geprägt - der Grund warum aus ihren Stücken auch Filme werden – denken Sie beim Schreiben schon die filmische Umsetzung mit?

Letts: Nein, daran denke ich nie. Ich schreibe für die Bühne. Um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass sich Theaterstücke gut verfilmen lassen. Selbst einige der berühmtesten Beispiele finde ich nicht besonders gelungen. Filme können nicht viel damit anfangen, wie Stücke mit der Sprache arbeiten. Da ist dann vor allem die Story entscheidend. Ich will gar nicht, sagen, dass man es nicht machen sollte, sonst würde ich es ja auch bei meinen eigenen Stücken nicht erlauben.
Da wo ich aufgewachsen bin, in einer Kleinstadt in Oklahoma, hatte ich gar keine Möglichkeit, große Werke der Theaterliteratur auf der Bühne zu sehen. Meine Eltern hatten kein Geld, wir konnten also nicht mal eben nach New York fliegen und die neuesten Broadway-Produktionen anschauen. Oder gar nach London ins West End. Mein Zugang zu Stücken wie "Wer hat Angst vor Virginia Woolf", zu Tennessee Williams, Shakespeare und so weiter kam durchs Kino. Dafür bin ich sehr dankbar, und deshalb arbeite ich auch an den Adaptionen meiner Stücke mit. Aber nein: Wenn ich schreibe, denke ich nur ans Stück. An nichts anderes.


Burkhardt: Ist es vielleicht, weil Sie selber Schauspieler sind, dass Sie sagen, ‚auf der Bühne zu stehen ist für mich eine ganz andere Erfahrung als vor der Kamera zu stehen‘, dass Sie deshalb dem Theater so treu geblieben ist?

Letts: Ja, ich hätte fast gesagt: Das Theater ist meine erste Liebe, aber das stimmt wahrscheinlich gar nicht. Es war wohl doch der Film, der mich dazu gebracht hat, Geschichten erzählen zu wollen. Aber dann bin ich nach Chicago gezogen, in eine große Theaterstadt. Und es hat eben eine besondere Kraft, wenn echte Menschen für andere Menschen im selben Raum spielen. Das können Film und Fernsehen niemals ersetzen. Das Theater ist besser als das Kino. Stücke sind besser als Filme, und Filme sind besser als Fernsehen. Dazu stehe ich, und ich glaube, man kann das sogar beweisen. Wenn man an sein Leben als Zuschauer zurückdenkt, hat man die eindrücklichsten Erlebnisse doch im Theater gehabt. Direkt danach kommen die Erfahrungen im Kino, und erst danach das, was man im Fernsehen gesehen hat.
Martin Rentzsch und Corinna Kirchhoff in Tracy Letts "Eine Frau" am Berliner Ensemble
Martin Rentzsch und Corinna Kirchhoff in Tracy Letts "Eine Frau" am Berliner Ensemble.© Julian Röder

"Man wünscht sich, Wheeler würde mal die Klappe halten"

Burkhardt: Wir müssen über das neue Stück am Berliner Ensemble sprechen: "Wheeler" - dieser Wheeler ist ein fünfzigjähriger Typ in der Midlifecrises, er behandelt Frauen schlecht, ist in der Ehekrise, sein Sohn: in der Pubertät, er spricht nicht mit ihm. Eigentlich ist er ein richtiger Kotzbrocken, der einen vor allem nervt. Was interessiert Sie so an der Figur?

Letts: Ich weiß nicht, ich mag ihn. Klar, er macht einen verrückt, und man wünscht sich, er würde mal die Klappe halten, aber er bemüht sich, er tut sein Bestes. Er hat Sinn für Humor. Er wird im Stück ziemlich in die Mangel genommen, und ich hoffe, dass wir am Ende sehen, wie sich die Tür für ihn ganz langsam öffnet. Da ist der Funken einer Veränderung, und vielleicht wird Wheeler doch ein klein wenig reifer. Ich hatte immer eine Freude an solchen Antihelden, an diesen Typen in den Romanen von John Updike oder Richard Ford, die uns auf die Nerven gehen und trotzdem unwiderstehlich sind. Wir können nichts dagegen machen: Wir werden in ihr verkorkstes, kaputtes Leben und in ihre Weltsicht hineingezogen. Klar: Sie machen einen verrückt, aber ich mag sie.

Burkhardt: Aber ich hatte das Gefühl, dass Sie eigentlich die Frauen mögen. Denn die Frauen in dem Stück sind alle stark und selbstbewußt – wie Jules, eine Frau, die er für eine Jüngere verlässt, und die auf die Frage von Wheeler, warum er nicht zu ihr zurückkehren kann, antwortet: 'Weil ich Achtung vor mir habe'. War das also eine ganz bewußte Entscheidung von Ihnen, dass die Frauen so stark sind in dem Stück?

"Männer sprechen so über Frauen - seit langer, langer Zeit."

Letts: Ich liebe die Frauen in diesem Stück. Ich glaube, die Frauen sind großartig und stark. Wheeler hat es mit Frauen zu tun, die wahrscheinlich viel mehr Liebe und Achtung verdient haben als er. Und deshalb fragt man sich natürlich: Warum lassen diese Frauen sich mit dem Typen überhaupt ein? Aber wie viele Frauen kennen Sie, die was mit Männern haben, von denen sie sich lieber fernhalten sollten? Ich nehme an, es sind ziemlich viele. Ich meine, mit Männern, die unreif sind und mal einen ordentlichen Tritt in den Hintern gebrauchen könnten. Es gibt diesen Moment im Stück, wo der eine Typ über die Brüste der Frauen redet, und die andern Männer lachen. Ja, Sie haben recht: Es ist nicht lustig. Aber sie lachen, weil es ein Verhalten ist, dass sie wiedererkennen – von ihrem eigenen Arbeitsplatz, von ihrer Ausbildung, von ihrer eigenen Kultur. Männer sprechen so über Frauen seit langer, langer Zeit. Sie lachen also, weil sie es wiedererkennen und weil es ihnen peinlich ist.

Burkhardt: Und wie ist das, wenn Sie dann in der Premiere sitzen – schauen Sie sich um? Schauen Sie, welche Pointe sitzt, wo wird gelacht? Was haben die nicht verstanden – sowas?

Letts: In Deutschland mache ich das nicht wirklich, weil ich die Sprache nicht verstehe. Manchmal erkenne ich natürlich, dass hier an denselben Stellen gelacht wird wie in den Vereinigten Staaten. Meiner Erfahrung nach ist das deutsche Publikum aber viel zurückhaltender als das in Amerika. Hier geht es generell weniger ausgelassen zu. Amerikaner sind einfach relativ laut. Punkt. Aber ich bin inzwischen alt genug und ich bin lange genug dabei, um nicht mehr voller Angst auf die Lacher zu warten. Die Leute lachen ja aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manchmal, weil sie etwas peinlich berührt, manchmal, um Spannung abzubauen.
Ich freue mich über Lacher, denn das bedeutet, die Leute hören zu. Aber ich weiß eben auch: Wenn sie nicht lachen, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht zuhören. Ich persönlich lache auch nicht so viel im Theater. Ich schaue mir das Stück an, gehe raus und sage: "Das war unfassbar lustig." Aber man hat mich womöglich nicht einmal lachen hören. Diese Dinge können täuschen. Als Schauspieler auf der Bühne denkt man oft: "Was ist das für ein Publikum? Die lachen überhaupt nicht, die reagieren nicht. Was für Ignoranten!" Und nach der Vorstellung stehen dann plötzlich junge Menschen vor einem, und sagen dir, wie wichtig das für sie war. Es wird immer Leute im Saal geben, die das Stück tief berührt hat, andere, die es gehasst haben. Manchen war es völlig egal, andere denken vielleicht noch Monate später darüber nach und begreifen ganz plötzlich etwas. Man muss es den Zuschauern schon selbst überlassen, wie ein Stück auf sie wirkt.

"Es liegt nicht in der Verantwortung der Schauspieler"

Burkhardt:: Die europäische Theatertradition ist experimenteller – und Sie sagten gerade auch das deutsche Publikum sei zurückhaltender. Eine Schauspielerin hier im Berliner Ensemble - Corinna Kirchhoff - beklagt, dass Stücke wie "Eine Familie" zu sehr eine Ebene bediene – ihr fehlten Metaebenen und "Durchbrüche auf anderen Ebenen", so wie bei Botho Strauß" – sonst produziere das Theater Seifenopern - können Sie das nachvollziehen?
Letts: Ich hätte erst mal eine Frage an Sie: Hat die Schauspielerin, die gesagt hat, es käme ihr vor wie Fernsehserie, in dem Stück mitgespielt?

Burkhardt: Ja, sie sagte ihr fehle eine weitere Ebene in dem Stück…
Letts: Erst einmal: Die tiefere Ebene herauszuholen, liegt nicht an ihr, das ist die Aufgabe des Dramatikers. Ich glaube, die tiefere Ebene ist da für diejenigen, die sie sehen wollen, und wenn man das nicht will, ist es eben einfach die Geschichte einer Familie. Es gibt gewisse Erfahrungen im Theater, die mich als Zuschauer interessieren, und es gibt Dinge, die mich beim Schreiben interessieren, und das beides ist nicht zwangsläufig deckungsgleich. Manchmal haben die Geschichten, die ich schreiben möchte, eine gewisse Einfachheit. Ich habe dann nicht das Bedürfnis, darüber hinauszugehen. In Stücken geht es nicht darum, was in ihnen passiert, sondern darum, welche Bedeutungen dabei entstehen. Noch einmal: Es liegt nicht in der Verantwortung der Schauspieler, sich darum zu kümmern. Ich weiß nicht- vielleicht bin ich einfach etwas schlicht. Vielleicht ist das die Antwort: Ich bin ein schlichter Typ.

Burkhardt: Wenn Sie ein Stück über sich schreiben würden – wäre das eher ein Komödie oder eine Tragödie und welchen Titel hätte dieses Stück?
Letts: Eine Tragödie wäre es ganz bestimmt nicht. Es wäre eine Komödie mit einigen ernsten Elementen, mit ernsten Untertönen. Aber der Titel? Ich bin ziemlich gut, wenn es um Titel geht, aber da bin ich gerade raus. Ich weiß nicht, welchen Titel ich meinem Leben geben würde. Aber es wäre ein witziges Well Made Play mit einigen ernsten Momenten, die zum Nachdenken anregen.
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