Der Drang, sich zu veröffentlichen

Von Petra Marchewka |
Schorsch Kamerun, Mitbegründer der Punkband "Die Goldenen Zitronen", ist ein Multitalent: Neben der Musik arbeitet er als Regisseur, tummelt sich im Hörspielgenre und betreibt einen Szeneladen. Nun inszeniert Kamerun ein Stück für das Hamburger Thalia Theater.
"Also, ich bin ja im Grunde in erster Linie Rockmusiker, so im weitesten Sinne...."

"Das kann aber auch langweilig werden."

"Und wenn man den Drang hat, sich zu veröffentlichen, und so ist es ja nun mal in dem Fall, dann sucht man sich so seine kleinen Transporter."

Den Drang, sich zu veröffentlichen. Schorsch Kamerun stillt ihn momentan in einem weißen Zirkuszelt. Das steht etwas verloren in einem Meer von Neubauten in Hamburgs Hafencity. Heute Regisseur, morgen wieder Musiker, übermorgen Schauspieler: Über seine bunte Vita sagt er lässig, er habe das alles nie gelernt, sei einfach Autodidakt. Autodidakt, mit künstlerischem Talent.

"Tja, Talent, das ist immer so relativ. Ich kann das gar nicht so genau sagen..."

Kamerun, ein Tiefstapler.

"Bei mir war es ein bisschen so, dass ich, wo ich aus Timmendorfer Strand komme, man kann das schon so ein bisschen werte-konservativ nennen und schlimmer, und man auch da das Gefühl hatte, ich muss mich da irgendwie von befreien. Und das konnte man natürlich damals als junger Punker ganz gut."

Anfang der 80er-Jahre entstand auch der Künstlername: Schorsch Kamerun.

"Man wollte nicht das sein so wie es vorgesehen war. Und dann hat man sich so Künstlernamen gegeben. Rocko Schamoni, oder damals Campino. Wir wollten, glaube ich, auch alle so ein bisschen gefährlich klingen, oder so."

Vom Punker ist rein äußerlich nichts mehr zu sehen. Der 47-Jährige trägt eine ordentliche graue Hose und einen braunen Pulli über dem blauen Hemd. "Edelpunker" hat eine Zeitung mal böse geschrieben. "Ist mir wurscht", kontert Kamerun.

Früher, Mitte der 80er-Jahre, da stand er mit seiner Band "Die Goldenen Zitronen" im Mittelpunkt der subkulturellen Szene Norddeutschlands, gab seine ersten Konzerte in den besetzten Häusern der Hamburger Hafenstraße, sorgte mit satirisch-bösen Texten zu hartem Punk-Rock für Aufsehen. Die gesellschaftliche Stimmung: Sie war der Nährboden für aggressive Kunstformen.

"Damals haben wir die Leute tatsächlich noch genervt, wenn wir unsere Klamotten kaputt gemacht haben und diese schrottigen Lieder gemacht haben, das würde jetzt alles nicht mehr funktionieren, es gibt nicht mehr diese direkte Form, wo man auch mit angreifen kann."

Vor einem Monat ist Schorsch Kamerun von München zurück nach Hamburg gezogen, wohnt mit seiner Freundin wieder mitten auf St. Pauli. Hier fühlt er sich zu Hause, kann sich "aufladen". Allerdings, so Kamerun, wird heute jede Kunstform, und sei sie auch noch so subversiv, von etablierten Kulturbetrieben sofort vereinnahmt und so ihrer politischen Sprengkraft beraubt.

"Wenn man heute was erfindet, was schräg ist, dann ist das morgen interessant für die große Fernsehshow, oder für den Privatsender. Das ist kompliziert. Das ist natürlich etwas, wo bei uns die Grätsche ständig stattfindet, wo wir uns jeweils überprüfen müssen."

"Also wenn ich dann ein Stück mache, was in Zürich 'Macht fressen Würde' heißt und unten steht Credit Suisse drunter, da stimmt dann irgendwas nicht."

Konsumkritik, Kapitalismuskritik, Medienkritik. Die "Gentrifizierung" der Städte, soziale Ungleichheit, die Folgen der Globalisierung: Seine Themen sind so vielfältig wie die Ausdrucksformen. Kameruns neues Stück "Vor uns die Sintflut" hat die internationale Flüchtlingsproblematik zum Thema, Handlungsort ist ein Kreuzfahrt-Dampfer, Metapher für den geschützten Raum der "besseren Gesellschaft".

"Es gibt von den Goldenen Zitronen ein Stück, das heißt 'Wenn ich ein Turnschuh wär'. Da geht es um den Vorteil von Waren, über die Grenzen zu kommen, gegenüber den Menschen, die zum Teil keine Möglichkeiten haben, wenn sie nicht den richtigen Ausweis haben. 'Für eine Fahrt ans Mittelmeer geb ich meine letzten Mittel her'."

"Wenn man jetzt mit so einem Dampfer rausfährt, da fährt man in so einem gesicherten Raum an Afrika vorbei. Und was ich mache: Unser Luxusdampfer begegnet einem Flüchtlingsschiff. Und diese etwas dekadente Gesellschaft muss sich entscheiden: Was machen wir jetzt mit diesen Flüchtlingen?"

Ihn einen "Workaholic" zu nennen, wäre wahrscheinlich zu viel. Dass er wie ein "Getriebener" wirkt, trifft es sicher eher. Getrieben vom stetigen Drang, Stellung zu beziehen. Ruhe in seinem Leben gibt es nur selten.

"Ja, also, ich hab da schon Probleme mit dem Alleinsein und mit dem Nichtstun, das ist ja ganz oft so bei den sogenannten Schaffenden, das ist ja der Impuls. Aber es hat auch mit Ängsten zu tun, die einen antreiben, man sagt ja auch, dass Ängste so ein Superbenzin sind, dass man dadurch dann auch unterwegs ist."

Selten, ganz selten, fährt Schorsch Kamerun nach Timmendorf an die Ostsee und besucht seine Familie.

"Ich hab mich da ausgesöhnt, mit meiner kleinen Herkunft."

Dort ist er immer noch Thomas Sehl. Das ist der Name, den er vor vielen Jahren abgelegt hat.

"Thomas ist dann doch mehr so internere Familie, weil die es nicht anders kennen, und für die meisten bin ich schon Schorsch."

Homepage von Schorsch Kamerun
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