Rohstoffe, Faultiere und Chinesen
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Surinam hat eine halbe Million Einwohner und ist von Regenwald bedeckt. Der tropische Kleinstaat nördlich von Brasilien exportiert Gold, Öl und Holz. In Zeiten niedriger Rohstoffpreise setzen die Surinamer nun auf Tourismus. Doch das birgt Gefahren.
Unter den neugierigen Blicken von Faultieren, die gemütlich in Astgabeln sitzen, stapft Leon Bodjie in weißem T-Shirt, Jogginghose und Gummistiefeln durch den Regenwald von Surinam.
Mit der Machete bahnt er sich einen Weg durch das Dickicht und schaut gleichzeitig aufmerksam nach Schlangen im Laub. Immer wieder blickt er nach hinten, um sich zu vergewissern, dass die beiden niederländischen Touristen gut mitkommen. Jetzt hält er inne und breitet die Arme aus.
"Wenn du hierhin kommst, bist du mitten in der Natur. Das genieß ich total! Den Wald, den Fluss, die Pflanzen. Was ein Mensch braucht, bekommst du hier."
Peter und Sandra nicken begeistert. Sie sind seit zwei Wochen in Surinam, eine Übernachtung im Dschungel soll die Reise abschließen. Dafür gehen sie zehn Kilometer durch den Wald zu ihrem Lager. Über ihren Köpfen ein grünes Dach, darunter rauschen bunte Finken und Papageien zwischen den langen Baumstämmen hindurch, im Laub auf dem Boden quaken Frösche.
Sandra wischt sich den Schweiß weg, ihre blonden kurzen Haare kleben an ihrer Stirn. Peters Gesicht ist knallrot, Tropfen laufen über seine Schläfen. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 90 Prozent. Trotzdem strahlen beide.
"All die Vögel. Ich bin so beeindruckt. Ich denke, es dauert Jahre bis ich alles gesehen hab."
"Das Klima ist angenehm, das Wetter ist gut, auch wenn es immer mal wieder regnet. Es gibt viel Platz, viel Natur, die Menschen sind freundlich und nicht aufdringlich."
Surinam ist ein Geheimtipp
Trotz einer wunderschönen Altstadt in der Hauptstadt Paramaribo und der beeindruckenden und teils unberührten Natur ist die ehemalige niederländische Kolonie ein Geheimtipp. Im letzten Jahr sind 278.000 Touristen nach Surinam gekommen, davon 60 Prozent Niederländer, die meisten besuchen ihre Familien. Surinam ist nur knapp halb so groß wie Deutschland, es ist das kleinste Land Südamerikas. Unscheinbar liegt es ganz im Norden, eingeklemmt zwischen Guyana, Brasilien und Französisch-Guyana an der Atlantik-Küste. Die Hälfte der 550.000 Einwohner lebt in Paramaribo, die anderen verstreut an der Küste oder im tiefen Urwald.
Leben ohne Strom und fließend Wasser
Dort ist auch Leon geboren. In einem kleinen Dorf am Ufer des Suriname-Flusses. Er ist ein Maroon, ein Nachfahre geflüchteter Sklaven. Bis heute gibt es in Surinam viele solcher Dörfer. Die Menschen dort leben noch sehr ursprünglich, ohne Strom und fließend Wasser. Leon wurde nach der Grundschule zu seiner Tante in die Stadt geschickt, um die weiterführende Schule zu besuchen. Mit viel Ehrgeiz hat er seinen Traum verwirklicht und ist Reiseführer geworden. Im Tourismus sieht der 25-Jährige mit der Baseballkappe und dem ansteckenden Lachen eine Chance für die Dörfer im Dschungel.
"Es gibt Dörfer mit vielen Einwohnern, die bleiben aber nur, wenn sie da Arbeit haben. Sie bestellen ihre Felder oder machen Handwerkskunst. Und wenn ein Touristencamp in der Nähe ist, ist da eben auch Arbeit."
Wie im Fall des Dorfs Pingpe. Am gegenüberliegenden Ufer des hier schmalen Suriname-Flusses stehen zehn einfache Holzbungalows und ein größeres offenes Gebäude mit Küche, Esstisch und Sofaecke. Die Touristen machen hier Station, bevor sie zu Fuß auf Entdeckungstour in den Urwald gehen.
"Es wäre gut, wenn mehr Touristen kämen"
Paramaribo, ganz im Norden von Surinam und rund sieben Stunden Fahrtzeit von Pingpe entfernt. In einem der weißen Holzhäuser in der Altstadt sitzt Siesa. Von hier aus schickt er Touristen in den Urwald, oft begleitet er sie als Reiseführer. Er ist in Pingpe geboren und genau wie Leon als Jugendlicher in die Stadt geschickt worden. Vor zehn Jahren gründete sein Vater ein Kleinunternehmen, um Touristen seine Heimat zu zeigen. Seitdem arbeitet hier auch der 35-jährige Waddy mit den langen Dreadlocks.
"Es wäre gut, wenn mehr Touristen kämen, denn sie bringen Arbeitsplätze, Geld und mehr Möglichkeiten."
Wirtschaftskrise wegen niedrigen Rohstoffpreisen
Surinam steckt tief in einer Wirtschaftskrise, verursacht hauptsächlich durch die niedrigen Rohstoffpreise. 2016 schrumpfte die Wirtschaft um mehr als zehn Prozent, richtig erholt hat sie sich noch nicht. Doch ein ausgebautes Tourismussystem würde enorme Eingriffe in Natur und Kultur bedeuten.
Für Hotels und Infrastruktur müsste Regenwald abgeholzt werden, jahrhundertealte Traditionen würden gegen westliche Technologien ausgetauscht. Mehr Wald würde erschlossen werden und traditionelle Bevölkerungsgruppen aus touristisch interessanten Gebieten verdrängt oder in ihrer Lebensweise eingeschränkt, damit in bestimmten Gegenden die intakte Natur erlebt werden kann.
An Surinams Küstenregion werden bereits ehemalige Plantagen zu Ferienanlagen umgebaut und auch die Anzahl an kleinen Dschungel-Resorts steigt. Waddy ist deswegen überzeugt, dass ein nachhaltiger, von Einheimischen kontrollierter Tourismus die Zukunft ist.
"Der Tourismus kann Surinam wirtschaftlich retten. Außerdem hilft er dabei, unsere Natur zu schützen und unsere Kultur zu bewahren. Deswegen müssen wir uns um ihn kümmern."
Weil die Regierung das bisher nicht getan hat, haben sich Tourismusunternehmen im Land zusammengeschlossen. Dazu gehört auch ein Reisebüro, das sich auf nachhaltigen und fairen Tourismus spezialisiert hat und mit lokalen Kleinunternehmen wie dem von Waddys Vater zusammenarbeitet. Hier, nicht weit von Waddy entfernt, sitzt Lizet van Velzen. Die Niederländerin mit den rotblonden Haaren lebt seit zehn Jahren in Surinam.
Tourismus fördern
"Wir hoffen, dass die Surinamer, vor allem die im Landesinneren, es weiterhin gut finden werden, dass Touristen kommen. Deswegen achten wir auch darauf, wie mit ihnen umgegangen wird. Wir fordern von der Regierung bestimmte Qualitätsstandards für surinamische Tourismusunternehmen. Die geltende Gesetzgebung ist schon zwanzig Jahre alt."
Für eine stärkere Förderung des Tourismus in seiner Heimat plädiert auch der Jura-Student Johannes Damodar Patak. Schon lange beobachtet er die Entwicklungen in Surinam kritisch. Der schmale junge Mann indischer Herkunft sitzt im Schatten einer der 100 Palmen im Palmengarten von Paramaribo, mitten in der Altstadt. Neben ihm stapeln sich Lehrbücher und Abschriften. Touristen und Einheimische schlendern an ihm vorbei.
Inmitten des Stadttrubels ist der Park ein Ort der Ruhe, Johannes kommt regelmäßig hierhin. Vor allem zum Lernen und Nachdenken.
"Schon lange wird darüber gesprochen, den Tourismussektor zu fördern, aber es wurde wenig dafür getan. Die Regierung muss die Kriminalität in den Griff kriegen, aber auch in anderer Hinsicht ist Sicherheit wichtig: Wie gut ist die Infrastruktur? Wie sicher sind die Transportmöglichkeiten? Der Tourismussektor muss organisiert und kontrolliert werden. Denn es wird auch Menschen geben, die Touristen ausnutzen wollen. Wir brauchen entsprechende Gesetze."
Korrupte Regierung und gierige Chinesen
Surinam ist zwar eine Demokratie, Präsident ist aber der frühere Militärdiktator Desiré Bouterse. Seine Regierung gilt als korrupt, er selbst wird von Interpol wegen Drogenhandels gesucht. In der Krise setzt Bouterse auf Investitionen aus dem Ausland. Wichtige Handelspartner sind die USA, die Arabischen Emirate und Europa, immer stärker auch China. Wie in anderen lateinamerikanischen Ländern nutzen chinesische Unternehmer die Krise in Surinam, investieren in Straßen, Gebäude und sichern sich Zugänge zu Rohstoffen.
Die Abholzungen werden nicht kontrolliert
Richtige Kontrollen für Abholzungen und Rohstoffabbau gibt es nicht. Exportiert werden Öl, Aluminium und in großem Maße Holz und Gold. Der Exportschlager des Landes. Die Goldsucher sind nicht tief im Urwald, sondern näher am Küstengebiet tätig. Dort liegt das Naturreservat Brownsberg. Es ist der einzige offizielle Naturpark des Landes und eines der wichtigsten Touristenziele.
Regelmäßig fährt Erlan Sleur über die holprigen Wege im Brownsberg-Nationalpark. Als Umweltaktivist setzt er sich dafür ein, dass die Gefahren der illegalen Goldgewinnung bekannter werden:
"Die feinen Goldteilchen waschen sie mit Quecksilber, denn es verbindet sich mit dem Gold zu harten Klumpen. Die verbrennen sie später und so gelangt viel Quecksilber in die Umwelt."
Abgeholzte Wälder wegen Goldabbau
Ein anderes großes Problem ist die Abholzung. Nach Kilometern satten Grüns tut sich plötzlich eine Wüste auf. Der Wald ist abgeholzt, das Gold gefunden. Die Sonne knallt unbarmherzig auf den trockenen Boden. Der 53-jährige Surinamer weiß: Wenn der Goldabbau so weitergeht wie bisher, wird in zwanzig Jahren der Großteil des Parks zerstört sein.
"Den Schürfern nehme ich es nicht übel. Sie kommen hier aus der Umgebung und haben fast keine andere Möglichkeit Geld zu verdienen. Die Großen aus der Stadt müssen sich dafür verantworten."
"Wir sind das grünste Land der Welt"
Und die "Kleinen in der Stadt" wie Jura-Student Johannes Damodar Patak müssen gegenhalten gegen die Zerstörung der Natur, denn sie ist Surinams größtes Kapital. Johannes studiert, um etwas in seinem Land zu verändern. Beim Umweltschutz setzt er seine Hoffnungen auf den Tourismus, weil er ohne gut erhaltenen Wald in Surinam nicht möglich ist.
"Surinam hat viel Wald. Wir sind das grünste Land der Welt und konnten bisher 90 Prozent unseres Waldes beschützen, das soll auch so bleiben, vor allem als Anziehungspunkt für die Ökotouristen."
Die Regierung toleriert den Goldabbau
Doch Lizet van Velzen sagt, die Tourismusbranche sei hier machtlos.
"Leider haben wir in der Beziehung keinen großen Einfluss. Das ist eine politische Angelegenheit. Brownsberg steht unter Schutz, aber es wird nicht wirklich geschützt. Es gibt dort Goldabbau-Betriebe und diese Regierung toleriert sie."
Davon haben Sandra und Peter nichts mitbekommen. Nach zwei aufregenden Nächten im Urwald fahren sie mit Leon in einem schmalen Holzboot mit Motor zurück Richtung Stadt. Fünf Stunden auf dem Suriname-Fluss. Gekonnt leitet der Steuermann das Boot auf dem meist spiegelglatten Wasser vorbei an Felsblöcken und durch immer wieder plötzlich auftauchende Stromschnellen.
Fotografieren ist verboten
Am Ufer lugen zwischen den Bäumen ab und zu kleine Holzhütten mit Palmdächern auf. Die Dörfer der Maroons. Im seichten Wasser davor spielen Kinder, Frauen waschen Wäsche und Geschirr. Malerische Bilder. Fotografieren ist aber verboten. Die Frauen und Kinder sind kaum bekleidet und zu oft sind Bilder von ihnen unerlaubt im Internet gelandet. Leon kann sich da nur auf die Ehrlichkeit der Touristen verlassen.
"Wir sind alle Menschen und wenn etwas nicht geht, dann sag ich es dir. Das hier ist unsere Kultur. Wir erwarten Respekt von den Touristen."