Der einsame Reiter

Von Volkhard App · 11.11.2009
Gleich fünf Leinwände benötigt Julian Rosefeldt, um genüsslich und in aller Langsamkeit die Klischees des klassischen Western vorzuführen: den einsamen Reiter in unwegsamer Berglandschaft, die verlassene Dorfstraße, die Cowboys am Lagerfeuer, den gut besuchten Saloon und die Frau, die vor dem Blockhaus, mit Blick in die Weite, rund 40 Minuten lang vergeblich auf den Mann ihres Herzens wartet ("American Night").
Entstanden sind die Szenen in einer südspanischen Kulissenstadt. Schon Sergio Leone, eine zentrale Gestalt des Italo-Western, hat hier gedreht. Bei Rosefeldt allerdings wird die Filmillusion entzaubert, wenn am Schluss die Kamera die Künstlichkeit des Sets ins Blickfeld holt und die Hütte der verlassenen Frau auf Schienen weggerollt wird. Der einsame Reiter erreicht zu unserer Überraschung das Meer, und im Saloon stimmen die Whisky-Gestalten nach heftigem Gerangel Töne von Mozart an - wann hat es das schon mal in einem Western gegeben?

Auch sonst ist manches anders: die Cowboys am Lagerfeuer - einer sieht aus wie Charles Bronson -unterhalten sich mit Zitaten aus einem Spektrum, das von John Wayne bis zu George W. Bush reicht. Bush und Obama treten im Saloon auch als Puppen auf, und Helikopter verweisen auf die amerikanische Gegenwart als kriegführende Nation. Hat Rosefeldt nun eher den geliebten Westernmythen Tribut gezollt - oder dient der Western eher als Beleg für US-amerikanische Mentalitätsgeschichte und als Medium, die kriegerische Gegenwart zu reflektieren?

"Eher letzteres, weil ich gar kein Westernfan war. Ich bin es aber inzwischen, weil ich mich in der Vorbereitung auf dieses Projekt sehr intensiv mit Western auseinandergesetzt und unheimlich viele Klassiker gesehen habe. Ein ganz wunderbares Genre - wunderbar vor allem, weil es baukastenähnlich funktioniert. Ein Western besteht aus bestimmten Muss-Bausteinen, die immer dabei sind. Man kann, wenn man in die Thematik eintaucht, beobachten, wie in Nuancen variiert wird. Und befeuert wurde das Projekt durch das Unbehagen im Erleben US-amerikanischer Außenpolitik in den letzten Jahren."

Mythendämmerung ist zweifellos einer der Stränge, die sich durch das optisch faszinierende Werk Rosefeldts ziehen. Auch der deutschen Sehnsüchte nimmt er sich dabei an: mit bellenden Schäferhunden, romantischen Seen und Nebelschwaden über der raunenden Landschaft. Zusammen mit den Rückenfiguren eine eindeutige Anspielung auf Caspar David Friedrich.

Wunderbar, wenn in diesem Film "Ship of Fools" aus der Ferne ein Dampfer mit gedrängt stehenden bundesdeutschen Fahneschwenkern herankommt - entstanden ist diese Installation im Jahr nach der schwarz-rot-goldenen Fußball-WM. Über weite Strecken aber dekonstruiert Rosefeldt nicht nur romantische nationale Mythen, sondern er erbt auch deren Pathos. Die Stereotype scheinen übermächtig. Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseums Bonn:

"Ich glaube, jedes gute Kunstwerk lebt davon, dass das Fasziniertsein von einer Materie, mit der man sich beschäftigt, genauso enthalten sein muss wie die Distanz. Und ich glaube, in ‚American Night‘ genauso wie in ‘Ship of Fools‘ sieht man dieses affektive Moment. Julian Rosefeldt liebt den Western und das, was er damit macht. Er bringt die heroischen Formeln. Und nur, indem er sie so vorzeigt, macht er das Verführungspotential deutlich, das darin steckt. Er zeigt, was Viele immer glauben wollten - und zerlegt es gleichzeitig. Es ist ein zugleich kühler und ein heißer Blick, den er auf diese Mythen wirft und nur dadurch werden sie für mich glaubhaft in der Darstellung."

Bei den Werken Rosefeldts stellt sich neben der Bewunderung für die technische Perfektion immer auch philosophische Reflektion ein. Und das hat mit dem - neben der Mythendämmerung - zweiten großen Strang in seinem Oeuvre zu tun: dem Sisyphus-Motiv. Denn einige der Figuren sind in ihren Abläufen gefangen: ein Mann stapelt die billigen Möbel seines Zimmers in der Mitte. Wir hören dabei aber nicht die Originaltöne, sondern sehen gleichzeitig einen Geräuschemacher, der diese Handlung vertont. Am Ende wird dieser mit dem Mann im Zimmer identische Geräuschemacher die Möbel wieder zurückstellen - und alles beginnt von vorn. Dieser Film gehört zu einer "Trilogie des Scheiterns”. Absurdität in Endlosschleife. Ein Sinnbild des modernen Menschen? Vom "Hamsterrad des Lebens” spricht Stephan Berg:

"Ja, es ist sicherlich das Sinnbild des Menschen in der Moderne, der zunehmend seine noch von Kant verfügte Idee der Souveränität des Individuums verliert, obwohl er in einem Maße souverän und individuell zu sein glaubt, wie er es in der Geschichte der Menschheit noch nie war."

Irritierend auch der Film zum Abschluss: ein Abenteurer kommt aus der Wüste, setzt per Boot über ein großes Wasser, landet in Indien und erreicht ein Kino, wo seine Ankunft in der Stadt bereits als Film über die Leinwand geht. Aber auch dieses Kino ist ein Set, wir sehen es am Ende - und wissen dann endgültig, dass die durch raffinierte Verschachtelung erzeugte Irritation nicht nur auf Seiten des Abenteurers ist.

Welchen Zuschauer wünscht sich Rosefeldt eigentlich: denjenigen, der mit großen Kino-Augen vor diesen Werken sitzt - oder den durch philosophischen Diskurs "gestählten" Kenner moderner Kunst?

"Sie sind mir alle gleichermaßen willkommen. Ich stelle auch immer wieder begeistert fest, dass es super funktioniert für alle Altersstufen. Ich habe in Vernissagen auch Kinder stundenlang vor den Filmen sitzen sehen. Durch die Sinnlichkeit, die man ja auch kritisieren kann und die mich auch angreifbar macht, sind die Arbeiten sehr zugänglich. Es ist die Schönheit und Opulenz der Bilder, zum anderen aber auch die Art der Kameraführung. Wir sind so an immer schnellere Schnittfolgen gewöhnt, dass die schiere Verneinung dieser Mechanismen schon begeistert - wenn wir ein Bild einfach nur angucken dürfen."

Aufwendig sind die Produktionen dieses Künstlers: die Liste der Mitwirkenden von "American Night”, dem Spiel mit Westernklischees, umfasst ein paar Seiten. Dabei ist es doch Kunst nicht für kommerzielle Kinos - sondern für Ausstellungssäle und diverse Sammlungen.

Sicher wäre es schön, wenn einmal eine Retrospektive von Julian Rosefeldt stattfände. Andererseits hat der Besucher auch bei ausgewählten, raumfüllenden Beispielen genug zu sehen und zu denken - wie jetzt im Kunstmuseum Bonn. Ausreichend Zeit muss er mitbringen - wie die Frau vor der Blockhütte sie hat, die auf den Mann ihres Herzens unermüdlich wartet.