Der elektronische Patient

Von Jens Wellhöner |
In zwei Regionen in Deutschland wird seit Dezember die elektronische Gesundheitskarte getestet. Jeweils knapp 10.000 Patienten in Ostsachsen und im Raum Flensburg werden die neue Chipkarte nach und nach erhalten. Die Erfahrungen in den beiden Testgebieten sollen helfen, mögliche Mängel zu beheben.
"Guten Morgen! – Guten Morgen, Herr Hansen! - Einmal die Karte. - Ach, sie haben ja die Gesundheitskarte. Soll ich die mal einlesen?"

Johannes Hansen ist chronisch krank und muss regelmäßig zum Arzt. Heute hat er die neue elektronische Gesundheitskarte dabei:

"So, bitte schön, einmal zurück. - Danke! – Dann nehmen Sie mal im Wartezimmer Platz. – Danke!"

In der Testphase ist auf der neuen elektronischen Gesundheitskarte neben den schon auf den herkömmlichen Karten gespeicherten Daten nur noch eine zusätzliche Information enthalten: Ob der Patient zuzahlungspflichtig ist. Aber ab dem Sommer soll sich das ändern. Der Flensburger Internist Dr. Eckehard Meissner:

"Ab dem Sommer werden da die Notfalldaten zusätzlich raufgeschrieben und wahrscheinlich das elektronische Rezept."

Für Notfälle soll die neue Karte den Medizinern wichtige Informationen liefern. Über Vorerkrankungen und Medikamente, die der Patient bisher eingenommen hat. Das ist besonders wichtig, wenn man als Kranker nicht ansprechbar ist, meint Patient Johannes Hansen:

"Und wenn da tatsächlich, weil ich ja zum medikamentösen Bluter gemacht bin, viel Blut verloren geht, könnte mir sehr schnell geholfen werden."

Bisher müssen Mediziner extra an ein Krankenhaus oder einen anderen Arzt schreiben, wenn sie Informationen über ihren Patienten haben wollen. Das kostet Zeit. Und soll bald der Vergangenheit angehören.
Die Lösung: Eine bundesweite Daten-Autobahn, durch die sich Ärzte, Apotheken und Kliniken austauschen können. Ihr zentrales Element ist die neue Gesundheitskarte.
In Flensburg ist das technisch schon möglich. Wie es funktioniert, führt Doktor Eckehard Meissner in seiner Praxis vor. Er stellt am Computer ein elektronisches Rezept aus. Nur zur Probe, denn erst ab dem Sommer soll es offiziell eingeführt werden. Das Rezept will der Arzt auf die neue Gesundheitskarte schreiben. Dafür hat Doktor Meissner ein Karten-Lesegerät gekauft:

"Das geht so, dass ich die Karte hier einfach einstecke, in das Gerät. Und dann über einen entsprechenden Befehl die Chipkarte auslesen kann."

Um Zugriff auf die elektronische Karte zu haben, muss sich Eckehard Meissner gegenüber der Gesundheitskarte zuerst als Arzt ausweisen. Das tut er durch seinen gleichfalls elektronischen Heilberufsausweis. Auch den schiebt er durch den Kartenleser.

Dann muss der Arzt warten. Mal kürzer, aber noch häufiger länger: Es startet eine komplizierte Sicherheitsprozedur, die am besten Jan Meincke erklären kann. Er ist Projektleiter für die Testphase der elektronischen Gesundheitskarte.

"Da muss die Karte von dem Patienten erst einmal nachgucken, ob sie wirklich in einer Arztpraxis ist. Das heißt, bevor die Karte irgendwelche Daten herausrückt, unterhält sie sich mit der Karte von dem Arzt. Das heißt, zuerst müssen sich beide Karten gegenseitig beschnuppern, ich sage das salopp. Und dann identifizieren sie sich gegenseitig, und dann kann man den inhaltlich-medizinischen Prozess starten. Und das kostet einfach seine Zeit. Das ist ein Teil des Sicherheitskonzeptes."

Beide Karten tauschen dabei Zahlen-Codes aus, so genannte Sicherheitszertifikate. Nach etwa 20 Sekunden ist das System soweit. Auf dem Bildschirm erscheint das Blanko-Formular für ein Medikamenten-Rezept.
Doktor Meissner füllt es aus. Und muss sich noch einmal identifizieren:

"Und wenn ich jetzt hier auf diesen Button Chipkarte drücke, dann kommt die Aufforderung, das Rezept zu signieren. Und ich unterschreibe es mit einem sechsstelligen PIN. Und gebe damit bekannt, dass ich dieser Arzt bin, für den es hier angegeben ist, eben Doktor Meissner."

Daten-Missbrauch der Gesundheitskarte nach dem Motto "gläserner Patient": Die Schreckensvision nicht nur von Verbraucherschutz-Verbänden. Deshalb das komplizierte Sicherheitskonzept.

"Das elektronische Rezept, wie man es auf dem Bildschirm sieht, wird dann auf die Gesundheitskarte geschrieben. In der Testphase muss es, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, gleichzeitig als Papierdokument ausgegeben werden, da es sein kann, dass der Patient in eine Apotheke geht, wo der Apotheker nicht an dem Pilotprojekt teilnimmt."

Mit dem elektronischen Rezept auf seiner Gesundheitskarte kann der Patient in eine Apotheke gehen. Und es dort an einem speziellen Terminal auslesen lassen. Auch der Apotheker bekommt dafür einen eigenen elektronischen Sicherheitsausweis, um Zugang zu den Patienten-Daten zu bekommen.

Das digitale Rezept soll auf lange Sicht Kosten sparen, durch den Wegfall von Verwaltungs- und Portokosten. Für Doktor Meissner ist es aber ein Ärgernis. Das Problem dabei: Die Zeit:

"Bisher dauerte das Unterschreiben eines Rezeptes, selbst wenn ich drauf gucke, wenn es vorher vorbereitet worden ist, so ungefähr zwei Sekunden. Wenn ich es jetzt unter optimalen Bedingungen ablaufen lasse, dauert das Unterschreiben eines elektronisch aufgeschriebenen Medikaments ungefähr 27 Sekunden. Also, das ist ungefähr eine Verzehnfachung der Zeit."

Und damit verlängert sich die Arbeitszeit von Doktor Meissner bei mehr als 100 Patienten am Tag um knapp eine Stunde. Nur fürs Rezeptausstellen. Zeit, für die niemand bezahlt. Sowieso sind die Kosten des neuen Systems höchst umstritten. Fest steht, dass Krankenkassen, Ärzte und Apotheker die elektronische Gesundheitskarte finanzieren sollen. Wie hoch die Kosten aber tatsächlich sein werden, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Das Bundesgesundheitsministerium kalkuliert mit anderthalb Milliarden. Ärzteorganisationen wie der Marburger Bund rechnen mit weit mehr. Und halten die Karte für ein Milliardengrab.

Patient Johannes Hansen jedenfalls freut sich darüber, dass ihm im Notfall durch die neue Karte schneller geholfen werden soll.

"Ja, ich halte sehr viel davon, weil, ich fühle mich sicherer dadurch."

Die nächsten Monate werden zeigen, wie gut die neue Gesundheitskarte funktioniert. Und ob sie wirklich die erhofften Vorteile für Arzt und Patient mit sich bringt.