Der Embryo aus dem Reagenzglas feiert Geburtstag

Von Martin Winkelheide |
Als vor 25 Jahren das erste deutsche Retortenbaby geboren wurde, war dies noch ein großes Medienereignis. Heute ist die künstliche Befruchtung zum medizinischen Alltag geworden. Ungewollte Kinderlosigkeit ist seitdem für viele betroffene Paare kein unlösbarer Schicksalsschlag mehr.
"Jetzt endlich ist also das Erlanger so genannte Retortenbaby offiziell geboren."

Der Hörsaal der Universitätsfrauenklinik Erlangen war gut gefüllt mit Medienvertretern, als Klinikdirektor Karl Günther Ober die Geburt des ersten Kindes in Deutschland bekannt gab, das außerhalb des Mutterleibes gezeugt worden war.

"Prof. Ober hat noch einmal die offiziellen Daten angegeben: Das Kind wog bei der Geburt 4.150 Gramm und hatte eine Körperlänge von 53 Zentimetern."

"Eine dreißig Jahre alte Frau hatte es zur Welt gebracht...."

berichtete damals die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

"Professor Ober sagte weiter, bei der Geburt sei der Kaiserschnitt nötig geworden. (...) Der Mutter gehe es sehr gut."

Die Klinik hielt Identität von Mutter und Kind streng geheim. Nur den Vornamen des Jungen verrieten die Ärzte: Oliver.

"Nun haben also auch die Deutschen ihr 'Retortenbaby'."

Schrieb die Wochenzeitung "Die Zeit".

"Eine Sensation ist Olivers Geburt freilich nicht, allenfalls ein sehr freudiges Ereignis für seine bislang kinderlosen Eltern aus dem mittelfränkischen Langensendelbach und für das Ärzteteam um Professor Siegfried Trotnow. Vor fast vier Jahren, im Juli 1978, hatte die Geburt von lovely Louise Brown in England gezeigt, dass die künstliche Befruchtung im Reagenzglas und die anschließende Verpflanzung des Embryos in den Mutterleib 'technisch machbar' ist."

"Es hat dann schon noch einige Zeit gedauert, bis wir auch in Deutschland so weit waren."

Erinnert sich Klaus Diedrich von der Frauenklinik Lübeck der Universität Schleswig Holstein.

"Es gab ein Kopf an Kopf Rennen zwischen drei Universitätskliniken: Erlangen, Lübeck und Kiel. Und die erste Geburt wurde dann vermeldet 1982 in Erlangen. Wir in Lübeck waren die zweiten, und dann kam Kiel als drittes hinterher. Wir haben uns vorher viele Jahre damit beschäftigt. Es ist eine mühsame Sache, die dann auch irgendwann Gott sei Dank zum Erfolg geführt hat."

Frau: "Also ich finde das nicht gut, weil ich da eine Gefahr sehe für die Zukunft..."

Mit der Geburt von Oliver aus Erlangen flammte eine öffentliche Debatte neu auf: Ist die künstliche Befruchtung ethisch vertretbar?

Frau 2: "Ich weiß nicht, das ist vielleicht so 'ne reine Gefühlssache, aber ich find das unnormal und unnatürlich."

Frau 1: "Dass eines Tages eben Babys vom Fließband kommen, dass man Babys also durch die Genforschung richtig herstellen kann - wie man sie haben will, (...), also ich hab da richtig Angst vor."

Mann 1: "Ja, man muss doch mal an die Frauen denken, die sonst unerfüllt bleiben, wenn sie nicht schwanger werden, das Erlebnis nicht haben."

Klaus Diedrich: "Es war sehr viel Unkenntnis damals. Was machen die da eigentlich?"

Klaus Diedrich von der Frauenklinik Lübeck der Universität Schleswig Holstein.

"Der Embryo war auf einmal verfügbar im Reagenzglas. Natürlich auch Zugriffsmöglichkeiten. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Manipulationsmöglichkeiten. Es wurde ja schon von Genmanipulation gesprochen damals. Es war viel Unruhe in Deutschland. Insbesondere in Deutschland. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte im Dritten Reich. Man hatte Angst, da würde wieder irgendwas in einer Hexenküche gemacht werden, mit Missbrauchsmöglichkeiten. Wir waren schon sehr in der Schusslinie."

Kritik an der künstlichen Befruchtung kam damals auch von radikal-feministischer Seite.

Mettler: "Uns ist das Labor zerstört worden hier, von einer Gruppe 'Rote Zora'."

Liselotte Mettler, Reproduktionsmedizinerin an der Universität Schleswig Holstein in Kiel.

"Die Frauenbewegung, die gesagt haben: Mit Frauen darf man so was nicht machen. Da ist uns das ganze Labor zerstört worden, da haben wir Polizeischutz gehabt, weil sie uns angegriffen haben, und es ist einigen Arbeitsgruppen so gegangen."