Der Engel von Sibirien
Als Rot-Kreuz-Schwester reiste sie während des Ersten Weltkriegs in die Gefangenenlager nach Sibirien. Für die deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen, die hier unter furchtbaren Bedingungen lebten, war sie eine Lichtgestalt: Elsa Brändström.
"Von den Eiszapfen an der Decke tropfte das Wasser. Kranke und Gesunde lagen so dicht beieinander, dass man in den Gängen über ihre Körper steigen musste. Das Essen wurde neben die Kranken gestellt. Nur wer noch Kraft hatte, aß."
Die westsibirischen Erdbaracken gehören sicherlich zu den schlimmsten Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs: Tief in den lehmigen Boden gegrabene Höhlen, dunkel und stickig. Eine schwedische Krankenschwester kümmert sich um die inhaftierten Soldaten: Elsa Brändström.
"Während der Schneeschmelze sah man Kranke und Gesunde gierig das Wasser trinken, das gelb von Menschenkot von den Latrinen herfloss. Die Toten wurden aufgestapelt und derselbe Wagen, der die Leichen zum Massengrab führte, holte das Fleisch für die Küche der Kriegsgefangenen."
Ihre Erlebnisse hat Elsa Brändström in dem Buch "Unter Kriegsgefangenen in Russland und Sibirien 1914-1920" aufgeschrieben. Es wird ein Bestseller.
Prunkvolle Bälle, Theater- und Opernbesuche, Schlittenpartien - ausgiebig genießt Elsa Brändström alle Annehmlichkeiten, die ihr im zaristischen St. Petersburg offenstehen. Am 26. März 1888 kommt sie hier als Tochter des schwedischen Militärattachés zur Welt. Sie ist 26, als der deutsche Kaiser Russland den Krieg erklärt. Wie viele Frauen der feinen russischen Gesellschaft lässt auch sie sich in einem Schnellkurs als Krankenpflegerin ausbilden. Im August 1915 begegnet sie bei einer Lazarettbesichtigung in ihrer Heimatstadt zum ersten Mal deutschen Verwundeten.
"Die Gefangenen lagen hier unter schlechteren Verhältnissen als die Russen. Es schlug uns aber eine Welle von zielbewusstem Willen, von Kraft und Zusammenhalt entgegen, die scharf gegen das erdrückende Gefühl der Hilflosigkeit bei den russischen Verwundeten abstach."
Der Großteil der deutschen Kriegsgefangenen lebt weit weg von St. Petersburg in sibirischen Lagern. Abgeschnitten vom Rest der Welt, unter härtesten Witterungsbedingungen, ohne ausreichende Verpflegung oder medizinische Versorgung. Elsa Brändström entscheidet sich, fortan diesen Männern ihre ganze Kraft zu widmen.
Vier Mal reist sie als Delegierte des schwedischen Roten Kreuzes in Güterzügen nach Sibirien. Sie bringt warme Kleidung, Medikamente, Lebensmittel. Ein Soldat erinnert sich:
"Sie durchquert das ganze Lager, visitiert jede Baracke. Wir stehen militärisch vor unseren Pritschen aufgebaut. Die blonde Schwester tritt entschlossen auf. Fragt hier und dort, notiert alles. Die Generäle drängen vorwärts, sie lässt sich Zeit. ‚Nur ruhig, meine Herren, eins nach dem anderen‘."
Es bleibt ein Rätsel, wie die schwedische Einzelkämpferin allein durch ihr couragiertes Auftreten eine Verbesserung der furchtbaren Zustände erreicht: Dass die kranken von den gesunden Gefangenen getrennt, dass sie überhaupt medizinisch versorgt werden, dass die Erdbaracken aufgelöst und menschenwürdige Latrinen eingerichtet werden.
"Damals habe ich oft gehört, dass die Gefangenen mich ‚Engel von Sibirien‘ nannten. Nun, ein Engel war ich wirklich nicht. Wenn notwendig, konnte ich fluchen wie ein Droschkenkutscher und befehlen wie ein Unteroffizier der deutschen Armee. Das war erforderlich, denn die russische Verwaltung ist unendlich langwierig. Erschwerend kommt hinzu, dass ich eine Frau bin. Frauen, so hat man mir oft genug gesagt, gehören an den Herd."
Erst 1920, als sich der Völkerbund der Heimkehr der Kriegsgefangenen annimmt, verlässt Elsa Brändström Russland. Mit Spendengeldern und den Einnahmen aus ihrem Buch richtet sie in Deutschland ein Kinderheim und ein Sanatorium für zurückkehrende Soldaten ein. 1929 heiratet sie. Mit ihrem Mann, einem überzeugten Sozialisten, emigriert sie 1933 nach Boston. Vom Helfen kann sie auch dort nicht lassen: Sie gründet einen Verein, der sich um die meist jüdischen Flüchtlinge aus Europa kümmert; gegen Ende des Zweiten Weltkriegs organisiert sie Hilfssendungen an Kinder in Deutschland. Sie hat noch viele andere Pläne, doch der Knochenkrebs macht sie alle zunichte. Am 4. März 1948, drei Wochen vor ihrem 60. Geburtstag, stirbt Elsa Brändström. Ihrer Tochter schreibt sie:
"Es ist schon merkwürdig, wenn man die letzten Tage spürt. Ich sehne mich so nach dem Leben, ich möchte am liebsten von vorne anfangen. Ich würde am liebsten allen jungen Menschen sagen: Habt vor nichts Angst! Das Leben ist aufregender, schöner und kraftvoller als ihr es Euch vorstellen könnt. Wir sind viel stärker als wir glauben."
Die westsibirischen Erdbaracken gehören sicherlich zu den schlimmsten Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs: Tief in den lehmigen Boden gegrabene Höhlen, dunkel und stickig. Eine schwedische Krankenschwester kümmert sich um die inhaftierten Soldaten: Elsa Brändström.
"Während der Schneeschmelze sah man Kranke und Gesunde gierig das Wasser trinken, das gelb von Menschenkot von den Latrinen herfloss. Die Toten wurden aufgestapelt und derselbe Wagen, der die Leichen zum Massengrab führte, holte das Fleisch für die Küche der Kriegsgefangenen."
Ihre Erlebnisse hat Elsa Brändström in dem Buch "Unter Kriegsgefangenen in Russland und Sibirien 1914-1920" aufgeschrieben. Es wird ein Bestseller.
Prunkvolle Bälle, Theater- und Opernbesuche, Schlittenpartien - ausgiebig genießt Elsa Brändström alle Annehmlichkeiten, die ihr im zaristischen St. Petersburg offenstehen. Am 26. März 1888 kommt sie hier als Tochter des schwedischen Militärattachés zur Welt. Sie ist 26, als der deutsche Kaiser Russland den Krieg erklärt. Wie viele Frauen der feinen russischen Gesellschaft lässt auch sie sich in einem Schnellkurs als Krankenpflegerin ausbilden. Im August 1915 begegnet sie bei einer Lazarettbesichtigung in ihrer Heimatstadt zum ersten Mal deutschen Verwundeten.
"Die Gefangenen lagen hier unter schlechteren Verhältnissen als die Russen. Es schlug uns aber eine Welle von zielbewusstem Willen, von Kraft und Zusammenhalt entgegen, die scharf gegen das erdrückende Gefühl der Hilflosigkeit bei den russischen Verwundeten abstach."
Der Großteil der deutschen Kriegsgefangenen lebt weit weg von St. Petersburg in sibirischen Lagern. Abgeschnitten vom Rest der Welt, unter härtesten Witterungsbedingungen, ohne ausreichende Verpflegung oder medizinische Versorgung. Elsa Brändström entscheidet sich, fortan diesen Männern ihre ganze Kraft zu widmen.
Vier Mal reist sie als Delegierte des schwedischen Roten Kreuzes in Güterzügen nach Sibirien. Sie bringt warme Kleidung, Medikamente, Lebensmittel. Ein Soldat erinnert sich:
"Sie durchquert das ganze Lager, visitiert jede Baracke. Wir stehen militärisch vor unseren Pritschen aufgebaut. Die blonde Schwester tritt entschlossen auf. Fragt hier und dort, notiert alles. Die Generäle drängen vorwärts, sie lässt sich Zeit. ‚Nur ruhig, meine Herren, eins nach dem anderen‘."
Es bleibt ein Rätsel, wie die schwedische Einzelkämpferin allein durch ihr couragiertes Auftreten eine Verbesserung der furchtbaren Zustände erreicht: Dass die kranken von den gesunden Gefangenen getrennt, dass sie überhaupt medizinisch versorgt werden, dass die Erdbaracken aufgelöst und menschenwürdige Latrinen eingerichtet werden.
"Damals habe ich oft gehört, dass die Gefangenen mich ‚Engel von Sibirien‘ nannten. Nun, ein Engel war ich wirklich nicht. Wenn notwendig, konnte ich fluchen wie ein Droschkenkutscher und befehlen wie ein Unteroffizier der deutschen Armee. Das war erforderlich, denn die russische Verwaltung ist unendlich langwierig. Erschwerend kommt hinzu, dass ich eine Frau bin. Frauen, so hat man mir oft genug gesagt, gehören an den Herd."
Erst 1920, als sich der Völkerbund der Heimkehr der Kriegsgefangenen annimmt, verlässt Elsa Brändström Russland. Mit Spendengeldern und den Einnahmen aus ihrem Buch richtet sie in Deutschland ein Kinderheim und ein Sanatorium für zurückkehrende Soldaten ein. 1929 heiratet sie. Mit ihrem Mann, einem überzeugten Sozialisten, emigriert sie 1933 nach Boston. Vom Helfen kann sie auch dort nicht lassen: Sie gründet einen Verein, der sich um die meist jüdischen Flüchtlinge aus Europa kümmert; gegen Ende des Zweiten Weltkriegs organisiert sie Hilfssendungen an Kinder in Deutschland. Sie hat noch viele andere Pläne, doch der Knochenkrebs macht sie alle zunichte. Am 4. März 1948, drei Wochen vor ihrem 60. Geburtstag, stirbt Elsa Brändström. Ihrer Tochter schreibt sie:
"Es ist schon merkwürdig, wenn man die letzten Tage spürt. Ich sehne mich so nach dem Leben, ich möchte am liebsten von vorne anfangen. Ich würde am liebsten allen jungen Menschen sagen: Habt vor nichts Angst! Das Leben ist aufregender, schöner und kraftvoller als ihr es Euch vorstellen könnt. Wir sind viel stärker als wir glauben."