Der Entdecker des Himmels
Als junger Mann wollte er eigentlich als Naturforscher berühmt werden. Doch dann schrieb sich der Niederländer Harry Mulisch mit Romanen wie "Das Attentat" oder "Die Entdeckung des Himmels" in die Literaturgeschichte ein.
Der Weg zu Harry Mulisch war kompliziert. Wer in seine Amsterdamer Wohnung geladen war, musste mehrere schmale, verwinkelte Treppen erklimmen. Oben dann in dem typisch Amsterdamer Haus: der Blick auf Grachten und auf die Innenstadt. In dem hellen, Loft-artigen Arbeitszimmer: überall Bücherstapel. Seine Frau servierte diskret den Kaffee.
Fast jeder in Amsterdam wusste, wo genau hier am Leidseplein der literarische Grandseigneur residierte. Gleich nebenan liegt einer der wichtigsten literarischen Clubs, in dem der 1927 geborene Autor von "Das Attentat" und "Die Entdeckung des Himmels" prominentes Mitglied war. Harry Mulisch - über Jahrzehnte so etwas wie das intellektuelle Zentrum seines Landes.
Dabei hatte Mulisch als junger Mann ganz andere Vorstellungen. Er war mit 18 Jahren, 1945, ohne Abschluss von der Schule gegangen. Große Pläne hatte er schon damals - allerdings in einem ganz anderen Feld:
"Für die Literatur habe ich mich eigentlich nicht interessiert. Ich dachte, ich werde ein großer Naturforscher und werde den Nobelpreis für Chemie oder Physik bekommen."
Stattdessen war er immer wieder im Gespräch für den Literatur-Nobelpreis, er hat ihn sich wohl auch erhofft. Zumal "Die Entdeckung des Himmels" in seinem Heimatland zum besten holländischen Roman aller Zeiten gewählt wurde.
Bekannt wurde Harry Mulisch zu Beginn der 60er-Jahre durch seine Beobachtungen vom Eichmann-Prozess in Jerusalem: Strafsache 40/61 hießen die Reportagen für die Zeitschrift "Elzevier's Weekblad". Darin hat er in unnachahmlicher Weise die Grausamkeiten der Nazi-Maschinerie aufgezeigt. Wer heute diese Texte liest, dem läuft es noch immer kalt den Rücken hinunter. Mulisch machte die "Banalität des Bösen" in ihrer ganzen gruseligen Dimension plastisch. Er lieferte ein Psychogramm Adolf Eichmanns, dieser "Menschmaschine" in Mulischs Worten. Deutlich wird seine Faszination für das absolut Böse, die für sein gesamtes Werk so grundlegend werden sollte.
"Na ja, ohne Hitler wäre das meiste, was ich geschrieben habe, nicht denkbar, das ist schon wahr. Das hat er also erreicht."
"Ich bin der Zweite Weltkrieg", so hat sich Mulisch selbst stilisiert. In seiner eigenen Person sah er die die tragische Verstrickung vieler Zeitgenossen personifiziert - Opfer und Täter zugleich:
"Meine Mutter war jüdisch, war verheiratet mit meinem Vater, alter k.u.k.-Offizier. Im Krieg hat mein Vater mitgemacht mit den Nazis. Ohne ein Nazi zu sein. Er war Bankier und hatte zu tun, nun ja, mit der finanziellen Seite der Endlösung. Denn die Juden sollten nicht nur vernichtet werden, sondern man wollte auch ihre sieben Sachen haben, ihr Geld, ihr Gold und die Gemälde. Und er war Direktor einer Bank, die das verwaltete. Und dafür war er nach dem Krieg im Lager für drei Jahre, hat er gesessen."
In "Das Attentat" hat Mulisch diese Verstrickungen in Form eines Kriminalromans thematisiert. Das Verhältnis der niederländischen Kollaborateure zu den Opfern – Schuld, fatale Verstrickung, Versuche, sich eine weiße Weste zu verschaffen. "Das Attentat", 1982 erschienen, wurde ein großer internationaler Erfolg. Die Verfilmung bekam einen Auslands-Oscar. Spätestens seitdem war Mulisch ein literarischer Star.
Mit "Die Entdeckung des Himmels" 1992 verfestigte Mulisch seinen literarischen Ruhm. In dem heiter grundierten Roman, in dem Engel von einer Wolke herab die Nachkriegszeit Revue passieren lassen, zeigt sich seine meisterhafte Balance zwischen Ernst und Schalk. Denn zu Mulischs hervorstechenden literarischen Eigenschaften zählt genau das: Humor, Sarkasmus, Selbstironie und ein schelmischer Zugang zur Welt.
"Es ist nicht hoffnungslos. Aber es ist doch ziemlich ernst. Wenn man realisiert, was für Katastrophen es doch schon gegeben hat. Ich bin Optimist."
Mulisch war seit den 60er-Jahren eine der intellektuellen Leitfiguren der Linken. Er engagierte sich gegen den Vietnamkrieg, gegen Atomkraft, war Teil der anarchischen Provo-Bewegung und der Friedensbewegung.
Seine beständige Arbeit an den deutsch-holländischen Beziehungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg viel länger zerrüttet waren als etwa die zu Frankreich, machte den perfekt Deutsch sprechenden Mulisch zu einem kritischen Begleiter auch der Zustände in der alten Bundesrepublik:
"Wenn in diesem Land eine Gruppe von Leuten 'Deutschland, Deutschland' brüllt, dann ist das bedenklich. Und zugleich ist es undenkbar, dass eine Gruppe 'Bundesrepublik, Bundesrepublik' brüllt. Deshalb ist die Bundesrepublik in Ordnung, Deutschland jedoch nicht in dem Maße."
Sein letztes großes Buch erschien 2001: "Siegfried". Mulisch näherte sich darin dem Mythos Adolf Hitler aus der Schlüssellochperspektive: Hitler privat, als Liebhaber von Eva Braun - eine historische Tatsache; und als Vater des kleinen "Siegfried" - eine literarische Kopfgeburt des Harry Mulisch. – In den Niederlanden war der Roman ein Bestseller, in Deutschland blieb er eher unbeachtet. Vielleicht wegen der teilweise allzu konstruierten Geschichte – in der Mulisch aber noch einmal seine respektlose Lust an der hemmungslosen Überzeichnung demonstrierte:
"Alles ist überstiegen in diesem Buch. Aber man soll immer etwas zu weit gehen, dann erst wird's interessant. Wenn alles plausibel ist, sagt man na ja, das könnte sein, ein netter Roman, eine nette Geschichte. So ein Buch möchte ich nicht schreiben. Wenn man zu weit geht, und ich hab mir auch manchmal gedacht: Na, na, was mach ich hier jetzt alles. Aber ich habe ja nichts zu verlieren."
Fast jeder in Amsterdam wusste, wo genau hier am Leidseplein der literarische Grandseigneur residierte. Gleich nebenan liegt einer der wichtigsten literarischen Clubs, in dem der 1927 geborene Autor von "Das Attentat" und "Die Entdeckung des Himmels" prominentes Mitglied war. Harry Mulisch - über Jahrzehnte so etwas wie das intellektuelle Zentrum seines Landes.
Dabei hatte Mulisch als junger Mann ganz andere Vorstellungen. Er war mit 18 Jahren, 1945, ohne Abschluss von der Schule gegangen. Große Pläne hatte er schon damals - allerdings in einem ganz anderen Feld:
"Für die Literatur habe ich mich eigentlich nicht interessiert. Ich dachte, ich werde ein großer Naturforscher und werde den Nobelpreis für Chemie oder Physik bekommen."
Stattdessen war er immer wieder im Gespräch für den Literatur-Nobelpreis, er hat ihn sich wohl auch erhofft. Zumal "Die Entdeckung des Himmels" in seinem Heimatland zum besten holländischen Roman aller Zeiten gewählt wurde.
Bekannt wurde Harry Mulisch zu Beginn der 60er-Jahre durch seine Beobachtungen vom Eichmann-Prozess in Jerusalem: Strafsache 40/61 hießen die Reportagen für die Zeitschrift "Elzevier's Weekblad". Darin hat er in unnachahmlicher Weise die Grausamkeiten der Nazi-Maschinerie aufgezeigt. Wer heute diese Texte liest, dem läuft es noch immer kalt den Rücken hinunter. Mulisch machte die "Banalität des Bösen" in ihrer ganzen gruseligen Dimension plastisch. Er lieferte ein Psychogramm Adolf Eichmanns, dieser "Menschmaschine" in Mulischs Worten. Deutlich wird seine Faszination für das absolut Böse, die für sein gesamtes Werk so grundlegend werden sollte.
"Na ja, ohne Hitler wäre das meiste, was ich geschrieben habe, nicht denkbar, das ist schon wahr. Das hat er also erreicht."
"Ich bin der Zweite Weltkrieg", so hat sich Mulisch selbst stilisiert. In seiner eigenen Person sah er die die tragische Verstrickung vieler Zeitgenossen personifiziert - Opfer und Täter zugleich:
"Meine Mutter war jüdisch, war verheiratet mit meinem Vater, alter k.u.k.-Offizier. Im Krieg hat mein Vater mitgemacht mit den Nazis. Ohne ein Nazi zu sein. Er war Bankier und hatte zu tun, nun ja, mit der finanziellen Seite der Endlösung. Denn die Juden sollten nicht nur vernichtet werden, sondern man wollte auch ihre sieben Sachen haben, ihr Geld, ihr Gold und die Gemälde. Und er war Direktor einer Bank, die das verwaltete. Und dafür war er nach dem Krieg im Lager für drei Jahre, hat er gesessen."
In "Das Attentat" hat Mulisch diese Verstrickungen in Form eines Kriminalromans thematisiert. Das Verhältnis der niederländischen Kollaborateure zu den Opfern – Schuld, fatale Verstrickung, Versuche, sich eine weiße Weste zu verschaffen. "Das Attentat", 1982 erschienen, wurde ein großer internationaler Erfolg. Die Verfilmung bekam einen Auslands-Oscar. Spätestens seitdem war Mulisch ein literarischer Star.
Mit "Die Entdeckung des Himmels" 1992 verfestigte Mulisch seinen literarischen Ruhm. In dem heiter grundierten Roman, in dem Engel von einer Wolke herab die Nachkriegszeit Revue passieren lassen, zeigt sich seine meisterhafte Balance zwischen Ernst und Schalk. Denn zu Mulischs hervorstechenden literarischen Eigenschaften zählt genau das: Humor, Sarkasmus, Selbstironie und ein schelmischer Zugang zur Welt.
"Es ist nicht hoffnungslos. Aber es ist doch ziemlich ernst. Wenn man realisiert, was für Katastrophen es doch schon gegeben hat. Ich bin Optimist."
Mulisch war seit den 60er-Jahren eine der intellektuellen Leitfiguren der Linken. Er engagierte sich gegen den Vietnamkrieg, gegen Atomkraft, war Teil der anarchischen Provo-Bewegung und der Friedensbewegung.
Seine beständige Arbeit an den deutsch-holländischen Beziehungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg viel länger zerrüttet waren als etwa die zu Frankreich, machte den perfekt Deutsch sprechenden Mulisch zu einem kritischen Begleiter auch der Zustände in der alten Bundesrepublik:
"Wenn in diesem Land eine Gruppe von Leuten 'Deutschland, Deutschland' brüllt, dann ist das bedenklich. Und zugleich ist es undenkbar, dass eine Gruppe 'Bundesrepublik, Bundesrepublik' brüllt. Deshalb ist die Bundesrepublik in Ordnung, Deutschland jedoch nicht in dem Maße."
Sein letztes großes Buch erschien 2001: "Siegfried". Mulisch näherte sich darin dem Mythos Adolf Hitler aus der Schlüssellochperspektive: Hitler privat, als Liebhaber von Eva Braun - eine historische Tatsache; und als Vater des kleinen "Siegfried" - eine literarische Kopfgeburt des Harry Mulisch. – In den Niederlanden war der Roman ein Bestseller, in Deutschland blieb er eher unbeachtet. Vielleicht wegen der teilweise allzu konstruierten Geschichte – in der Mulisch aber noch einmal seine respektlose Lust an der hemmungslosen Überzeichnung demonstrierte:
"Alles ist überstiegen in diesem Buch. Aber man soll immer etwas zu weit gehen, dann erst wird's interessant. Wenn alles plausibel ist, sagt man na ja, das könnte sein, ein netter Roman, eine nette Geschichte. So ein Buch möchte ich nicht schreiben. Wenn man zu weit geht, und ich hab mir auch manchmal gedacht: Na, na, was mach ich hier jetzt alles. Aber ich habe ja nichts zu verlieren."