Der Entromantisierer
"Stücke aus dem Traumtheater" nennt der als Herausgeber fungierende Schriftstellerkollege Thomas Hürlimann die Texte von Botho Strauß. Mit seiner Auswahl holt Hürlimann den von ihm bewunderten Autor in die Menschen- und Lesegemeinschaft zurück.
In seinem Nachwort macht Hürlimann sich Gedanken darüber, ob es legitim ist, erzählerische Elemente aus Strauß' Prosabüchern und damit aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herauszulösen und erzählt selbst eine Geschichte über Botho Strauß, der sich, zurückgezogen in der Uckermark lebend, in einer Scheune ein Kino eingerichtet habe, wo er Filme von Fellini, Antonioni, Buñuel und natürlich Ingmar Bergman anschaue. Als Vorführer lege er die Filme ein, um dann als einziger Zuschauer verspätet in den Kinosaal zu schlüpfen und in einem Ohrensessel neben dem Ofen Platz zu nehmen, während draußen der Wind und die Wölfe von jenseits der Oder heulen.
Auf so eine vielleicht nur geträumte Leinwand müsste man auch Strauß' Erzählungstexte projizieren, um sie angemessen würdigen zu können. Werken aus 25 Jahren entnommen - angefangen mit dem Roman "Der junge Mann" von 1984 bis zu "Vom Aufenthalt" aus dem Jahr 2009 -, bekommen die Texte in der Sammlung "Sie/Er" einen neuen Zusammenhang und verändern damit ihren Charakter. Sie wirken milder, menschenfreundlicher und weniger hochnäsig als an ihren Ursprungsorten. Das hat vielleicht nur damit zu tun, dass gerade die Texte aus den 90er Jahren nun jenseits der allzu schlichten politischen Lesart wiederzuentdecken sind, als sie im Getöse um Strauß' Essay "Anschwellender Bocksgesang" und sein konservatives Coming Out untergingen. Jetzt zeigt sich die Kontinuität des Geschichtsabgewandten Seelen-Erkunders und seine enorme Fähigkeit, psychologische Zustände nuancenreich darzustellen.
Das Herausdestillieren einzelner Geschichten wirkt sich durchaus positiv aus, auch wenn dieses Verfahren den erklärten Zielen von Strauß widerspricht. Sein Ideal ist erklärtermaßen keine erzählerische Prosa, auch nicht die logische Deduktion, noch nicht einmal die Mitteilung, sondern "reine Gegenstandlosigkeit, freie themenlose Szenerie, entgrenzte Impression". Schreiben ist seine Methode, "mit anderen Menschen in Verbindung zu treten, ohne mit ihnen kommunizieren zu müssen." So gibt er das paradoxe Bild eines Dichters ab, der in letzter Konsequenz verstummen müsste, weil mit den Worten ja schon die Geschwätzigkeit beginnt. Diese Distanz markiert er durch den hohen Ton seiner Prosa, der auf Kostbarkeit und Ewigkeit zielt und ein gelegentliches Abrutschen in hochmeinenden Kitsch durchaus in Kauf nimmt. Hürlimann holt Strauß mit seiner Auswahl in die Menschen- und Lesegemeinschaft zurück.
Am besten ist Strauß dann, wenn er Paare beschreibt. Er zeigt sie in Begegnungen und Auseinandersetzungen verstrickt, die der allgemeine Sprachgebrauch der Einfachheit halber unter dem Begriff "Liebe" zusammenfasst. Die Liebe ist deshalb so interessant, weil sie, so Strauß, sich in der Sphäre von Glauben und Vertrauen vollzieht und Wissen dabei eher hinderlich ist. Damit ist er als Dichter zuständig. "Schon nach den ersten Schritten des Erkundens konnte sie nicht mehr einhalten, und es begann ihr unabsehbarer Abstieg ins Wissen", heißt es an einer Stelle, somit das Schicksal der Liebenden besiegelt ist.
Den Titel "Sie/Er" hat nicht der Herausgeber, sondern Strauß selbst gewählt. Die Betonung liegt dabei auf dem trennenden und verbindenden Strich. "Die Getäuschte" (aus "Das Partikular") ist ein derartiges Bravourstück: Eine Frau entdeckt den jahrelangen Betrug eines Mannes, der ihr mit seinem Geständnis aber einen viel weitergehenden Betrug verhüllt. Die Täuschung vollzieht sich auf höherer Ebene und wird zur Bedingung der Partnerschaft. Strauß ist ein strenger Entromantisierer auf der Ebene der Gefühle und der normativen Moral. Zugleich ist er aber ein ausgesprochener Romantiker, was seine Orientierung an Ewigkeitswerten und seine Weltabgewandtheit betrifft. Diese unlösbare Spannung gibt den "Stücken aus dem Traumtheater" ihre faszinierende Kraft.
Besprochen von Jörg Magenau
Botho Strauß: Sie/Er. Erzählungen
Ausgewählt von Thomas Hürlimann
Hanser Verlag, München 2012
320 Seiten, 19,90 Euro
Auf so eine vielleicht nur geträumte Leinwand müsste man auch Strauß' Erzählungstexte projizieren, um sie angemessen würdigen zu können. Werken aus 25 Jahren entnommen - angefangen mit dem Roman "Der junge Mann" von 1984 bis zu "Vom Aufenthalt" aus dem Jahr 2009 -, bekommen die Texte in der Sammlung "Sie/Er" einen neuen Zusammenhang und verändern damit ihren Charakter. Sie wirken milder, menschenfreundlicher und weniger hochnäsig als an ihren Ursprungsorten. Das hat vielleicht nur damit zu tun, dass gerade die Texte aus den 90er Jahren nun jenseits der allzu schlichten politischen Lesart wiederzuentdecken sind, als sie im Getöse um Strauß' Essay "Anschwellender Bocksgesang" und sein konservatives Coming Out untergingen. Jetzt zeigt sich die Kontinuität des Geschichtsabgewandten Seelen-Erkunders und seine enorme Fähigkeit, psychologische Zustände nuancenreich darzustellen.
Das Herausdestillieren einzelner Geschichten wirkt sich durchaus positiv aus, auch wenn dieses Verfahren den erklärten Zielen von Strauß widerspricht. Sein Ideal ist erklärtermaßen keine erzählerische Prosa, auch nicht die logische Deduktion, noch nicht einmal die Mitteilung, sondern "reine Gegenstandlosigkeit, freie themenlose Szenerie, entgrenzte Impression". Schreiben ist seine Methode, "mit anderen Menschen in Verbindung zu treten, ohne mit ihnen kommunizieren zu müssen." So gibt er das paradoxe Bild eines Dichters ab, der in letzter Konsequenz verstummen müsste, weil mit den Worten ja schon die Geschwätzigkeit beginnt. Diese Distanz markiert er durch den hohen Ton seiner Prosa, der auf Kostbarkeit und Ewigkeit zielt und ein gelegentliches Abrutschen in hochmeinenden Kitsch durchaus in Kauf nimmt. Hürlimann holt Strauß mit seiner Auswahl in die Menschen- und Lesegemeinschaft zurück.
Am besten ist Strauß dann, wenn er Paare beschreibt. Er zeigt sie in Begegnungen und Auseinandersetzungen verstrickt, die der allgemeine Sprachgebrauch der Einfachheit halber unter dem Begriff "Liebe" zusammenfasst. Die Liebe ist deshalb so interessant, weil sie, so Strauß, sich in der Sphäre von Glauben und Vertrauen vollzieht und Wissen dabei eher hinderlich ist. Damit ist er als Dichter zuständig. "Schon nach den ersten Schritten des Erkundens konnte sie nicht mehr einhalten, und es begann ihr unabsehbarer Abstieg ins Wissen", heißt es an einer Stelle, somit das Schicksal der Liebenden besiegelt ist.
Den Titel "Sie/Er" hat nicht der Herausgeber, sondern Strauß selbst gewählt. Die Betonung liegt dabei auf dem trennenden und verbindenden Strich. "Die Getäuschte" (aus "Das Partikular") ist ein derartiges Bravourstück: Eine Frau entdeckt den jahrelangen Betrug eines Mannes, der ihr mit seinem Geständnis aber einen viel weitergehenden Betrug verhüllt. Die Täuschung vollzieht sich auf höherer Ebene und wird zur Bedingung der Partnerschaft. Strauß ist ein strenger Entromantisierer auf der Ebene der Gefühle und der normativen Moral. Zugleich ist er aber ein ausgesprochener Romantiker, was seine Orientierung an Ewigkeitswerten und seine Weltabgewandtheit betrifft. Diese unlösbare Spannung gibt den "Stücken aus dem Traumtheater" ihre faszinierende Kraft.
Besprochen von Jörg Magenau
Botho Strauß: Sie/Er. Erzählungen
Ausgewählt von Thomas Hürlimann
Hanser Verlag, München 2012
320 Seiten, 19,90 Euro