"Der erste moderne spanischsprachige Romancier"
Der Schriftsteller Juan Carlos Onetti ist hierzulande nahezu bekannt. Damit sich das ändert, hat das Instituto Cervantes in Frankfurt dem großen Autor aus Uruguay einen Abend mit Mario Vargas Llosa und Daniel Kehlmann gewidmet.
Überall unruhige Handbewegungen im Saal des Instituto Cervantes in Frankfurt. Wer keinen Fächer hat, wedelt mit seinem Programmheft. Subtropische Klima im Saal. Passend. Denn der uruguayische Schriftsteller Juan Carlos Onetti wäre an diesem Mittwoch 100 Jahre alt geworden. Und aus diesem Anlass sind Mario Vargas Llosa und Daniel Kehlmann nach Frankfurt angereist:
Daniel Kehlmann liest Juan Carlos Onettis Erzählung "Willkommen, Bob". Kehlmann und Vargas Llosa verbindet die Faszination, die sie für den uruguayischen Schriftsteller Onetti hegen. Für ihn und sein Werk. Mario Vargas Llosa:
"Praktisch in allen Geschichten Onettis treffen wir Figuren an, die einem Leben entfliehen, das ihnen als unerträglich erscheint. Sie begeben sich in die Welt der Fantasie, des Traums, einer Welt, in der sich grausame Dinge ereignen, in der sie intensive Erfahrungen machen können, eine Größe des Erlebten, die sie in ihrem mittelmäßigen Leben, in der Wirklichkeit, nicht erreichen können."
Am 1. Juli 1909, also vor exakt 100 Jahren, wurde Juan Carlos Onetti in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo geboren. Rechtzeitig ist auf Deutsch Vargas Llosas Buch über Onetti erschienen, ein biografischer Essay. Und der Suhrkamp Verlag startet im Herbst eine Onetti-Werkausgabe. Onetti wuchs in Uruguay auf und erhielt als Schüler unaufhörlich schlechte Noten. Das beschreibt Mario Vargas Llosa in seinem Buch so:
"Er schwänzte oft die Schule, manchmal ging er statt dessen zum Lesen in die Bibliothek des Pädagogischen Museums, oder er legte sich einfach auf die Hafenmole, betrachtete das Meer und die Schiffe und ließ seine Gedanken schweifen."
"Ein fauler junger Träumer" hat Mario Vargas Llosa ein Kapitel in seinem Buch über Juan Carlos Onetti genannt. Faul in der Schule - er brach sie schließlich ab -, eifrig im Lesen. Der junge Juan Carlos las oft an ungewöhnlichen Orten, in einem alten leeren Schrank zum Beispiel, dort in Gegenwart seiner Schwester und einer Katze, oder am Grund einer Zisterne, "in die sein Bruder Raúl ihn in einem Eimer herunterließ".
Onetti erschien das Leben selbst nicht besonders interessant. Deshalb, so die Analyse von Mario Vargas Llosa, flüchteten sich er und selbst seine Romanfiguren in die Welt der Fiktion und Träume.
So wundert es auch nicht, dass Onetti viele seiner Werke an einem fiktiven Ort, Santa María, angesiedelt hat, einer Provinzstadt irgendwo am Ufer des Río de la Plata. So auch die Romane "Das kurze Leben", "Die Werft" und "Leichensammler". Die Hauptfigur dieses Romans hat einen Wunsch: ein Bordell zu eröffnen mit wunderschönen Prostituierten. Letztlich arbeiten nur drei hässliche, kranke Prostituierte für ihn. Deshalb nennt man ihn den Leichensammler. Scheitern ist bei Onetti Programm, so Daniel Kehlmann im Frankfurter Instituto Cervantes.
"Man könnte sagen, dass Onetti eigentlich niemandem verzeiht, dass er sich mit dem Leben arrangiert. Wenn das frühe Erwachsenenalter vorbei ist, ist man entweder gescheitert, also gescheitert in dem Sinne, dass man es zu nichts gebracht hat und auch zu nichts mehr bringen wird, oder man ist gescheitert, will heißen, man ist Kompromisse eingegangen, die die eigene Seele verspielt haben. Und das ist eigentlich noch viel schlimmer."
Faulkner und Céline waren Onettis Vorbilder. Wenn er sprach, soll er intelligent und sarkastisch gewesen sein. Das Problem war nur: dass er meistens schwieg und erst in seinen letzten Jahren vor seinem Tod 1994 in Madrid häufiger Besuch empfing. Und das, obwohl er damals nur noch im Bett liegen und lesen wollte und deshalb unrasiert war und Haare hatte, die ähnlich verworren waren wie sein Schreibstil. In den Worten von Mario Vargas Llosa:
"Onettis Stil ist nicht unkorrekt, wohl aber ungewöhnlich, rar, zuweilen undurchschaubar verworren und vage, denn erzählen er hält uns in der Ungewissheit hinsichtlich dessen, was er erzählen will, bis wir begreifen, dass er ebendiese Ungewissheit erzählten möchte."
Mit dem Schreiben begann Onetti in Buenos Aires, angeblich aufgrund seiner Nikotinsucht. An einem Wochenende hatte er keine Zigaretten und konnte keine neuen kaufen, weil der Verkauf im damaligen Buenos Aires auf Werktage beschränkt war. Damals sei er so nervös geworden, dass er sich mit dem Schreiben einer 32 Seiten langen Erzählung beruhigen musste. Eine schöne Geschichte. Aber auch eine wahre? Mario Vargas Llosa hat da so seine Zweifel und liefert gleich eine weitere Anekdote, allerdings eine selbst erlebte. Ein einziges Mal unterhielt er sich nämlich mit dem scheuen Onetti:
"'Ich schreibe, wenn ich die Notwendigkeit zu schreiben spüre', sagte mir Onetti. 'Oft weiß ich nicht, was ich schreiben werde. Und was ich dann dabei herauskommt, kommt halt dabei heraus.' Und dann fragte er mich, wie ich denn schreibe. Und ich darauf: 'Bevor ich zu schreiben beginne, mache ich viele Notizen und Skizzen.' Onetti sagte mit ekelverzerrtem Gesicht: 'Du hast eine ehegleiche Beziehung mit der Literatur, ich eine ehebrecherische!'"
Daniel Kehlmann liest Juan Carlos Onettis Erzählung "Willkommen, Bob". Kehlmann und Vargas Llosa verbindet die Faszination, die sie für den uruguayischen Schriftsteller Onetti hegen. Für ihn und sein Werk. Mario Vargas Llosa:
"Praktisch in allen Geschichten Onettis treffen wir Figuren an, die einem Leben entfliehen, das ihnen als unerträglich erscheint. Sie begeben sich in die Welt der Fantasie, des Traums, einer Welt, in der sich grausame Dinge ereignen, in der sie intensive Erfahrungen machen können, eine Größe des Erlebten, die sie in ihrem mittelmäßigen Leben, in der Wirklichkeit, nicht erreichen können."
Am 1. Juli 1909, also vor exakt 100 Jahren, wurde Juan Carlos Onetti in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo geboren. Rechtzeitig ist auf Deutsch Vargas Llosas Buch über Onetti erschienen, ein biografischer Essay. Und der Suhrkamp Verlag startet im Herbst eine Onetti-Werkausgabe. Onetti wuchs in Uruguay auf und erhielt als Schüler unaufhörlich schlechte Noten. Das beschreibt Mario Vargas Llosa in seinem Buch so:
"Er schwänzte oft die Schule, manchmal ging er statt dessen zum Lesen in die Bibliothek des Pädagogischen Museums, oder er legte sich einfach auf die Hafenmole, betrachtete das Meer und die Schiffe und ließ seine Gedanken schweifen."
"Ein fauler junger Träumer" hat Mario Vargas Llosa ein Kapitel in seinem Buch über Juan Carlos Onetti genannt. Faul in der Schule - er brach sie schließlich ab -, eifrig im Lesen. Der junge Juan Carlos las oft an ungewöhnlichen Orten, in einem alten leeren Schrank zum Beispiel, dort in Gegenwart seiner Schwester und einer Katze, oder am Grund einer Zisterne, "in die sein Bruder Raúl ihn in einem Eimer herunterließ".
Onetti erschien das Leben selbst nicht besonders interessant. Deshalb, so die Analyse von Mario Vargas Llosa, flüchteten sich er und selbst seine Romanfiguren in die Welt der Fiktion und Träume.
So wundert es auch nicht, dass Onetti viele seiner Werke an einem fiktiven Ort, Santa María, angesiedelt hat, einer Provinzstadt irgendwo am Ufer des Río de la Plata. So auch die Romane "Das kurze Leben", "Die Werft" und "Leichensammler". Die Hauptfigur dieses Romans hat einen Wunsch: ein Bordell zu eröffnen mit wunderschönen Prostituierten. Letztlich arbeiten nur drei hässliche, kranke Prostituierte für ihn. Deshalb nennt man ihn den Leichensammler. Scheitern ist bei Onetti Programm, so Daniel Kehlmann im Frankfurter Instituto Cervantes.
"Man könnte sagen, dass Onetti eigentlich niemandem verzeiht, dass er sich mit dem Leben arrangiert. Wenn das frühe Erwachsenenalter vorbei ist, ist man entweder gescheitert, also gescheitert in dem Sinne, dass man es zu nichts gebracht hat und auch zu nichts mehr bringen wird, oder man ist gescheitert, will heißen, man ist Kompromisse eingegangen, die die eigene Seele verspielt haben. Und das ist eigentlich noch viel schlimmer."
Faulkner und Céline waren Onettis Vorbilder. Wenn er sprach, soll er intelligent und sarkastisch gewesen sein. Das Problem war nur: dass er meistens schwieg und erst in seinen letzten Jahren vor seinem Tod 1994 in Madrid häufiger Besuch empfing. Und das, obwohl er damals nur noch im Bett liegen und lesen wollte und deshalb unrasiert war und Haare hatte, die ähnlich verworren waren wie sein Schreibstil. In den Worten von Mario Vargas Llosa:
"Onettis Stil ist nicht unkorrekt, wohl aber ungewöhnlich, rar, zuweilen undurchschaubar verworren und vage, denn erzählen er hält uns in der Ungewissheit hinsichtlich dessen, was er erzählen will, bis wir begreifen, dass er ebendiese Ungewissheit erzählten möchte."
Mit dem Schreiben begann Onetti in Buenos Aires, angeblich aufgrund seiner Nikotinsucht. An einem Wochenende hatte er keine Zigaretten und konnte keine neuen kaufen, weil der Verkauf im damaligen Buenos Aires auf Werktage beschränkt war. Damals sei er so nervös geworden, dass er sich mit dem Schreiben einer 32 Seiten langen Erzählung beruhigen musste. Eine schöne Geschichte. Aber auch eine wahre? Mario Vargas Llosa hat da so seine Zweifel und liefert gleich eine weitere Anekdote, allerdings eine selbst erlebte. Ein einziges Mal unterhielt er sich nämlich mit dem scheuen Onetti:
"'Ich schreibe, wenn ich die Notwendigkeit zu schreiben spüre', sagte mir Onetti. 'Oft weiß ich nicht, was ich schreiben werde. Und was ich dann dabei herauskommt, kommt halt dabei heraus.' Und dann fragte er mich, wie ich denn schreibe. Und ich darauf: 'Bevor ich zu schreiben beginne, mache ich viele Notizen und Skizzen.' Onetti sagte mit ekelverzerrtem Gesicht: 'Du hast eine ehegleiche Beziehung mit der Literatur, ich eine ehebrecherische!'"