Der erste Soldat
Er ist der erste Soldat Deutschlands: Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan. Der Vier-Sterne-General steht an der Spitze der Bundeswehr, vertritt die Interessen der 250.000 Soldaten gegenüber dem Minister und setzt um, was politisch gefordert wird.
Der 60-jährige Schneiderhan hat innerhalb der Bundeswehr eine Bilderbuchkarriere hinter sich: vom Jugendoffizier bis zum Generalinspekteur. Schneiderhahn, verheiratet, fünf Kinder gilt als Mittler zwischen Politik und Militär, als "Diplomat" auf den unterschiedlichsten Parkets. Peter Marx begleitet Wolfgang Schneiderhan bei der täglichen Arbeit und beobachtet hautnah den Spagat eines Generalinspekteurs zwischen den verschiedensten Interessengruppen.
"Ja, das war ein besonderes Gefühl, weil ich das in Thüringen bekommen habe."
"Nee, der zweite hat mich deshalb überrascht, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass ich den im Ministerium kriege."
"Der kam völlig unerwartet, weil das ich nicht kalkulieren kann, dass der Planungsstab frei wird. Da waren andere Stellgrößen tätig. Und ich bin da einfach da gewesen."
Montag, 18 Uhr Sarajewo
Da steht er. Auf dem Innenhof der Kaserne des deutschen Kontingents EUFOR. Zwischen Generälen, Obersten, Leutnants, die Hände vor der Brust gefaltet: seine Lieblingsposition. Wolfgang Schneiderhan steht im Pulk der Offiziere und doch irgendwie allein. Näher als einen halben Meter rückt ihm keiner auf die mausgraue Uniform mit roten Kragenspiegeln und den vier goldenen Sternen auf den Schulterklappen. Sie glänzen im Licht der untergehenden Sonne, signalisieren Macht, Einfluss, Distanz. Mehr Sterne hat keiner um ihn herum. Nicht hier in Sarajewo, nicht in Berlin. Vier Sterne sind exklusiv und haben auch etwas mit Glück zu tun:
"Ja, im richtigen Moment zum richtigen Zeitpunkt dazustehen, ist auch was, was das Glück ... Das ist Glück. Da hab ich einfach Glück gehabt. Wenn der General Kujat da nicht gewählt worden wäre, wäre es, wäre die Nummer zu Ende gewesen."
Schneiderhan beobachtet, registriert, grübelt. Auf der Stirn ziehen Falten auf. Im Augenwinkel immer Minister Jung. Der Motor des Bergepanzers heult auf, dunkle Dieselwolken wabern über den Platz. Schneiderhan nimmt die Szene in sich auf, als wäre ein Ferrari am Start und nicht ein 50-Tonner. "Einmal Panzerfahrer, immer Panzerfahrer, sagt er versonnen. Am liebsten würde er vermutlich die dicke Panzerung streicheln! So was Solides fehlt ihm im Ministerium, vor allem im Rücken. Ein tiefgründiges Lächeln.
"Nö, Schleuderstuhl, das Gefühl hab ich nicht gehabt. Ich meine, ich war im … unterm General Bagger als GI, General Kirchbach GI und ich hab den General Kujat als GI erlebt. Also, ich hab ungefähr eine Vorstellung gehabt, was ein GI macht oder nicht macht."
Der Minister bewegt sich, der Generalinspekteur bleibt stehen. Franz Josef Jung geht langsam auf den Panzer zu, vorbei an Soldaten, denen in den Gesichtern anzusehen ist, was sie denken. In seinem grauen Anzug wirkt der Verteidigungsminister - zwischen alle den Grün – und Brauntönen- wie ein Finanzbeamter auf der Durchreise. Schneiderhan überlässt dem Minister die Show vor den Fernsehkameras. Der Panzer rollt schwungvoll über aufgereihte Gewehre, Flinten und Maschinen-Pistolen. Bosnische Ex-Soldaten haben die Waffen freiwillig abgeben.
Schneiderhan folgt dem Panzer, schaut sich die verbogenen Waffen an, merkt süffisant an:
"Ja, das geht unter normalen Umständen etwas einfacher. Aber selbst wenn die Waffen nicht mehr die neuesten sind, viel wichtiger ist, dass die Leute bereit sind, sie abzugeben. Symbolische Geschichte."
Ein rostiger, verbogener Karabiner aus dem zweiten Weltkrieg fällt dem Generalinspekteur auf. Kein Einzelstück.
"Sie wissen ja, wie das ist mit dem Waffenhandel auf der Welt, aber die Menschen, glaube, die wollen das schon loswerden, in Bosnien habe ich da eine positive Haltung . Das war sinnvoll, man hat sie motiviert, dass sie da mitmachen und mit dem Zeug können jetzt auch keine Kinder mehr gefährdet werden."
Montag, 19.45 Uhr, Rückflug nach Berlin
Unter den Tragflächen des Regierungsflugzeuges verschwinden die Lichter von Sarajewo. In den Bordküchen bereiten Unteroffiziere der Luftwaffe das Abendessen für die Delegation vor.
Im Flur der Generalinspekteur, kurz der GI, leicht angespannt. Es fuchst ihn – schwäbisch ausgedrückt für ärgert sich – dass er keine Zigarette anzünden kann. Nach einem Dutzend Gesprächen mit Generälen und Gefreiten kommt er zu einer persönlich versöhnlichen Tagesbilanz:
"Ich glaub, wir brauchen uns nicht zu verstecken. Aber wenn ich mich mit den Vergleichbaren in der NATO und in der EU vergleiche, weiß ich nicht, warum ich mich in Sack und Asche kleiden soll. Wir stehen da gut da. Und ich sage es jetzt mal an einem Beispiel: Ich bin immer froh, wenn ich mit einem deutschen CH 53 und mit der deutschen Transall fliegen kann."
Er fährt sich mit der Hand über das Hemd, erzählt vom Umbau Bundeswehr.
" ... Die Schwierigkeiten, die wir haben, die sind teilweise in den Ablauforganisationen, wo sich die Dinge noch nicht so entwickelt haben, dass das alles reibungslos läuft. Deshalb, das sind die 30 Prozent, wo ich sage, das muss noch, das ist noch verbesserungsfähig – die Abläufe, die Bürokratie, die bewältigt werden muss, bis Sie da endlich alles mal abgewickelt haben und nach der Gefahrengutverordnung mit Ihren Waffen im Einsatz sind, das ist ein bisschen mühsam.""
Ein ironisches Lächeln. Rückzug…Die Luftwaffen-Stewards servieren Huhn mit verkochtem Gemüse.
Mittwoch, 10 Uhr, Einsatzführungskommando Geltow
Schwarze Limousinen haben Vorfahrt auf den schmalen Straßen des Einsatzführungskommandos in Geltow, einem Dorf am Rande von Potsdam.
Was Rang und mindestens einen Ordenstreifen hat, steht stramm am Eingang ins neue Operationszentrum. Hier wird geplant, geführt, wo immer die Bundeswehr weltweit im Einsatz ist.
General Schneiderhan ist nicht bei der Sache. Neben ihm im gepolstertem Sitz umso aufmerksamer, General Pavel Stefka, Generalstabschef der tschechischen Armee. Der ist beeindruckt. So einen Saal mit Computern und Groß-Bildschirmen möchte der Gast auch gerne haben. Der gelegentliche Zusatz "das haben nicht mal die Amerikaner" gibt dem Stefka den Rest. Der Armeechef macht ein Gesicht, als wäre er bei den Weihnachtsgeschenken übergangen worden.
Im fensterlosen Raum erscheint auf dem Bildschirm an der Stirnseite des Saals die afghanische Landkarte mit den deutschen Standorten Kabul, Feiserbad, Kundus und Mazar- I-Sharif. Hier sind die die Tornado-Kampfflugzeuge stationiert. Monatelange dementiert der Generalinspekteur den Einsatz. "Nichts geplant!" Eines seiner liebsten Zitate, während in Afghanistan längst die Hallen für die Flugzeuge gebaut werden…Jetzt hält es der GI mit Konrad Adenauer, ohne dabei rot zu werden.
"Jetzt ist die Lage anders und jetzt sehe ich das auch ein. Und insofern ist das ja auch, es ist ja auch keine Frage, ob ich glücklich bin oder unglücklich bin. Das ist militärisch gerechtfertigt. Es ist sogar militärisch sinnvoll. Und wir können diesen Beitrag leisten. Insofern, glaub ich, haben wir da schon die richtige Empfehlung abgegeben."
Die linke Augenbraune zuckt hoch. Ein Zeichen, dass Schneiderhan sich ärgert. Es kommt ihm nicht in den Sinn, zu sagen, dass er sich politischen Wünschen beugen muss. So was wäre höchst illoyal und das werfen ihm nicht einmal seine Gegner vor. Für den 60jährigen gehört das zum Geschäft, ist Teil seines Jobs als Schnittstelle zwischen Militär und Politik.
"Das ist halt so. Und das eine oder andere, was mir vorgetragen wird, ist dann richtig, aber man muss sagen, jetzt muss man es mal in Gesamtzusammenhang bringen. Und ich muss das auch vermitteln können. Und ich brauch ein Mandat vom Bundestag. Und das krieg ich nicht nach der reinen militärischen Lehre hin. Da muss ich hier ein Zugeständnis machen und dort vielleicht eine Formel finden, die das Ganze sozusagen mandatsfähig macht."
Schneiderhan holt tief Luft, fügt hinzu. "Zuerst bin ich Soldat." Das sagt der GI ohne Pathos, mehr als Bestätigung dafür, dass er Uniform trägt, die ihm mehr bedeutet als er vermutlich in Worten sagen kann oder will. Spaß im Beruf? Er zieht eine Grimasse und die spricht Bände.
"Überwiegend schon, überwiegend schon. Es gibt auch Tage, wo es keinen so einen Spaß macht. Aber das ist wie in jedem Beruf, denk ich, oder?"
Dann steht er abrupt auf. Der tschechische Gast will mehr sehen und der Gastgeber geht wohlwollend voraus. Immerhin ist er der erste Generalinspekteur, der wirklich führen darf.
"Die größte Veränderung, die ich eben selber erleben musste, weil die meine Vorgänger nicht hatten – keiner meiner Vorgänger war für die Führung der Einsätze verantwortlich. Das war ja alles noch vor dem Berliner Erlass. Der General Kujat hat es zwar angeschoben, insofern ist das sein Verdienst, aber er hat's nicht mehr selber erleben können. Aber, was mit der Einsatzverantwortung an Veränderungen im Amt des Generalinspekteurs gekommen ist, das ist mehr, als ich mir vorgestellt habe. Das muss ich zugeben."
Es wird leise gesprochen, während der Tross durch die Operationssäle, Zimmerfluchten und sterilen Gänge zieht…Vorne informiert ein Oberst den tschechischen General, hinten werden die neuesten Berichte aus den Einsatzorten gewichtet, bewertet.
"Aber natürlich haben wir Glück. Das ist eine Kombination aus, denk ich, guter Ausbildung, im Wesentlicher guter Personalauswahl, vor allem in der Führung, im Wesentliche, das betone ich jetzt im Zusammenhang mit der vorhergehenden Frage, und Glück, und Glück. Wenn ich den einen Einschlag sehe, der – was war das? – in den Feneg da rein ging und durch die Felge da hoch geleitet wurde, wenn der da drin losgegangen wäre, wären es vier gewesen. Das ist Glück."
Die Glückssträhne der Bundeswehr ist zu Ende. Das Selbstmordattentat in Kundus, die Lage am Hindukusch… Schneiderhan sieht die Särge, nimmt Abschied. Nicht zum ersten Male … vermutlich nicht zum letzten Mal.
"Angst ist zuviel gesagt, aber es beschäftigt mich natürlich – weniger mit der Gesellschaft, aber es ist ja die Verantwortung, die man trägt gegenüber den eigenen Leuten, die man da im Einsatz führen muss. Und da ist jede Verletzung eine Verletzung zu viel."
Schneiderhan bleibt stehen, alle bleiben stehen. Mit 1,75 Meter, 77 Kilo und Schuhgröße 43 kann er mehr zum stehen bringen als eine Besuchergruppe. Er kommt noch immer in jeden Panzerturm rein und wieder raus. Später greift er das Thema Tote Soldaten wieder auf, das ihn belastet:
"Ja, jetzt sage ich das auch mal so einfach: Wenn ich aus dem Umfeld des Militärs immer höre, das Wichtigste ist, dass ihr gesund wieder nach Hause kommt, dann hab ich ein Vermittlungsproblem, wenn ich dann sage: Also, pass mal auf, der militärische Auftrag ist nicht gesund zu bleiben, sondern den Auftrag zu erledigen und da Wiederaufbau, Patrouille und sonst was zu machen. Da würde ich jetzt militärisch sagen: Wirkung geht vor Deckung. Das ist ein Spannungsfeld in unserer Gesellschaft. Natürlich wollen wir, dass die alle wieder nach Hause kommen, ist ja klar. Man muss aber vermitteln, dass damit, mit der Entsendung, mit dem Einsatz eine Gefahr verbunden ist."
Da ist sie wieder, die Schlagzeile: Zum Töten zu feige. Der GI spricht es nicht aus, er zeigt auch nicht mit dem Finger nach Hamburg. Doch das Ventil, um Dampf abzulassen, ist schon halb geöffnet:
"Das ist ja nicht wahr, nicht? Aber wir sind halt in einer anderen Lage als die anderen im Süden und so. Und daraus jetzt so zu feige abzumachen, das ist gegenüber den Menschen, die wir da in die Einsätze schicken, die schon risikobehaftet sind, auch im Norden, da darf ja man jetzt ja auch nicht so tun, als sei das hier wie daheim, gegenüber denen ist das nicht in Ordnung. Das finde ich nicht in Ordnung. Man kann uns nicht rausschicken, mandatieren, und dann hinterher sagen, ihr killt keine. Das ist ja Unsinn."
Mittwoch, 15 Uhr, Potsdam-Cecilienhof
Howard, Architektur-Student, verdient sich mit Führungen im Cecilienhof sein Studium- Er wirkt eingeschüchtert von den vielen Militärs. Schlank, Ende 20, verschwindet er regelrecht hinter dem Wall von Uniformen. Zum dritten Mal geht der GI durch die Salons, in denen Churchill, Stalin und Truman Weltgeschichte schreiben. Für Schneiderhan, Berufswunsch Geschichtslehrer auf der schwäbischen Alb, ist jeder Besuch in Cecilienhof "bedeutsam."
"Ist schon ein Stück Geschichte, gerade wenn man jetzt mit Gästen hier ist, die damals zum Warschauer Pakt gehört haben, ist es schon ganz interessant. Man erlebt ja nochmals die ganze Entwicklung nach. und in sofern mache ich das gerne."
Im großen Saal, vor dem glänzenden Konferenztisch mit den Flaggen im Hintergrund, bleibt der tschechische Armeechef beeindruckt stehen. Seine Uniform sieht noch aus wie aus Kleiderkammer des Warschauer Paktes, und doch beneidet ihn Schneiderhan. Der 4-Sterne-Besuch ist Generalstabschef, ein Titel den sein deutscher Kollege gerne hätte, aber nie bekommt. Der Titel ist tabu, erinnert zu sehr an Hitlers Wehrmacht:
"Ach, wichtig, weiß ich nicht, aber wenn ich’s dann im Englischen wahrnehmen muss und, oder im Österreichischen und ich werde dann der Generalinspektor, oder die sagen General Inspector, da haben die, stellen die sich alle was anderes vor. Wenn ich jetzt in Pakistan, wenn die mich immer vorstellen, General Inspector, da denken die, ja, ja, gut, okay, der kontrolliert die Truppe oder passt auf die Anzugsordnung auf oder so was."
Dabei lacht der GI nicht. Er meint ernst, kokettiert jedoch mit der eigenen Eitelkeit.
13 Uhr, Flug nach Bückeburg
Der General genießt eine Tasse Kaffee, schaut raus aus den schmalen Fenstern des Hubschraubers. Eine Stunde dauert der Flug von Tegel nach Bückeburg. Schneiderhan drückt die Fingerspitzen der linken Hand auf den rechten Handrücken, ein Zeichen dafür, dass er nachdenkt. Schwaben, heißt es im Handbuch über Schwaben, haben immer Schwierigkeiten mit der Autorität. Trotzdem gehen Schwaben zur Bundeswehr, werden sogar General.
"Es war die Marktlücke, die es da gibt. Also, Dichter haben wir genügend aus dem Schwabenland, ja, kluge Leute, Philosophen, Kleist und Hegel und was wir alles produziert haben, aber Generale haben wir ganz wenig gehabt. Da hab ich gesagt, das ist die Lücke. In die gehst du jetzt."
Sein schwäbischer Singsang übertönt das Hubschrauberbrummen, lässt die Mitflieger lächeln. Die meisten sind ehemalige Panzerfahrer. "Breit fahren, schmal denken", dass spöttelt Schneiderhan, zeichnet Panzerleute aus. Stille Ironie ist sein Ding, damit spielt er gerne und konsequent. Er lernt die Bundeswehr 1966 von der Pike auf kennen, durchläuft alle üblichen Karriereposten ohne anzuecken. "Eine Sphinx" ohne Visionen, schreibt eine Zeitung, eine andere nennt ihn den "Diplomaten, der Offenheit liebt." Ersteres ärgert ihn, mit dem zweiten kann er leben:
"Ja, das geht. Und ich glaub, das ist eher mein Markenzeichen. Und das hab ich hingekriegt in der Zeit. Ich hab das Gefühl, wenn ich mit den Leuten rede, die kriegen eine vernünftige Antwort und die trauen sich auch was zu sagen. Ich glaub, darin liegt ein Vorteil, dass ich auf die Leute zugehen kann. Also, ich brauch von mir aus, glaub ich, keinen Abstand, außer – ich meine, die müssen mir nicht auf die Schulter klopfen, das muss nicht sein."
Die vier Offiziere der Heeresfliegerwaffenschule in Bückeburg mühen sich redlich, den Generalinspekteur zu begeistern. An den Spitze des langen Tisches hört Schneiderhan zu, vor sich Mineralwasser und Kaffee. Es riecht nach Bohnerwachs, der graue Linoleumboden glänzt. Der GI wiegt seinen Kopf, stützt ihn mal mit der rechten, mal mit der linken Hand ab, fährt plötzlich dem Offizier in die Parade. Von wegen europäisches Hubschrauberzentrum:
"Politiker wie Wulff springen da unheimlich an. Politik wird suggeriert, gar kein Problem, man muss mal nur ganz tolle Idee, Bückeburg das neue Luft, Raumfahrt und was weis ich noch Center. Wenn man das dann wieder runterholen muss, wie OL Claus bist du immer in Verteidigungslinie und dann stehst du, als wenn du das verhindern willst, eine großartige politische Idee, durch irgendwelche kleinkrämerischen Argumente wie Hörsaal oder so einen Scheiß."
Schneiderhan, jetzt richtig in Fahrt, brummt immer tiefer schwäbisch, was ein Trick von ihm ist. "Kommt charmanter an", sagt er in der Pause. Mit dem Nachteil, dass nicht alle kapieren, dass er es trotzdem Ernst meint.
Der General fliegt. Mit einer Hand drückt er den Steuerknüppel des Hubschraubers nach unten, rasiert um Haaresbreite Baumwipfel. Alles Video! In den Simulatoren der Bückeburger Schule lernen künftige Hubschrauberpiloten das Fliegen. Schneiderhan - sanft geführt vom Fluglehrer auf dem Nebensitz – verliert das Gefühl für Zeit und Raum, hat einfach Spaß in den Backen.
Fliegen gehört nicht zu seinen Leidenschaften, Segeln umso mehr. Doch die Marine zeigt ihm die kalte Schulter, sie nimmt ihn auf den eigenen Segelschiffen nie mit. So was kann Korvetten kosten, immerhin entscheidet Schneiderhan mit bei der Vergabe der Milliarden für neue Flugzeuge, Waffen und eben auch Schiffe.
"Nee, das liegt vielleicht auch an mir, dass ich das nicht gemerkt hab, dass ich eingeladen bin. Nein, aber so: Ich hab einen Freund, der hat ein Boot am Bodensee und da segle ich gelegentlich mit, aber viel zu wenig. Und meine Frau ist nicht so begeistert davon. Und da ich da Rücksicht nehmen muss, weil ich keine familienfeindlichen Hobbys pflegen kann bei meinem familienfeindlichen Berufsdasein, muss ich halt gelegentlich Verzicht leisten."
Der GI sucht den Landeplatz, verirrt sich, fliegt weiter, grobe Richtung Frankfurt. Hier lebt er, etwas versteckt am Ende einer Einbahnstraße. Mit vier Kindern und seiner Frau, einer pensionierte Richterin. Familienleben …
"Das hat immer funktioniert. Meine Frau ist da außerordentlich beweglich und hat mir da nie irgendeinen Vorwurf gemacht, wenn ich mal sagen musste, das funktioniert jetzt am Wochenende nicht. Also, ich hab noch nie gehört, dass die irgendwie gesagt hätte ..."
Freitag, 15 Uhr, Verteidigungsministerium in Berlin
Der Weg ist weit zum Generalinspekteur. Hof, Flur, Lift: Vierter Stock, Flur, helle Farben, viele Flaggen und noch mehr Militärgedöns in Wort und Bild an den Wänden. Der Höhepunkt: die Straße der Besten, die Ahnenreihe: 13 Porträts ehemaliger Generalinspekteure: Kantig, markant, Klischeehaft. Lachen verboten.
Der Generalinspekteur von seiner Trophäensammlung. Auf einem schmalen Sideboard stapeln sich Münzen, Bierkrüge, Fotos mit Widmungen, Reden und Flaggen, eingerahmtes und ausgefallenes, lustiges und plüschiges. Mit den Dienst-Jahrzehnten steigt die Zahl der Erinnerungen und der Staubfänger. Er zitiert Konfuzius: "Das Handeln ist so schwierig, darf da das Reden unbedacht sein."
"Das ist schon ein Spruch, der mich begleitet. Und deshalb ist es egal, ob mir das manchmal passt oder nicht passt, obwohl ich da manchmal auch vielleicht die Faust in der Tasche habe. Weil ich merke, und das ist der eigentliche Punkt, wo es kritisch wird: Wenn man das Gefühl hat, es geht jetzt eigentlich nicht mehr um die Sache, sondern es geht jetzt gerade um was anderes. Der spielt jetzt mit dir oder instrumentalisiert dich. Dann wird’s manchmal schwierig, ganz ruhig und sachlich zu bleiben."
Der GI hebt einen Krug hoch, erzählt vom Leben im Ministerium, schwäbelt dabei wieder. Doch diesmal misslingt der Versuch, Gemeinheiten nett auszudrücken. Er, der für schonungslose Offenheit steht, kann auch anders:
"Es gibt auch im Umfeld von mir Leute, das weiß ich von früher, die gesagt haben, täuscht euch nicht, kann auch Rachefeldzüge starten, wenn es notwendig ist, kann auch am Fluss sitzen wie der Indianer und warten, bis die Leiche vorbei kommt. Da darf man sich nicht täuschen. Also, Knuddelbär-Geschichte haut nicht hin, sonst wäre ich ja auch nicht da gelandet, wo ich gelandet bin."
Das klingt wie eine Kampfansage. An wen? Ironisches Lächeln. Schneiderhan geht zum Konferenztisch zurück. Im Sommer nächsten Jahres endet seine Dienstzeit in der Bundeswehr. Jetzt soll er weitermachen, heißt es im Ministerium, ein geeigneter Nachfolger fehlt. Die Entscheidung, sagt der GI, fällt der Minister, ein Jahr vor dem Ausstieg. Also bald. Er drückt die Zigarette aus, greift nach einer neuen … Seine Gegner formieren sich, seine Unterstützer auch.
Der Kampf ums höchste Militäramt ist am Landwehrkanal längst entbrannt, glühender als die Spitze der Zigarette in der Hand des GI. Und Schneiderhan trinkt Kaffee, lehnt sich zurück und sinniert über den Ruhestand. "Segeln am Bodensee kann auch schön sein." Er lächelt wieder. Nicht böse, nicht verschlagen oder gar ironisch. Spitzbübig würden die Menschen auf der schwäbischen Alb sagen. Ha, so richtig spitzbübisch, gell.
"Ja, das war ein besonderes Gefühl, weil ich das in Thüringen bekommen habe."
"Nee, der zweite hat mich deshalb überrascht, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass ich den im Ministerium kriege."
"Der kam völlig unerwartet, weil das ich nicht kalkulieren kann, dass der Planungsstab frei wird. Da waren andere Stellgrößen tätig. Und ich bin da einfach da gewesen."
Montag, 18 Uhr Sarajewo
Da steht er. Auf dem Innenhof der Kaserne des deutschen Kontingents EUFOR. Zwischen Generälen, Obersten, Leutnants, die Hände vor der Brust gefaltet: seine Lieblingsposition. Wolfgang Schneiderhan steht im Pulk der Offiziere und doch irgendwie allein. Näher als einen halben Meter rückt ihm keiner auf die mausgraue Uniform mit roten Kragenspiegeln und den vier goldenen Sternen auf den Schulterklappen. Sie glänzen im Licht der untergehenden Sonne, signalisieren Macht, Einfluss, Distanz. Mehr Sterne hat keiner um ihn herum. Nicht hier in Sarajewo, nicht in Berlin. Vier Sterne sind exklusiv und haben auch etwas mit Glück zu tun:
"Ja, im richtigen Moment zum richtigen Zeitpunkt dazustehen, ist auch was, was das Glück ... Das ist Glück. Da hab ich einfach Glück gehabt. Wenn der General Kujat da nicht gewählt worden wäre, wäre es, wäre die Nummer zu Ende gewesen."
Schneiderhan beobachtet, registriert, grübelt. Auf der Stirn ziehen Falten auf. Im Augenwinkel immer Minister Jung. Der Motor des Bergepanzers heult auf, dunkle Dieselwolken wabern über den Platz. Schneiderhan nimmt die Szene in sich auf, als wäre ein Ferrari am Start und nicht ein 50-Tonner. "Einmal Panzerfahrer, immer Panzerfahrer, sagt er versonnen. Am liebsten würde er vermutlich die dicke Panzerung streicheln! So was Solides fehlt ihm im Ministerium, vor allem im Rücken. Ein tiefgründiges Lächeln.
"Nö, Schleuderstuhl, das Gefühl hab ich nicht gehabt. Ich meine, ich war im … unterm General Bagger als GI, General Kirchbach GI und ich hab den General Kujat als GI erlebt. Also, ich hab ungefähr eine Vorstellung gehabt, was ein GI macht oder nicht macht."
Der Minister bewegt sich, der Generalinspekteur bleibt stehen. Franz Josef Jung geht langsam auf den Panzer zu, vorbei an Soldaten, denen in den Gesichtern anzusehen ist, was sie denken. In seinem grauen Anzug wirkt der Verteidigungsminister - zwischen alle den Grün – und Brauntönen- wie ein Finanzbeamter auf der Durchreise. Schneiderhan überlässt dem Minister die Show vor den Fernsehkameras. Der Panzer rollt schwungvoll über aufgereihte Gewehre, Flinten und Maschinen-Pistolen. Bosnische Ex-Soldaten haben die Waffen freiwillig abgeben.
Schneiderhan folgt dem Panzer, schaut sich die verbogenen Waffen an, merkt süffisant an:
"Ja, das geht unter normalen Umständen etwas einfacher. Aber selbst wenn die Waffen nicht mehr die neuesten sind, viel wichtiger ist, dass die Leute bereit sind, sie abzugeben. Symbolische Geschichte."
Ein rostiger, verbogener Karabiner aus dem zweiten Weltkrieg fällt dem Generalinspekteur auf. Kein Einzelstück.
"Sie wissen ja, wie das ist mit dem Waffenhandel auf der Welt, aber die Menschen, glaube, die wollen das schon loswerden, in Bosnien habe ich da eine positive Haltung . Das war sinnvoll, man hat sie motiviert, dass sie da mitmachen und mit dem Zeug können jetzt auch keine Kinder mehr gefährdet werden."
Montag, 19.45 Uhr, Rückflug nach Berlin
Unter den Tragflächen des Regierungsflugzeuges verschwinden die Lichter von Sarajewo. In den Bordküchen bereiten Unteroffiziere der Luftwaffe das Abendessen für die Delegation vor.
Im Flur der Generalinspekteur, kurz der GI, leicht angespannt. Es fuchst ihn – schwäbisch ausgedrückt für ärgert sich – dass er keine Zigarette anzünden kann. Nach einem Dutzend Gesprächen mit Generälen und Gefreiten kommt er zu einer persönlich versöhnlichen Tagesbilanz:
"Ich glaub, wir brauchen uns nicht zu verstecken. Aber wenn ich mich mit den Vergleichbaren in der NATO und in der EU vergleiche, weiß ich nicht, warum ich mich in Sack und Asche kleiden soll. Wir stehen da gut da. Und ich sage es jetzt mal an einem Beispiel: Ich bin immer froh, wenn ich mit einem deutschen CH 53 und mit der deutschen Transall fliegen kann."
Er fährt sich mit der Hand über das Hemd, erzählt vom Umbau Bundeswehr.
" ... Die Schwierigkeiten, die wir haben, die sind teilweise in den Ablauforganisationen, wo sich die Dinge noch nicht so entwickelt haben, dass das alles reibungslos läuft. Deshalb, das sind die 30 Prozent, wo ich sage, das muss noch, das ist noch verbesserungsfähig – die Abläufe, die Bürokratie, die bewältigt werden muss, bis Sie da endlich alles mal abgewickelt haben und nach der Gefahrengutverordnung mit Ihren Waffen im Einsatz sind, das ist ein bisschen mühsam.""
Ein ironisches Lächeln. Rückzug…Die Luftwaffen-Stewards servieren Huhn mit verkochtem Gemüse.
Mittwoch, 10 Uhr, Einsatzführungskommando Geltow
Schwarze Limousinen haben Vorfahrt auf den schmalen Straßen des Einsatzführungskommandos in Geltow, einem Dorf am Rande von Potsdam.
Was Rang und mindestens einen Ordenstreifen hat, steht stramm am Eingang ins neue Operationszentrum. Hier wird geplant, geführt, wo immer die Bundeswehr weltweit im Einsatz ist.
General Schneiderhan ist nicht bei der Sache. Neben ihm im gepolstertem Sitz umso aufmerksamer, General Pavel Stefka, Generalstabschef der tschechischen Armee. Der ist beeindruckt. So einen Saal mit Computern und Groß-Bildschirmen möchte der Gast auch gerne haben. Der gelegentliche Zusatz "das haben nicht mal die Amerikaner" gibt dem Stefka den Rest. Der Armeechef macht ein Gesicht, als wäre er bei den Weihnachtsgeschenken übergangen worden.
Im fensterlosen Raum erscheint auf dem Bildschirm an der Stirnseite des Saals die afghanische Landkarte mit den deutschen Standorten Kabul, Feiserbad, Kundus und Mazar- I-Sharif. Hier sind die die Tornado-Kampfflugzeuge stationiert. Monatelange dementiert der Generalinspekteur den Einsatz. "Nichts geplant!" Eines seiner liebsten Zitate, während in Afghanistan längst die Hallen für die Flugzeuge gebaut werden…Jetzt hält es der GI mit Konrad Adenauer, ohne dabei rot zu werden.
"Jetzt ist die Lage anders und jetzt sehe ich das auch ein. Und insofern ist das ja auch, es ist ja auch keine Frage, ob ich glücklich bin oder unglücklich bin. Das ist militärisch gerechtfertigt. Es ist sogar militärisch sinnvoll. Und wir können diesen Beitrag leisten. Insofern, glaub ich, haben wir da schon die richtige Empfehlung abgegeben."
Die linke Augenbraune zuckt hoch. Ein Zeichen, dass Schneiderhan sich ärgert. Es kommt ihm nicht in den Sinn, zu sagen, dass er sich politischen Wünschen beugen muss. So was wäre höchst illoyal und das werfen ihm nicht einmal seine Gegner vor. Für den 60jährigen gehört das zum Geschäft, ist Teil seines Jobs als Schnittstelle zwischen Militär und Politik.
"Das ist halt so. Und das eine oder andere, was mir vorgetragen wird, ist dann richtig, aber man muss sagen, jetzt muss man es mal in Gesamtzusammenhang bringen. Und ich muss das auch vermitteln können. Und ich brauch ein Mandat vom Bundestag. Und das krieg ich nicht nach der reinen militärischen Lehre hin. Da muss ich hier ein Zugeständnis machen und dort vielleicht eine Formel finden, die das Ganze sozusagen mandatsfähig macht."
Schneiderhan holt tief Luft, fügt hinzu. "Zuerst bin ich Soldat." Das sagt der GI ohne Pathos, mehr als Bestätigung dafür, dass er Uniform trägt, die ihm mehr bedeutet als er vermutlich in Worten sagen kann oder will. Spaß im Beruf? Er zieht eine Grimasse und die spricht Bände.
"Überwiegend schon, überwiegend schon. Es gibt auch Tage, wo es keinen so einen Spaß macht. Aber das ist wie in jedem Beruf, denk ich, oder?"
Dann steht er abrupt auf. Der tschechische Gast will mehr sehen und der Gastgeber geht wohlwollend voraus. Immerhin ist er der erste Generalinspekteur, der wirklich führen darf.
"Die größte Veränderung, die ich eben selber erleben musste, weil die meine Vorgänger nicht hatten – keiner meiner Vorgänger war für die Führung der Einsätze verantwortlich. Das war ja alles noch vor dem Berliner Erlass. Der General Kujat hat es zwar angeschoben, insofern ist das sein Verdienst, aber er hat's nicht mehr selber erleben können. Aber, was mit der Einsatzverantwortung an Veränderungen im Amt des Generalinspekteurs gekommen ist, das ist mehr, als ich mir vorgestellt habe. Das muss ich zugeben."
Es wird leise gesprochen, während der Tross durch die Operationssäle, Zimmerfluchten und sterilen Gänge zieht…Vorne informiert ein Oberst den tschechischen General, hinten werden die neuesten Berichte aus den Einsatzorten gewichtet, bewertet.
"Aber natürlich haben wir Glück. Das ist eine Kombination aus, denk ich, guter Ausbildung, im Wesentlicher guter Personalauswahl, vor allem in der Führung, im Wesentliche, das betone ich jetzt im Zusammenhang mit der vorhergehenden Frage, und Glück, und Glück. Wenn ich den einen Einschlag sehe, der – was war das? – in den Feneg da rein ging und durch die Felge da hoch geleitet wurde, wenn der da drin losgegangen wäre, wären es vier gewesen. Das ist Glück."
Die Glückssträhne der Bundeswehr ist zu Ende. Das Selbstmordattentat in Kundus, die Lage am Hindukusch… Schneiderhan sieht die Särge, nimmt Abschied. Nicht zum ersten Male … vermutlich nicht zum letzten Mal.
"Angst ist zuviel gesagt, aber es beschäftigt mich natürlich – weniger mit der Gesellschaft, aber es ist ja die Verantwortung, die man trägt gegenüber den eigenen Leuten, die man da im Einsatz führen muss. Und da ist jede Verletzung eine Verletzung zu viel."
Schneiderhan bleibt stehen, alle bleiben stehen. Mit 1,75 Meter, 77 Kilo und Schuhgröße 43 kann er mehr zum stehen bringen als eine Besuchergruppe. Er kommt noch immer in jeden Panzerturm rein und wieder raus. Später greift er das Thema Tote Soldaten wieder auf, das ihn belastet:
"Ja, jetzt sage ich das auch mal so einfach: Wenn ich aus dem Umfeld des Militärs immer höre, das Wichtigste ist, dass ihr gesund wieder nach Hause kommt, dann hab ich ein Vermittlungsproblem, wenn ich dann sage: Also, pass mal auf, der militärische Auftrag ist nicht gesund zu bleiben, sondern den Auftrag zu erledigen und da Wiederaufbau, Patrouille und sonst was zu machen. Da würde ich jetzt militärisch sagen: Wirkung geht vor Deckung. Das ist ein Spannungsfeld in unserer Gesellschaft. Natürlich wollen wir, dass die alle wieder nach Hause kommen, ist ja klar. Man muss aber vermitteln, dass damit, mit der Entsendung, mit dem Einsatz eine Gefahr verbunden ist."
Da ist sie wieder, die Schlagzeile: Zum Töten zu feige. Der GI spricht es nicht aus, er zeigt auch nicht mit dem Finger nach Hamburg. Doch das Ventil, um Dampf abzulassen, ist schon halb geöffnet:
"Das ist ja nicht wahr, nicht? Aber wir sind halt in einer anderen Lage als die anderen im Süden und so. Und daraus jetzt so zu feige abzumachen, das ist gegenüber den Menschen, die wir da in die Einsätze schicken, die schon risikobehaftet sind, auch im Norden, da darf ja man jetzt ja auch nicht so tun, als sei das hier wie daheim, gegenüber denen ist das nicht in Ordnung. Das finde ich nicht in Ordnung. Man kann uns nicht rausschicken, mandatieren, und dann hinterher sagen, ihr killt keine. Das ist ja Unsinn."
Mittwoch, 15 Uhr, Potsdam-Cecilienhof
Howard, Architektur-Student, verdient sich mit Führungen im Cecilienhof sein Studium- Er wirkt eingeschüchtert von den vielen Militärs. Schlank, Ende 20, verschwindet er regelrecht hinter dem Wall von Uniformen. Zum dritten Mal geht der GI durch die Salons, in denen Churchill, Stalin und Truman Weltgeschichte schreiben. Für Schneiderhan, Berufswunsch Geschichtslehrer auf der schwäbischen Alb, ist jeder Besuch in Cecilienhof "bedeutsam."
"Ist schon ein Stück Geschichte, gerade wenn man jetzt mit Gästen hier ist, die damals zum Warschauer Pakt gehört haben, ist es schon ganz interessant. Man erlebt ja nochmals die ganze Entwicklung nach. und in sofern mache ich das gerne."
Im großen Saal, vor dem glänzenden Konferenztisch mit den Flaggen im Hintergrund, bleibt der tschechische Armeechef beeindruckt stehen. Seine Uniform sieht noch aus wie aus Kleiderkammer des Warschauer Paktes, und doch beneidet ihn Schneiderhan. Der 4-Sterne-Besuch ist Generalstabschef, ein Titel den sein deutscher Kollege gerne hätte, aber nie bekommt. Der Titel ist tabu, erinnert zu sehr an Hitlers Wehrmacht:
"Ach, wichtig, weiß ich nicht, aber wenn ich’s dann im Englischen wahrnehmen muss und, oder im Österreichischen und ich werde dann der Generalinspektor, oder die sagen General Inspector, da haben die, stellen die sich alle was anderes vor. Wenn ich jetzt in Pakistan, wenn die mich immer vorstellen, General Inspector, da denken die, ja, ja, gut, okay, der kontrolliert die Truppe oder passt auf die Anzugsordnung auf oder so was."
Dabei lacht der GI nicht. Er meint ernst, kokettiert jedoch mit der eigenen Eitelkeit.
13 Uhr, Flug nach Bückeburg
Der General genießt eine Tasse Kaffee, schaut raus aus den schmalen Fenstern des Hubschraubers. Eine Stunde dauert der Flug von Tegel nach Bückeburg. Schneiderhan drückt die Fingerspitzen der linken Hand auf den rechten Handrücken, ein Zeichen dafür, dass er nachdenkt. Schwaben, heißt es im Handbuch über Schwaben, haben immer Schwierigkeiten mit der Autorität. Trotzdem gehen Schwaben zur Bundeswehr, werden sogar General.
"Es war die Marktlücke, die es da gibt. Also, Dichter haben wir genügend aus dem Schwabenland, ja, kluge Leute, Philosophen, Kleist und Hegel und was wir alles produziert haben, aber Generale haben wir ganz wenig gehabt. Da hab ich gesagt, das ist die Lücke. In die gehst du jetzt."
Sein schwäbischer Singsang übertönt das Hubschrauberbrummen, lässt die Mitflieger lächeln. Die meisten sind ehemalige Panzerfahrer. "Breit fahren, schmal denken", dass spöttelt Schneiderhan, zeichnet Panzerleute aus. Stille Ironie ist sein Ding, damit spielt er gerne und konsequent. Er lernt die Bundeswehr 1966 von der Pike auf kennen, durchläuft alle üblichen Karriereposten ohne anzuecken. "Eine Sphinx" ohne Visionen, schreibt eine Zeitung, eine andere nennt ihn den "Diplomaten, der Offenheit liebt." Ersteres ärgert ihn, mit dem zweiten kann er leben:
"Ja, das geht. Und ich glaub, das ist eher mein Markenzeichen. Und das hab ich hingekriegt in der Zeit. Ich hab das Gefühl, wenn ich mit den Leuten rede, die kriegen eine vernünftige Antwort und die trauen sich auch was zu sagen. Ich glaub, darin liegt ein Vorteil, dass ich auf die Leute zugehen kann. Also, ich brauch von mir aus, glaub ich, keinen Abstand, außer – ich meine, die müssen mir nicht auf die Schulter klopfen, das muss nicht sein."
Die vier Offiziere der Heeresfliegerwaffenschule in Bückeburg mühen sich redlich, den Generalinspekteur zu begeistern. An den Spitze des langen Tisches hört Schneiderhan zu, vor sich Mineralwasser und Kaffee. Es riecht nach Bohnerwachs, der graue Linoleumboden glänzt. Der GI wiegt seinen Kopf, stützt ihn mal mit der rechten, mal mit der linken Hand ab, fährt plötzlich dem Offizier in die Parade. Von wegen europäisches Hubschrauberzentrum:
"Politiker wie Wulff springen da unheimlich an. Politik wird suggeriert, gar kein Problem, man muss mal nur ganz tolle Idee, Bückeburg das neue Luft, Raumfahrt und was weis ich noch Center. Wenn man das dann wieder runterholen muss, wie OL Claus bist du immer in Verteidigungslinie und dann stehst du, als wenn du das verhindern willst, eine großartige politische Idee, durch irgendwelche kleinkrämerischen Argumente wie Hörsaal oder so einen Scheiß."
Schneiderhan, jetzt richtig in Fahrt, brummt immer tiefer schwäbisch, was ein Trick von ihm ist. "Kommt charmanter an", sagt er in der Pause. Mit dem Nachteil, dass nicht alle kapieren, dass er es trotzdem Ernst meint.
Der General fliegt. Mit einer Hand drückt er den Steuerknüppel des Hubschraubers nach unten, rasiert um Haaresbreite Baumwipfel. Alles Video! In den Simulatoren der Bückeburger Schule lernen künftige Hubschrauberpiloten das Fliegen. Schneiderhan - sanft geführt vom Fluglehrer auf dem Nebensitz – verliert das Gefühl für Zeit und Raum, hat einfach Spaß in den Backen.
Fliegen gehört nicht zu seinen Leidenschaften, Segeln umso mehr. Doch die Marine zeigt ihm die kalte Schulter, sie nimmt ihn auf den eigenen Segelschiffen nie mit. So was kann Korvetten kosten, immerhin entscheidet Schneiderhan mit bei der Vergabe der Milliarden für neue Flugzeuge, Waffen und eben auch Schiffe.
"Nee, das liegt vielleicht auch an mir, dass ich das nicht gemerkt hab, dass ich eingeladen bin. Nein, aber so: Ich hab einen Freund, der hat ein Boot am Bodensee und da segle ich gelegentlich mit, aber viel zu wenig. Und meine Frau ist nicht so begeistert davon. Und da ich da Rücksicht nehmen muss, weil ich keine familienfeindlichen Hobbys pflegen kann bei meinem familienfeindlichen Berufsdasein, muss ich halt gelegentlich Verzicht leisten."
Der GI sucht den Landeplatz, verirrt sich, fliegt weiter, grobe Richtung Frankfurt. Hier lebt er, etwas versteckt am Ende einer Einbahnstraße. Mit vier Kindern und seiner Frau, einer pensionierte Richterin. Familienleben …
"Das hat immer funktioniert. Meine Frau ist da außerordentlich beweglich und hat mir da nie irgendeinen Vorwurf gemacht, wenn ich mal sagen musste, das funktioniert jetzt am Wochenende nicht. Also, ich hab noch nie gehört, dass die irgendwie gesagt hätte ..."
Freitag, 15 Uhr, Verteidigungsministerium in Berlin
Der Weg ist weit zum Generalinspekteur. Hof, Flur, Lift: Vierter Stock, Flur, helle Farben, viele Flaggen und noch mehr Militärgedöns in Wort und Bild an den Wänden. Der Höhepunkt: die Straße der Besten, die Ahnenreihe: 13 Porträts ehemaliger Generalinspekteure: Kantig, markant, Klischeehaft. Lachen verboten.
Der Generalinspekteur von seiner Trophäensammlung. Auf einem schmalen Sideboard stapeln sich Münzen, Bierkrüge, Fotos mit Widmungen, Reden und Flaggen, eingerahmtes und ausgefallenes, lustiges und plüschiges. Mit den Dienst-Jahrzehnten steigt die Zahl der Erinnerungen und der Staubfänger. Er zitiert Konfuzius: "Das Handeln ist so schwierig, darf da das Reden unbedacht sein."
"Das ist schon ein Spruch, der mich begleitet. Und deshalb ist es egal, ob mir das manchmal passt oder nicht passt, obwohl ich da manchmal auch vielleicht die Faust in der Tasche habe. Weil ich merke, und das ist der eigentliche Punkt, wo es kritisch wird: Wenn man das Gefühl hat, es geht jetzt eigentlich nicht mehr um die Sache, sondern es geht jetzt gerade um was anderes. Der spielt jetzt mit dir oder instrumentalisiert dich. Dann wird’s manchmal schwierig, ganz ruhig und sachlich zu bleiben."
Der GI hebt einen Krug hoch, erzählt vom Leben im Ministerium, schwäbelt dabei wieder. Doch diesmal misslingt der Versuch, Gemeinheiten nett auszudrücken. Er, der für schonungslose Offenheit steht, kann auch anders:
"Es gibt auch im Umfeld von mir Leute, das weiß ich von früher, die gesagt haben, täuscht euch nicht, kann auch Rachefeldzüge starten, wenn es notwendig ist, kann auch am Fluss sitzen wie der Indianer und warten, bis die Leiche vorbei kommt. Da darf man sich nicht täuschen. Also, Knuddelbär-Geschichte haut nicht hin, sonst wäre ich ja auch nicht da gelandet, wo ich gelandet bin."
Das klingt wie eine Kampfansage. An wen? Ironisches Lächeln. Schneiderhan geht zum Konferenztisch zurück. Im Sommer nächsten Jahres endet seine Dienstzeit in der Bundeswehr. Jetzt soll er weitermachen, heißt es im Ministerium, ein geeigneter Nachfolger fehlt. Die Entscheidung, sagt der GI, fällt der Minister, ein Jahr vor dem Ausstieg. Also bald. Er drückt die Zigarette aus, greift nach einer neuen … Seine Gegner formieren sich, seine Unterstützer auch.
Der Kampf ums höchste Militäramt ist am Landwehrkanal längst entbrannt, glühender als die Spitze der Zigarette in der Hand des GI. Und Schneiderhan trinkt Kaffee, lehnt sich zurück und sinniert über den Ruhestand. "Segeln am Bodensee kann auch schön sein." Er lächelt wieder. Nicht böse, nicht verschlagen oder gar ironisch. Spitzbübig würden die Menschen auf der schwäbischen Alb sagen. Ha, so richtig spitzbübisch, gell.