Der etwas andere Boxfilm

Von Jörg Taszman |
Filme über das Boxen sind vor allem in den USA ein Genre für sich. Zwei sehr prominente Beispiele sind "Raging Bull" und "Million Dollar Baby". Mit seinem Film "The Fighter" hat David Russell nun einen Beleg für die neue Stärke des amerikanischen Independent Kinos geliefert.
Sie war überwältigt und erst einmal sprachlos. Als Melissa Leo dann aber sagte, im Fernsehen sähe das bei anderen Darstellerinnen immer so verflucht leicht aus, also im Amerikanischen etwas derber "fucking easy", wenn man einen Oscar bekäme, da hatte sie die Lacher und die Herzen der "Academy" gleich noch einmal auf ihrer Seite.

In dem Film "The Fighter" spielt Melissa Leo die neunfache Mutter Alice, die, selbst aus einer sehr prolligen, weißen Arbeiterfamilie stammend, wie eine Hyäne um ihre beiden, boxenden Söhne kämpft. Wenn Alice mit ihren sieben Töchtern aufkreuzt, dann kann es einem schon mal Angst und Bange werden. Auch wenn sie eine der Töchter anschnauzt, die versucht, ihren Bruder Micky zu verteidigen: "Halt die Klappe.- Du schuldest mir noch 200 Dollar", wütet Alice dann giftig, und das klingt im amerikanischen Original besonders überzeugend.

Alice sieht sich als legitime Managerin ihres Sohnes Micky, der mit 31 Jahren noch nicht viel erreicht hat, immer im Schatten des von Christian Bale gespielten, älteren Halbbruders Dicky stand. Auch Dicky war einst ein hoffnungsvoller Boxer, der jedoch sein Leben und seine Karriere verpfuschte und von der Droge Crack abhängig ist. Trotzdem trainiert er immer noch seinen jüngeren Bruder Micky, den Mark Wahlberg überzeugend als einen innerlich zerrissenen Mann darstellt. Da ist einerseits die Loyalität gegenüber der eigenen Familie, der dominanten Mutter und den sieben Schwestern, andererseits kann er als Boxer nur Erfolg haben, wenn er sich von dieser zerstörerischen Familie löst. Micky findet Halt bei seiner neuen Freundin Charlene, gespielt von Amy Adams. Als Alice spürt, wie Micky ihr entgleitet, kreuzt sie mit ihren, wilden Töchtern bei Charlene und Micky auf. Das hat Showdown Qualitäten wie in einem Western.

"Wieso versteckst Du dich vor uns, Micky? - Er versteckt sich nicht. - Ich habe nicht mit dir geredet, sondern mit meinem Sohn. Was soll denn das, Micky? - Ich bin doch hier. Ich versteck mich vor niemandem, Alice. - Was hast Du jetzt vor? Wirst du Dicky den Rücken kehren? Alles, was wir immer wollten, ist, dass du Weltmeister wirst. - Micky ist ein erwachsener Mann. Er kann für sich selbst entscheiden. - Halt deinen Mund! - Flittchen! - Sag noch einmal Flittchen, und ich reiß dir die Scheiß-Haare von deinem Drecksschädel! - Ich bin seine Mutter und seine Managerin."

Gerade in diesen tragikomischen Momenten wächst "The Fighter" über das Genre des klassischen Boxerfilms hinaus, wird komplexer, unkonventioneller. Und auch Dicky, den Christian Bale als einen drahtigen, abgemagerten Junkie verkörpert, der immer wieder geniale Momente hat, ist eine spannende Filmfigur. Vorbild für "The Fighter" sind die real existierenden Boxer und Brüder Micky und Dicky Eklund, die auch bei der Oscarverleihung dabei waren. Besonders Dicky Eklund würdigte Christian Bale in seiner Dankesrede.

"Dicky und Mickey, wo seid Ihr? Ist Dicky da irgendwo? Ja. Du bist der Größte! Er hat da eine wunderbare Lebensgeschichte, und ich kann es kaum erwarten, das nächste Kapitel dieser Geschichte kennen zu lernen. Wenn Sie ein Champion werden wollen oder mit Dicky trainieren wollen, dann gehen sie zu ihm: Dickeklund.com, machen Sie es einfach. Lernen Sie ihn kennen, er hat es verdient."

"The Fighter" steht ebenso wie "Black Swan" oder "Winter’s Bone" für die neue Stärke des amerikanischen Independent Kinos. Hier stimmen die Milieuzeichnung und die Charaktere, aber auch die gut choreografierten Kampfszenen. Boxfans kommen durchaus auf ihre Kosten.

Regisseur David Russell beweist übrigens nach seinen Erfolgen mit "Three Kings" und "Flirting with Disaster", dass er zu den vielseitigsten und originellsten, amerikanischen Filmemachern gehört. Er hat fernab aller Klischees einen Boxer- und Familienfilm gedreht, der ebenso dramatisch wie tragikomisch ist und dabei den Zuschauer immer wieder überrascht.