Der ewige Kreislauf aus Pinten, Plumpsklo und Prollstolz

"Die Beschissenheit der Dinge" des flämisch-belgischen Romanciers Dimitri Verhulst ist ein veritabler Schelmenroman: eine Hochzeit aus Drastik, Komik und Klugheit, die radikale Humanität ausmachen. Kein Lacher bleibt einem beim Lesen im Hals stecken. Manche allerdings sind so erkenntnissatt, dass sie einem auf Tränenbächlein die Kehle hinunterflutschen.
"Gott schuf den Tag, und wir schleppten uns hindurch."

Der lakonische Befund klingt nach grauem Einerlei und lebensmatter Tristesse. Aber "Die Beschissenheit der Dinge" ist das krasse Gegenteil: ein veritabler Schelmenroman von Hier & Heute.

Und - das sei warnend vorangeschickt für Verächter des Karnevalesken und Leser mit empfindlichen Magennerven - natürlich wimmelt er von all den "Unappetitlichkeiten", die in diese literarische Tradition gehören, von Francisco de Quevedo bis Grimmelshausen: Hier wird gefurzt, gepisst, geschissen, gerülpst, gekotzt, und zwar in Serie und zeitgemäß: künstliche Darmausgänge inklusive.

Es stinkt nach allen Leiblichkeiten, die das Leben als transferleistungsgestützter White Trash mit sich bringt. Es wird mehr geraucht und gesoffen, als Lunge und Leber wegstecken, und gegessen (wenn nicht gefressen), was den Kochaufwand spart - Hackfleisch roh und Ölsardinen aus der Büchse.

Der Roman ist in der Ich-Form erzählt von einem Dimmetrieken aus dem Clan der Verhulst, und auch damit erinnert er an den Quevedoschen "Buscón" und den Grimmelshausenschen "Simplizissimus". Nur sind seine Lehrjahre keine Wanderjahre. Dimmetriekens Schule des Lebens ist sein ostflandrisches Heimatdorf Reetveerdegem, auf Deutsch etwa "Arschdammichhausen".

Hier lebt er in der Bruchbude seiner Großmutter Maria und mit den vieren ihrer fünf Söhne, die erwartungsgemäß ihre Ehen ins Aus gesoffen haben und unter Mamas Fittiche zurück gekrochen sind: Karel genannt Potrel, Herman, Zwaren und Pierre, Dimmetriekens Vater.

Zurück in den ewigen Kreislauf aus Pinten, Plumpsklo und Prollstolz, in dem die Leiblichkeit namens Sex allenfalls matt aufflackert in zotigen Suffgesängen und Keilereien um die Gunst ohnehin unerreichbarer Frauen. Die realen Frauen sind allerdings keinen Deut attraktiver. Dimmetriekens abgehauene Mutter jedenfalls ist ein Miststück in praktisch jeder Beziehung.

Dimmetrieken lebt all das mit, und sein Alter Ego Dimitri Verhulst erzählt es mit einer atemberaubenden Balance zwischen Empathie und Distanz. Heraus gekommen ist die Hochzeit aus Drastik, Komik und Klugheit, die radikale Humanität ausmachen. Kein Lacher bleibt einem beim Lesen im Hals stecken, manche allerdings sind so erkenntnissatt, dass sie einem auf Tränenbächlein die Kehle hinunterflutschen.

Das liegt nicht nur am flämisch-belgischen Romancier Verhulst, der sich nach seinem Überraschungs-Bestseller "Problemski Hotel" mit "Die Beschissenheit der Dinge" in die erste Liga der neuen niederländischsprachigen Literatur geschrieben hat. Wir Hiesigen verdanken es auch seinem kongenialen Übersetzer.

Rainer Kersten hat den Roman in ein wunderbar wortreiches, warmes Deutsch gebracht, zu dem auch das dezente Kunst-Niederrheinisch der Dialoge beiträgt.

Dimmetrieken, übrigens, entkommt dem fatalen Kreislauf von Reetveerdegem. Er geht hinaus in die Welt und kommt erst zurück, als er selber einen kleinen Sohn hat. Dem hat er beigebracht, dass man nicht "pissen" sagt. "Ein hässliches Wort für hässliche Leute." Aber genau mit dem beendet der Vater den Roman, während Juri "fröhlich vor sich hin pisst."


Rezensiert von Pieke Biermann


Dimitri Verhulst: Die Beschissenheit der Dinge
Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten.
Luchterhand Literaturverlag, München 2007 224 Seiten, 8 Euro