Der ewige Melancholiker
Golo Mann, drittes Kind von Thomas und Katia Mann, war einer der großen Historiker und Querdenker der Bundesrepublik. Zu seinem 100. Geburtstag legt Tilmann Lahme eine kenntnisreiche und unprätentiöse Biographie vor. Der junge Historiker zeigt auch den Privatmann - seine Homosexualität, seine Depression und seine Feindschaften.
In diesem Jahr der schlechten Nachrichten könnte der Melancholiker und Geschichtsskeptiker Golo Mann (1909-1994) womöglich zu einer Leitfigur werden – mit seinem etwas traurigen, aber nicht lustvoll in den Abgrund schauenden Blick. Dass sein heutiger 100. Geburtstag in ein Krisenjahr fällt, hätte ihm vielleicht selbst gefallen.
Kennen lernen kann man Leben und Werk des bedeutenden Historikers ("Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts", "Wallenstein") nun in der Biographie Tilmann Lahmes, der sich bereits einen Namen gemacht hat als Herausgeber von Briefen und Essays Golo Manns. Sein Buch verbindet außerordentlichen Kenntnisreichtum mit angenehm unprätentiösem Stil.
Golo Mann, der erst spät aus dem Schatten seines übermächtigen Vaters trat, gilt als großer Konservativer. Lahme zeigt, dass dies so durchgehend nicht stimmt. Dass er von Anfang an Antimarxist gewesen sei, ist eine seiner Hauslegenden. In Wahrheit war er bei der sozialistischen Studentengruppe in Heidelberg aktiv, gegen die dominierende Nazi-Studentenschaft. Auch seine frühen Tagebücher und Texte zeigen ihn als den Mannschen "Familiensozialisten". Das war seine Form der Rebellion, schon in Salem, wo er gegen den konservativen Schulgeist opponierte und beinahe aus dem Internat flog.
Zeitlebens blieb Golo Mann ein unberechenbarer Nonkonformist, ein Mann der Ambivalenzen. Den USA war er dankbar für das, was sie geleistet hatten im Zweiten Weltkrieg. Das verhinderte jedoch nicht seinen Abscheu in der McCarthy-Ära und seine frühe Kritik am Vietnam-Krieg.
Als es dann in den siebziger Jahren für Intellektuelle verpflichtend wurde, links zu sein, wendete er sich lieber Franz Josef Strauß zu. Um sich zehn Jahre später angesichts der Wiedervereinigungs-Euphorie der kritischen Position Oskar Lafontaines anzunähern und bösartige Sätze über Helmut Kohl im Tagebuch zu notieren.
Da Golo Mann scheu und zurückhaltend war, ist seine Autobiografie "Erinnerungen und Gedanken" alles andere als ein radikal offenes Buch. Lahme zeigt auch den privaten Menschen, die dunklen Seiten, das Brüchige, Widersprüchliche, die Auseinandersetzung mit den eigenen Neurosen.
Golo Mann nimmt regelmäßig Tabletten gegen die Depression, zugleich sucht er seelische Stabilisierung durch Geselligkeit, Freundschaften, politisches Engagement. Und natürlich durch die Arbeit an seinen Werken. Die Melancholie ist die Grundtatsache seines Lebens. Aber er versinkt nicht darin.
Über seine Homosexualität schrieb noch vor einigen Jahren der Biograph Urs Bitterli, sie sei "platonisch" geblieben, ein unausgelebtes Verlangen. Lahme widerspricht. Es habe in Golo Manns Leben durchaus Zeiten glücklicher Verliebtheit gegeben. Den zwei bekannten Ausprägungen der Homosexualität in der Familie Mann – Knaben-Schwärmerei bei Thomas, radikaler Hedonismus bei Klaus – fügt er einen dritten Typus hinzu: Golos Suche nach einem wirklichen Partner, der auch intellektuell Anregungen gibt.
Der höfliche Golo Mann konnte krass verurteilen. Adorno hat er in einem späten Interview als "Lumpen" bezeichnet. Es ist eine verwickelte, hässliche Geschichte; Lahme verwendet im längsten Kapitel seines Buches einige Mühe darauf, die Tatsachen zu rekonstruieren.
Mehrfach hatten Adorno und Horkheimer in den Jahren nach 1959 zu verhindern versucht, dass Golo Mann an die Frankfurter Universität berufen wurde, zunächst mit dem Argument, er sei homosexuell und deshalb der Jugend nicht zumutbar. Später wurde latenter Antisemitismus in Anschlag gebracht.
Für Lahme liegen die Gründe für dieses Mobbing in gegenseitiger Antipathie und in politischer Unvereinbarkeit. Am wichtigsten aber war wohl der Rangkonflikt. Adorno und Horkheimer waren als Köpfe der Frankfurter Schule die intellektuellen Platzhirsche. Golo Mann mit seiner untadeligen Vergangenheit während des "Dritten Reichs" sahen sie als Gefährdung ihrer Frankfurter Machtposition.
Außerdem irritierte seine Theoriefeindschaft. Geschichte so zu präsentieren, dass sie lesbar ist wie ein Roman – das war Golo Manns Programm. In einer Epoche der Theoriebesessenheit hat er trotzig beharrt auf der erzählenden Geschichtsschreibung. Das verschafft ihm heute, wo ständig britische Historiker für ihre gut lesbaren, publikumsfreundlichen Darstellungen deutscher Geschichte gerühmt werden, neue Aktualität. Diese Biographie wird ihren Teil dazu beitragen.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Tilmann Lahme: Golo Mann. Biographie
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
554 Seiten, 24,95 Euro
Kennen lernen kann man Leben und Werk des bedeutenden Historikers ("Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts", "Wallenstein") nun in der Biographie Tilmann Lahmes, der sich bereits einen Namen gemacht hat als Herausgeber von Briefen und Essays Golo Manns. Sein Buch verbindet außerordentlichen Kenntnisreichtum mit angenehm unprätentiösem Stil.
Golo Mann, der erst spät aus dem Schatten seines übermächtigen Vaters trat, gilt als großer Konservativer. Lahme zeigt, dass dies so durchgehend nicht stimmt. Dass er von Anfang an Antimarxist gewesen sei, ist eine seiner Hauslegenden. In Wahrheit war er bei der sozialistischen Studentengruppe in Heidelberg aktiv, gegen die dominierende Nazi-Studentenschaft. Auch seine frühen Tagebücher und Texte zeigen ihn als den Mannschen "Familiensozialisten". Das war seine Form der Rebellion, schon in Salem, wo er gegen den konservativen Schulgeist opponierte und beinahe aus dem Internat flog.
Zeitlebens blieb Golo Mann ein unberechenbarer Nonkonformist, ein Mann der Ambivalenzen. Den USA war er dankbar für das, was sie geleistet hatten im Zweiten Weltkrieg. Das verhinderte jedoch nicht seinen Abscheu in der McCarthy-Ära und seine frühe Kritik am Vietnam-Krieg.
Als es dann in den siebziger Jahren für Intellektuelle verpflichtend wurde, links zu sein, wendete er sich lieber Franz Josef Strauß zu. Um sich zehn Jahre später angesichts der Wiedervereinigungs-Euphorie der kritischen Position Oskar Lafontaines anzunähern und bösartige Sätze über Helmut Kohl im Tagebuch zu notieren.
Da Golo Mann scheu und zurückhaltend war, ist seine Autobiografie "Erinnerungen und Gedanken" alles andere als ein radikal offenes Buch. Lahme zeigt auch den privaten Menschen, die dunklen Seiten, das Brüchige, Widersprüchliche, die Auseinandersetzung mit den eigenen Neurosen.
Golo Mann nimmt regelmäßig Tabletten gegen die Depression, zugleich sucht er seelische Stabilisierung durch Geselligkeit, Freundschaften, politisches Engagement. Und natürlich durch die Arbeit an seinen Werken. Die Melancholie ist die Grundtatsache seines Lebens. Aber er versinkt nicht darin.
Über seine Homosexualität schrieb noch vor einigen Jahren der Biograph Urs Bitterli, sie sei "platonisch" geblieben, ein unausgelebtes Verlangen. Lahme widerspricht. Es habe in Golo Manns Leben durchaus Zeiten glücklicher Verliebtheit gegeben. Den zwei bekannten Ausprägungen der Homosexualität in der Familie Mann – Knaben-Schwärmerei bei Thomas, radikaler Hedonismus bei Klaus – fügt er einen dritten Typus hinzu: Golos Suche nach einem wirklichen Partner, der auch intellektuell Anregungen gibt.
Der höfliche Golo Mann konnte krass verurteilen. Adorno hat er in einem späten Interview als "Lumpen" bezeichnet. Es ist eine verwickelte, hässliche Geschichte; Lahme verwendet im längsten Kapitel seines Buches einige Mühe darauf, die Tatsachen zu rekonstruieren.
Mehrfach hatten Adorno und Horkheimer in den Jahren nach 1959 zu verhindern versucht, dass Golo Mann an die Frankfurter Universität berufen wurde, zunächst mit dem Argument, er sei homosexuell und deshalb der Jugend nicht zumutbar. Später wurde latenter Antisemitismus in Anschlag gebracht.
Für Lahme liegen die Gründe für dieses Mobbing in gegenseitiger Antipathie und in politischer Unvereinbarkeit. Am wichtigsten aber war wohl der Rangkonflikt. Adorno und Horkheimer waren als Köpfe der Frankfurter Schule die intellektuellen Platzhirsche. Golo Mann mit seiner untadeligen Vergangenheit während des "Dritten Reichs" sahen sie als Gefährdung ihrer Frankfurter Machtposition.
Außerdem irritierte seine Theoriefeindschaft. Geschichte so zu präsentieren, dass sie lesbar ist wie ein Roman – das war Golo Manns Programm. In einer Epoche der Theoriebesessenheit hat er trotzig beharrt auf der erzählenden Geschichtsschreibung. Das verschafft ihm heute, wo ständig britische Historiker für ihre gut lesbaren, publikumsfreundlichen Darstellungen deutscher Geschichte gerühmt werden, neue Aktualität. Diese Biographie wird ihren Teil dazu beitragen.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Tilmann Lahme: Golo Mann. Biographie
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
554 Seiten, 24,95 Euro