Der Experimentator und Philosoph unter den Theaterregisseuren

Von Cornelie Ueding · 22.11.2011
Er säte Zweifel an allzu selbstverständlichen Gewissheiten und arbeitete früh mit Projektionen. In den 50er und 60er-Jahren gehörte Heinrich Koch zu den wichtigsten Regisseuren im Nachkriegsdeutschland. Vor 100 Jahren wurde er in Bad Godesberg geboren.
Klassisches habe er mit neuen Mitteln wieder darstellbar gemacht, Schauspieler, die längst "festgelegt" schienen, aufs Verblüffendste verwandelt und in ihren Ausdrucksmöglichkeiten gesteigert: In den 50er-Jahren sind die Theaterkritiker des Lobes voll für Heinrich Koch, der nach dem Krieg zu den bedeutendsten Theaterregisseuren gehörte. Heute kennt selbst unter Theaterleuten kaum noch einer seinen Namen. Heinrich Koch, der am 22.11.1911 in Bad Godesberg geboren wurde und erst 2006, kurz vor seinem 95. Geburtstag starb, hat an allen großen Häusern zwischen Wien und Berlin gearbeitet, davon insgesamt sieben Jahre am Hamburger Schauspielhaus. Elf Jahre lang, von 1957 bis 68 war er Schauspieldirektor am Theater Frankfurt, wo er mit großem Erfolg auch als unspielbar geltende Stücke inszenierte und ein Forum für die Gegenwartsdramatik schuf. Auch als es in Frankfurt um den Theaterneubau ging, stand für ihn die Frage im Zentrum:

"Was tut sich denn eigentlich zwischen Schauspieler und Zuschauer? Und da konnte ich einige praktische Beiträge aus meiner Experimentierzeit in München dazu tun, indem ich dort sehr genau untersucht habe, dass der Schauspieler, wenn er vor dem Zuschauer steht, eine Ausstrahlung hat, die schon akustisch gesehen in einer Kurve vom Schauspieler her zum Zuschauerraum hin in aufsteigender Richtung verläuft."

Als ein Markenzeichen des Regisseurs Heinrich Koch galt die sogenannte "Koch-Platte": eine schräg gestellte, kreisrunde Spielfläche mit einsichtiger räumlicher Gliederung. Damit hat er dem Theater nicht nur Milieukitsch und Plüsch ausgetrieben. Dieser bühnentechnische Trick ermöglichte den Zuschauern eben jene Draufsicht, die Koch dann für die Bühne des neuen Frankfurter Theaterbaus überhaupt durchsetzen konnte:

"Das ist etwas Besonderes. An keinem der bisher neu gebauten Theater liegt die Bühne so tief wie bei uns. Und zwar in voller Absicht.[...]So war bisher immer der erste Teil des Parketts, vielleicht die ersten sechs bis zehn Reihen, benachteiligt, weil der Schauspieler praktisch über die hinwegspielte. Nun hat auch die erste Reihe bereits die volle Aufsicht auf den Bühnenboden. Man darf ja nicht vergessen, dass sich auf diesem Boden die Choreografie, also die, irgendwie dem künstlerischen Werk entsprechende, gesetzmäßige Bewegung der Schauspieler abzeichnet."

Manche sagten ihm später, gegen Ende der sechziger Jahre, puritanische Strenge nach. Aber Koch nüchterte den Theaterraum in durchaus aufklärerischer Absicht aus: Er wollte den Blick des Zuschauers für das schärfen, was da ablief. So legte er zum Beispiel bei Schillers "Maria Stuart" den Akzent auf das Kesseltreiben im Zentrum der Macht. Und bei seiner umjubelten "Peer Gynt"-Inszenierung führte die räumliche Gliederung unmittelbar ins Bedeutungszentrum des Stückes, wie der Schauspieler Will Quadflieg sich noch fast 50 Jahre später erinnerte:

"Ich habe eine schöne Zeit gehabt am Schauspielhaus mit Heinrich Koch, der ein sehr guter und sehr vernünftiger, fast ein Architekt der Regieführung war. Wir haben wunderbare Sachen gemacht. Ein’n Peer Gynt, der auch bei den Ruhrfestspielen damals gezeigt wurde ... Dazu würde ich auch heute noch stehen. Die Kreisform, also seine theatralische Form, der Kreis, was man immer so spöttisch die Koch-Platte nannte – das war damals beim Peer Gynt zum Beispiel ganz typisch. Denn...’geh außen herum’ heißt die Troll-Weisheit. Also geh außen herum um die Probleme und auch um dich selbst. Stell dich nie dir selbst gegenüber. Lern dich nicht kennen. Und ... am Schluss einmal, wenn der Alte dann nach Hause kommt ... einmal sagt er: Nein. Dieses Mal mitten hindurch ... Da war also plötzlich diese ganze Kreisform, das um sich herum Kreisen, nie zu seinem Zentrum zu seiner Mitte zu kommen - das war also plötzlich irgendwie auch einfach rein räumlich, fabelhaft ausgedrückt."

Koch, der als Experimentator, ja als Philosoph unter den Regisseuren galt, stellte die Zeitlosigkeit der Literatur infrage, suchte in seiner Theaterarbeit die Gegenwartsbezüge der Werke und erfasste in seinen besten Inszenierungen auch den Widerspruch zwischen der szenischen Situation und dem gesprochenen Wort. Und dann gab es Ende der sechziger Jahre plötzlich Verrisse, man warf ihm Veräußerlichung der aktuellen Bezüge und eindimensionale Personenführung vor. Für ihn hat das wohl bedeutet, dass seine szenischen Ausdrucksmöglichkeiten nicht mehr in die Zeit passten – denn er zog sich vom Theater zurück. Es gibt nur Arbeitsspuren von ihm, Regie – auch bei Hörspielen und Rundfunk-Features. Kaum persönliche Dokumente. Nichts weist darauf hin, wie die letzten 35 Jahre seines Lebens aussahen – ohne Theater.