Ägypten im Sattel
In Kairo traut man sich schon kaum zu Fuß über die Straße, so höllisch ist der Verkehr. Trotzdem satteln jetzt immer mehr Ägypter aufs Rad um. Jeden Freitag sieht man vor allem junge Leute, die mit ihren Rennrädern die 50-km-Ringroad um Kairo zu ihrer Strecke machen - sonst der Inbegriff der Asphalthölle, freitags aber schön leer - und die Fahrradtouren durch die Stadt unternehmen.
Freitagmorgen, halb sieben: Der Frühdunst liegt noch über Kairo. Und die meisten Leute liegen noch in ihren Betten. Mit dem Freitag beginnt das Wochenende in Ägypten. Die sonst chronisch überfüllten Straßen in der Hauptstadt sind fast leer. Auf einem Parkplatz vor dem Kairoer Fußballstadion fällt allerdings ein roter Lastwagen auf.
Ein Mann steht oben auf der Ladefläche. Ein anderer steht unten und nimmt an: 150 Fahrräder müssen abgeladen werden. Ein Job, der in die Arme geht. Nicht der einzige heute Morgen.
Immer Freitags wird geradelt
Etliche Reifen werden noch mal aufgepumpt. Ein junger Mann in schwarzer Trainingshose und blauem Sport-Shirt kontrolliert gewissenhaft den Zustand der Räder. Es ist Mohamed Samy, der Gründer von "Go Bike", einer Initiative, die die Ägypter auf´s Fahrrad bringen möchte:
"Wir treffen uns jeden Freitag um sieben Uhr morgens und bieten eine Fahrradtour an. Die Räder hier gehören unserer Initiative. Wir verleihen sie, damit die Leute das Fahrradfahren mal ausprobieren können. Die Idee von 'Go Bike' ist, in Ägypten die Radsport-Kultur bekannt zu machen."
Fahrrad fahren lernt in Ägypten zwar jedes Kind. Überall auf den Spielplätzen sieht man, wie Mädchen und Jungen stolz ihren Runden drehen. Doch in der Regel bleibt "el Agala", wie das Fahrrad auf Arabisch heißt, ein Spielzeug und wird kein Sportgerät. Erwachsene, die zum Vergnügen Fahrrad fahren, sorgen für Irritationen.
Mohamed Samy: "Die Leute haben eine falsche Vorstellung vom Fahrradfahren. Denn die, die man sonst mit einem Rad auf der Straße sieht, tragen zum Beispiel Brot aus oder liefern Gasflaschen und anderes. Es sind arme Menschen. Einer, der nicht arm ist, fährt also auch nicht Fahrrad. So war das zumindest bisher. Erst jetzt beginnen die Leute zu verstehen, dass das Fahrrad tatsächlich ein praktisches Fortbewegungsmittel ist. Dass man damit nicht im Stau steht, Zeit und Nerven spart, Benzin. Und dass Radsport gut für die Gesundheit ist. Nur können sich viele beim besten Willen nicht vorstellen, wie man hier in Kairo mitten auf der Straße fahren soll, zwischen all den Autos."
Verkehrsteilnehmer brauchen starke Nerven
Die Kairoer Straßen an einem normalen Arbeitstag. Nichts für schwache Nerven. Überholt wird auch rechts, gedrängelt wird immer: Der typische Stadtverkehr in Ägypten.
Die Sheira Ahmed Orabi ist bei Weitem nicht die breiteste Straße in der 20-Millionen-Metropole Kairo. Doch schon hier rauscht der Verkehr offiziell sechsspurig durch das Häusermeer. Ägyptische Autofahrer lassen zu den Stoßzeiten allerdings ungern Lücken. Immer wieder eröffnen sie noch zusätzliche Spuren, fahren dicht an dicht, hupen, um sich den Weg freizumachen. Für Fremde: Ein heilloses Chaos.
Und mittendrin - plötzlich - ein Fahrradfahrer. Unter den mehr als 2,1 Millionen motorisierten Fahrzeugen in Kairo ein seltener Anblick. Unbeirrt radelt der Mann mitten durch die Blechlawine - und sieht dabei aus, als gäbe er eine Zirkusnummer zum Besten. Denn auf dem Kopf balanciert der Radfahrer eine hölzernes Gitterbrett, so groß wie eine Zimmertür. Darauf liegen, feinsäuberlich in Reih und Glied, gleich mehrere Hundert Fladenbrote.
"Der kommt vom Libanon-Platz. Das ist gut fünf Kilometer von hier. Er bringt mir jeden Tag frisches Brot."
Sagt Straßenhändler Hamza. In der Ahmed-Orabi-Straße stehen an jeder Ecke Verkäufer. Neben ihnen: Rot leuchtende Tomatenberge, dunkelgrüne Pyramiden aus Wassermelonen und auch säckeweise "Aish Baladi", tellergroße Fladenbrote, immer zehn Stück pro Tüte.
Ahmed, so heißt der Lieferant, lenkt sein Fahrrad mit der linken Hand auf Hamzas Straßenecke zu, stützt mit der Rechten das Gitterbrett auf dem Kopf, bremst, balanciert, versucht gleichzeitig abzusteigen und die Brote in der Waage zu halten. Geschafft!
"Das ist eine Kunst, so Brot auszufahren."
Zollt Hamza dem Radfahrer Respekt. Der ist ein bisschen verlegen:
"Naja, das kann nicht jeder. Aber es ist ein Geschenk Gottes. Früher habe ich das Brot zu Fuß ausgetragen, jetzt mit dem Fahrrad. Die meiste Arbeit gibt es natürlich in der Bäckerei. Da steh ich am Ofen. Wir arbeiten von zwei Uhr nachts bis zwölf Uhr mittags, manchmal auch bis eins. Ein langer Tag."
Das sieht man Ahmed an. Der 38-Jährige ist hager, sein Gesicht ausgemergelt. Er stammt aus Bulaq, erzählt er. Das ist ein Kairoer Armenviertel. Bis zu 600 Fladenbroten kann Ahmed pro Tour transportieren. Selbst mit seinem alten Rad ohne Gangschaltung ist er im Kairoer Stau meist schneller als die Autos. Seine Klingel benutze er nur selten, sagt Ahmed. Die meisten Autofahrer nähmen Rücksicht, damit das Brot nicht auf der Straße landet:
"Ich mach nur... szszszs (Zischlaut)."
Das typische Geräusch der Kairoer Brotlieferanten, der bekanntesten Fahrradfahrer Ägyptens. Obwohl:
"Ein Auto wäre natürlich besser."
Meint Hamza. Ahmed nickt, dann zuckt er mit den Schultern. Weder er noch sein Chef können sich einen Lieferwagen leisten. Das Fahrrad ist für sie kein "alternatives" Verkehrsmittel. Sie haben keine Alternativen. Sie könnten den Drahtesel höchstens gegen eine klapprige Karre mit einem echten Esel davor tauschen.
Die Rad-Initiative lädt zum Gruppenausflug
Zurück auf den Parkplatz, auf dem inzwischen in langen Reihen 150 Leihfahrrräder parat stehen. Die Kairoer Initiative "Go Bike" hat zur Fahrradtour für jedermann eingeladen, am verkehrsruhigen Freitag quasi unter entschärften Bedingungen.
Der Parkplatz füllt sich. Auch Manar, Anfang 30, will das kleine Großstadtabenteuer auf zwei Rädern wagen:
"Heute fahre ich zum ersten Mal richtig von einem Ort zum anderen. Innerhalb der Stadt ! Das ist echt was Neues. Wir fahren ja ab und zu mal Fahrrad. Aber nur wenn wir im Urlaub am Strand sind, in einer geschlossenen Feriensiedlung Als Freunde mir davon erzählten, hab ich gesagt: Das probiere ich mal aus."
Mohamed Samy ruft die Teilnehmer zusammen. Auf sein Geheiß hin bilden sie eine Damen- und eine Herren-Reihe, um sich ihr Leihfahrrad abzuholen. Sofort springt ins Auge, dass fast doppelt so viele Frauen gekommen sind. Auch Manar hat noch zwei Freundinnen dabei: Riham und Maha.
Riham: "Wenn wir als Frauen Fahrrad fahren wollten, dann wurden wir kritisiert und schief angesehen."
Maha: "Toll, das jetzt so was angeboten wird. Fast alle Ägypterinnen können Fahrrad fahren und mögen das als Sport. Aber jetzt haben sie jemand, der sie dazu ermutigt."
Gut ein Dutzend junger "Go Bike"-Mitglieder helfen beim Verteilen der Räder. Etwas ungelenk klettert Manar auf den Sattel - und steigt auch gleich wieder ab.
Frau: "Ich glaube, das Fahrrad ist zu groß für mich. Gibt es auch Kleinere? Oder kann man den Sitz runter machen?"
Helfer: "Der ist schon ganz unten."
Frau: "Gut, ich probier noch mal..."
Nicht alle wollen umsatteln
Manar sitzt so tief unten, dass sie nur mit angewinkelten Bein trampeln kann. Aber die Nähe des sicheren Erdbodens scheint ihr wichtiger als der Fahrkomfort. Ihr Ehemann verkneift sich jeden Kommentar. Er steht noch mit den Autoschlüsseln da:
"Ich fahr nicht mit. Ich hab sie nur gebracht und hol sie wieder ab (lacht). Wenn sie nicht auf die Nase fällt, können wir das ja später gern zusammen machen."
Die Ehefrau nimmt die Späße sportlich.
"Es gibt ja jetzt viele Leute, die anfangen, Fahrrad zu fahren."
Sagt der Mann wieder ernsthaft.
"Wegen des Präsidenten."
Ergänzt seine Frau. Manar meint den ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al Sisi. Doch für Erklärungen bleibt keine Zeit mehr.
Es geht los.
Mohamed Samy: "Wir fahren bitte zusammen. Nicht einzeln! Und ganz hinten fährt unser Begleitfahrzeug. Falls jemand einen Platten hat ode ein anderes Problem, bekommt ihr sofort Hilfe. Auf geht`s!"
Über einhundert Fahrradfreunde treten in die Pedale: Jung und alt, Frauen mit und Kopftuch, Einzelfahrer, Freundesgruppen. Die wenigen Autofahrer, die am frühen Freitagmorgen unterwegs sind, staunen, als sie die Gruppe nach und nach vom Parkplatz auf die Salah-Salam-Straße abbiegen sehen, an Werktagen der dicht befahrene Zubringer zum Kairoer Flughafen. Auch der Konvoi von Präsident Sisi kommt oft hier vorbei. Der Palast ist nicht weit. Und Sisi fährt eben neuerdings auch Fahrrad, erläutert Mohamed Samy, der mit seinem Rennrad noch wartet, bis die Truppe in die Gänge kommt. Eine bessere Werbung als durch den Präsidenten könne sich "Go Bike" nicht wünschen:
"Präsident As-Sisi spielt eine sehr große Rolle bei dem Thema. Durch ihn ist der Radsport quasi ins Rampenlicht gerückt worden. Er ist ein Vorbild."
Der Präsident inszeniert sich als Radliebhaber
"Studenten aller Universitäten, der Polizeiakademie und der Militäruniversität nahmen heute in Kairo zusammen mit Staatspräsident Al Sisi an einem Fahrrad-Marathon teil."
13. Juni 2014. Die ägyptischen Nachrichten berichten über Abdel Fattah al Sisis ersten öffentlichen Auftritt nach seiner feierlichen Amtseinführung. In schwarzer Trainingshose und weißem Polo-Shirt radelt er durch Kairo, an der Spitze von mehreren Hundert anderen Fahrradfahrern, Ministern, Prominenten. Eine Parade auf zwei Rädern. Für das ägyptische Staatsfernsehen das Ereignis des Tages.
Mit heroischer Musik unterlegt zeigt es den Staatschef auf dem Fahrrad immer wieder aus allen Perspektiven. Ein Militärhubschrauber liefert sogar Luftaufnahmen. Am Boden hört man immer wieder die Passanten jubeln.
Schon während des Wahlkampfes war der bekennende Radsport-Fan Sisi, damals noch Militärchef, auf`s Fahrrad gestiegen. Für Ägypten ein regelrechter Husarenritt. Ein Machthaber, der wie die einfachen Leute in die Pedale tritt: So etwas hatte es noch nie am Nil gegeben. Allerdings saß Sisi auf einem hochwertigen französischen Marken-Rad, was prompt seine Kritiker auf den Plan rief. Das Volk leide Not und der Präsidentschaftskandidat treibe Sport auf einem Luxus-Gefährt, warfen sie ihm vor. Von Sicherheitsleuten umgeben, ließe sich außerdem prima Fahrrad fahren, hieß es ironisch. Als Sisi als Staatschef im Sattel saß, funktionierte die Propaganda besser. Es schien, als drehe ganz Ägypten am Rad: Sämtliche Sender berichteten. Das Ereignis kam auf alle Titelblätter.
Bei einer Rede an der Startlinie rechnete Sisi dem ägyptischen Volk vor, wie das Fahrradfahren zur Lösung der wirtschaftlichen Misere des Landes beitragen könne:
"Wir wollen heute etwa 20 Kilometer Fahrrad fahren. Das ist ungefähr die Länge der Strecken, die wir jeden Tag mit dem Auto fahren, um zur Uni zu kommen, zur Arbeit. Jede dieser Fahrten kostet uns etwa vier ägyptische Pfund."
Das sind umgerechnet etwa 50 Cent. Benzin wird in Ägypten subventioniert.
"Der Staat bezahlt immer noch mal das Doppelte dazu. Wenn Sie stattdessen aber dieses Mittel nutzen."
Sisi deutet auf die Fahrräder.
"Dann können Sie mithelfen, unser Land wieder aufzubauen."
Das Fahrrad als Politikum.
Die Radsportfunktionäre jubeln
"Es ist fantastisch. Ich war überrascht. Aber es ist sehr gut für uns."
Dr. Wagih Azzam freut sich. Auch er ist Präsident. Präsident der ägyptischen Radsport-Föderation, Präsident der afrikanischen Radsport-Konföderation und Vizepräsident Radsport-Weltverbandes UCI, "Union Cycliste Internationale”. Geht es nach den Funktionärsposten könnte man meinen, Ägypten sei eine der großen Radsportnationen.
Auch das elegante Verbandsbüro, im selben Gebäude mit dem Nationalen Olympischen Komitee, kann sich sehen lassen. Wagiz Azzam, 66, in jungen Jahren ägyptischer Studentenmeister, sitzt dort überaus zufrieden in seinem Sessel:
"Wir sind sehr geehrt, dass unser Präsident die Liebe zu unserem Sport teilt. Nach dieser Aktion durch den Präsidenten ist das Radfahren zu einer der beliebtesten Sportarten in Ägypten geworden."
Stellt sich die Frage, warum sein Verband nicht früher schon selbst die Werbetrommel gerührt hat. Blickt man doch auf eine mehr als hundertjährige Geschichte:
"Die ägyptische Radsport-Föderation wurde schon 1910 gegründet. Von 1910 bis 1991 waren da aber nur Freizeitsportler. Niemand nahm an internationalen Wettbewerben teil, das war mehr eine Art, ja, Luxusvergnügen. Die Wohlhabenden betrieben den Radsport als Hobby."
Was sich nicht wirklich geändert hat. In Ägypten lebt gut ein Viertel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Da kann kein Breitensport sein, wofür man sich erst ein teures Sportgerät kaufen muss. Die ägyptische Radsportföderation hat dementsprechend nur "ein paar Tausend" Mitglieder, so Präsident Azzam lässig ungenau. Bei 85 Millionen Einwohnern ist das nicht viel. Zum Vergleich: Der Bund Deutscher Radfahrer, dem rund 2500 deutsche Vereine angeschlossen sind, führt derzeit mehr als 137.000 Mitglieder. Aber zugegeben: In Deutschland können Radsportler einfach vor die Haustür gehen und losfahren.
Radsport ist nicht ganz ungefährlich
Wagih Azzam: "Gerade in Ägypten ist das mit dem Verkehr schwierig. Wir haben Angst vor Unfällen. Deshalb bieten wir Camps und Trainingsfahrten außerhalb der Stadt an. In den Vororten, aber auch am Roten Meer und auf der Sinai-Halbinsel. Wir haben auch ein Camp in der Schweiz. In Kairo ist es sehr heikel."
Traumatisch lastet auf dem ägyptischen Radsport der Tod von Hisham Fadl, Mitglied der Nationalmannschaft, im Jahr 2008. Der 26-jährige starb bei einem Radrennen, nachdem er mit einem vorbeifahrenden Auto zusammengeprallt war. Nach dem Unglück wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, Helme für Radrennfahrer zur Pflicht – auch wenn sonst niemand welche trägt. Erstmals wurde ein Rettungswagen als Begleitfahrzeug bei Rennen vorgeschrieben. Auch spezielle Radsportstrecken wurden damals gefordert. Doch erst Präsident Sisi scheint die Dinge ins Rollen zu bringen:
"Gestern hatte ich ein Treffen mit dem Sportminister. Es wird eine Radstrecke gebaut, zwei, drei Kilometer lang, im Al-Gezira-Jugendzentrum, offen für alle. Sehr schön. Und der Herr Präsident hat auch angeordnet, dass jede neue Stadt, die in Ägypten gebaut wird, obligatorisch einen Fahrradweg bekommt."
Die Trainingsbedingungen sollen sich verbessern
Aber noch trainieren Ägyptens Radsportler auf der Schnellstraße.
Auch die Kairoer Radsportgruppe "Wheelers” nutzt den verkehrsruhigeren Freitagmorgen für ihr Training. Knapp 30 Männer und Frauen bereiten auf einem Supermarkt-Parkplatz an der Wüstenstraße Richtung Alexandria ihre Rennräder vor.
Mannschaftskapitän Ibrahim Akram schraubt sein Rad aus der Halterung seines Auto-Gepäckträgers:
"Wir haben zwei Gruppen. Die eine fährt heute hundert Kilometer, die andere 60. Ein paar Mal im Jahr machen wir lange Touren. Wir wollen auch den Tourismus in Ägypten positiv verändern. Man kann viele Ziele mit dem Rad erreichen. Unser letzter Trip ging bis nach Petra in Jordanien . Wir sind in sieben Tagen tausend Kilometer gefahren. Eine Herausforderung, aber wir haben es geschafft."
Unter den Radsportlern sind auch etliche junge Frauen. Die meisten tragen unter der bunten Biker-Kappe noch ein Kopftuch. Ihre orange-schwarzen Trikots haben lange Ärmel. Statt kurzer Hosen tragen sie Leggings. Sarah Farouq zeigt unterdessen ihre sonnengebräunten Arme und trägt die Haare offen. Als Fahrrad fahrende Frau sorge man in Ägypten ohnehin immer für Aufsehen, sagt sie, egal, wie man sich kleide:
"Die Leute sind das nicht gewöhnt, eine Frau auf einem Fahrrad zu sehen. Man muss die Frauen deshalb darauf trainieren, einfach zu ignorieren, dass es Belästigungen gibt. Da sind immer Männer, die rufen: 'Süße' und so was. Wir ermuntern die Leute ja auch, das Rad als normales Verkehrsmittel zu nutzen. Aber aus Sicherheitsgründen sagen wir nie: Mach das allein. Ok, wenn es ein Mann ist, bitte schön. Aber wenn eine Frau los will, suchen wir ihr aus der Nachbarschaft Begleitung. Wir bilden Fahrgemeinschaften, wie beim Auto."
Die Radsportler sammeln sich. Was hat Präsident Abdel Fattah Al Sisi für sie verändert?
Sarah Farouq: "Er hat eine Menge Leute dazu gebracht, mal aufs Fahrrad zu steigen. Aber das ist so ein Werbeding. Für Leute wie uns ist der Schuss nach hinten los gegangen. Seitdem Sisi Rad gefahren ist, haben die Fahrradhändler ihre Preise um 30 Prozent erhöht!"
Eine Radoffensive mit Nebenwirkungen
"Dass Sisi mit dem Fahrrad gefahren ist, sollte für uns eine große Unterstützung sein, aber das Gegenteil ist passiert."
Sherif Yahyahs Team trainiert heute wieder mal im Saal - Spinning statt Schnellstraße. Die Rennräder sind aufgebockt. Die Reifen laufen auf kleinen Rollen.
"Auf der Schnellstraße nach Ain Suhna ist das Radfahren nicht mehr erlaubt. Am vergangenen Freitag haben wir auf der Straße nach Ismaileya trainiert und die Polizei hat uns angehalten. Nicht mal einen Grund konnten die Polizisten uns nennen, warum Radsport dort neuerdings verboten ist. Hätten wir uns nicht gefügt, wären rechtliche Schritte gegen uns eingeleitet worden."
Kritik an der Radsportföderation
Sherif Yahyah ist sauer. Der 32-Jährige war Mitglied der Nationalmannschaft. Jetzt ist er Kapitän des "Nitrous”-Teams, sechs von Sponsoren unterstützte Spitzenfahrer, die an ägyptischen Radrennen teilnehmen. Profi ist jedoch keiner von ihnen. Berufsradfahrer gibt es in Ägypten nicht. Mit dem Verband und seinen Funktionären hat Sherif Yahyah ohnehin keine guten Erfahrungen gemacht:
"Dieser Sport ist sehr teuer und der Verband finanziert nichts. Nur die ersten Mannschaften, das sind jeweils vier, fünf Leute. Sie genießen alle Vorteile: Trainer, Trainingslager. Die anderen müssen alles selbst bezahlen, aber wer kann das? Seitdem ich Radsport betreibe, seit 15 Jahren, sitzen da dieselben Leute. Das kann doch nicht richtig sein? Wir haben keine Fahrer, die im Ausland antreten, kein bekanntes Rennen, kaum Sponsoren, die Geld investieren. Da läuft einiges falsch."
Wagih Azzam, Präsident der ägyptischen Radsportföderation, reagiert auf die Kritik gelassen. In den vergangenen 15 Jahren haben die verschiedenen ägyptischen Nationalmannschaften durchgehend sämtliche arabischen Meisterschaften gewonnen, sagt er nicht ohne Stolz. Und dass derzeit etliche der bewährten Trainingsstrecken für Radsportler gesperrt sind, sei der angespannten Sicherheitslage in Ägypten geschuldet:
"Die Schnellstraße nach Ain Suhna ist zum Beispiel sehr wichtig für die Armee. Wir müssen das verstehen. Ich habe für die 'Wheelers', 'Go Bike' und andere Gruppen organisiert, dass sie unter unserer der Schirmherrschaft stehen. Aber es kann nicht jede Gruppe einfach machen, was sie will. Das muss mit Erlaubnis, unter dem Dach des Verbandes sein. Das ist doch normal."
Die Freitagsradtour ist ein voller Erfolg
Musik aus dem Autoradio des Begleitwagens und aus einem Imbissladen am Straßenrand ein frisches Fladenbrot, gefüllt mit Taameyia, den typisch ägyptischen Kichererbsen-Küchlein. Die Teilnehmer der Freitagsradtour von "Go Bike” machen Rast. Die drei Freundinnen Manar, Riham und Maha haben es sich auf einer Bordsteinkante bequem gemacht und tauschen ihre Eindrücke aus:
Riham: "Sehr schön und gar nicht so anstrengend."
Manar: "Ich hatte erst Angst vor den Autos. Aber die haben sich links gehalten, wenn wir mit der Gruppe rechts waren. Und die Leute waren nett. Viele haben aus dem Autofenster gefragt, was macht ihr da? Und fanden die Idee prima."
Riham: "Es gab auch Typen, die gesagt haben: Na? Soll ich hinter Dir her fahren? Das Übliche. Aber die Fahrradtour selbst war toll. Wir werden auf jeden Fall noch mal mitmachen. Nur nicht mehr bei dieser Hitze."
Maha: "Ja, am liebsten abends (lacht)."
Mohamed Samy, der Gründer der Radfahr-Initiative, freut sich, dass es den Teilnehmern so gut gefallen hat:
"Die kommen dann ein zweite und drittes und viertes Mal. Und am Ende fragen sie, wo sie ein gutes Fahrrad kaufen können. Und dann fahren sie auch mal allein los, zum Supermarkt, zu Freunden. Das ist genau das, was wir erreichen wollen."
Mohamed Samy selbst fährt – so wie der Präsident es vorgeschlagen hat – inzwischen auch dreimal die Woche mit dem Fahrrad zur Arbeit. Mitten durch das Verkehrschaos, so wie die Brotlieferanten, erzählt er:
"Das ist Sport. Und vor allem: Nach der Arbeit ist immer ein fürchterlicher Stau. Da steht man mit dem Auto ewig. Mit dem Fahrrad fährt man einfach so dadurch. Am Anfang haben die Nachbarn gesagt: Was ist das denn, der Ingenieur fährt mit dem Fahrrad? Aber jetzt sind immer mehr Leute begeistert."
Manar: "Dieser Sport ist wirklich schön!"