Mord im Namen der Wissenschaft?
Die Geschichte handelt von zwei Astronomen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Hier der dänische Edelmann Tycho Brahe, ein herrischer Typ und begnadeter Beobachter. Dort Johannes Kepler, ein Schwächling und ein genialer Mathematiker.
Im Februar 1600 begegnen sich beide in Prag - ein für die Astronomiegeschichte enorm wichtiges Datum. Denn Brahes über viele Jahre zusammengetragene Beobachtungen ermöglichen Kepler den Aufbau unseres Planetensystems zu entschlüsseln - allerdings erst nach Brahes Tod. Brahes Tod, eineinhalb Jahre nach dem ersten Treffen, war kein Zufall, meinen Joshua und Anne-Lee Gilder in ihrem Buch "Der Fall Kepler":
"Neuere forensische Untersuchungen von Haaren belegen, dass Tycho Brahe ermordet wurde, heimtückisch vergiftet. Und was das Motiv, die Tatwerkzeuge und die Gelegenheit betrifft, so deuten alle Indizien auf einen Verdächtigen: Johannes Kepler."
In einer Haarprobe der einbalsamierten Leiche Brahes fanden Forscher eine auffallend hohe Konzentration von Quecksilber. Haare wachsen recht schnell - und so deuten die Messungen an, dass Brahe nur 13 Stunden vor seinem Tod eine hohe Dosis Quecksilber zu sich genommen hat. Brahe, ein erfahrener Alchemist, mixte sich oft allerlei Mittel zur eigenen Behandlung zusammen, auch mit Quecksilber - er könnte versehentlich falsch dosiert haben.
Doch für das Autorenpaar Gilder ist der Fall klar: Mord im Namen der Wissenschaft! Auf über 300 Seiten beschreiben sie auf kurzweilige Weise die damalige Situation der Astronomie, den Werdegang der beiden Hauptakteure und die Lage am Hofe Rudolf II. in Prag. Einige Ungenauigkeiten bei den astronomischen Fakten sind da durchaus zu verzeihen. Aber die Indizienkette, mit der sie aus der einen Quecksilber-Messung einen Mord konstruieren, wirkt sehr, sehr dünn. So wird eine allgemeine Äußerung Keplers schnell zum konkreten Mordplan stilisiert:
"Es ist bemerkenswert, wie schnell Keplers Einstellung zu Brahe in anhaltende, erbitterte Feindseligkeit umschlug. Brahe, so klagte er in einem Brief, habe versucht, ihn von seiner Theorie der fünf platonischen Körper abzubringen, weshalb er jetzt die größte Lust verspüre, "Tycho mit seinem eigenen Schwert zu schlagen"."
Johannes Kepler hat Tycho Brahe mit dessen eigenen Schwert geschlagen - denn ausgerechnet Brahes Beobachtungen bestätigten schließlich das von Kepler favorisierte und von Brahe abgelehnte Weltmodell mit der Sonne im Zentrum.
An anderer Stelle spekulieren die Autoren munter darauf los, wann und wie sich Tycho Brahe wohl an seinem letzten Abend zu Bett begab - und wann Kepler Gelegenheit zum feigen Anschlag hatte. Das klingt phasenweise fast wie Satire - was kurz vor Schluss auch den Autoren auffällt:
"Natürlich ist es unmöglich, vierhundert Jahre nach der Tat absolute Gewissheit hinsichtlich der Identität von Brahes Mörder zu erlangen. Wenn man aber alle alternativen Hypothesen eingehend prüft und den Kreis der Verdächtigen anhand der altbewährten kriminalistischen Kriterien Gelegenheit, Tatwerkzeug und Motiv sukzessive einschränkt, dann bleibt schließlich nur eine Person übrig, auf die alle Indizien weisen."
Tycho Brahe hatte am Hofe des dem astrologischen Aberglauben zugewandten Rudolf II. durchaus Einfluss und damit sicher viele Neider. Zudem war er ein brutaler Typ, der in seiner Zeit in Dänemark auch schon mal unbotmäßige Bauern im Kerker verhungern ließ. So jemand soll in Prag keine Feinde gehabt haben?
Das Buch balanciert zwischen amüsanter Erzählung der historischen Aspekte und dem vermeintlich wissenschaftlich genauen Belegen einer Mordthese. Beides passt aber kaum zusammen - vielleicht wäre angesichts der dünnen Faktenlage statt eines Pseudo-Sachbuches ein historischer Roman besser gewesen. Aber Bücher muss man nicht nur schreiben, man muss sie auch verkaufen - und da sorgt die Mordbehauptung auf dem Umschlag für Aufsehen. Es wäre ehrlicher gewesen, den Titel mit einem Fragezeichen zu versehen.
Joshua und Anne-Lee Gilder: Der Fall Kepler - Mord im Namen der Wissenschaft?
Übersetzt von Thorsten Schmidt
List-Verlag 2005
320 Seiten, 17 Abbildungen
"Neuere forensische Untersuchungen von Haaren belegen, dass Tycho Brahe ermordet wurde, heimtückisch vergiftet. Und was das Motiv, die Tatwerkzeuge und die Gelegenheit betrifft, so deuten alle Indizien auf einen Verdächtigen: Johannes Kepler."
In einer Haarprobe der einbalsamierten Leiche Brahes fanden Forscher eine auffallend hohe Konzentration von Quecksilber. Haare wachsen recht schnell - und so deuten die Messungen an, dass Brahe nur 13 Stunden vor seinem Tod eine hohe Dosis Quecksilber zu sich genommen hat. Brahe, ein erfahrener Alchemist, mixte sich oft allerlei Mittel zur eigenen Behandlung zusammen, auch mit Quecksilber - er könnte versehentlich falsch dosiert haben.
Doch für das Autorenpaar Gilder ist der Fall klar: Mord im Namen der Wissenschaft! Auf über 300 Seiten beschreiben sie auf kurzweilige Weise die damalige Situation der Astronomie, den Werdegang der beiden Hauptakteure und die Lage am Hofe Rudolf II. in Prag. Einige Ungenauigkeiten bei den astronomischen Fakten sind da durchaus zu verzeihen. Aber die Indizienkette, mit der sie aus der einen Quecksilber-Messung einen Mord konstruieren, wirkt sehr, sehr dünn. So wird eine allgemeine Äußerung Keplers schnell zum konkreten Mordplan stilisiert:
"Es ist bemerkenswert, wie schnell Keplers Einstellung zu Brahe in anhaltende, erbitterte Feindseligkeit umschlug. Brahe, so klagte er in einem Brief, habe versucht, ihn von seiner Theorie der fünf platonischen Körper abzubringen, weshalb er jetzt die größte Lust verspüre, "Tycho mit seinem eigenen Schwert zu schlagen"."
Johannes Kepler hat Tycho Brahe mit dessen eigenen Schwert geschlagen - denn ausgerechnet Brahes Beobachtungen bestätigten schließlich das von Kepler favorisierte und von Brahe abgelehnte Weltmodell mit der Sonne im Zentrum.
An anderer Stelle spekulieren die Autoren munter darauf los, wann und wie sich Tycho Brahe wohl an seinem letzten Abend zu Bett begab - und wann Kepler Gelegenheit zum feigen Anschlag hatte. Das klingt phasenweise fast wie Satire - was kurz vor Schluss auch den Autoren auffällt:
"Natürlich ist es unmöglich, vierhundert Jahre nach der Tat absolute Gewissheit hinsichtlich der Identität von Brahes Mörder zu erlangen. Wenn man aber alle alternativen Hypothesen eingehend prüft und den Kreis der Verdächtigen anhand der altbewährten kriminalistischen Kriterien Gelegenheit, Tatwerkzeug und Motiv sukzessive einschränkt, dann bleibt schließlich nur eine Person übrig, auf die alle Indizien weisen."
Tycho Brahe hatte am Hofe des dem astrologischen Aberglauben zugewandten Rudolf II. durchaus Einfluss und damit sicher viele Neider. Zudem war er ein brutaler Typ, der in seiner Zeit in Dänemark auch schon mal unbotmäßige Bauern im Kerker verhungern ließ. So jemand soll in Prag keine Feinde gehabt haben?
Das Buch balanciert zwischen amüsanter Erzählung der historischen Aspekte und dem vermeintlich wissenschaftlich genauen Belegen einer Mordthese. Beides passt aber kaum zusammen - vielleicht wäre angesichts der dünnen Faktenlage statt eines Pseudo-Sachbuches ein historischer Roman besser gewesen. Aber Bücher muss man nicht nur schreiben, man muss sie auch verkaufen - und da sorgt die Mordbehauptung auf dem Umschlag für Aufsehen. Es wäre ehrlicher gewesen, den Titel mit einem Fragezeichen zu versehen.
Joshua und Anne-Lee Gilder: Der Fall Kepler - Mord im Namen der Wissenschaft?
Übersetzt von Thorsten Schmidt
List-Verlag 2005
320 Seiten, 17 Abbildungen