Der Fall Vattenfall

Von Annette Riedel |
Für die Atomkraftbranche grenzt der Fall Vattenfall an den GAU – den größten anzunehmenden Unfall, jedenfalls wenn es um die öffentlichen Wahrnehmung der Kernenergie geht.
Da war man gerade so schön auf dem Wege, selbst grüne Politiker zum Nachdenken zu bringen: Sollte denn nicht die nahezu CO2-emissionsfreie Kernenergie in Zeiten des Klimaschutzes zumindest als Brückentechnologie in die Zukunft mit regenerierbaren Energien länger als verabredet genützt werden. Und man hatte so hübsch-idyllische Plakate im Großformat überall in der Republik hängen lassen, mit denen ziemlich erfolgreich für die Gleichung geworben wurde: ‚Kernenergie = Klimaschutz’. Und dann das.

Niemand behauptet ernsthaft, dass Krümmel oder Brunsbüttel knapp an einer Kernschmelze vorbeigeschrammt sind. Das ist gar nicht der Punkt. Der Punkt ist die offenbar erschreckend mangelhafte Sicherheitskultur, wie sie jetzt bekannt wird - ausgerechnet bei einer so brisanten Technologie wie der Nukleartechnologie. Ein Atomkraftwerk ist keine Schuhfabrik. Und der Punkt ist die katastrophale Auslegung der Informationspflicht. Die schadet nicht zuletzt auch dem Unternehmen und der ganzen Branche selbst. In einer Zeit, in der für die Betreiber beim Pokern um Laufzeitverlängerungen Millionen auf dem Spiel stehen, sollte bloß nicht die Frage der Sicherheit von Kernenergie öffentlich diskutiert werden. So handelte Vattenfall frei nach der Devise: Was die Öffentlichkeit nicht weiß, macht sie nicht heiß. Übersehen hat der Konzern dabei aber, dass es sehr wohl sehr heiß macht, zu wissen, dass es Vorkommnisse gibt, über die man offenbar öffentlich nichts oder nichts Umfassendes wissen soll.

Da hilft letztlich auch nicht mehr, dass unabhängige Experten viel Vattenfall-Geld in die Hand nehmen sollen, um die Vorfälle zu klären und dass die Reaktoren bis zur Klärung abgeschaltet bleiben.

Dass es jetzt Stühlerücken in der Konzernspitze von Vattenfall Deutschland gibt, dessen Ende wir mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht gesehen haben, ist folgerichtig, ja zwangsläufig. Betriebserlaubnisse für Kernkraftwerke sind personengebunden. Fachkunde und Zuverlässigkeit der Betreiber, an denen nach allem, was man jetzt erfährt, mit Fug und Recht gezweifelt werden darf, sind unabdingbare Voraussetzungen für die Betriebsgenehmigung eines Kernkraftwerks. So steht es geschrieben im deutschen Atomgesetz.

Aber: Mit neuem Führungspersonal, selbst mit einem neuen Betreiber, macht man aus alten, störanfälligen Reaktoren noch keine neuen zuverlässigen. Seit dem Ausstiegsbeschluss im Jahre 2000 hat es laut Statistik des Bundesamtes für Strahlenschutz immerhin 910 meldepflichtige Pannen und 33 ernstere Störfälle in deutschen Atomkraftwerken gegeben.

Brunsbüttel hat dabei eine besonders lange Liste von Pannen und Störfällen auf dem Buckel. Nach dem Ausstiegsgesetz müsste es spätestens 2009 vom Netz gehen. Vattenfall hat die Verlängerung der Laufzeit bis 2011 beantragt. Betriebswirtschaftlich ist das nachvollziehbar, ließen sich doch dann mit dem abgeschriebenen Kraftwerk wunderbar noch ein paar leichte Millionen verdienen.

Sigmar Gabriel hat recht, wenn er die Verlängerung der Laufzeiten für die alten Meiler nicht nur ablehnt, sondern - im Gegenteil - das schnellere Aus für die alten will, zugunsten der moderneren und damit nach menschlichem Ermessen sichereren Kernreaktoren. Das Ausstiegszenario macht es möglich. Die aktuellen Pannen in Brunsbüttel und Krümmel machen es nötig.