Der Fan als Mäzen

Leander Wattig im Gespräch mit Frank Meyer |
Jemand hat eine bestimmte Idee und benötigt dafür Geld. Das bekommt er über eine Internetcommunity, die das Projekt für unterstützenswert hält. Nach diesem Prinzip funktioniert Crowdfunding. Für Künstler ist das nicht nur Verpflichtung, sondern auch eine hohe Motivation, sagt der Social-Media-Berater Leander Wattig.
Frank Meyer: Im Internet will niemand für irgendwas bezahlen, da herrscht die Kostenloskultur, heißt es immer. Das Gegenteil zeigt allerdings das Crowdfunding-Modell, da wird die Internetcommunity um freiwillige Unterstützung gebeten für bestimmte Ideen, und dafür kommt von Fall zu Fall ziemlich viel Geld zusammen. Welche Konsequenzen hat das, wenn zum Beispiel Fans geplante Kunstwerke mitfinanzieren?

Der Uni-Dozent und Buchhandelsexperte Leander Wattig hat sich mit der Entwicklung von Crowdfunding auseinandergesetzt, er ist jetzt für Deutschlandradio Kultur im Studio. Seien Sie willkommen, Herr Wattig!

Leander Wattig: Hallo!

Meyer: Herr Wattig, wir haben ja gerade von diesem Finanzierungswunder bei der New Yorker Diaspora-Idee gehört, also 10.000 Euro wollten die Gründer dort sammeln, 200.000 Dollar haben sie bekommen. Was muss denn passieren, damit Crowdfunding so gut funktioniert, damit so viele Leute aus der Online-Community spenden wollen?

Wattig: Crowdfunding heißt ja letztlich nichts anderes, als dass sich Menschen zusammentun, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Auch bei den Plattformen wie Kickstarter oder Startnext wird ja erst mal ein Projekt präsentiert und dann wird eine Summe genannt, die notwendig ist, um dieses zu realisieren, um dieses Ziel, was dahintersteht, zu erreichen.

Und bei Diaspora ist es ja so, dass es eben einen Nerv getroffen hat, dass viele Leute bei Facebook sind, damit nicht komplett zufrieden sind, wir haben ja häufig auch in Deutschland Datenschutzdiskussionen rund um Facebook, und da ist die Idee, dass man ein dezentrales Netzwerk aufbaut, bei dem ich selbst Kontrolle über meine Daten habe, natürlich ein sehr attraktives Ziel und entsprechend haben sich dann auch viele zusammengetan und Geld beigetragen. Das zeigt schon, worum es geht, man muss eben mit dem Projektziel die Menschen überzeugen.

Meyer: Nun haben wir von amerikanischen Beispielen gehört, eben dieser Diaspora-Seite, oder von den 3000 Projekten, die bei Kickstarter.com da finanziert wurden. Kann man das auf Deutschland so übertragen? Wir wissen ja auch aus anderen Bereichen, dass es in Amerika eine ganz andere Spendenkultur gibt als bei uns.

Wattig: Es gibt ganz interessante Phänomene in Deutschland. Es gibt andere Plattformen, die so ähnlich aufgestellt sind, die auch letztendlich zum Crowdfundingbereich gehören, wie flattr oder kachingle, dort trägt man kleine Geldbeiträge bei zu Inhalteproduzenten im Internet, die beispielsweise einen kostenlos abrufbaren Blog betreiben. Und diese Plattformen interessanterweise haben eine enorm hohe Nachfrage in Deutschland, also die werden hier extrem stark genutzt. Also es scheint durchaus ein Prinzip zu sein, was hinter dem Crowdfunding steht, was auch uns in Deutschland anspricht.

Meyer: Das heißt, es gibt schon Blogger, die über dieses Spendenmodell tatsächlich dann auch von ihrer Arbeit, von ihren Blogs leben können?

Wattig: Ob komplett davon leben, ist die eine Frage, aber es gibt durchaus Blogger, die schon sehr weitgehend davon leben können. Es gibt zum Beispiel einen Akteur, Tim Pritlove, der macht regelmäßig verschiedene Podcasts und der verdient pro Monat ungefähr 1000 Euro. Und das ist durchaus ein relevanter Betrag vor allen Dingen vor dem Hintergrund der sonstigen Einnahmen von Autoren, die ja sowieso nicht hoch sind.

Meyer: Jetzt ist gerade gestartet Startnext.de, das ist auch der Anlass für unser Gespräch heute, das ist eine Seite, die vor allem Kulturprojekte vorstellt, ganz verschiedene Filme, Bücher, Theaterinszenierungen, Fotoausstellungen. Für all diese Projekte kann man spenden. Sie haben sich das mal angeschaut, gibt es da Projekte, wo Sie denken, ja das könnte gut funktionieren, da könnte ausreichend Geld zusammenkommen?

Wattig: Die Startnext-Gründer selber sagen ja, sie streben zunächst erst mal an, Leute auf die Plattform zu ziehen, die schon eine starke Fanbasis haben, also Künstler, Musiker oder Filmschaffende, die selber schon über ein paar Hundert oder ein paar Tausend Fans verfügen, die eben Geld beitragen wollen. Und das zeigt eben schon, was notwendig ist für ein erfolgreiches Projekt: Man muss Leute um sich versammeln, die das gleiche Ziel teilen, und die dementsprechend bereit sind, sich einzubringen. Und das zeigt auch schon, in welche Richtung diese Plattformen sich entwickeln.

Es geht stets darum, etwas zu ermöglichen, was man sonst nicht hätte, und das ist auch ein Grund, warum Inhalte darüber finanzierbar sind. Weil wir erleben ja im Internet, dass viele Geschäftsmodelle aus der Printwelt nicht mehr funktionieren, und jetzt haben wir aber die Möglichkeit, diese gemeinschaftlich über diese Internetplattform zu finanzieren. Deswegen ist das ein ganz interessanter Ansatz.

Meyer: Und das wichtigste Prinzip dabei ist die Freiwilligkeit: Ich muss nicht zwangsweise für etwas bezahlen, sondern ich kann, ich darf spenden?

Wattig: Es ist nicht das klassische Paid-Content-Modell, wo ich vor der Rezeption des Inhaltes Geld bezahle, sondern erst hinterher und freiwillig, und es ist vor allem auch kein Investment, also ich investiere dann nicht Geld, um später noch mehr Geld zurückzubekommen, sondern es geht um exklusive Dinge, die ich sonst nicht hätte, wie auch der Startnext-Gründer selbst sagt, oder auch um andere Dinge, die ich nicht ohne Weiteres bekomme wie zum Beispiel soziale Anerkennung, Reputation. Weil wenn ich etwas fördere, für das sich viele Leute interessieren, dann bekomme ich ja deren Wertschätzung zurück. Und das ist durchaus ein starker Antriebsfaktor.

Meyer: Wie ist das mit den Missbrauchsmöglichkeiten? Also wenn ich mir vorstelle, ich habe eine tolle Idee, ich lanciere die da, ich sammele die Spenden ein und haue dann mit dem Geld ab, ohne eben das, was ich angekündigt hatte, damit anzufangen? Wer kann das verhindern?

Wattig: Ja, ganz grundsätzlich kann das natürlich keiner verhindern. Aber man wird dies nur einmal tun und dann hat man seinen Ruf ruiniert und das ist sicherlich nicht im Interesse der meisten Leute. Also die Dinge leben aus der Gemeinschaft heraus, aus der sogenannten Community heraus, und die hat auch sehr starke Selbstreinigungskräfte oder schafft eine starke Transparenz darüber, welche Akteure dort aktiv präsent sind. Und es ist ja nicht so, dass man als unbekannter Mensch auf diese Plattform gehen kann und plötzlich 10.000 Euro akquirieren kann. Das mag es im Einzelfall geben, aber in der Regel werden ja die Leute gefördert, die schon erfolgreich sind.

Meyer: Interessant ist ja auch die Frage, wie das eigentlich die Beziehung zwischen dem Kunstkonsumenten und dem Produzenten verändern kann. Weil wenn ich Geld gebe für ein Projekt und mich damit schon im Vorfeld beteilige, dann verändert das ja auch meine Erwartungen als Konsument, dann werde ich ja zu so etwas wie einem Mitproduzenten, wenigstens in finanzieller Hinsicht. Was denken Sie denn, könnte das in Zukunft, wenn dieses Modell funktioniert, könnte das die Beziehung zwischen den Kreativen und uns Konsumenten verändern?

Wattig: Ja, absolut, also das kennt man ja aus der eigenen Erfahrung: Wenn man sich beteiligt finanziell an einer Sache, dann ist man natürlich dort viel stärker involviert, und dann hat man auch eine gewisse Erwartungshaltung. Also wenn ich Geld gebe, dann möchte ich natürlich auch, dass dieses eingesetzt wird, um das benannte Ziel zu erreichen.

Und es stellt aber nicht nur eine Verpflichtung dar oder einen Zwang oder etwas, was den Künstler einengt, sondern auch eine Motivation. Um zurückzukommen auf das Beispiel von Tim Pritlove: Der hat sogar Geld bekommen in einem Monat, in dem er gar nichts produziert hat, in dem er gar keine Inhalte erstellt hat. Und er selbst sagt, es ist für ihn eher eine Motivation weiterzumachen.

Man kennt das ja als Kreativer: Es gibt durchaus Phasen, in denen man sich fragt, warum mache ich das hier. Und wenn man dann eine Community hat, die nicht nur positives Feedback zurückgibt, sondern sogar sich finanziell beteiligt, dann ist das natürlich ein sehr starker Anreiz auch künftig die Projekte zu realisieren, die die Fancommunity eben wertschätzt.

Meyer: Das Ganze steht ja völlig am Anfang, das müssen wir dazu auch sagen. Also Startnext.de, diese erste Seite zum Kultur-Crowdfunding, ist gerade erst gestartet bei uns, wir haben vorhin darüber gesprochen, dass es in den USA schon gute Erfahrung damit gibt. Aber wenn wir das mal für einen Moment groß denken und daran denken, dass in Zukunft, wenn dieses Modell funktioniert, dann nicht mehr nur Institutionen und Förderanstalten entscheiden, welche Kulturprojekte finanziert werden, sondern die ganze Masse der Mikromäzene sozusagen, die ein paar Euro geben über die Online-Möglichkeiten, um Kulturprojekte zu fördern ... – Könnte das unsere Kulturlandschaft verändern, könnte das so etwas wie eine Demokratisierung von Kultur mit sich bringen?

Wattig: Ich halte es zumindest für eine interessante und auch attraktive Perspektive. Weil wir reden ja häufig über Dinge wie Kulturflatrates und Ähnliches, wo aber dann häufig auch von einem sehr zentralistischen Ansatz ausgegangen wird, dass wenige Leute entscheiden, was nun gefördert werden muss; und hier haben wir Instrumente an der Hand, die uns ermöglichen, eine echte Nachfrage abzubilden, also zu zeigen, welche Dinge den Menschen wirklich wichtig sind und das viel, viel feiner auch auszusteuern über die ganze Breite des Marktes. Und insofern halte ich das für eine attraktive Perspektive.

Und ich denke, es ist ein Trend, der zum einen nicht neu ist – weil wir haben in der Geschichte schon viele Bewegungen gesehen, die versucht haben, über den Zusammenschluss von Menschen Ziele zu erreichen, wie die ganze Genossenschaftsbewegung –, und wir haben ja auch in jüngster Vergangenheit Dinge erlebt wie die Finanzkrise oder auch ein Marktversagen im Rahmen des Medienwandels. Und insofern, denke ich schon, wird es ein Trend sein, der wichtiger werden wird.

Meyer: Also ganz am Anfang steht eine neue Idee für die Kulturförderung via Internet: Das Crowdfunding, die erste deutsche Online-Plattform für Crowdfunding in der Kultur ist jetzt gestartet, Startnext.de heißt diese Plattform. Wir haben mit dem Uni-Dozenten und Buchhandelsexperten Leander Wattig darüber gesprochen. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Wattig!