Autoritäre Bewegungen in Europa

Wir müssen über Faschismus reden

Führende AfD-Politiker während einer Demonstration in Berlin. Sie halten ein Banner mit der Aufschrift "Unser Land zuerst".
Auf der AfD-Demo in Berlin wurden Journalisten bei ihrer Arbeit behindert, ein Kamera-Team angegriffen. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Jean MW / Geisler-Fotopress
Ein Kommentar von Georg Diez |
Auf der AfD-Demo werden Passanten angepöbelt und Hände zum Hitlergruß erhoben. In Schweden legte das rechte Lager zu, in Italien hat eine Mussolini-Nostalgikerin die Wahl gewonnen. Hier kippt gerade etwas, meint Journalist Georg Diez.
Lange war der Faschismus vor allem in den Geschichtsbüchern daheim, Mussolini, Hitler, furchtsam verwahrt, sorgsam abgeschlossen, die Gegenwart schien immunisiert.
Irrtum: Seit einer ganzen Weile nun und sehr massiv in diesen Tagen ist der Faschismus wieder da. Er ist zum Beispiel auf den Straßen unterwegs – am vergangenen Wochenende in Berlin etwa, wo Tausende liefen und riefen: „Unser Land zuerst“.
Gerade hat die AfD ihr Ergebnis bei der Landtagswahl in Niedersachsen fast verdoppelt, auf elf Prozent nun. In Italien hat vor ein paar Wochen die Mussolini-Nostalgikerin Giorgia Meloni die Wahl gewonnen, kurz zuvor hat in Schweden die Partei der Schwedendemokraten massiv zugelegt und kontrolliert, wer die Regierung führt.

Aggression und faschistische Machteroberung

Hier kippt gerade etwas – und was wir erleben, unterscheidet sich von dem, was noch vor einiger Zeit als autoritäre oder rechtspopulistische Tendenzen bezeichnet wurde. Es ist radikaler, aggressiver, selbstsicherer – angetrieben durch die wachsende Ungleichheit, wachsende Ängste, größere gesellschaftliche Anspannung. Die AfD-Demonstration in Berlin am vergangenen Wochenende etwa hat gezeigt, wie Faschismus in der Praxis aussieht und auch im Alltag funktioniert.
Da war einmal diese extreme Aggression, die in die Straße getragen wird, ein Hauptschauplatz faschistischer Machteroberung. In Berlin sah man Menschen, die wahllos auf Passanten einbrüllten, die sie als Feinde sahen, als Gegner, die weg müssen. „Faules Pack, faules Pack“, riefen sie, was durchaus an die Arbeitslager der Nationalsozialisten oder anderer faschistischer Bewegungen erinnert.

Meinungsvielfalt wegbrüllen

Dazu die Attacken auf die Medien. In Schweden war es ein Vertreter der Schwedendemokraten, der sich darauf freute, „Journalisten-Rugby“ zu spielen. In Berlin formten sich immer wieder empörte Gruppen um Journalistinnen und Journalisten, die hier nur ihren Job machten.
Aber, und das ist ein weiteres Phänomen des Faschismus: Alles ist verdächtig, alles könnte manipuliert sein, alle können lügen. Wo die Wahrheit ist, das wissen allein die, die die anderen als Verschwörer anschreien. Die Vereinfachung der Welt und ihrer Widersprüche ist ein effektives Mittel faschistischer Bewegungen: Unterschiede werden weggebrüllt, Meinungsvielfalt und -freiheit werden weggebrüllt.

Wut und Wahn

Zur Wut kommt jetzt die Irrationalität – und hier liegt eine besonders große Gefahr. Die Wut mag in vielem verständlich sein, sogar berechtigt, nachvollziehbar. Es geht vielen Menschen schlechter, die wirtschaftliche Lage ist bedrückend für viele Menschen. Der Faschismus setzt genau hier an – und zündet den Funken, der sich über den Verstand erhebt.

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Damit, und auch das wurde in Berlin sichtbar, entziehen sich viele dieser Menschen dem Gespräch, sie weichen zurück in die Bastionen ihres eigenen Wahns. Das Völkische, das Rassistische, das Ausgrenzende sind verschiedene Varianten dieses Wahns. Gefährlich sind sie alle.

Doktrin der Angst und Ausgrenzung

Es ist, wie es der italienische Philosoph Antonio Gramsci genannt hat, eine „passive Revolution“, die sich hier vollzieht. Wo die Demokratie Vertrauen fordert und fördert, regiert im Faschismus das Misstrauen. Es ist eine Politik der Verachtung und des Verdachts, eine Doktrin der Angst und der Ausgrenzung. Kommt zur Angst die Not, Krieg, Rezession, Inflation, Energiepreisschock, Pandemie, dann wird es gefährlich.
Diese, nennen wir es Emotionen, sind erstmal keiner speziellen Partei zuzuordnen. Aber bestimmte Parteien fördern den Faschismus, bauen auf ihn, profitieren von ihm. Parteien, und dazu gehört die AfD, radikalisieren sich.
All das verbindet, was in Italien, in Schweden, in Deutschland passiert. Es bündelt sich zu einem Zeit-Phänomen und es wird bleiben. Es wird uns prägen. Es wird uns verändern. Es hat uns schon verändert.

Georg Diez (*1969) ist Journalist und Autor. Er arbeitete für das Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und war bis 2019 Kolumnist beim „Spiegel.“ Seit 2020 ist er Chefredakteur von „The New Institute“ in Hamburg, einer Plattform, die sich mit Fragen der ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Transformation befasst. Er ist außerdem Autor mehrerer Bücher.

Journalist und Buchautor Georg Diez, aufgenommen auf der Frankfurter Buchmesse 2016
© picture alliance / Frank May
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