Rechenschaft
Regie: Louis-Julien Petit, Darsteller: Isabelle Adjani, Corinne Masiero, Lyès Salem, Ola Rapace, Pablo Pauly, Arnaud Viard
Der Film kommt demnächst in französische Kinos und ist am 18.11.2016 ab 20:15 auf Arte zu sehen.
Wenn der Job unerträglich wird
Ein Psychothriller, der zutiefst verstört: "Rechenschaft" mit Isabel Adjani als Betriebsärztin zeigt die unhaltbaren Zustände der modernen Arbeitsgesellschaft am Beispiel eines Callcenters. Demnächst kommt der Film in die französischen Kinos – und läuft jetzt bereits auf Arte.
Carole: "Ich höre Ihnen zu, Vincent."
Arbeiter: "Können Sie sich vorstellen, jeden Tag von so einem Bengel gedemütigt zu werden?"
Arbeiter: "Können Sie sich vorstellen, jeden Tag von so einem Bengel gedemütigt zu werden?"
Carole Matthieu (in deren Rolle Isabel Adjani hier ganz und gar aufgeht) ist Betriebsärztin, hat ihre Praxis in der Stadt aufgegeben, um etwas Sinnvolles zu bewirken - nämlich die Mobbing- und Burnout-Opfer der ortsansässigen Firma Melidem wieder gesund zu machen. Aber man lässt sie nicht.
Carole: "Manche der Patienten brauchen Hilfe und Betreuung."
Personalchefin: "Hmm, man betreut jemanden, wenn man Psychologe ist. Sind Sie aber nicht. Hier noch mal die Vorschriften für Betriebsärzte."
Personalchefin: "Hmm, man betreut jemanden, wenn man Psychologe ist. Sind Sie aber nicht. Hier noch mal die Vorschriften für Betriebsärzte."
Jahrelange Warnungen der Betriebsärztin
Sieben Jahre lang hat Carole in diesem Betrieb also – nur gewarnt, sagt sie, in der Hoffnung, etwas auszurichten: Hat die Betriebsleitung gewarnt, die sich dafür natürlich nicht interessiert...
Krisenmanager: "Ah, verstehe. Ich habe das psychologische Zentrum angerufen. Das mit dem Menschlichen ist geregelt."
...und die Arbeiter, die aber Angst haben, sich krankschreiben zu lassen – selbst wenn sie vor die Hunde gehen.
Carole: "Sie leiden seit zwei Jahren an Magenbeschwerden und Schlafstörungen. Sie essen nichts mehr, Sie schlafen nicht mehr, treffen niemanden mehr. Vincent, was sollen wir jetzt tun?"
Gegen den Druck, unter dem die Mitarbeiter stehen, hat die Betriebsleitung Antistressbällchen verteilt, die die Opfer pausenlos kneten, während ihre Aufseher, hier "Manager" genannt, die Verkaufsgespräche kontrollieren. Und an der Wand leuchten auf einer Tafel die Punktzahlen, die sie ihren Telefonverkäufern zugestehen.
Arbeiterin 1: "Das sind ja Menschen am Telefon, das sind keine Roboter. Und ich bin nun mal keine Maschine."
Carole: "Und wie kommen Sie mit Ihrem Manager klar?"
Arbeiterin 2: "Er hat mich gezwungen, mir die Mitschnitte anzuhören, ist mir überall hin gefolgt, furchtbar, unerträglich, immer schrie er rum: Blöde Kuh! Hör dir die Aufnahme noch mal an! Hör dir die Aufnahme noch mal an!"
Personalchefin: "Das Mithören dient der Optimierung der Leistung, der Servicequalität. Sonst nichts!"
Arbeiterin 3: "Ich fühlte mich wie ein Stück Scheiße, ich war niemand."
Carole: "Und wie kommen Sie mit Ihrem Manager klar?"
Arbeiterin 2: "Er hat mich gezwungen, mir die Mitschnitte anzuhören, ist mir überall hin gefolgt, furchtbar, unerträglich, immer schrie er rum: Blöde Kuh! Hör dir die Aufnahme noch mal an! Hör dir die Aufnahme noch mal an!"
Personalchefin: "Das Mithören dient der Optimierung der Leistung, der Servicequalität. Sonst nichts!"
Arbeiterin 3: "Ich fühlte mich wie ein Stück Scheiße, ich war niemand."
Eine zeitgemäße Ebene des Film noir
Isabel Adjani hat selbst die Filmrechte an der Romanvorlage "Les visages écrasés" von Marin Ledun erstanden, die eine Serie von 35 Selbstmorden vor einigen Jahren bei France Telecom thematisiert. Und zusammen mit dem Regisseur Louis-Julien Petit, der bei Christopoher Nolan und Quentin Tarantino gelernt hat, betritt sie mit "Rechenschaft" eine zeitgemäße Ebene des Film noir.
Mit irritierenden Zeitsprüngen, unscharfen Bildern, verzerrten Dialogfetzen in Caroles Kopf zieht der Film den Zuschauer schwindelerregend in die zunehmende Verwirrtheit der Ärztin.
Arbeiter: "Carole, Sie müssen mir helfen. Das müssen Sie!"
Carole: "Sie müssen mir helfen. Das müssen Sie..."
Carole: "Sie müssen mir helfen. Das müssen Sie..."
Die immer gleichen Aussagen der gequälten Mitarbeiter wiederholen sich allmählich zu Kaskaden im Kopf der Ärztin, dann mischen sich die Zeitebenen, die äußere und innere Realität: Und die Inszenierung lässt einen nicht entweichen, nicht mal Luft holen. - Humor? Gibt es gar nicht, woher auch?
Und die verheulte, verstörte Carole zieht ihren langen dunkelroten Mantel gar nicht mehr aus, den sie wie eine Rüstung gegen eine Wirklichkeit trägt, aus der sie auch nicht mehr entfliehen kann.
Tochter: "O jetzt sieh dich doch bloß mal an! Du verbringst deine Zeit damit, Leuten zuzuhören, denen es beschissen geht, nur damit du dich gut fühlst. Wann kapierst du das endlich? Das bringt doch nichts, Maman. Es ist allen scheißegal, Maman!"
Die Verzweiflung wird unerträglich
Sogar als Zuschauer hält man diese Verzweiflung, Verletzung, Irritation durch dieses ganze Verkehrte kaum noch aus. Und dann taucht irgendwo eine Knarre auf, und das beklemmende Sozialdrama zieht die Schrauben der Angst noch mal an zum veritablen Thriller – ohne Action, aber mit Suspense – und der Druck wird immer unerträglicher. Und wir beginnen beinahe, mit Carole zusammen zu hyperventilieren.
Die Beklemmungen springen über aus den düsteren, trüben großartigen Bildern dieses Films: Kalte Flächen aus Glas und Beton, weite düstere Räume, draußen regnet es meistens, die verwirrende Realität zeigt sich zunehmend als Spiegelbild in den ausladendenden, aber leeren Fensterfronten – während der Betrieb im beengten Callcenter wie gewohnt weitergeht.
Arbeiterin 1: "Verdammt! Wenn man hier nicht 4,5 von 5 Sternchen hat, ist man ein Stück Scheiße..."
Arbeiter 2: "Das kann jederzeit wieder passieren."
Arbeiter 2: "Das kann jederzeit wieder passieren."
Und das tut es auch, weil es zum System gehört: Die Firma Melidem im Film steht dabei lediglich für den Zynismus der Evaluationsgesellschaft, in der nicht die Probleme der Menschen gelöst, sondern die Menschen den Problemen angepasst werden. Und wer das nicht aushält – tja.......
Manager: "Acht – sieben – sechs – fünf – vier – drei - zwei – eins – und los!"