Der Fischer im Roggen

Es ist reichlich abgedroschen, Romane über die Adoleszenz mit Salingers "Fänger im Roggen" zu vergleichen. Kaum bricht irgendwo ein jugendlicher Held aus Familienenge und Elternerwartung aus, schon heißt es, er erinnere an Salingers Helden Holden Caulfield. Alexander Osang hat es allerdings nicht anders gewollt.
Sein jugendlicher Held Robert Fischer aus Berlin-Friedrichshagen hat Salingers Werke im Gepäck, als er versucht, für ein Jahr in Manhattan zurechtzukommen. An selber Stelle ist ja auch schon Holden Caulfield an der Einsamkeit verzweifelt.

Robert ist in New York auf der Suche nach einem eigenen Leben. Er will weg von der Familie und hängt doch an seiner Herkunft, an den Eltern, mit denen er nichtige Telefonate führt, die er gleichwohl penibel protokolliert, und am jüngeren Bruder, der nach einem Drogenrausch in die Lethargie abdriftet.

Robert arbeitet in Manhattan für eine Detektei. Eigentlich sollte er am College studieren, doch das interessiert ihn nicht. So sitzt er in einem Kellerraum und schaut sich die Überwachungsbilder von Videokameras an, die an Wohnhäusern angebracht werden, um illegale Untermieter aufzuspüren. Die Tätigkeit, das Leben der Anderen zu inspizieren, wirkt wie ein unbewusster Schatten der ostdeutschen Stasigeschichte.

Doch Robert steht im Dienst des Kapitals und fühlt sich nicht wohl dabei. Sein Chef ist Jude und will ihn loswerden, weil er Deutsche nicht leiden kann. Auch in seiner jüdischen Gastfamilie wird Robert immer wieder mit seiner deutschen Herkunft konfrontiert. Die Annäherungsversuche an die attraktive Tochter des Hauses bleiben schüchtern.

Das Szenario ist durchaus interessant, doch Osang verliert bald die Lust daran und macht nichts daraus. Sein Roman ist voller Stoff - zu voll, denn seine Figuren bleiben undeutlich und das Geschehen äußerlich. Bevor sich etwas entwickeln könnte, flieht Robert auf eine kleine Insel vor Long Island, wo er bei allerlei Aussteigern ein neues Asyl erhält. Es ist eine Flucht ohne Ziel, ein Abbrechen aller Verbindungen hinter sich.

Ein eigenbrötlerischer Mann aus Ost-Berlin nimmt Robert auf, in dessen Haus er Fotos und alte Zeitschriften über John Lennon findet. Lennon soll, so die Insel-Legende, kurz vor seinem Tod einige Tage hier verbracht haben. Doch auch dieser Erzählstrang bleibt oberflächlich und ohne Konsequenz für die Erzählung.

Der Romantitel führt auf eine falsche Spur. Robert findet ein Thema, dem er nachgehen kann: mehr ist es nicht. Wichtiger ist seine sexuelle Initiation. Doch die grünäugige Frau, die mit ihm schläft, missbraucht ihn bloß, weil sie schwanger werden will. Für Robert, der geneigt ist, an die Liebe zu glauben, ein schwerer Schlag, der ihn in eine tiefe Krise stürzt. Er antwortet darauf damit, dass er zu schreiben beginnt. Vielleicht liegt darin das eigentliche Ziel der Geschichte, die so ratlos wirkt wie ihr orientierungsloser Held.

Osang, als Reporter der "Berliner Zeitung" und des "Spiegel" berühmt geworden und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, kann durchaus stimmungsvoll erzählen. Die Manhattan-Szenerie und die Welt der Insel-Aussteiger ist lebensnah gezeichnet und hat immer wieder starke Momente. Doch er verliert sich in den Einzelheiten und schreibt allzu vordergründig am "Fänger im Roggen" entlang - bis hin zur Heimkehr Roberts als lebensgefährlich Erkrankter, der sich in einem Krankenhaus am Müggelsee erholen muss.

Songtitel-Verzeichnisse vor jedem Kapitel, die zum Teil völlig bezugslos dastehen, sollen das Buch zum Pop-Roman aufpeppen. Ein Kapitel aus der Perspektive des Vaters, der sich in New York auf die Suche nach dem verschollenen Sohn macht, scheint ganz und gar verzichtbar. Am Ende steht eine Geschichte, die Robert auf der Insel verfasst hat - seine literarische Initiation. Das erinnert an Ingo Schulzes Roman "Neue Leben", der ebenfalls literaische Versuche des Helden mitlieferte.

Osang hat sich mit seinem Bemühen, einen neuen "Fänger im Roggen" zu schreiben, sichtlich übernommen. Dass der arme Robert Fischer auch noch das ganze symbolische Gepäck eines Menschen zu tragen hat, der aus dem Osten in den Westen aufbricht, wäre wohl auch für Holden Caulfield zu viel gewesen.


Rezensiert von Jörg Magenau

Alexander Osang: Lennon ist tot
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 288 Seiten, 17,90 Euro
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