Die Bilder von Julius Matuschik finden sich auf der Homepage zu seinem Projekt: www.moinundsalam.de – oder auf Instagram, wo er einen Kanal mit demselben Namen betreibt.
Das andere Bild des Islam
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Wenn "der Islam" in Medien bebildert werden soll, ist das Klischee schnell zur Hand: Kopftuch, Minarett, Männermassen im Gebet. Repräsentativ für muslimischen Alltag ist das nicht. Der Fotograf Julius Matuschik veröffentlicht deshalb andere Bilder.
"Was mir total gefällt, ist, dass auch Gesichter gezeigt werden – dass man einfach ein Gesicht zu diesem Menschen sieht."
"Mir ist natürlich sofort ins Auge gesprungen, dass allein das Stilmittel des Lichtes anders verwendet wird, dass es also keine dunklen Bildkompositionen sind, nichts, was ein aufziehendes Gewitter sozusagen im Licht erscheinen lässt, sondern ganz im Gegenteil sonnige Darstellungen, helle Tagesaufnahmen. Und vor allem: Vielfalt, Individualität muslimischer Existenz in Deutschland."
Eigentlich ganz alltägliche Bilder
Es sind Bilder, die einen innehalten lassen – gerade, weil sie so alltäglich sind: die Glaskuppel einer Moschee, die sich hinter einer Berliner U-Bahn ganz selbstverständlich in die Kulisse einfügt. Eine Gruppe Männer beim Fußballspielen, durch nichts als Muslime zu erkennen außer dem Wort "Imame" auf ihren Trikots. Ein Feuerwehrmann in Uniform, der auf dem Trittbrett seines Löschfahrzeugs Pause macht, die Augen geschlossen. Eine Tänzerin im Park, das T-Shirt im Sprung hochgerutscht.
Ein Jahr lang hat der Fotograf Julius Matuschik deutsche Muslime in ihrem Alltag fotografiert. Ich habe Julius im Rahmen eines Praxisfellowships der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft, die zur Goethe-Universität in Frankfurt gehört, kennengelernt. Wir beide setzen uns dort mit der Frage auseinander, wie Muslime in den Medien abgebildet werden.
Was mich an Julius‘ Bildern sofort fasziniert hat, ist, dass sie eine Normalität sichtbar machen, die es längst gibt – die man in den Medien aber selten sieht. Julius ist selbst kein Muslim, als Fotograf hat er aber immer wieder Muslime fotografiert: "Dadurch ging mir dieses Islambild, das vor allem visuell vermittelt wird, besonders auf den Keks, weil es halt wenig mit der Realität zu tun hat, die ich erleben durfte", sagt er.
Mediale Darstellungen zeigen oft Ausnahmen statt Alltag
Doch wie sieht es eigentlich aus, dieses problematische Islambild, von dem Julius spricht? Er hat versucht, das genauer zu beschreiben. Und ist für das Jahr 2018 alle Meldungen der Deutschen Presseagentur zum Thema Islam durchgegangen. Danach hat er sich angeschaut, wie verschiedene Onlinemedien diese Meldungen bebildert haben: "Ich glaube, sogar am häufigsten war ein Bild, wo Frauen Niqab getragen haben."
Der Niqab ist ähnlich wie die Burka ein Gesichtsschleier. In Deutschland tragen ihn Schätzungen zufolge höchstens ein paar Hundert Frauen. "Und dass eines der vierthäufigsten Bilder von diesem einen Jahr ein Bild dieser Minderheit ist, was überhaupt nicht repräsentativ ist, das war für mich einfach erschreckend."
Klischeebilder fördern falsche Verallgemeinerungen
Die anderen drei Bilder zeigten: einen Halbmond auf einem Moscheedach. Und, gleich zweimal: lange, gleichförmige Reihen von muslimischen Betenden, so fotografiert, dass ihre Gesichter nicht zu sehen sind.
Murat Kayman, muslimischer Jurist und Publizist, kennt solche Bilder zu Genüge. Er befürchtet, "dass damit auch eine einheitliche und sehr stereotype Betrachtung des Islam einhergeht und reproduziert wird – nämlich eben ‚des Islam‘ und ‚der Muslime‘ als geschlossen gedachte Gruppe oder Glaubensgemeinschaft, frei von jeglicher Individualität, quasi so roboterhafte dogmatische Ausführungen von religiösen Praktiken."
Dabei, sagt Kayman, beteten Muslime im Anschluss an das rituelle Gemeinschaftsgebet häufig noch alleine weiter. Man könnte also auch das fotografieren. Doch: "Eine solche Aufnahme eines Gebetes habe ich bislang noch nie erlebt, in meinen 47 Jahren als Muslim in Deutschland, und das bedeutet ja offensichtlich auch etwas."
Ein Bild wird falsch durch einen falschen Kontext
Häufig ist auch der Kontext problematisch, in dem die Bilder verwendet werden. Julius erinnert sich an einen Fall, "wo es um eine Newsmeldung ging: ‚Zahl der Salafisten steigt.‘ Und als Bild hat man eben auch wieder so ein Bild genommen, wo Muslime als Gruppen von hinten fotografiert gerade im Gebet sind. Das Problem an dem Bild war aber, dass das eine Ditib-Moschee in Hannover war, die da gezeigt wurde. Und die Ditib hat mit Salafismus halt überhaupt nichts zu tun. Also gar nichts."
Zwar gebe es an dem deutsch-türkischen Moscheeverband Ditib einiges zu kritisieren, sagt auch Murat Kayman, der früher selbst für die Ditib gearbeitet hat, jetzt aber als einer ihrer schärfsten Kritiker gilt: "Aber eine besondere Affinität und eine Bereitschaft, salafistisches Gedankengut zu pflegen und weiterzugeben, das habe ich als Problem bei der Ditib bislang nicht feststellen können."
Das rituelle Gebet, das praktizierende Gläubige fünfmal am Tag verrichten, mit Salafismus zu verbinden, findet er gleich doppelt problematisch. Zum einen, "weil es eben eine stigmatisierende Wirkung hat, wenn man eine betende Gemeinde zeigt, von der man überhaupt nicht weiß, welche Einstellung sie hat."
Und weil "da eine Gleichsetzung erfolgt, dass man also eine gedankliche Strömung des Islam, die sehr problematische Ansichten vertritt, gleichsetzt mit der Allgemeinheit einer betenden Gemeinde".
Mehr Allgemeinwissen und neue Symbolbilder
Wie kommt es zu solchen Assoziationen? Caroline Scharff, Bildredakteurin bei "ZEIT Online", sagt: Oft fehlten einfach die richtigen Bilder. Denn in den meisten Onlinemedien gibt es weder Zeit noch Geld, um für jeden Artikel einen Fotografen loszuschicken. Also greifen die Redakteure auf Symbolbilder aus Fotodatenbanken zurück. Noch wichtiger dürfte jedoch ein anderer Grund sein: "Ich glaube, es geht um fehlendes Hintergrundwissen über den Islam, über Muslim:innen in Deutschland. Es gibt kein gängiges Wissen, kein Allgemeinwissen, das man so schnell zu Rate zieht."
Und Julius? Der wirbt für seine Bilder mit einer Online-Reportage und einem Instagram-Kanal – und hofft, dass die Medien seine Bilder auch dann noch nutzen werden, wenn das Praxisfellowship im Sommer endet. Caroline Scharff zumindest ist sich sicher, dass das kein Problem werden sollte: "Ich glaube, jede Bildredaktion würde diese Bilder von Julius mit Kusshand nehmen und sehr gerne verwenden, weil sie einfach, glaube ich, das Bild auch zeigen, das die Bildredaktionen gerne zeigen möchten, aber durch die vorhandene Auswahl einfach limitiert sind."
Vielleicht interessiert sich ja sogar eine der großen Bildagenturen für die Bilder. Dann nämlich könnten die Fotos – die jetzt noch so ungewöhnlich wirken – zu dem werden, was sie eigentlich längst sein sollten: Symbolbilder für den Islam in Deutschland.