Der Freitod per Sterbehilfe ist keine Selbstverwirklichung

Von Andreas Krause Landt · 27.01.2012
Ein Recht auf Tod macht den Tod irgendwann zur Pflicht. Der Arzt hätte eine Pflicht, die Tötung zu vollziehen, der Patient den Druck, anderen nicht mehr zur Last zu fallen. Der Zeitpunkt der Sterbehilfe würde sich immer weiter nach vorn verschieben, meint Andreas Krause Landt.
Der Tod ist unser aller Schicksal. Wir mögen ihm von der Schippe springen, aber am Ende kriegt er uns doch. Seit einiger Zeit wird uns verheißen, wenigstens den Unwägbarkeiten des Sterbens zu entkommen – durch den Tod.

Das Sterben kann leidvoll sein, schmerzhaft und langwierig. Es kann belastend sein für die Familie und teuer für die Krankenkasse. Dagegen muss man doch etwas tun können! Lässt uns der Tod in seinem Vorfeld nicht einen Rest von Eigenmächtigkeit und Selbständigkeit? Diesen Rest macht das Wort »Sterbehilfe« ganz groß.

Es ist ein eigenartiges Wort. Es setzt einerseits jemanden voraus, der schwach und hilfsbedürftig ist. Dem hilflosen Patienten wird die Erlösung vom Leid verheißen: »Erbarmen hat der Arzt, der es macht«, sagte kürzlich eine Befürworterin der Sterbehilfe – natürlich gegen das Erbarmen Gottes gerichtet.

Andererseits versprechen die Anhänger der Sterbehilfe Freiheit und Selbstbestimmung. In ihrem Namen fordern sie den ärztlich assistierten und gesellschaftlich anerkannten freien Tod. Plötzlich hat die erbarmungswürdige Kreatur die Fähigkeit zu vollkommener Selbstbeherrschung.

»Sterben wollen ist keine Krankheit«, sagte Martin Ahrends kürzlich hier im Politischen Feuilleton. Durch die Sterbehilfe wird der Selbstmord zu einem heroisch-selbstbewussten Akt, der Beifall heischt und sich als vorbildliche Lösung empfiehlt. Auf einmal muss der Vorrang des Lebens sich rechtfertigen – das Leben muss sich rechtfertigen. Die Einführung einer gesetzlich kodifizierten Sterbehilfe würde voraussetzen, dass man in einer Situation äußerster Hilflosigkeit einen freien Entschluss fassen kann. Oder dass der einmal gefasste Entschluss im nicht vorhersehbaren Ernstfall gültig bliebe.

Naheliegender ist es, den Hilfsbedürftigen vor sich selbst zu schützen, da er womöglich nicht weiß, ob sein äußerster Wille auch morgen noch sein letzter ist. Naheliegender ist es auch, dem handlungsfähigen Selbstmörder Schwierigkeiten zu machen, auf dass er sich prüfe, ob er wirklich sterben will. Die Wechselfälle des Sterbens sind immer noch Wechselfälle des Lebens. Selbstverständlich muss dem Leidenden mit allen Mitteln geholfen werden. Mit allen Mittel der Schmerzlinderung und des Trostes. Um der Menschlichkeit willen muss aber gerade die Sterbehilfe verboten bleiben.

Alle Kultur lebt von Verboten. Es gibt Situationen, in denen ein Verbot um einer höheren Menschlichkeit willen übertreten wird. Es sind Fälle denkbar, in denen der Arzt vom obersten Gebot der Lebenserhaltung absieht. Dann verdient er unter Umständen ein mildes Urteil. Für Grenzfälle brauchen wir faire Gerichtsverfahren und gute Richter. Aber das Gebot der Lebenserhaltung muss bleiben. Ohne Güterabwägung aber, ohne das Bewusstsein, gegen das Sittengesetz zu verstoßen, gibt es keine gewissenhafte Selbstprüfung des behandelnden Arztes .

Denn was geschieht, wenn wir ein Recht auf Sterbehilfe schaffen? Wenn der Tod als Freitod, »Call a Suicide«, auf Bestellung ins Haus kommt? Wenn alle jederzeit sterben dürfen und können?

Ein Recht auf Tod machte den Tod unweigerlich auch zu einer Pflicht: Die Sterbehilfe würde eine Pflicht des Arztes schaffen, die Tötung zu vollziehen. Und früher oder später auch eine Pflicht des Patienten, seiner Umgebung nicht zur Last zu fallen. Der Zeitpunkt der Sterbehilfe würde sich immer weiter nach vorn verschieben. Wenn wir den Tod ernsthaft als Emanzipation von der Unwägbarkeit des Leidens betrachten, wozu dann überhaupt noch Leiden? Wozu dann noch Mitleid?

Wer nicht gepflegt werden muss, stirbt billiger. Wer niemanden pflegen muss, kann arbeiten und Beiträge in die Sozialversicherung einzahlen. Sterbehilfe würde sich rechnen. Vorübergehend. Die Bereitschaft, Leid zu ertragen, bei sich und anderen, die Bereitschaft, Leid zu überstehen und daran zu wachsen, würde abnehmen. Sterbehilfe wäre das Ende solidarischer, menschlicher Gemeinschaft. Der Tod wäre mächtiger als je zuvor.

Andreas Krause Landt, Verleger und Journalist, geboren 1963 in Hamburg, studierte in Heidelberg und Berlin Germanistik, Philosophie und Geschichte. Von 1997 bis 2008 Mitarbeiter der Berliner Zeitung. 1999 erschien sein Buch "Scapa Flow. Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte", 2010 "Mein jüdisches Viertel, meine deutsche Angst". 2005 Gründung des Landt Verlags in Berlin (www.landtverlag.de).
Andreas Lombard
Andreas Krause Landt© privat
Mehr zum Thema