Highlife auf den Gräbern
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Friedhöfe sind auch Orte des Artenschutzes. Inzwischen werden mancherorts gezielt auf Gräbern insektenfreundlichen Pflanzen angesiedelt, sodass Biene, Spinne und Ohrwurm auf ihre Kosten kommen. Kornblumen und Johanniskraut statt Grabplatte und Kiesel.
Günther Schröder lässt graue Kieselsteine durch seine Finger rieseln. Was er in der Hand hält, ist sogenannter Grabschmuck. Schmuck, der seinen Namen nicht verdient.
"Der absolute Albtraum ist die Komplettabdeckung mit einer Granitplatte", sagt er. "Aber gleich danach kommt natürlich auch diese Brechkieselabdeckung. Das ist einfach tot, da ist nichts, was darin lebt und leben kann."
Tot sollen die Gräber auf dem Friedhof in Suderburg auf gar keinen Fall sein. Im Gegenteil: Leben sollen sie anziehen. Günther Schröder ist Vorstandsmitglied der Kirchengemeinde am Ort und seine Passion ist das Thema Artenvielfalt. Der Friedhof soll möglichst vielen Insekten Lebensraum bieten, das ist seine Vision.
"Wir wollen einfach versuchen, auch den Leuten ins Bewusstsein zu bringen, dass sie hier was tun können. Auch auf ganz kleinen Flächen wie so einem Grab."
Im Kieselgrab krabbelt gar nichts
Der Friedhof Suderburg liegt an einer kleinen Dorfstraße am Rande des Ortes, im Grünen zwischen Feldern und Bäumen.
Überall summen geschäftig Insekten und aus den Bäumen dringt lautes Vogelgezwitscher. Ein friedlicher Ort, mit hochgewachsenen Hecken und Bäumen: Rotbuchen, Eichen, Birken, Kastanien, Platanen. Auf den meisten Gräbern blitzen mir prächtige Farben entgegen: kleine sonnengelbe und knallrote Blüten, große lila-blaue Glockenblumen.
Aber es gibt eben auch sowas wie das Kieselgrab. Nur ein paar Meter entfernt leuchten auf einem anderen Grab, das Günther Schröder sehr viel besser gefällt, die hellgelben Kelche der Nachtkerzen und der zierliche, krautartige lila Storchenschnabel. Bienen und Hummeln krabbeln im blühenden Lavendel und um die kleinen Kiefern herum.
"An einer kleinen Stelle ein Bodendecker, ansonsten sieht man verblühte Stauden, an anderer Stelle kommen schon wieder neue Stauden nach. Also ein Grab, wie man sich das in der Biodiversität so ein bisschen vorstellt, mit möglichst wenig Pflegeaufwand, viel Intensität, ganz vielen Farben, blau, gelb, rot, lila, und zu jeder Jahreszeit blüht irgendwas in diesem Beet."
Seit gut zehn Jahren setzt sich Günther Schröder für heimische Pflanzen wie den Storchenschnabel ein, mit Erfolg. Der Friedhof ist ein Biotop geworden, behauptet er. Ein Bollwerk gegen das Insektensterben. Ich will mich selbst davon überzeugen.
Ameisen, Spinnen, Erdkäfer, Hornissen auf winzigen Flächen
Direkt an der Kapelle ist ein dicht bewachsenes Grab, durch das ich mich hindurchwühle. Auf dem Boden krabbeln Ameisen und eine Spinne mit langen Beinen, eine Zitterspinne, wie ich sie auch auf meinem Dachboden finde. Dann ein kleiner, schwarzer Erdkäfer, der sich schnell unter ein paar trockene Halme rettet.
Als ich die Blätter des Frauenmantels zur Seite neige, schrecke ich eine Motte und Fliegen auf. Unter den Blättern, die den Grabstein überranken, sitzen glitschige Mini-Nacktschnecken, kleine und große Gehäuseschnecken, schwarzgelb gestreifte und braune. Und eine kleine schwarze Spinne seilt sich von meinem Mikrofon ab. Direkt über mir nehme ich lautes Summen wahr.
Es kommt von einem Hornissenschwarm in der Eiche. Die Hornissen fliegen eine offene Stelle in der Rinde an, aus der Baumsaft quillt. Eine herrliche Futterquelle für das Insektenvolk.
In meiner Nähe jätet ein Ehepaar eifrig Unkraut in einem Grab. Ich frage sie, ob ihnen aufgefallen ist, dass es ein besonders artenreicher Friedhof ist.
"Nicht wirklich," sagt die Frau. "Im Moment sehe ich zum Beispiel gar nichts."
Wir kommen ins Gespräch über das Insektensterben:
"Wir haben zum Beispiel vor drei Jahren zu Hause ein Insektenhotel gebaut. Damals vor drei Jahren war das ruckzuck ausgebucht. Da hatten wir Hunderte von Wildbienen. Dieses Jahr haben wir nichts. Gar nichts. Es kann vielleicht auch eine normale Schwankung sein, aber ich denke doch, es werden weniger."
Dass der Suderburger Friedhof zur Artenvielfalt beitragen kann, glauben die beiden nicht wirklich. Weil gemäht wird:
"Der Rasen wird hier mit Mäh-Robotern gemäht. Und das ist nicht gerade dienlich für Artenvielfalt. Da wird ja alles, was hier an kleinen Blumen auf dem Rasen wachsen würde, wird sofort abgesäbelt, das ist ja nicht gerade insekten- und bienenfreundlich."
Günther Schröder kennt die Kritik, kann aber damit leben:
"Die Roboter mähen, so hoch sie können, bis neun Zentimeter Höhe. Da wachsen niedrige Kleesorten. Es ist ein Kompromiss, weil man nicht überall Artenvielfalt haben kann."
Denn wenn das Gras zu hochsteht, kommt man nicht mehr gut an die Grabstellen heran. Dann beschweren sich andere.
Der Blumenladen ist Verbündeter
Ganz in der Nähe gibt es einen Laden, der auch Blumen für den Friedhof verkauft, erzählt Günther Schröder.
Wir machen einen kleinen Abstecher dorthin. Der kleine Laden liegt an einer befahrenen Hauptstraße. Als wir dort ankommen, regnet es in Strömen.
Elvira Müller ist die Ladeninhaberin – eine Verbündete von Günther Schröder. Drinnen wie draußen stapeln sich die Ladenartikel bis unters Dach. Von Batterien, Keschern, Werkzeugen und Teekannen bis zum Honigglas – hier gibt es fast alles. Auch ein paar bunte Blumen zum Auspflanzen:
"Das ist mit die kleinste und das ist die schlankste, aber sonst haben wir auch ganz unterschiedliche Vasen, weil wenn jemand hingeht, er hier gerne Frischblumen hinstellt. Zum Glück ist es bei uns überhaupt nicht üblich, dass Trockenblumen oder Kunstblumen auf den Friedhof gestellt werden. Denn das wäre zu den Steinen, denke ich mal, für uns der Gipfel."
Sie hält zwei unterschiedlich große, dunkelgrüne Grabvasen in der Hand. Sie sei keine Floristin, betont sie. Aber viele würden bei ihr etwas für Gräber kaufen. Manchmal mache sie auch die Trauerfloristik.
"Es geht jetzt auch viel in den Trauerschmuck, es gibt jetzt hier so Frauenmantel, der jetzt wächst, den wir dann auch zu der Zeit verarbeiten, viele Gräser, weil die Leute die Natur aufnehmen möchten."
Sie engagiert sich selbst seit 20 Jahren für die Artenvielfalt auf dem Suderburger Friedhof.
Neben der Ladentür unter dem Vordach stehen zwei Paletten. Darauf liegen, in weiße Folie gewickelt, Erdsäcke gestapelt.
"Das ist komplett torffreie Erde. Und das ist eben bio, also torfreduziert. Weil man die ja wegen des Torfabbaus nicht mehr nimmt."
Sammelgräber bieten große Flächen
Wir fahren wieder zum Friedhof.
Auf einer schlichten, dunkelbraun lackierten Holzbank sitzend beobachten wir einen der vier Mäh-Roboter. Ein bisschen erinnern sie mich an Staubsauger. Den ganzen Tag kriechen sie über das Gelände.
Es tröpfelt noch ein wenig, als Dagmar Hillmer um die Ecke kommt. Seit Herbst 2020 ist sie die Bürgermeisterin von Suderburg. Auf dem Friedhof pflegt sie gleich mehrere Gräber. Alle zwei Tage kommt sie hierher, vor allem, um die Gräber zu wässern.
An der Schöpfstelle hängen dunkelgrüne Gießkannen, von denen sie einige befüllt. Auf der Wasseroberfläche schwimmt ein zusammengenageltes Holzkreuz.
"Das ist ein Insektenrettungskreuz. Wenn hier nämlich Insekten ins Wasser fallen, können sie sich auf dieses Holzkreuz retten und können sich dann irgendwann wieder befreien."
Dagmar Hillmer hat sich ihren schwarzen Regenschirm über den Arm gehängt. Ihre dunkelbraunen langen Haare trägt sie zu einem Zopf gebunden. An ihren Ohrläppchen schimmern große Perlenohrringe. Sie führt mich zum Grab ihrer Patentante, unweit der Kapelle. Dagmar Hillmer kommt gerne hierher. Sie ist sichtlich bewegt.
"Ein Besuch auf dem Friedhof ist für mich hier in Suderburg nicht mehr so bedrückend."
Es ist eine große Grabfläche mit mehreren kleinen Feld-Grabsteinen darauf. Ein Sammelgrab. Es riecht nach Rindenmulch, der großzügig darauf verteilt ist. Die Fläche ist mit weißen, roten, lila und magentafarbenen blühenden Stauden bepflanzt.
"Ich lege meiner lieben Patentante jedes Mal, wenn ich komme, einen Stein hin. So weiß mein Onkel auch immer, dass ich da war."
Günther Schröder hat sich sehr für dieses große Sammelgrab eingesetzt. Grabflächen wurden damit konzentriert und sind einfacher zu bewirtschaften. Die vielen Stauden darauf blühen das ganze Jahr über und sind eine große Bereicherung für die Vögel und Insekten. Rechts vom Friedhofseingang gibt noch so ein großes Grab – für Urnen. Mit heimischen Stauden und Heide. Das Heidegrab sei inzwischen der "absolute Renner", sagt Günther Schröder schmunzelnd. Viele wollen ihre Lieben dort bestatten oder buchen bereits für sich selbst. Weil es eine Sammelgrabstelle ist, müssen die Nutzer sie auch nicht selbst pflegen.
Ein Milan gegen die Mäuseinvasion
Wegen des unbeständigen Wetters sind heute eher wenig Besucherinnen und Besucher auf dem Friedhof. Aber ab und zu kommt doch jemand vorbei.
"Ich habe jetzt hier das Grab meines Mannes und das soll blühen und grünen. Er war früher Jäger und ich hoffe, er freut sich."
Rita Bausch kämpft mit den Tränen. Im Herbst 2019 hat sie sehr plötzlich ihren Mann verloren. Die Hände hat sie auf den Griff ihres Regenschirms gestützt und lässt den Blick über das ordentlich gepflegte, bewachsene Grab schweifen. Darauf sind grüne Bodendecker und verschiedene Blüten – gut für Insekten. Ihre Tochter wollte gern, dass das Grab ihres Vaters richtig bepflanzt wird.
"Man geht hier drei, vier Mal in der Woche hin zum Gießen, um das zu erhalten, das macht viel Arbeit. Und so ein Grab kostet auch viel Geld, das ist teuer.
Und dann muss ja durchgeharkt werden und das Unkraut muss raus. ‚Nebenkräutern‘, heißt es ja heute. Unkräuter gibt es nicht. Nebenkräuter sind das."
Ein paar Schritte weiter, unter einer großen Birke, ist das Grab ihrer Schwiegereltern. Auf diesem Grab sind nur wenige Pflanzen: Christrosen und kleine Buchsbäume. Vor allem ist es mit Kieseln bedeckt. Pflegeleicht.
Die Sonne schiebt sich hinter der Wolkendecke hervor. Es wird warm und schwül. Der Friedhof riecht wie ein regennasser Wald. Günther Schröder zeigt mir das Grab seiner Eltern. In einer himbeerfarbenen Rose haben sich Wassertropfen gesammelt. Günther Schröder begutachtet sie mit kritischem Blick.
"Was hier zu sehen ist, sind die abgefressenen Spitzen der Rosen. Wenn da mal wieder ein Reh durchgestrichen ist, trotz der hohen Zäune, die hier drumherum sind, dann nehmen die auch mal gerne einen Leckerbissen mit."
Die Artenvielfalt lockt auch ungebetene Gäste an.
"Eigentlich ist es ja kein Ungeziefer, es ist einfach Leben. Wir hatten im letzten Jahr eine irre Mäuseplage hier. Jetzt hat sich ein Milan mit seinem Frauchen angesiedelt. Der kreist hier drüber und seitdem sind die Mäuse auffällig weniger geworden."
Den Milan würde ich zu gern beobachten – aber er zeigt sich nicht.
Urnenbestattungen haben deutlich zugenommen
Es ist Mittag geworden.
Wir setzen uns auf die Bank vor der Kapelle für ein kleines Picknick. Währenddessen höre ich einfach nur der Natur zu. Manchmal saust eine dicke Hummel vorbei.
Aus dem Vogelgezwitscher höre ich Wildtauben heraus und aus einiger Entfernung ruft ein Kuckuck. Und plötzlich hören wir ihn rufen: den Milan.
Er kreist über dem Feld gegenüber dem Friedhof. Günther Schröder hat ein Fernglas dabei. Vom Feldrand aus können wir den Milan beobachten. Ich erkenne deutlich sein Markenzeichen: den tief gegabelten Schwanz. Durch das Fernglas sehe ich, wie der Greifvogel ins Feld hinabstürzt, um seine Beute zu fangen – doch ohne Erfolg. Dann verschwindet er hinter den Eichen.
Zwischen zwei Grabreihen beobachte ich den Friedhofswart in der prallen Sonne. Hermann Müller hat viel zu tun. Gerade macht er sich an einem Grab zu schaffen.
"Hier bin ich gerade bei einer Grabstelle, die mit Steinen eingedeckt ist, darunter ist noch eine Folie", erklärt er. "Das versiegelt den Boden. Da kann kein Wasser eindringen, es kann kein Luftaustausch stattfinden. Im Prinzip ist das eine Versiegelung des Sarges unterhalb dieser Grabstelle."
Hermann Müller ebnet unter anderem Gräber ein, füllt eingefallene Stellen auf. Auch für das Ausheben von Gräbern ist er zuständig.
"Der Umsetzungsprozess des Körpers in der Erde, wenn da Bepflanzung drauf ist, geht sehr viel schneller vonstatten und setzt sich viel weiter um, als wenn ich da eine Platte drauflege oder Steine drauflege und das alles komplett dicht mache. Da passiert nichts. Und nach 30 Jahren, 40 Jahren, 50 Jahren kommen da teilweise Sachen hoch, die möchte niemand sehen müssen."
1300 Gräber gibt es auf dem zwei Hektar großen Gelände. Vor zehn Jahren wurden etwa zu 80 Prozent Särge bestattet. Das hat sich verändert: Heute sind es über 60 Prozent Urnenbestattungen.
Der Gesang der Amseln begleitet die Trauerfeiern
Pünktlich um 15 Uhr zur Kaffeezeit kommt Pastor Matthias Dittmar auf dem Fahrrad angeradelt. Wir haben uns verabredet. In seiner Fahrradtasche hat er frischen Kaffee und Kuchen mitgebracht – sogar auf echtem Ostfriesland-Porzellan. Die Tellerchen mit dem Kirsch-Schmand-Streuselkuchen hat er in weiße Frühstückstüten gesteckt.
Mit Blick auf die Gräber sitzen Matthias Dittmar, Günther Schröder und ich unter dem Vordach der Kapelle. Wieder sehen wir den Milan, der seine Kreise zieht.
Matthias Dittmar erzählt:
"Und mit allem, was wir hier hören, den Milan, meistens aber sogar die Amsel, die begleitet dann die Trauerfeier. Die Menschen sagen, ‚das war schön‘."
Während er redet, zwitschert es laut auf einem Ast hinter ihm.
"Die Amsel. Jetzt weiß sie, die hört mich jetzt und denkt, hier ist eine Beerdigung. Die fängt nämlich dann an und macht immer mit. Hier vorne im Baum sitzt die."
Den Kreislauf der Schöpfung spüren
Matthias Dittmar betrachtet den Friedhof als Lebensraum für Tiere und Menschen zugleich. Es sei ein Ort, der hilft. Der Menschen unterstützt, Frieden zu finden und Abschied zu nehmen.
"Weil ich hier einen Raum habe, wo ich trauern kann. Wo mich die Vögel und die Bienen trösten, also Gottes Schöpfung. Und wo ich erlebe, wie der Kreislauf der Schöpfung funktioniert."
Andächtig schaut Matthias Dittmar über die Bäume und Gräber vor der Kapellentür. Seit zehn Jahren ist er schon Pastor der St.-Remigius-Gemeinde in Suderburg. Rund 40 Beerdigungen macht er im Jahr. Die Natur – eine wichtige Begleitung für die Trauerfeiern:
"Wir kommen raus, der Himmel ist blau. Über uns schwebt ein Adler. ‚Und dass ich aufsteige, mit Flügeln, wie ein Adler.‘ Da gibt es einen Psalm. Dieses Empfinden, in der Natur Abschied von einem Menschen zu nehmen, das hat eine Art Zauber."
Der Friedhof als Biotop – die Idee verbreite sich am besten über Mund-zu-Mund-Propaganda. Und indem man Menschen zeigt, dass es funktioniert. Zum Beispiel bei einer Trauerfeier:
"Wir machen es einfach. Wir reden nicht darüber. In der Predigt, so wie ich es eben im Prinzip erzählt habe, das gehört somit dazu, das ist in dem Sinne keine Besonderheit. Und die Texte erzählen ja davon. Dass ich auffliege mit Flügeln wie Adler, und plötzlich ist da ein Adler, und dann kann man das nachvollziehen."
Es braucht viel ehrenamtliche Hilfe an diesem Platz. Ein fleißiger Helfer und Mitglied der "Gruppe Grüner Hahn" ist gerade zu uns gestoßen: Burkhard Drögemüller. Er hat früher in einer Grundschule Biologie unterrichtet. Zum Friedhof kommt er gern und regelmäßig – zum Beobachten. Er führt mich zu einer großen Fläche hinter den Gräbern, am östlichen Rand des Areals.
Eine hochgewachsene Wildblumenwiese breitet sich vor uns aus. Rote, blaue, weiße, gelbe und orangene Farbtupfer sind zwischen den Gräsern zu sehen. Verschiedene Bienen- und Hummelarten, dicke und ganz kleine Insekten tummeln sich mit vollbeladenen Pollenhöschen in den Blüten der Kornblumen, im Klatschmohn, in der Kamille, orangenen Schlafmützchen, Johanniskraut, Schafgarbe, weißem Fingerhut und dem blauen Natternkopf. Insgesamt sind es über 100 Sorten, die hier letztes Jahr im Herbst eingesät wurden. Mitten in der Wiese und am Rand stehen junge Birnen- und Apfelbäume, Eichen und Buchen. Es riecht nach Gras, nach Kamille und frischen Korn-Ähren. Letztes Jahr im Frühling, noch vor der Aussaat, hat Burkhard Drögemüller einfach mal gezählt, was sich an Wildblumen selbst ausgesät hatte.
"Das waren um die 50 verschiedenen Blütenpflanzen."
700 Insektenarten leben auf Weiden
Die Wildblumenwiese war vorher eine sogenannte Überhangfläche, eine ungenutzte Fläche. Nun wurde sie umgestaltet für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt.
"Ja, wir haben hier zum nächsten Acker hin eine Hecke gepflanzt. Mit verschiedenen Bäumen und Sträuchern, so ziemlich abgewechselt, alle fünf Meter etwa, einen Baum, zum Beispiel hier die Eiche. Dann auch einen Pflaumenbaum, dann daneben eine heimische Traubenkirsche, Pfaffenhütchen, viele Himbeeren. Die Wildhimbeeren, die werden auch gerne von Hummeln und anderen Insekten besucht. Es sind Blüten da zu verschiedenen Jahreszeiten."
Nebenbei erfahre ich, dass auf Weiden bis zu 700 Insektenarten leben.
"Im letzten Jahr war an der Hecke, die wir damals gepflanzt haben, eine ziemlich intensive Schmetterlingsgesellschaft da. Ich habe das Tagpfauenauge beobachtet, an den Disteln vor allem und dann verschiedene Arten Weißlinge."
Für die kleineren Insekten hat Burkhard Drögemüller extra etwas zum Nisten gebaut und in die jungen Bäume gehängt. Damit er es mir zeigen kann, müssen wir uns erstmal durch die hüfthohe Wiese kämpfen. Hier ist Zeckengefahr.
Biodiverse Mustergräber
Auch hohe Brennnesseln stehen hier. Ihre Blätter sind wichtige Nahrung für die Raupen des Tagpfauenauges. Mir pieksen sie in die Beine.
"Ich habe aus Holzresten kleine Abschnitte von so 30 Zentimetern gesägt und dann mit verschieden großen Bohrlöchern versehen, so vier, fünf, sechs, sieben Milimeter. Und ungefähr die Hälfte dieser Bohrlöcher sind verschlossen. Das heißt, die Bienen haben schon ihre Eier drin abgelegt und die Maden entwickeln sich. Ich sehe aber gerade, ein paar von den Löchern sind schon wieder geöffnet. Das heißt, die Biene ist schon ausgeflogen."
Meine Schuhe sind voller Halme und Samen von Gräsern. Von der Kapelle winkt uns Günther Schröder. Er ist im Gespräch mit seiner Schwiegertochter, die mit den beiden Enkeln vorbeigekommen ist, um ihn abzuholen.
Langfristig will Günther Schröder auf dem Friedhof Führungen anbieten. Und biodiverse Mustergräber als Inspiration anlegen.
"Ich denke, wir sind auf gutem Weg Vielfältigkeit in den Köpfen zu erzeugen. Also das Vorführen hier, das Zeigen, was wir auf dem Friedhof versuchen, das sollen die Nutzer mit eigenen Augen sehen, dass sowas möglich ist."