Der Frisör als Hobby-Detektiv

Die Münchener Bussi-Gesellschaft, Moskauer Künstlerkreise und der Züricher Geldadel – das sind die Milieus, in denen sich der neue Krimi von Christian Schünemann "Der Bruder" bewegt. Es ist ein Terrain, das nur so strotzt vor Klischeefallen.
Zumal auch der Ich-erzählende Protagonist Tomas Prinz, den wir bereits aus Schünemanns Debüt "Der Frisör" kennen, so manches Stereotyp bestätigt. Prinz ist ein Edel-Coiffeur, schwul, sanft, verständnisvoll - und damit auch für viele seiner vornehmen Kundinnen der engste Vertraute und beste Freund.

Andererseits hat der Spross aus besten Kreisen einige überraschende Aspekte aufzuweisen. Er führt eine Fernbeziehung mit dem Russen Aljoscha, der bescheiden in einer Moskauer Plattenbausiedlung bei der Großmutter haust. Tomas Prinz liest statt Lifestyle-Magazinen lieber Dostojewskij-Romane und geht zum Russisch-Kurs.

Außerdem lässt er sich schnell anrühren von einem jungen, leicht heruntergekommenen Mann, der eines Tages in seinem schicken Salon steht und behauptet, sein Halb-Bruder zu sein. Jakob Zimmermann heißt er - ein brotloser Künstler, der seinen Lebensunterhalt mit Wohnungsrenovierungen bestreitet und auf Vernissagen Wein ausschenken muss, weil seine Bilder keinen interessieren.

Als durch einen Kontakt Aljoschas diese Bilder eines Tages nach Russland verkauft werden, wird Jakob Zimmermann, der titelgebende "Bruder" plötzlich ermordet. Und damit gerät Tomas Prinz, wie schon im ersten Roman, in die Rolle des Hobby-Detektivs.

Die Aufklärung dieses Mordfalls macht allerdings auch in dieser zweiten Folge der "Friseur-Geschichten" nicht den Kern des Buches aus. So verzwickt und dramaturgisch spannend sich der Fall bis zum Schluss auch entwickelt - Schünemann legt den Akzent auf die Zeichnung der Figuren und der Milieus. Und diese liebevolle, detailreiche Ausstattung macht den Charme des Buches aus.

Vor allem der Protagonist Tomas Prinz überzeugt durch eine nuancierte Charakterisierung: Er macht der russischen Babuschka mit alten Lockenwicklern ebenso hingebungsvoll eine Frisur in ihrem schrottigen Plattenbau zurecht, wie seinen anspruchsvollen Jet-Set-Kundinnen im Münchner Salon mit neuester Schnitt- und Farb-Technik. Prinz verrät, was die missratenen Haarschnitte russischer Männer ausmacht, was ein perfekter "out-of bed look" ist und so manches andere Friseur-Geheimnis.

Jenseits dieser amüsanten, beiläufig und ironisch erzählten Details aus der Welt der Haare stehen die familiären Beziehungen der Familie Prinz im Zentrum: Zweifel und Hoffnungen angesichts des neu hinzugekommenen Familienmitglieds Jakob Zimmermann, auf den die Schwester und Mutter von Tomas Prinz ganz unterschiedlich reagieren.

Vor allem bei der Schilderung der Lebensverhältnisse dieser Mutter - einer Unternehmerin mit schlossähnlichem Anwesen in Zürich – gelingt es Christian Schünemann leider nicht, den breit ausliegenden Klischeefallen zu entgehen. Die klebrig-süßen Weihnachtstage des Söhnchens Tomas bei Mama zu Hause erinnern, ähnlich wie so manche Glamour-Episode im schicken München - an billige Tatort-Kulissen aus der Welt der Reichen und Schönen.

Vielleicht sollte der Autor bei der Wahl zukünftiger Krimi-Schauplätze stattdessen auf seine langjährige Wahlheimat Berlin zurückgreifen.

Rezensiert von Olga Hochweis

Christian Schünemann: Der Bruder - Ein Fall für den Frisör
Diogenes Verlag Zürich 2008
275 Seiten, 9,80 Euro