"Der Frust bei den Ärzten ist groß"

Andreas Köhler im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Im Streit um höhere Arzthonorare hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung KBV vor einem Scheitern der Schlichtung gewarnt. Der KBV-Vorsitzende Andreas Köhler sagte, der Frust der Mediziner sei inzwischen so groß, dass bei einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis auch Praxisschließungen möglich seien. Wenn sich jetzt nichts bewege, würde das System der Kassenärztlichen Vereinigungen von den Vertragsärzten in Frage gestellt.
Hanns Ostermann: Viel Zeit zum Nachdenken und Verhandeln bleibt nicht mehr. Die Frist läuft aus: Bis Ende August müssen sich Kassenärzte und gesetzliche Krankenkassen über die Vergütung geeinigt haben, sonst entscheidet das Bundesgesundheitsministerium. Derzeit beträgt das Budget rund 23 Milliarden Euro. Für das kommende Jahr sollten 2,3 Milliarden hinzukommen, empfiehlt angeblich der Schlichter, Gesundheitsökonom Jürgen Wasem. Fast das Doppelte aber hatte ursprünglich die Kassenärztliche Vereinigung gefordert. Ihr Bundesvorsitzender Dr. Andreas Köhler ist jetzt am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Köhler.

Andreas Köhler: Guten Morgen.

Ostermann: Könnten Sie mit diesen rund 25 Milliarden Euro leben, oder würde da die Schmerzgrenze überschritten?

Köhler: Das ist das Mindestangebot, um einige Probleme in unserer ambulanten Versorgung zu beheben. Zumindest können wir etwas die Vergütungen der Vertragsärzte in den neuen Bundesländern anheben und wir können vermeiden, dass die Vertragsärzte in den alten Bundesländern sogar Honorarverluste haben. Aber unter diesem Angebot wird es nicht gehen.

Ostermann: Das heißt also, wenn heute die Parteien und Herr Wasem zusammenkommen und es in der Tat bei diesem Plus von 2,3 Milliarden Euro bleibt, dann wird auch überhaupt nicht mehr an Streik gedacht?

Köhler: Das können wir nicht beeinflussen. Zumindest würden wir, da wir Körperschaften sind und eigentlich die Versorgung sicherstellen müssen, auf die Ärzte hinwirken, dass sie das nicht tun. Aber der Frust bei den Ärzten ist so groß und in den letzten Jahren noch gestiegen, dass man mit einer sehr hohen Erwartungshaltung auf das heutige Ergebnis schielt. Wenn das nicht zufriedenstellend ist, werden die Ärzte ihren Frust irgendwie äußern, und das kann dann auch zu Praxisschließungen und Streiks führen. Wir wollen das nicht. Wir wollen das vermeiden, brauchen aber ein akzeptables Ergebnis.

Ostermann: Es geht bei den Verhandlungen - Sie haben das eben angedeutet - ja auch um eine möglichst gerechte Verteilung des Budgets unter den Ärzten. Ein Riesenproblem! Das Nord-Süd-Gefälle gibt es, die Unterschiede bei den Fachärzten: Radiologen, Orthopäden, Chirurgen, sind in der Regel die guten Verdiener. Allgemeinmediziner, Neurologen und Psychiater haben eher geringe Einnahmen. Muss da nicht zwangsläufig ein für alle faires Gehalt auf der Strecke bleiben?

Köhler: Nein, weil wir mit dieser Vergütungsreform, wenn sie denn heute beschlossen wird, zum Januar 2009 eine völlig neue Verteilung der Honorare beginnen, die doch etwas sachgerechter und transparenter ist, die Interessenskonflikte zwischen Haus- und Fachärzten begradigt und immer noch auch die Umverteilungseffekte zwischen den Bundesländern minimiert.

Ostermann: Und trotzdem bleibt ja der Vorwurf, es gibt die reichen Ärzte - ich habe die Gruppen genannt; auch Sie als Chirurg liegen in der oberen Gruppe - und es gibt die weniger wohlhabenden, die sich zwangsläufig wie ein Psychotherapeut, ein Neurologe mehr Zeit für die Patienten nehmen müssen. Da gibt es doch eigentlich keine gerechte Verteilung?

Köhler: Wir müssen, glaube ich, unterscheiden zwischen Umsatz und dem, was ich nachher als Ertrag habe. Da gehen die Praxiskosten ab. Ein Operateur, ein Radiologe hat hohe Investitionskosten, die weit über den Millionenbereich hinausgehen, und die müssen erstmal verdient werden und dann von dem Umsatz abgezogen werden. Wenn wir die Erträge betrachten, so ist die Streubreite der Erträge nicht mehr ganz so groß. Sie liegt zwischen 120.000 und 150.000, 160.000 Euro bei den Spezialisten, bei den hoch technischen Fächern, aber teilweise auch unter 80.000 Euro bis zu 40.000 Euro bei kleinen Praxen in der sprechenden Medizin. Das würden wir mit dieser Vergütungsreform etwas angleichen können.

Ostermann: Es war auch nicht meine Absicht, die Neiddebatte anzustoßen - überhaupt nicht. Aber der Teufel steckt in der Regel im Detail. Und Sie als Verhandlungsführer, Sie werden dann natürlich auch entsprechend gemessen von den Ärzten, die Sie vertreten, etwa 130.000. Sie haben eben die Hausärzte angesprochen. Das Verhältnis zu den Fachärzten ist ja nicht ganz einfach. Wie ein Lotse könnten die Allgemeinmediziner den Patienten führen, auch um Kosten zu sparen. Das sieht die Gesundheitsreform vor. Wie bewerten Sie diese Rolle des Hausarztes?

Köhler: Wir stehen zu dieser Rolle des Hausarztes. Wir wollen eine Förderung der hausärztlichen Versorgung. Die muss wohnortnah sein und deswegen müssen insbesondere die Hausärzte auch eine spürbare Verbesserung ihrer Honorare vorfinden. Das brauchen wir aber auch für die wohnortnah agierenden Fachärzte. Da gibt es keinen großen Unterschied.

Für uns ist wichtig, dass wir die unterbesetzten Regionen, die unbesetzten Arztsitze insbesondere in den neuen Bundesländern wieder besetzen können. Da spielt das zu erwartende Einkommen eine ganz große Rolle. Mit dieser Vergütungsreform werden wir es schaffen, in den neuen Bundesländern annähernd an vergleichsweise gute Honorare wie in den alten Bundesländern zu kommen.

Was macht denn Mecklenburg-Vorpommern, wenn es in einer Region 16 unbesetzte Hausarztsitze hat? Wie sollen wir Ärzte noch dahin bekommen? Das ist schon wichtig. Und wenn es heute gelingt, dass wir die Trennung weiter fortführen können - Trennung heißt, dass wir den Hausärzten einen festen Vergütungsanteil geben -, dann ist das ein ganz entscheidender Schritt.

Ostermann: Sie kämpfen nicht nur um eine gerechte Verteilung dieses Budgets unter den Ärzten. Sie kämpfen ja in gewisser Weise auch in eigener Sache. Immerhin in Baden-Württemberg haben Hausärzte mit der dortigen AOK Verträge geschlossen. Da stehen Sie von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung draußen vor der Tür. Also besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich möglicherweise irgendwann selbst überflüssig machen, wenn sich jetzt nichts bewegt und Sie zu einer Lösung kommen?

Köhler: Wenn sich jetzt nichts bewegt, dann ist das so, dass das System der Kassenärztlichen Vereinigungen von unseren Vertragsärzten sehr stark in Frage gestellt wird. Andere Verträge sind möglich und ja, das steht dann auch im Raume, dass wir über die Zeit hinweg als Kassenärztliche Vereinigung in Frage gestellt werden.

Es gilt aber immer eines zu bedenken: Wir sind nach wie vor der Garant für eine flächendeckende Versorgung. Jeder Arzt kann immer wieder zu uns zurückkehren. Wir sind ein Sicherheitsnetz für die Patienten und für unsere Ärzte. Je stärker das jetzt ausgehöhlt, zerschnitten wird, desto stärker steht zu befürchten, dass es dann dieses Sicherheitsnetz nicht mehr gibt. Das ist die heutige Kernfrage, die es zu lösen gilt.

Ostermann: Herr Köhler, danke für das Gespräch heute Früh. Sie haben zwei heiße Tage vor sich. Dr. Andreas Köhler war das, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.