Cees Nooteboom "Mönchsauge. Gedichte."
Aus dem Niederländischen von Ard Posthuma
Zweisprachige Ausgabe, mit Bildern von Matthias Weischer
Suhrkamp 2018, 128 Seiten, 24 Euro
Lyrik, in der man Wind und Wasser spürt
Inseln sind für Cees Nooteboom eine Inspirationsquelle - zum Beispiel Schiermonnikoog in den Niederlanden. Hier, und auf Menorca, seien die Verse für seinen neuen Gedichtband "Mönchsauge" fast "wie aus dem Nichts entstanden", erzählt der Schriftsteller bei einer Begegnung in Heidelberg.
Vor wenigen Jahren verbringt Cees Nooteboom einige Tage auf der westfriesischen Insel Schiermonnikoog. Der niederländische Dichter ist regelrecht eingenommen von der Insel. Es ist Winter: "Dann ist es kalt und nicht so angenehm, aber sehr schön, die Nordsee sehr wild. Das war eine wunderbare Atmosphäre. Und T. S. Eliot hat gesagt: Es gibt eine Zeit, in der die Gedichte nicht einfach mehr kommen. Aber dann kamen sie doch. Und dann nachts habe ich das erste geschrieben. Und dann habe ich gespürt: Hier habe ich etwas", so Nooteboom.
Wie aus dem Nichts seien die Gedichte entstanden. Und mit ihnen eine ungewöhnliche Form: drei Strophen à vier Verse und am Ende ein Vers mit halber Länge, der dafür umso stärker, oft als Pointe, als überraschende Wendung. Später schreibt Nooteboom den Zyklus weiter auf Menorca, um schließlich für das Ende des Bandes noch einmal nach Schiermonnikoog zurückzukehren. Ein sehr konkreter Lyrikband, in dem man Wind und Sand zu spüren glaubt und der doch gleichzeitig getragen ist von Metaphysik und Meditation.
Zeichnungen und Gedichte sind eine Einheit
In einem Heidelberger Hotel will eine Mitarbeiterin in Cees Nootebooms Zimmer die Minibar mit Mineralwasser auffüllen. Gerade als der Schriftsteller vom Archaischen der beiden Inseln schwärmt und vom Künstler Matthias Weischer, der den Band "Mönchsauge" mit seinen Zeichnungen illustriert hat. Tatsächlich ergänzen sie und die Gedichte sich wunderbar zu einer Einheit. Cees Nooteboom, bald 85, hat die Beine übereinandergeschlagen und wippt mit einem Fuß im Takt des Versmaßes:
Auf dem Dünenpfad begegnete ich meiner Mutter,
doch sie sah mich nicht. Sie sprach mit einer anderen
Dame, und ich hörte sie sagen, jedermann
finde sie hier nett.
Dass sie wirklich war, erkannte ich am Geräusch
vom Muschelbruch unter ihren Füßen.
Danach sah ich auch meinen Bruder und den Halbbruder,
unterwegs mit derselben Vergangenheit wie ich,
Chaos und Unruhe. Die Nordsee hatte wilde Schaumkronen,
der Strand war verlassen. Meine Brüder waren durchsichtig.
Ich sah den Pfad durch sie hindurch. Jetzt einen Schatz finden,
einen angeschwemmten Walfischzahn, oder Gold,
und alles würde gut.
Traum- und Trugbilder auf den Inseln
Auf den Inseln erscheinen dem lyrischen Ich wie dem Dichter längst verstorbene Familienmitglieder, ein alter Freund und auch die erste Liebe. Bis ihre Stimmen im Meeresrauschen untergehen, ihre Körper in Luft und Licht immateriell werden. Traum- oder Trugbilder aus der Wirklichkeit nennt Nooteboom das. Fiktive Verse, die sich doch aus Erlebtem speisen. "Das ist natürlich sehen in der Imagination. Und dann habe ich auch über meine eigene Vergangenheit nachgedacht: Krieg, geschiedene Eltern. Da kamen einfach diese Bilder und diese Gedanken darüber, wer man am Ende ist", sagt der Dichter.
Derjenige, der seinen Vater nie richtig kennengelernt hat, weil der im Zweiten Weltkrieg starb. Der Sohn, der nicht einmal weiß, wo die Gebeine des Vaters liegen. Das liest man heraus aus dem wohl bildmächtigsten dieser 33 oft melancholischen Gedichte. Das über den Vater ist Nooteboom so wichtig, dass er es auch auf Niederländisch vorliest:
"ik val uit mijn schilderij
en kijk om naar de schilder, hij heeft mijn
hand nog niet af,..."
Der Dichter meidet jede Ablenkung
Es klingelt im Hotelzimmer: "God! Aber Jesus! Ist das nun wieder die Dame mit Wasser?", fragt Nooteboom.
Nun ein anderes Zimmermädchen. Cees Nooteboom nerven solche Unterbrechungen. Wenn möglich, meidet er jegliche Ablenkung. "Ich bin nicht in Facebook. Ich bin nicht auf Twitter. Ich habe kein Mobiltelefon. Also diese totale Ablenkungspraxis, die so viele Menschen zerstreut – da bin ich froh, dass ich das nicht habe. Und vor allen Dingen auf Inseln bin ich davon befreit", erzählt Nooteboom.
Ruhe braucht man für die philosophischen Fragen, die Nooteboom aufwirft. Und das in bestechenden, tief empfundenen unprätentiösen Versen. Wann und wo beginnt letztlich ein Gedicht? Warum lassen uns die Toten nicht los? Woher kommen und wohin gehen wir? Und was bleibt von unserem Leben?
War dies alles? Und dazu noch Orion, hoch
und geschändet, dein Freund in diesem einzigen
Dasein. Er tastet sich blind in der Finsternis
zum Geräusch vom Meer, in dem sein Hund
ertrunken ist.
Das Geräusch vom Meer,
das Geräusch vom Meer,
das Geräusch vom Meer