Der Geist aus der Materie
Der amerikanische Neurowissenschaftler Eric Kandel ist der bedeutendste Gedächtnisforscher unserer Zeit. Als Kind vor den Nationalsozialisten in Österreich geflohen, hat seine eigene Lebensgeschichte ihn dazu motiviert, die Mechanismen des Erinnerns zu enträtseln. Dass Denken und Erinnerung von biochemischen Prozessen getrieben werden, Geist also aus Materie besteht - das ist seine sensationelle Erkenntnis. Heute wird der Nobelpreisträger 80 Jahre alt.
Als Eric Kandel im Jahr 2000 den Medizinnobelpreis erhält, sind die meisten seiner Forscherkollegen nicht überrascht. Seine Arbeiten über das Gedächtnis sind so grundlegend, dass sie mittlerweile in jedem Schulbuch nachzulesen sind. Nur der Preisträger selbst hat nicht mit dieser Ehrung gerechnet.
"Am 9. Oktober achtet man natürlich darauf, in guter Verfassung zu sein - das kann ich Ihnen sagen. Aber in diesem Fall hatte ich wirklich keine Insider-Informationen. Es gibt Bereiche in der Biologie, die so weit fortgeschritten sind und in denen so hervorragende Arbeiten geleistet wurden, dass ich es kaum glauben kann, dass sie nicht ausgezeichnet wurden."
In einer Autobiografie schreibt der Hirnforscher, dass eigentlich nichts in seinen frühen Jahren darauf hingedeutet habe, dass er sich einmal für Biologie interessieren würde. Geboren am 7. November 1929 als Sohn eines Spielwarenhändlers in Wien, werden ihm von seiner Kindheit in Österreich vor allem die antisemitischen Übergriffe im Gedächtnis bleiben, denen er als Jude dort täglich ausgesetzt ist. Als nach dem sogenannten Anschluss an das Dritte Reich das Leben in Wien zu gefährlich wird, überquert er in Begleitung seines vier Jahre älteren Bruders 1939 den Atlantik. In New York warten die Großeltern. Die Eltern kommen erst ein Jahr später nach. Eric Kandel wird im Laufe der Zeit immer mehr zum Amerikaner und spricht nur noch selten Deutsch.
"Ich liebe Lernen und Gedächtnis. Es ist eines der Schlüsselprobleme der Biologie."
Doch es war nicht die Biologie, die Eric Kandels besonderes Interesse für die menschliche Erinnerung auslöste:
"Es ist schwierig, die komplexen Interessen und Handlungen eines Erwachsenenlebens auf bestimmte Erfahrungen in Kindheit und Jugend zurückzuführen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass mein späteres Faible für den menschlichen Geist - dafür, wie sich Menschen verhalten, wie unberechenbar ihre Motive und wie dauerhaft Erinnerungen sind - auf mein letztes Jahr in Wien zurückgeht. Nach dem Holocaust lautete ein Motto der Juden ‚Niemals vergessen!' Meine wissenschaftliche Arbeit widmet sich den biologischen Grundlagen dieses Mottos: den Prozessen im Gehirn, die uns zur Erinnerung befähigen."
Ein Stipendium der Harvard University nutzt Eric Kandel zunächst, um sich mit der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen. Als jedoch eine Kommilitonin in ihm das Interesse für die Psychoanalyse weckt, beginnt er mit 23 Jahren an der New York University ein Studium der Psychiatrie. Dort fesselt ihn schnell die noch junge Wissenschaft der Molekularbiologie. Seine Experimente an verschiedenen amerikanischen Forschungsinstituten bringen ihn immer mehr zu der Überzeugung, dass das Abspeichern von Erinnerungen etwas mit den Verbindungen zwischen Nervenzellen, den sogenannten Synapsen, zu tun hat. 1962 entdeckt er bei einem Forschungsaufenthalt in Paris die Meeresschnecke Aplysia als ideales Studienobjekt:
"Ich begann mich dafür zu interessieren, wie Lernen funktioniert und wie Erinnerungen abgespeichert werden. Ich dachte, dass sich das am besten in einem sehr einfachen System untersuchen ließe, und so kam ich zu Aplysia. Man muss sich ein sehr einfaches Verhalten heraussuchen und dann die neuronale Architektur dieses Verhaltens genau beschreiben. Dann braucht man nur zu beobachten, was passiert, wenn sich dieses Verhalten durch Lernen verändert."
Mit dem leicht zu beobachtenden Kiemenrückziehreflex der bis zu 30 Zentimeter großen Meeresschnecke macht Erik Kandel einfache Lernexperimente. Er stellt fest, dass durch das Lernen die Verbindungen zwischen Nervenzellen verstärkt werden. Dadurch können Impulse besser übertragen werden. Das funktioniert bei der Meeresschnecke nach demselben Prinzip wie das Lernen im menschlichen Gehirn. Die daran beteiligten biochemischen Prozesse beschäftigen Eric Kandel in seinem Labor an der New Yorker Columbia University noch immer:
"Ich bin nicht wie ein Picasso, eher wie ein Kandinski oder ein Mark Rothko. Ich meine, ich arbeite immer mit einer Idee. Ich probiere nicht ständig neue Sachen aus."
Inzwischen reicht es Eric Kandel allerdings nicht mehr, die Mechanismen der Erinnerung zu enträtseln. Er sucht eine Pille gegen das, was beinahe jeden Menschen ab dem 65. Lebensjahr heimsucht: das Vergessen.
"Mein Gefühl am Anfang war, dass Lernen und Erinnerung solche tiefen, schwierigen und faszinierenden Probleme darstellen, dass es einfach interessant sein würde damit zu beginnen und eigentlich fühle ich immer noch so."
"Am 9. Oktober achtet man natürlich darauf, in guter Verfassung zu sein - das kann ich Ihnen sagen. Aber in diesem Fall hatte ich wirklich keine Insider-Informationen. Es gibt Bereiche in der Biologie, die so weit fortgeschritten sind und in denen so hervorragende Arbeiten geleistet wurden, dass ich es kaum glauben kann, dass sie nicht ausgezeichnet wurden."
In einer Autobiografie schreibt der Hirnforscher, dass eigentlich nichts in seinen frühen Jahren darauf hingedeutet habe, dass er sich einmal für Biologie interessieren würde. Geboren am 7. November 1929 als Sohn eines Spielwarenhändlers in Wien, werden ihm von seiner Kindheit in Österreich vor allem die antisemitischen Übergriffe im Gedächtnis bleiben, denen er als Jude dort täglich ausgesetzt ist. Als nach dem sogenannten Anschluss an das Dritte Reich das Leben in Wien zu gefährlich wird, überquert er in Begleitung seines vier Jahre älteren Bruders 1939 den Atlantik. In New York warten die Großeltern. Die Eltern kommen erst ein Jahr später nach. Eric Kandel wird im Laufe der Zeit immer mehr zum Amerikaner und spricht nur noch selten Deutsch.
"Ich liebe Lernen und Gedächtnis. Es ist eines der Schlüsselprobleme der Biologie."
Doch es war nicht die Biologie, die Eric Kandels besonderes Interesse für die menschliche Erinnerung auslöste:
"Es ist schwierig, die komplexen Interessen und Handlungen eines Erwachsenenlebens auf bestimmte Erfahrungen in Kindheit und Jugend zurückzuführen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass mein späteres Faible für den menschlichen Geist - dafür, wie sich Menschen verhalten, wie unberechenbar ihre Motive und wie dauerhaft Erinnerungen sind - auf mein letztes Jahr in Wien zurückgeht. Nach dem Holocaust lautete ein Motto der Juden ‚Niemals vergessen!' Meine wissenschaftliche Arbeit widmet sich den biologischen Grundlagen dieses Mottos: den Prozessen im Gehirn, die uns zur Erinnerung befähigen."
Ein Stipendium der Harvard University nutzt Eric Kandel zunächst, um sich mit der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen. Als jedoch eine Kommilitonin in ihm das Interesse für die Psychoanalyse weckt, beginnt er mit 23 Jahren an der New York University ein Studium der Psychiatrie. Dort fesselt ihn schnell die noch junge Wissenschaft der Molekularbiologie. Seine Experimente an verschiedenen amerikanischen Forschungsinstituten bringen ihn immer mehr zu der Überzeugung, dass das Abspeichern von Erinnerungen etwas mit den Verbindungen zwischen Nervenzellen, den sogenannten Synapsen, zu tun hat. 1962 entdeckt er bei einem Forschungsaufenthalt in Paris die Meeresschnecke Aplysia als ideales Studienobjekt:
"Ich begann mich dafür zu interessieren, wie Lernen funktioniert und wie Erinnerungen abgespeichert werden. Ich dachte, dass sich das am besten in einem sehr einfachen System untersuchen ließe, und so kam ich zu Aplysia. Man muss sich ein sehr einfaches Verhalten heraussuchen und dann die neuronale Architektur dieses Verhaltens genau beschreiben. Dann braucht man nur zu beobachten, was passiert, wenn sich dieses Verhalten durch Lernen verändert."
Mit dem leicht zu beobachtenden Kiemenrückziehreflex der bis zu 30 Zentimeter großen Meeresschnecke macht Erik Kandel einfache Lernexperimente. Er stellt fest, dass durch das Lernen die Verbindungen zwischen Nervenzellen verstärkt werden. Dadurch können Impulse besser übertragen werden. Das funktioniert bei der Meeresschnecke nach demselben Prinzip wie das Lernen im menschlichen Gehirn. Die daran beteiligten biochemischen Prozesse beschäftigen Eric Kandel in seinem Labor an der New Yorker Columbia University noch immer:
"Ich bin nicht wie ein Picasso, eher wie ein Kandinski oder ein Mark Rothko. Ich meine, ich arbeite immer mit einer Idee. Ich probiere nicht ständig neue Sachen aus."
Inzwischen reicht es Eric Kandel allerdings nicht mehr, die Mechanismen der Erinnerung zu enträtseln. Er sucht eine Pille gegen das, was beinahe jeden Menschen ab dem 65. Lebensjahr heimsucht: das Vergessen.
"Mein Gefühl am Anfang war, dass Lernen und Erinnerung solche tiefen, schwierigen und faszinierenden Probleme darstellen, dass es einfach interessant sein würde damit zu beginnen und eigentlich fühle ich immer noch so."