Der Gier-Mensch als Geschöpf des 20. Jahrhunderts
Die Gier ist eine Erfindung aus der Zeit nach dem Kalten Krieg, und erst die Spieltheorie hat den Menschen zum Egoisten gemacht - das behauptet Frank Schirrmacher in seinem neuen Buch. Stichhaltige Belege für diese These kann der FAZ-Herausgeber jedoch nicht vorweisen.
Ausgerechnet einer der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", des Leib- und Magenblattes der Marktlibertären, sei nun unter die Finanzmarktkritiker gegangen. So heißt es ein wenig verwundert in den Besprechungen des Buches von Frank Schirrmacher.
Auf dem Umschlag steht in Großbuchstaben "Ego". Im Innern des O hängt ein Menschlein wie eine Marionette an Fäden und wird von einer unbekannten Kraft zu einer grotesken Verrenkung gezwungen. Bei dem Menschlein handelt es sich um den "homo oeconomicus". Schirrmacher nennt diese Gedankenfigur "Nummer 2", weil sie sich wie eine zweite Persönlichkeit der Seele der Menschen in der industrialisierten Welt bemächtigt habe.
"Das Mantra der neoklassischen Ökonomie war die Selbst-Konsistenz von Nummer 2, dem homo oeconomicus. Er konnte sich nicht widersprüchlich zu seinen eigenen egoistischen Antrieben verhalten; selbst als Altruist dient er dem Eigennutz."
Als jene unbekannte Kraft, die die Marionette bewegt, sieht Schirrmacher die Spieltheorie. Sie gehe davon aus, schreibt der Autor, dass sich Menschen in der Wirklichkeit wie in einem Spiel rational verhalten. Die Spieler unterstellten ihrem Gegner jeweils rein eigennützige Motive. Entwickelt worden sei die Spieltheorie von Physikern in den Vereinigten Staaten während des Kalten Krieges. Man wollte mit ihrer Hilfe voraussagen, wie die Russen in einer Konfrontation reagieren würden.
Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes seien die arbeitslos gewordenen Spieltheoretiker in die Investmentbanken und Anlagefonds gewechselt. Dort hätten sie mit ihrem Menschenbild vom rational und eigensüchtig handelnden Akteur den "homo oeconomicus" erst geschaffen.
"Das Problem ist, dass die Theorie nicht nur Handeln beschreibt, sondern Handeln erzwingt, sie ist nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ. Sie postuliert nicht nur Egoisten, sie produziert sie."
Auf dem Umschlag steht in Großbuchstaben "Ego". Im Innern des O hängt ein Menschlein wie eine Marionette an Fäden und wird von einer unbekannten Kraft zu einer grotesken Verrenkung gezwungen. Bei dem Menschlein handelt es sich um den "homo oeconomicus". Schirrmacher nennt diese Gedankenfigur "Nummer 2", weil sie sich wie eine zweite Persönlichkeit der Seele der Menschen in der industrialisierten Welt bemächtigt habe.
"Das Mantra der neoklassischen Ökonomie war die Selbst-Konsistenz von Nummer 2, dem homo oeconomicus. Er konnte sich nicht widersprüchlich zu seinen eigenen egoistischen Antrieben verhalten; selbst als Altruist dient er dem Eigennutz."
Als jene unbekannte Kraft, die die Marionette bewegt, sieht Schirrmacher die Spieltheorie. Sie gehe davon aus, schreibt der Autor, dass sich Menschen in der Wirklichkeit wie in einem Spiel rational verhalten. Die Spieler unterstellten ihrem Gegner jeweils rein eigennützige Motive. Entwickelt worden sei die Spieltheorie von Physikern in den Vereinigten Staaten während des Kalten Krieges. Man wollte mit ihrer Hilfe voraussagen, wie die Russen in einer Konfrontation reagieren würden.
Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes seien die arbeitslos gewordenen Spieltheoretiker in die Investmentbanken und Anlagefonds gewechselt. Dort hätten sie mit ihrem Menschenbild vom rational und eigensüchtig handelnden Akteur den "homo oeconomicus" erst geschaffen.
"Das Problem ist, dass die Theorie nicht nur Handeln beschreibt, sondern Handeln erzwingt, sie ist nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ. Sie postuliert nicht nur Egoisten, sie produziert sie."
Schirrmacher spielt mit Metaphern und Anekdoten
Angesichts einer solchen These darf man nicht vergessen: Schirrmacher ist weder Wissenschaftler noch Ökonom. Er ist Feuilletonist. Für einen Feuilletonisten zählt vor allem die Schönheit eines Argumentes. Ob es sich auch empirisch gut belegen lässt, ist weniger wichtig. Ein Feuilletonist übertreibt, spitzt zu, wählt mit Sinn für Dramaturgie Zitate und historische Parallelen aus. Er spielt mit Metaphern und Anekdoten.
Das alles gelingt dem FAZ-Herausgeber hervorragend. Er lässt uns in die Hexenküche der Alchemisten blicken und macht uns mit Physikern, Investmentbankern und Technik-Vordenkern bekannt, die er als Kronzeugen seiner These vorstellt.
"Formeln, die die Ergebnisse ökonomischen Handelns vorhersagen und die wiederum bestimmtes ökonomisches Handeln erzwingen, sind nicht mehr nur Vermutungen, nicht einmal mehr Beschreibungen von Märkten, sondern sie erschaffen Märkte. Den Gesetzen, denen die Himmelskörper folgen, ist, wie Callon zu Recht hervorhebt, egal, ob wir an sie glauben oder nicht. Die erfolgreichsten Modelle bezogen sich ja selbst auf die Zukunft. Derivate legten Preise für Dinge fest, die es noch gar nicht gab."
Wenn der Leser die sprachlichen Volten und das Name-Dropping solcher Passagen einmal beiseite lässt, muss er sich fragen: Ist die These wirklich stichhaltig? So erwähnt Schirrmacher nur an einer einzigen Stelle – und das auch nur beiläufig, dass die Spieltheorie sehr wohl Kooperation zwischen den Beteiligten vorsieht.
Sie setzt also nicht auf einen ausschließlich egoistisch agierenden Menschen, selbst wenn er für sein Handeln egoistische Motive haben sollte. Im so genannten Gefangenendilemma, einem zentralen Teil der Spieltheorie, schneiden sogar jene Spieler am besten ab, die einander vertrauen.
Das alles gelingt dem FAZ-Herausgeber hervorragend. Er lässt uns in die Hexenküche der Alchemisten blicken und macht uns mit Physikern, Investmentbankern und Technik-Vordenkern bekannt, die er als Kronzeugen seiner These vorstellt.
"Formeln, die die Ergebnisse ökonomischen Handelns vorhersagen und die wiederum bestimmtes ökonomisches Handeln erzwingen, sind nicht mehr nur Vermutungen, nicht einmal mehr Beschreibungen von Märkten, sondern sie erschaffen Märkte. Den Gesetzen, denen die Himmelskörper folgen, ist, wie Callon zu Recht hervorhebt, egal, ob wir an sie glauben oder nicht. Die erfolgreichsten Modelle bezogen sich ja selbst auf die Zukunft. Derivate legten Preise für Dinge fest, die es noch gar nicht gab."
Wenn der Leser die sprachlichen Volten und das Name-Dropping solcher Passagen einmal beiseite lässt, muss er sich fragen: Ist die These wirklich stichhaltig? So erwähnt Schirrmacher nur an einer einzigen Stelle – und das auch nur beiläufig, dass die Spieltheorie sehr wohl Kooperation zwischen den Beteiligten vorsieht.
Sie setzt also nicht auf einen ausschließlich egoistisch agierenden Menschen, selbst wenn er für sein Handeln egoistische Motive haben sollte. Im so genannten Gefangenendilemma, einem zentralen Teil der Spieltheorie, schneiden sogar jene Spieler am besten ab, die einander vertrauen.
Die Schilderungen bleiben unhistorisch
Viele Ökonomen haben sich von der Vorstellung verabschiedet, der Einzelne handle stets nach den Prinzipien des "homo oeconomicus". Die Modelle der Verhaltensökonomik zum Beispiel berücksichtigen, dass Menschen irrational handeln, etwa aus Gewohnheit oder weil sie dazu verführt werden.
Schirrmacher ist mit seinem Buch nicht ins Lager der linken Systemkritiker gewechselt, wie einige Rezensenten mutmaßten. Seine Position bleibt die eines Konservativen. Während nämlich Linke glauben, in Zukunft werde alles besser, sind Konservative davon überzeugt, früher sei es nicht so schlimm gewesen wie heute.
Um diese Illusion aufrecht zu erhalten, muss der FAZ-Herausgeber in seinen Schilderungen unhistorisch bleiben. Natürlich: Er liefert dem Leser eine flott geschriebene kurze Geschichte der Alchemie als Metapher für die Umwandlung von Nichts in Gold. Damit verdeckt er jedoch, dass er für seine zentrale These keinerlei historische Belege liefern kann.
Ist die Gier wirklich eine Erfindung aus der Zeit nach dem Kalten Krieg? Hat erst die Spieltheorie aus den Teilnehmern am Spiel des Lebens Egoisten gemacht? Was ist mit dem großen Börsenkrach von 1873, lange vor Kaltem Krieg und Spieltheorie?
Damals, am Ende des Booms der Gründerzeit, herrschte in Europa die gleiche kapitalismuskritische Katerstimmung wie heute. Ein System der Gier war zusammengebrochen. Ähnliches geschah in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das Tulpenfieber – eine Spekulation auf Blumenzwiebeln – endete in einem Crash.
Weil Schirrmacher nicht ernsthaft nachweisen kann, dass Gier und Egoismus eine Erfindung der Spieltheorie sind, wirkt ziemlich hilflos, was er als Ausweg vorschlägt:
"Nach Lage der Dinge kann er nur darin bestehen, die Ökonomisierung unseres Lebens von einem mittlerweile fest in die Systeme verdrahteten Mechanismus des egoistischen und unaufrichtigen Menschenbildes zu trennen."
In anderen Worten: Wenn nur alle wieder moralisch und selbstlos handeln, ist die ganze Malaise bald vorbei. Mit einem solchen Rückgriff auf die gute alte Zeit ist der Konservative wieder ganz bei sich selbst.
Schirrmacher ist mit seinem Buch nicht ins Lager der linken Systemkritiker gewechselt, wie einige Rezensenten mutmaßten. Seine Position bleibt die eines Konservativen. Während nämlich Linke glauben, in Zukunft werde alles besser, sind Konservative davon überzeugt, früher sei es nicht so schlimm gewesen wie heute.
Um diese Illusion aufrecht zu erhalten, muss der FAZ-Herausgeber in seinen Schilderungen unhistorisch bleiben. Natürlich: Er liefert dem Leser eine flott geschriebene kurze Geschichte der Alchemie als Metapher für die Umwandlung von Nichts in Gold. Damit verdeckt er jedoch, dass er für seine zentrale These keinerlei historische Belege liefern kann.
Ist die Gier wirklich eine Erfindung aus der Zeit nach dem Kalten Krieg? Hat erst die Spieltheorie aus den Teilnehmern am Spiel des Lebens Egoisten gemacht? Was ist mit dem großen Börsenkrach von 1873, lange vor Kaltem Krieg und Spieltheorie?
Damals, am Ende des Booms der Gründerzeit, herrschte in Europa die gleiche kapitalismuskritische Katerstimmung wie heute. Ein System der Gier war zusammengebrochen. Ähnliches geschah in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das Tulpenfieber – eine Spekulation auf Blumenzwiebeln – endete in einem Crash.
Weil Schirrmacher nicht ernsthaft nachweisen kann, dass Gier und Egoismus eine Erfindung der Spieltheorie sind, wirkt ziemlich hilflos, was er als Ausweg vorschlägt:
"Nach Lage der Dinge kann er nur darin bestehen, die Ökonomisierung unseres Lebens von einem mittlerweile fest in die Systeme verdrahteten Mechanismus des egoistischen und unaufrichtigen Menschenbildes zu trennen."
In anderen Worten: Wenn nur alle wieder moralisch und selbstlos handeln, ist die ganze Malaise bald vorbei. Mit einem solchen Rückgriff auf die gute alte Zeit ist der Konservative wieder ganz bei sich selbst.
Frank Schirrmacher: Ego. Das Spiel des Lebens
Karl Blessing-Verlag, München 2013
352 Seiten, 19,99 Euro, als ebook 15,99 Euro
Karl Blessing-Verlag, München 2013
352 Seiten, 19,99 Euro, als ebook 15,99 Euro