Der größte Fabulierer unter den Reisenden
Ein Teil der Abenteuer und Fahrten Marco Polos gehört ins Reich der Legenden. Ebenso verhält es sich mit den Reiseberichten Ibn Battutas, die im Mittelalter extrem populär waren. Seine Geschichten zeichnen eine verzauberte, märchenhafte, magische Welt voll Wundergeschichten.
Der Fall Kapuszinski ist noch in guter Erinnerung: Dem großen polnischen Reiseschriftsteller wurde vorgeworfen, manches in seinen Reportagen erdichtet zu haben. Damit steht er in einer langen Tradition. Seit alters her mischt sich in Reiseberichten Dichtung und Wahrheit. Ein großer Teil der Fahrten und Abenteuer Marco Polos wird mittlerweile von den Forschern für eine Legende gehalten. Nun holen die Zweifel auch den rund einhundert Jahre jüngeren, sogenannten Marco Polo der Araber ein, Ibn Battuta (gest. 1368).
Ralf Elger, Professor für Islamwissenschaft in Halle, hat Ibn Battutas Reisebericht nun zum ersten Mal seit den siebziger Jahren neu übersetzt. In seinem Nachwort kommt er zu dem Schluss, dass Ibn Battuta die meisten der Gegenden, die in seinem Bericht beschrieben werden, gar nicht selbst gesehen hat.
Nun war die Annahme, Ibn Battuta erzähle vor allem Fakten, immer schon reichlich naiv. Soviel in seinem Buch von Wundern und übernatürlichen Erscheinungen die Rede ist, so wenig handfeste länderkundliche Fakten enthält er – nicht einmal solche, die auch im Mittelalter jedem, der in die erwähnten Länder reiste, hätten auffallen müssen. Bereits vielen seiner Zeitgenossen galt Ibn Battuta daher als Lügner. Ein Erfolg war sein Buch trotzdem, und zwar gerade weil es so viel Fiktion enthält. Nur deshalb kann es bis heute die Leser faszinieren.
Ibn Battuta zeigt uns weniger die Welt des Mittelalters als die mittelalterlichen Vorstellungen von der Welt. Er entwirft eine wahre Topographie islamischer Frömmigkeit. Die Welt, von der so berichtet wird, ist im wahrsten, Weber'schen Sinn des Wortes eine verzauberte, märchenhafte, magische. Schwebende Yogis kommen darin ebenso vor wie der legendäre Riesenvogel Roch, dem schon Sindbad der Seefahrer begegnet. Wundergeschichten muslimischer Heiliger dienen zur Erbauung, während die Warnung vor Afghanistan nichts an Aktualität verloren hat:
"Von Kabul aus nahmen wir den Weg nach Kirmasch, der sich schmal zwischen zwei Bergen dahinzieht, wo die afghanischen Wegelagerer ihr Unwesen treiben. Wir bekämpften sie den ganzen Weg über mit Pfeilen, während sie sich oben auf den Bergen verschanzten."
Historisch gesichert ist freilich der Erfolg des Werks. Zwar wissen wir nicht, ob Ibn Battuta von Abu Inan, dem Herrscher von Fes, dem das Werk gewidmet ist, den erhofften Lohn erhielt, aber über viele Jahrhunderte hinweg wurde der Bericht gelesen und immer wieder kopiert und bearbeitet. Die vorliegende deutsche Ausgabe hat nicht nur den Vorteil eines umfangreichen Apparats von Anmerkungen, Nachwort und Literaturhinweisen, sondern auch den, die Auswahl (etwa ein Drittel des Gesamttextes) nicht eigenhändig vorgenommen zu haben, sondern die eines Gelehrten aus Aleppo aus dem 17. Jahrhundert zu präsentieren und damit gleichsam ein doppeltes Original darzubieten, statt die sonst in allen Auswahlausgaben übliche herausgeberische Willkür walten zu lassen.
Nebenbei markiert diese Edition das Ende der Naivität der Islamwissenschaften in puncto Ibn Battuta. Noch 1990 heißt es in der Cambridge History of Arabic Literature, dass seine Reisen ihn zum "Titel eines der größten Reisenden der Geschichte" berechtigten. Heute müssen wir sagen: Er war einer der größten Fabulierer unter den Reisenden.
Besprochen von Stefan Weidner
Ibn Battuta: Die Wunder des Morgenlandes. Reisen durch Afrika und Asien Herausgegeben und übersetzt von Ralf Elger
C.H. Beck Verlag, München 2010
256 Seiten, 24,95 EUR
Ralf Elger, Professor für Islamwissenschaft in Halle, hat Ibn Battutas Reisebericht nun zum ersten Mal seit den siebziger Jahren neu übersetzt. In seinem Nachwort kommt er zu dem Schluss, dass Ibn Battuta die meisten der Gegenden, die in seinem Bericht beschrieben werden, gar nicht selbst gesehen hat.
Nun war die Annahme, Ibn Battuta erzähle vor allem Fakten, immer schon reichlich naiv. Soviel in seinem Buch von Wundern und übernatürlichen Erscheinungen die Rede ist, so wenig handfeste länderkundliche Fakten enthält er – nicht einmal solche, die auch im Mittelalter jedem, der in die erwähnten Länder reiste, hätten auffallen müssen. Bereits vielen seiner Zeitgenossen galt Ibn Battuta daher als Lügner. Ein Erfolg war sein Buch trotzdem, und zwar gerade weil es so viel Fiktion enthält. Nur deshalb kann es bis heute die Leser faszinieren.
Ibn Battuta zeigt uns weniger die Welt des Mittelalters als die mittelalterlichen Vorstellungen von der Welt. Er entwirft eine wahre Topographie islamischer Frömmigkeit. Die Welt, von der so berichtet wird, ist im wahrsten, Weber'schen Sinn des Wortes eine verzauberte, märchenhafte, magische. Schwebende Yogis kommen darin ebenso vor wie der legendäre Riesenvogel Roch, dem schon Sindbad der Seefahrer begegnet. Wundergeschichten muslimischer Heiliger dienen zur Erbauung, während die Warnung vor Afghanistan nichts an Aktualität verloren hat:
"Von Kabul aus nahmen wir den Weg nach Kirmasch, der sich schmal zwischen zwei Bergen dahinzieht, wo die afghanischen Wegelagerer ihr Unwesen treiben. Wir bekämpften sie den ganzen Weg über mit Pfeilen, während sie sich oben auf den Bergen verschanzten."
Historisch gesichert ist freilich der Erfolg des Werks. Zwar wissen wir nicht, ob Ibn Battuta von Abu Inan, dem Herrscher von Fes, dem das Werk gewidmet ist, den erhofften Lohn erhielt, aber über viele Jahrhunderte hinweg wurde der Bericht gelesen und immer wieder kopiert und bearbeitet. Die vorliegende deutsche Ausgabe hat nicht nur den Vorteil eines umfangreichen Apparats von Anmerkungen, Nachwort und Literaturhinweisen, sondern auch den, die Auswahl (etwa ein Drittel des Gesamttextes) nicht eigenhändig vorgenommen zu haben, sondern die eines Gelehrten aus Aleppo aus dem 17. Jahrhundert zu präsentieren und damit gleichsam ein doppeltes Original darzubieten, statt die sonst in allen Auswahlausgaben übliche herausgeberische Willkür walten zu lassen.
Nebenbei markiert diese Edition das Ende der Naivität der Islamwissenschaften in puncto Ibn Battuta. Noch 1990 heißt es in der Cambridge History of Arabic Literature, dass seine Reisen ihn zum "Titel eines der größten Reisenden der Geschichte" berechtigten. Heute müssen wir sagen: Er war einer der größten Fabulierer unter den Reisenden.
Besprochen von Stefan Weidner
Ibn Battuta: Die Wunder des Morgenlandes. Reisen durch Afrika und Asien Herausgegeben und übersetzt von Ralf Elger
C.H. Beck Verlag, München 2010
256 Seiten, 24,95 EUR