"Der größte Stilist der Filmgeschichte"
Am Donnerstag kommt ein neuer Film über Alfred Hitchcock in die deutschen Kinos. Warum ist dieser Regisseur derzeit wieder en vogue? Ein Gespräch mit dem Drehbuchautor Hans-Christoph Blumenberg über Hitchcocks Arbeitsweise und seinen Einfluss auf den zeitgenössischen Thriller.
Britta Bürger: Alfred Hitchcock – der Master of Suspense – ist einer der wenigen Regisseure, die es geschafft haben, dass man ihnen selbst ein eigenes Biopic widmet. Am Donnerstag kommt Sacha Gervasis Sicht auf Hitchcock in die deutschen Kinos. Im Mittelpunkt steht die Entstehung seines Klassikers "Psycho" und die konfliktgeladene Beziehung zu seiner Frau Alma Reville, ohne die, so suggeriert dieser Film, kein Hitchcock-Film so geworden wäre, wie wir ihn kennen.
Aber das ist nicht der einzige Film, der den legendären Hitch in den Mittelpunkt stellt: Schon Ende des vergangenen Jahres lief in den USA und in Großbritannien "The Girl", eine große Fernsehproduktion über Hitchcock. Warum also ist dieser Regisseur derzeit wieder so en vogue? Das wollen wir im Gespräch mit Hans-Christoph Blumenberg erörtern, dem Filmkritiker, der selbst seit vielen Jahren Drehbücher schreibt und auf dem Regiestuhl sitzt. Schönen guten Tag, Herr Blumenberg!
Hans-Christoph Blumenberg: Einen schönen guten Tag, Frau Bürger!
Bürger: Das neue Biopic "Hitchcock" und der Fernsehfilm "The Girl" – diese Figur Hitchcock scheint ja auf Filmemacher eine ganz besondere Anziehungskraft zu haben. Woran liegt das?
Blumenberg: Das liegt sicher unter anderem daran, dass der Einfluss von Hitchcock als Filmemacher, als jemand, der auch Bildsprache erfunden hat, weiterentwickelt hat, bis heute eigentlich reicht. Also man findet Hitchcock-Einflüsse auch noch im zeitgenössischen Thriller. Und natürlich war Hitchcock auch einer der ganz wenigen Regisseure, die als Figur präsent waren, die dem Publikum bekannt waren, weil er seit den 50er-Jahren seine eigene Fernsehserie, die auch in Deutschland gelaufen ist, "Alfred Hitchock presents", selber mit sehr skurrilen, vergnüglichen, schwarz-weißen Kurzfilmen eingeleitet hat. Also er war eine omnipräsente Figur. Also Menschen, die älter sind als 50, wissen einfach auch, wie der aussieht.
Bürger: Der große dicke Bauch.
Blumenberg: Der große dicke Bauch und der kleine Mann, ja.
Bürger: Der Film, der jetzt in unsere Kinos kommt, zeigt uns ja nicht den gesamten Werdegang, die Entwicklung von Hitchcock, sondern konzentriert sich auf die Entstehung des Films "Psycho". Lässt sich denn an diesem Beispiel zugleich ein Psychogramm des Regisseurs zeigen?
Blumenberg: Also zumindest, wenn es nach diesem Film geht. Hitchcock zu dieser Zeit, wir reden über das Jahr 1959, hat ein triumphales Jahrzehnt hinter sich mit riesigen Welterfolgen wie "Fenster zum Hof" oder "Der unsichtbare Dritte". Hitchcock beginnt, darüber nachzudenken, also immer laut der Interpretation dieses Films, mit 60 noch mal eine neue Herausforderung anzunehmen, nämlich einen kleinen, schmutzigen Schwarz-Weiß-Film zu machen mit einem geringen Budget, aber einem heiklen, gewagten Thema, einen Film über einen psychopathischen Massenmörder, also fast ein B-Picture.
Bürger: Warum sagen Sie klein und schmutzig?
Blumenberg: Ja, klein und schmutzig einfach weil sehr schnell gedreht, schwarz-weiß, also fast mit einer Fernsehästhetik, also klein und schmutzig ist da schon eine Kategorie, denke ich, die passt. Das Studio will diesen Film nicht haben, die wollen so einen glamourösen Hitchcock-Film haben, so was wie "Über den Dächern von Nizza" oder "Der unsichtbare Dritte", und er liegt von Anfang an im Streit mit der sehr strikten amerikanischen Zensur – es geht unter anderem natürlich um diese berühmte Dusch-Szene. Und Hitchcock sieht das mehr und mehr als Herausforderung, sich gegen all diese Widerstände durchzusetzen und zu beweisen, dass er auch in seinem Alter in der Lage ist einen neuen Start hinzulegen. Das ist das, was der Film erzählt.
Bürger: Und er beleuchtet wohl sehr intensiv Hitchcocks Beziehung zu seiner Frau Alma Reville. Ohne sie, so hat man hier den Eindruck, wäre seine Karriere anders verlaufen, und zugleich wird Hitchcocks obsessiver Umgang mit seinen Schauspielerinnen durch die Reaktionen seiner Ehefrau gespiegelt. Ist das Küchenpsychologie im Kino oder doch eine interessante, neue Perspektive auf die Figur Hitchcock?
Blumenberg: Na ja, es war nie ein Geheimnis, dass Hitchcock, als er in den 20er-Jahren seine Frau Alma Reville kennenlernte, ein unbekannter Regieassistent war und sie bereits eine etablierte Filmcutterin, und die beiden waren ein kongeniales Paar. Und es ist ganz sicher so, dass Hitchcock immer den Rat seiner Frau gesucht hat, und dieser Film ist auch eine Hommage an diese Frau. Der Film leistet sich etwas, was ich sehr schön finde, weil Frau Hitchcock, also Alma Reville, war eine kleine, unscheinbar aussehende Dame mit einer dicken Brille, und wer spielt sie? Eine der glamourösesten englischen Schauspielerinnen der Welt, nämlich die unvergleichliche Dame Helen Mirren, die überhaupt keine Ähnlichkeit hat mit der historischen Alma Reville, aber die das Charisma oder das Interesse dieser Figur ganz wunderbar widerspiegelt. Und das ist eigentlich der Charme dieses Films: Es ist eigentlich eine Ehegeschichte. Und es ist auch eine Geschichte, in der am Ende Hitchcock merkt, dass er diesen Film "Psycho" nicht ohne seine Frau zu Ende bringen kann.
Bürger: Über die Marke Hitchcock sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Hans-Christoph Blumenberg. Sie haben ja auch den Fernsehfilm "The Girl" gesehen. Wie ist das: Versuchen diese beiden Filme, Hitchcock jetzt noch mal ein Denkmal zu setzen, oder wollen sie ihn doch eher vom Sockel herunterstoßen?
Blumenberg: Sagen wir es so: Der Film von Sacha Gervasi ist eigentlich eher eine Hommage an den Meister, nicht ohne kritische Zwischentöne, aber es ist ein sehr humorvoller Film, der ziemlich liebevoll auch die Figur Hitchock zeigt. Der Film "The Girl" wiederum, der ein Jahr später spielt, zwei Jahre später spielt, nämlich während der Dreharbeiten zu dem folgenden Hitchcock-Film "Die Vögel", der beleuchtet das obsessive Verhältnis von Hitchcock zu seiner Hauptdarstellerin Tippi Hedren und zeigt Hitchcock doch als sehr sinistren, obsessiven, fast krankhaften Belästiger, der immer mehr diese Frau, die er aus dem Nichts geholt hat, bedrängt. Aber ich habe bei dem Film den Eindruck, dass der als Psychostudie nicht uninteressant ist, dass der mir aber doch in wesentlichen Teilen sehr spekulativ erscheint, nämlich: Wenn man sich daran erinnert, welches Verhältnis Hitchcock zu den meisten seiner Hauptdarstellerinnen hatte, von Ingrid Bergman bis hin zu Grace Kelly – er war mit denen bis zu deren Lebensende eng befreundet, und ich habe den Eindruck, dass der Film "The Girl" ein negatives Zerrbild von Hitchcock zeichnet, und dass der Film "Hitchcock" näher an der realen Figur dran ist.
Bürger: Die Regisseure der Nouvelle Vague waren ja auch besonders fasziniert von Hitchcock. Er selbst wollte davon wohl nichts wissen. In diesem Hitchcock-Biopic jetzt, da liegt er in der Badewanne, zerknüllt die "New York Times", als er darin einen Artikel über die Begeisterung der Autorenfilmer liest. Was ist denn das Autorenhafte an Hitchcock?
Blumenberg: Ein kennzeichnendes Merkmal des Autorenfilmers ist seine Unabhängigkeit, und Hitchcock hat es immer geschafft, also außerhalb dieses Studiosystems, auch als sein eigener Produzent zu fungieren, das heißt, er hat die komplette Kontrolle über seine Filme, er hat nichts dem Zufall überlassen. Und es gibt auch innerhalb dieses Werkes so viele Gemeinsamkeiten, Bezüge, also es ist ein sehr homogenes Werk, und das haben natürlich Leute wie Godard, Chabrol, Truffaut auch gesehen, und es gibt ja das berühmte Buch von Truffaut über Hitchcock, "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?".
Und es ist nicht so, dass Hitchcock diese Aufmerksamkeit nicht genossen hätte – im Gegenteil, er fühlte sich sehr geschmeichelt, dass diese jungen Franzosen ihn so verehrten, weil er auf der anderen Seite immer einen kleinen Minderwertigkeitskomplex mit sich herumschleppte, weil unter den ganz Großen des amerikanisch-angelsächsischen Kinos war er der Einzige, der nie einen Regie-Oscar gewonnen hat, und das war natürlich für ihn eine Art von Demütigung, die er nie verstanden hat.
Bürger: Was haben Sie selbst, Herr Blumenberg, eigentlich für ein Verhältnis zu Hitchcock? Welche Rolle spielten seine Filme in den späten 60er-Jahren für Sie damals als jungen Filmkritiker?
Blumenberg: Ich habe Hitchcock entdeckt als Schüler, als ich 12 oder 13 war, kam "Der unsichtbare Dritte" mit Cary Grant heraus. Damals hatte ich noch überhaupt keine Vorstellung, also so genau, wer Hitchcock war, aber das hat so eine doch lebenslange Faszination mit dem Mann und dem Werk ausgelöst. Und zu der Zeit, als ich noch Filmkritiker war – und ich habe aufgehört, Filmkritiker zu sein vor 30 Jahren, das ist lange her, ich habe meinen ersten Spielfilm 1984 gedreht –, hatte ich zwei Mal die Gelegenheit, den Meister interviewen zu dürfen anlässlich zweier seiner späten Filme, einmal in Düsseldorf, einmal in Cannes, und das waren schon tolle Begegnungen.
Bürger: Was haben Sie da noch in Erinnerung?
Blumenberg: Das Großartige an Hitchcock war: Ich sehe ihn noch wie einen Buddha in einem Düsseldorfer Hotelzimmer am Abend sitzen, er hatte den ganzen Tag Interviews gegeben und war müde, bemühte sich wie alle Profis natürlich immer noch darum, das nicht durchscheinen zu lassen, sagte, jetzt ist der Tag so weit, jetzt trinke ich einen, es wurde also ein sehr teurer Whiskey herangebracht, ich bekam auch einen ab, und er hatte dann, ich weiß nicht, eine Viertelstunde für mich, und es war sehr nett. Ich glaube, es ging um den Film "Franzy", also einen seiner späten Filme. Er wusste, was er sagen wollte. Aber da ich ihn nicht weiter beim Trinken störte und aber auch Komplimente machte über die Qualität des Whiskeys, fand er mich, glaube ich, nicht so völlig komplett unsympathisch und es war so eine sehr hübsche Viertelstunde. Und in Cannes hatte ich ihn noch mal erlebt in so eher einer Massenveranstaltung, wo ich einer von mehreren war, die ihn interviewen durften. Aber er war eben ein großer Selbstdarsteller vor dem Herrn, und neben Orson Welles vielleicht der größte Stilist der Filmgeschichte.
Bürger: Das Kino hat ja heutzutage keinen Mangel an Krimis und Thrillern, und doch erleben wir diese Kunst der Spannung, wie Hitchcock sie geschaffen hat, eigentlich nicht mehr. Nicht umsonst ist er ja als Meister des Suspense in die Filmgeschichte eingegangen. Sollte sich das Kino wieder mehr auf diese Traditionen besinnen, oder lässt sich daran eigentlich gar nicht mehr anknüpfen?
Blumenberg: Na, ich glaube, es wird ja immer wieder daran angeknüpft. Also der legitime Erbe von Hitchcock ist ja in gewisser Weise Brian De Palma mit seinen Thrillern, und Brian De Palma wiederum hat auch schon Nachfolger gefunden. Und das Thriller-Genre wird immer mit Hitchcock verbunden sein, weil ja auch die jungen Leute, die jetzt anfangen, Filme zu machen und sich in diesen Genrezusammenhängen bewegen, natürlich nicht ohne historische Zusammenhänge arbeiten, gerade wenn sie von Filmhochschulen kommen, und das natürlich auch sehr genau studieren.
Aber es hat sich halt vieles verändert: Die Filme sind einfach sehr viel schneller geworden. Also ein Hitchcock-Film hat doch noch ein relatives gemächliches Tempo, was dann manchmal extrem anzieht, also wenn Sie an diese extrem hohe Schnittfrequenz denken zum Beispiel in der Duschszene im "Psycho", oder auch in den "Vögeln", wenn die Vögel attackieren, aber grundsätzlich hat sich natürlich das Erzähltempo in den Jahrzehnten seit Hitchcock schon verändert.
Bürger: "Hitchcock" – am Donnerstag kommt der neue Film mit Anthony Hopkins und Helen Mirren in die deutschen Kinos. Hans-Christoph Blumenberg, herzlichen Dank für das Gespräch!
Blumenberg: Ja, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Aber das ist nicht der einzige Film, der den legendären Hitch in den Mittelpunkt stellt: Schon Ende des vergangenen Jahres lief in den USA und in Großbritannien "The Girl", eine große Fernsehproduktion über Hitchcock. Warum also ist dieser Regisseur derzeit wieder so en vogue? Das wollen wir im Gespräch mit Hans-Christoph Blumenberg erörtern, dem Filmkritiker, der selbst seit vielen Jahren Drehbücher schreibt und auf dem Regiestuhl sitzt. Schönen guten Tag, Herr Blumenberg!
Hans-Christoph Blumenberg: Einen schönen guten Tag, Frau Bürger!
Bürger: Das neue Biopic "Hitchcock" und der Fernsehfilm "The Girl" – diese Figur Hitchcock scheint ja auf Filmemacher eine ganz besondere Anziehungskraft zu haben. Woran liegt das?
Blumenberg: Das liegt sicher unter anderem daran, dass der Einfluss von Hitchcock als Filmemacher, als jemand, der auch Bildsprache erfunden hat, weiterentwickelt hat, bis heute eigentlich reicht. Also man findet Hitchcock-Einflüsse auch noch im zeitgenössischen Thriller. Und natürlich war Hitchcock auch einer der ganz wenigen Regisseure, die als Figur präsent waren, die dem Publikum bekannt waren, weil er seit den 50er-Jahren seine eigene Fernsehserie, die auch in Deutschland gelaufen ist, "Alfred Hitchock presents", selber mit sehr skurrilen, vergnüglichen, schwarz-weißen Kurzfilmen eingeleitet hat. Also er war eine omnipräsente Figur. Also Menschen, die älter sind als 50, wissen einfach auch, wie der aussieht.
Bürger: Der große dicke Bauch.
Blumenberg: Der große dicke Bauch und der kleine Mann, ja.
Bürger: Der Film, der jetzt in unsere Kinos kommt, zeigt uns ja nicht den gesamten Werdegang, die Entwicklung von Hitchcock, sondern konzentriert sich auf die Entstehung des Films "Psycho". Lässt sich denn an diesem Beispiel zugleich ein Psychogramm des Regisseurs zeigen?
Blumenberg: Also zumindest, wenn es nach diesem Film geht. Hitchcock zu dieser Zeit, wir reden über das Jahr 1959, hat ein triumphales Jahrzehnt hinter sich mit riesigen Welterfolgen wie "Fenster zum Hof" oder "Der unsichtbare Dritte". Hitchcock beginnt, darüber nachzudenken, also immer laut der Interpretation dieses Films, mit 60 noch mal eine neue Herausforderung anzunehmen, nämlich einen kleinen, schmutzigen Schwarz-Weiß-Film zu machen mit einem geringen Budget, aber einem heiklen, gewagten Thema, einen Film über einen psychopathischen Massenmörder, also fast ein B-Picture.
Bürger: Warum sagen Sie klein und schmutzig?
Blumenberg: Ja, klein und schmutzig einfach weil sehr schnell gedreht, schwarz-weiß, also fast mit einer Fernsehästhetik, also klein und schmutzig ist da schon eine Kategorie, denke ich, die passt. Das Studio will diesen Film nicht haben, die wollen so einen glamourösen Hitchcock-Film haben, so was wie "Über den Dächern von Nizza" oder "Der unsichtbare Dritte", und er liegt von Anfang an im Streit mit der sehr strikten amerikanischen Zensur – es geht unter anderem natürlich um diese berühmte Dusch-Szene. Und Hitchcock sieht das mehr und mehr als Herausforderung, sich gegen all diese Widerstände durchzusetzen und zu beweisen, dass er auch in seinem Alter in der Lage ist einen neuen Start hinzulegen. Das ist das, was der Film erzählt.
Bürger: Und er beleuchtet wohl sehr intensiv Hitchcocks Beziehung zu seiner Frau Alma Reville. Ohne sie, so hat man hier den Eindruck, wäre seine Karriere anders verlaufen, und zugleich wird Hitchcocks obsessiver Umgang mit seinen Schauspielerinnen durch die Reaktionen seiner Ehefrau gespiegelt. Ist das Küchenpsychologie im Kino oder doch eine interessante, neue Perspektive auf die Figur Hitchcock?
Blumenberg: Na ja, es war nie ein Geheimnis, dass Hitchcock, als er in den 20er-Jahren seine Frau Alma Reville kennenlernte, ein unbekannter Regieassistent war und sie bereits eine etablierte Filmcutterin, und die beiden waren ein kongeniales Paar. Und es ist ganz sicher so, dass Hitchcock immer den Rat seiner Frau gesucht hat, und dieser Film ist auch eine Hommage an diese Frau. Der Film leistet sich etwas, was ich sehr schön finde, weil Frau Hitchcock, also Alma Reville, war eine kleine, unscheinbar aussehende Dame mit einer dicken Brille, und wer spielt sie? Eine der glamourösesten englischen Schauspielerinnen der Welt, nämlich die unvergleichliche Dame Helen Mirren, die überhaupt keine Ähnlichkeit hat mit der historischen Alma Reville, aber die das Charisma oder das Interesse dieser Figur ganz wunderbar widerspiegelt. Und das ist eigentlich der Charme dieses Films: Es ist eigentlich eine Ehegeschichte. Und es ist auch eine Geschichte, in der am Ende Hitchcock merkt, dass er diesen Film "Psycho" nicht ohne seine Frau zu Ende bringen kann.
Bürger: Über die Marke Hitchcock sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Hans-Christoph Blumenberg. Sie haben ja auch den Fernsehfilm "The Girl" gesehen. Wie ist das: Versuchen diese beiden Filme, Hitchcock jetzt noch mal ein Denkmal zu setzen, oder wollen sie ihn doch eher vom Sockel herunterstoßen?
Blumenberg: Sagen wir es so: Der Film von Sacha Gervasi ist eigentlich eher eine Hommage an den Meister, nicht ohne kritische Zwischentöne, aber es ist ein sehr humorvoller Film, der ziemlich liebevoll auch die Figur Hitchock zeigt. Der Film "The Girl" wiederum, der ein Jahr später spielt, zwei Jahre später spielt, nämlich während der Dreharbeiten zu dem folgenden Hitchcock-Film "Die Vögel", der beleuchtet das obsessive Verhältnis von Hitchcock zu seiner Hauptdarstellerin Tippi Hedren und zeigt Hitchcock doch als sehr sinistren, obsessiven, fast krankhaften Belästiger, der immer mehr diese Frau, die er aus dem Nichts geholt hat, bedrängt. Aber ich habe bei dem Film den Eindruck, dass der als Psychostudie nicht uninteressant ist, dass der mir aber doch in wesentlichen Teilen sehr spekulativ erscheint, nämlich: Wenn man sich daran erinnert, welches Verhältnis Hitchcock zu den meisten seiner Hauptdarstellerinnen hatte, von Ingrid Bergman bis hin zu Grace Kelly – er war mit denen bis zu deren Lebensende eng befreundet, und ich habe den Eindruck, dass der Film "The Girl" ein negatives Zerrbild von Hitchcock zeichnet, und dass der Film "Hitchcock" näher an der realen Figur dran ist.
Bürger: Die Regisseure der Nouvelle Vague waren ja auch besonders fasziniert von Hitchcock. Er selbst wollte davon wohl nichts wissen. In diesem Hitchcock-Biopic jetzt, da liegt er in der Badewanne, zerknüllt die "New York Times", als er darin einen Artikel über die Begeisterung der Autorenfilmer liest. Was ist denn das Autorenhafte an Hitchcock?
Blumenberg: Ein kennzeichnendes Merkmal des Autorenfilmers ist seine Unabhängigkeit, und Hitchcock hat es immer geschafft, also außerhalb dieses Studiosystems, auch als sein eigener Produzent zu fungieren, das heißt, er hat die komplette Kontrolle über seine Filme, er hat nichts dem Zufall überlassen. Und es gibt auch innerhalb dieses Werkes so viele Gemeinsamkeiten, Bezüge, also es ist ein sehr homogenes Werk, und das haben natürlich Leute wie Godard, Chabrol, Truffaut auch gesehen, und es gibt ja das berühmte Buch von Truffaut über Hitchcock, "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?".
Und es ist nicht so, dass Hitchcock diese Aufmerksamkeit nicht genossen hätte – im Gegenteil, er fühlte sich sehr geschmeichelt, dass diese jungen Franzosen ihn so verehrten, weil er auf der anderen Seite immer einen kleinen Minderwertigkeitskomplex mit sich herumschleppte, weil unter den ganz Großen des amerikanisch-angelsächsischen Kinos war er der Einzige, der nie einen Regie-Oscar gewonnen hat, und das war natürlich für ihn eine Art von Demütigung, die er nie verstanden hat.
Bürger: Was haben Sie selbst, Herr Blumenberg, eigentlich für ein Verhältnis zu Hitchcock? Welche Rolle spielten seine Filme in den späten 60er-Jahren für Sie damals als jungen Filmkritiker?
Blumenberg: Ich habe Hitchcock entdeckt als Schüler, als ich 12 oder 13 war, kam "Der unsichtbare Dritte" mit Cary Grant heraus. Damals hatte ich noch überhaupt keine Vorstellung, also so genau, wer Hitchcock war, aber das hat so eine doch lebenslange Faszination mit dem Mann und dem Werk ausgelöst. Und zu der Zeit, als ich noch Filmkritiker war – und ich habe aufgehört, Filmkritiker zu sein vor 30 Jahren, das ist lange her, ich habe meinen ersten Spielfilm 1984 gedreht –, hatte ich zwei Mal die Gelegenheit, den Meister interviewen zu dürfen anlässlich zweier seiner späten Filme, einmal in Düsseldorf, einmal in Cannes, und das waren schon tolle Begegnungen.
Bürger: Was haben Sie da noch in Erinnerung?
Blumenberg: Das Großartige an Hitchcock war: Ich sehe ihn noch wie einen Buddha in einem Düsseldorfer Hotelzimmer am Abend sitzen, er hatte den ganzen Tag Interviews gegeben und war müde, bemühte sich wie alle Profis natürlich immer noch darum, das nicht durchscheinen zu lassen, sagte, jetzt ist der Tag so weit, jetzt trinke ich einen, es wurde also ein sehr teurer Whiskey herangebracht, ich bekam auch einen ab, und er hatte dann, ich weiß nicht, eine Viertelstunde für mich, und es war sehr nett. Ich glaube, es ging um den Film "Franzy", also einen seiner späten Filme. Er wusste, was er sagen wollte. Aber da ich ihn nicht weiter beim Trinken störte und aber auch Komplimente machte über die Qualität des Whiskeys, fand er mich, glaube ich, nicht so völlig komplett unsympathisch und es war so eine sehr hübsche Viertelstunde. Und in Cannes hatte ich ihn noch mal erlebt in so eher einer Massenveranstaltung, wo ich einer von mehreren war, die ihn interviewen durften. Aber er war eben ein großer Selbstdarsteller vor dem Herrn, und neben Orson Welles vielleicht der größte Stilist der Filmgeschichte.
Bürger: Das Kino hat ja heutzutage keinen Mangel an Krimis und Thrillern, und doch erleben wir diese Kunst der Spannung, wie Hitchcock sie geschaffen hat, eigentlich nicht mehr. Nicht umsonst ist er ja als Meister des Suspense in die Filmgeschichte eingegangen. Sollte sich das Kino wieder mehr auf diese Traditionen besinnen, oder lässt sich daran eigentlich gar nicht mehr anknüpfen?
Blumenberg: Na, ich glaube, es wird ja immer wieder daran angeknüpft. Also der legitime Erbe von Hitchcock ist ja in gewisser Weise Brian De Palma mit seinen Thrillern, und Brian De Palma wiederum hat auch schon Nachfolger gefunden. Und das Thriller-Genre wird immer mit Hitchcock verbunden sein, weil ja auch die jungen Leute, die jetzt anfangen, Filme zu machen und sich in diesen Genrezusammenhängen bewegen, natürlich nicht ohne historische Zusammenhänge arbeiten, gerade wenn sie von Filmhochschulen kommen, und das natürlich auch sehr genau studieren.
Aber es hat sich halt vieles verändert: Die Filme sind einfach sehr viel schneller geworden. Also ein Hitchcock-Film hat doch noch ein relatives gemächliches Tempo, was dann manchmal extrem anzieht, also wenn Sie an diese extrem hohe Schnittfrequenz denken zum Beispiel in der Duschszene im "Psycho", oder auch in den "Vögeln", wenn die Vögel attackieren, aber grundsätzlich hat sich natürlich das Erzähltempo in den Jahrzehnten seit Hitchcock schon verändert.
Bürger: "Hitchcock" – am Donnerstag kommt der neue Film mit Anthony Hopkins und Helen Mirren in die deutschen Kinos. Hans-Christoph Blumenberg, herzlichen Dank für das Gespräch!
Blumenberg: Ja, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.