Die Reportage wurde erstmals am 17. März 2019 ausgestrahlt.
Großes Glück für kleines Geld
31:26 Minuten
Vom "Bergdoktor" bis "Perry Rhodan": Der Groschenroman hält sich hartnäckig an den Kiosken. Auf 64 Seiten gibt es viel Gefühl, reichlich Spannung - und ein Happy End. Leser ab 60 sind die Zielgruppe - und die ist treu und wächst beständig nach.
Olbersdorf bei Zittau, äußerster Südosten Sachsens, im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien, Plattenbau, fünfter Stock: Hier wohnt Rüdiger Semm, 70 Jahre alt, verschmitztes Lächeln. Er lebt allein. Besuch bekommt er selten. Eigentlich nie.
Rüdiger Semm ist Franke, kommt ursprünglich aus Hof, arbeitete dort für eine Speditionsfirma. Die ging Pleite und er in den Vorruhestand, mit 55. Er beschloss, seinen Lebensabend dort zu verbringen, wohin er seit dem Fall der Mauer immer wieder in den Urlaub gefahren war. In Olbersdorf, 250 Kilometer Luftlinie entfernt von der Heimat.
Der Umzug vor fünfzehn Jahren in die Zwei-Raum-Wohnung mit dem herrlichen Blick über die Zittauer Berge war in gewisser Weise seine erste Weltenflucht. Die zweite tritt er jeden Nachmittag aufs Neue an, gegen 16 Uhr, wenn er es sich in seinem Sessel bequem macht und in die Welt der Groschenromane abtaucht.
"Bis Sie gekommen sind, habe ich schon die Hälfte vom neuen ‚Bergdoktor’ durchgelesen. Also bin ich jetzt schon bei Seite 32. Zwei, drei Stunden brauche ich für so einen Roman. Diese Romane, die lese ich am liebsten, auch wegen der Landschaft. Und diese Romane sind zum Entspannen, da gibt es immer ein glückliches Ende, und man kommt eben auf andere Gedanken."
Weltenflucht im Wohnzimmersessel
Ob Arzt-, Heimat- oder Fürsten-Roman, Science-Fiction-Abenteuer, Western oder Krimi: Rüdiger Semm kennt sie alle. Die meisten davon liest er bis heute. Besonders gern "Der Notarzt".
"'Warum sagen sie denn nicht endlich, was los ist. Vielleicht ist am Verteilerkreuz wieder mal ein Unfall passiert. Dort kracht es ja ständig.' Greta drückte auf ein paar Knöpfe des Bordcomputers, um herauszufinden, warum der Verkehrsfunk sich nicht meldete." (Auszug aus "Der Notarzt")
Im Durchschnitt liest er ein bis zwei Heftromane am Tag. 1200 Exemplare bewahrt er im Keller auf, 2500 im Schlafzimmer auf dem Kleiderschrank, in extra dafür vorgesehenen Schachteln. Pro Schachtel fünfzig Hefte. Es sind fünfzig Schachteln.
"'Wie schön, dass du hinterher immer alles besser weißt. Hätte, wäre, würde, wenn.' Spottete er, und Greta zog automatisch den Kopf ein bisschen tiefer zwischen die Schultern." (Auszug aus "Der Notarzt")
Und dann gibt es inzwischen auch noch die Groschenromane im Digitalformat.
"Genau, mein erstes E-Book habe ich gekauft am 4. September 2013 mit der ‚Leni Behrendt’ und dem ‚Dr. Norden’, und bis heute sind es 3.274 E-Books."
Alles in allem verfügt Rüdiger Semm über eine Sammlung von etwa 7000 Heftromanen. Über die Jahre ist er zum Buchhalter seiner Leidenschaft geworden.
Was sind die Zutaten eines guten Groschenromans?
Vorhang auf zur Buchpremiere in einer Chocolaterie in Berlin Prenzlauer Berg. Die 20 Besucher sind gespannt: Am Eingang haben sie einen Groschenroman in die Hand gedrückt bekommen. Gastgeberin Daniele Hense verbindet viele Erinnerungen mit solchen Heften.
"Meine Oma, die hatte unter ihrem Fernsehschrank einen Pappkarton, der war voll mit diesen Dingern. Und ich komme aus Ost-Berlin, muss man sagen, aus einem kleinen Dorf. Und die Omas haben diese Dinger durchs ganze Dorf gereicht, da hatten irgendwie alle so ihre Kürzelchen drin, und ich habe so zwischen zwölf und 16 irgendwie so zwei, drei pro Tag von den Dingern weggehauen. Ich bin quasi aufgewachsen damit. Na ja, und dann hat man ja so was nicht mehr gelesen, das war ja irgendwie peinlich. Ach, aber ich hatte so ein Spaß, ich habe nachts gelesen, ich konnte gar nicht mehr aufhören."
Zu Gast ist die Schriftstellerin Anna Basener. Im Gespräch mit Dominique Pleimling, ihrem Lektor vom Eichborn-Verlag, stellt sie ihr neues Buch vor. Zur Einstimmung gibt sie den Zuhörern Einblicke in die Welt des Groschenromans. Denn Anna Basener hat früher selbst Dutzende von Fürsten-Romanen verfasst: "Prinzessin Simonas schwere Entscheidung" oder "Maskenball der Gefühle".
"Wenn die Zahlen durch den Buchhandel erfasst werden würden, dann wären diese Titel alle zwei Wochen auf der Bestsellerliste ziemlich weit oben", erklärt Dominique Pleimling. "Aber trotzdem fristen die ja so ein Nischendasein."
"Ja, wahrscheinlich, weil das immer unter Pseudonym ist, besonders bei den Liebesromanen", antwortet Anna Basener. "Es gibt ja Spannungs- und Liebesromane, und die Liebesromane sind immer unter Pseudonym. Manchmal gibt es sogar mehrere. Da wird man halt nicht so zum Literaturstar oder nicht so sichtbar. Es ist ein gutes Genre für Leute, die gerne schreiben, aber dann nicht durch die Buchhandlungen touren und lesen wollen. Für die ist es, glaube ich, sehr gut."
64 Seiten voller Liebe, Leben, Leidenschaft
Anna Basener dagegen drängte irgendwann ins Rampenlicht, wollte unter eigenem Namen veröffentlichen, nicht mehr unter so wohlklingenden Pseudonymen wie Catharina Chrysander oder Katja von Seeburg. Sie wollte raus aus dem engen Korsett der Heftromanregeln, wo Kuscheln erlaubt ist, Sex aber nicht, und wo Frauen niemals älter sein dürfen als 45, wenn sie sich verlieben; Männer schon.
"Das sind ja relativ rigorose und antiquierte Regeln", sagt Dominique Pleimling. "Wie kann man sich denn als Autor oder als Autorin motivieren? Du hast ja irgendwann keine Lust mehr drauf gehabt."
"Ich hatte innerhalb der Regeln irgendwann das Gefühl, ich kann einfach nichts Neues mehr schreiben", antwortet Anna Basener. "Ich hatte alles erzählt, was ich innerhalb dieses Regelwerks erzählen kann. Aber es macht auch vieles leichter. Wenn man von vornherein weiß: kein Sex, keine Politik, keine Religion, keine Fremdsprache, keine Jugendsprache, keine zu langen Sätze, also im Schnitt so elf Wörter, wenn man das alles vorher weiß, dann fällt so viel weg, dass wenig Zeit für Zweifel ist. Und Zweifel kostet ansonsten beim Schreiben enorm viel Zeit, und das kostet auch viel Energie und Kraft und macht Schreibblockaden und traurig. Und das hat man dann alles nicht beim Groschenroman."
Stattdessen hat man 64 Seiten voller Liebe, Leben und Leidenschaft, kurz vor Schluss die obligate Katastrophe, die sich in einem Happy End auflöst: Das ist der Groschenroman. Für kleines Geld, 1,80 Euro aufwärts, am Kiosk oder in der Bahnhofsbuchhandlung zu erwerben.
"Ich habe in Hildesheim studiert unter den ganz klassischen Kreativschreibern, die sehr viel Nabelschautexte schreiben, alles war sehr literarisch", erzählt Anna Basener später auf einer Ledercouch im Café des Deutschen Historischen Museums und geht zurück zu ihren literarischen Anfängen. Wie sie die Kommilitonen bestaunte, die alle schon Dostojewski und Jelinek gelesen hatten.
"Und ich stand daneben und kannte das alles irgendwie nicht. Ich bin halb Arbeiterkind, halb Spießerkind aus dem Ruhrpott. Bei mir gab es kein Dostojewski. Dann habe ich irgendwann im Laufe dieses Studiums die Nähe zu Sachen gesucht, die mir mehr gelegen haben, mit denen ich aufgewachsen bin. Die trashiger waren, die leichter zugänglich waren. Und da war ich dann irgendwann beim Groschenroman und dachte, das ist ein bisschen wie ‚Sissy’. ‚Sissy’ habe ich schon früher geliebt."
Wer definiert eigentlich, was Schund ist?
Also begab sie sich in die Welt der Alpen und des Adels, verfasste Heimat- und Fürsten-Romane und schrieb über Liebe, Luxus und Leidenschaft. 30 Groschenromane kamen dabei heraus. Von den Honoraren finanzierte sie ihr Studium. Anschließend arbeitete sie drei Jahre als Lektorin für Heftromane.
Anna Basener war und ist es egal, dass der Heftroman als Trivialliteratur, gar als Wegwerfliteratur verspottet wird. Wer bitte definiert denn, fragt sie, was Schund ist, was Kitsch und was Hochkultur? Lesen ist und bleibt Geschmackssache, sagt sie. Auch die wenigen Heftromane, in denen Sex explizit erlaubt ist, können Spaß machen: zum Beispiel der Sex-Western.
"Ein Sex-Western ist ein Western-Roman, klassisch, 1880. Mann reitet durch den wilden Westen und bekämpft Banditen oder böse Rancher. Immer wenn er Erfolg hat, wird er mit Sex belohnt."
"Mit dem Gewehr in der Faust, bereit, hochzuspringen und um sein Leben zu kämpfen, liebte er die schöne Rote weiter, und sie schien von ihm nichts anderes erwartet zu haben." (Auszug aus einem Sex-Western-Roman)
"Das ist auch tatsächlich mit expliziten Sexszenen, das ist eine Besonderheit dieses Genres, und man erkennt einen Sex-Western immer daran, dass das Cover so orange-sepiafarben ist, und es sind Brüste drauf. Also, es ist wie so ein Tittencode. Man sieht an dem Cover, dass es drinnen heiß hergeht."
Ist das vielleicht endlich mal Schund? Basleler lacht. "Es ist doch alles Schund. Aber wenn ich Schund sage, meine ich das natürlich sehr wertschätzend und mit großer Freude."
Der Leser wünscht keine Überraschung
Zurück in Olbersdorf, Plattenbau, fünfter Stock: Stammleser Rüdiger Semm liest keine Sex-Western. Auch wenn es seiner Meinung nach zu politisch wird, legt er das Heft zur Seite. Das Abonnement von "Dr. Stefan Frank, der Arzt, dem die Frauen vertrauen" hat er deshalb gekündigt.
"Ich lese ja gern. Und ich lese, bis mir die Äuglein dann zufallen. Ich gehe meistens schon um acht oder neun Uhr ins Bett. Ich schaue gar nicht Fernsehen."
Die meiste Zeit verbringt der Rentner in seiner Wohnung. Früher kaufte er die Heftromane noch am Kiosk im benachbarten Zittau, mittlerweile lädt er sich seine Favoriten digital auf den E-Book-Reader, das elektronische Lesegerät.
"Die sind eigentlich auch in gutem Deutsch geschrieben, also kann man wirklich empfehlen. Da kann man nichts verkehrt machen. Es gibt natürlich Schriftstellerinnen, da geht man mehr mit, da ist man schnell durch mit dem Roman, und bei manchen, da zieht sich dann die Handlung. Da muss ich mir dann die Hauptdarsteller notieren auf so einem Extrablatt, damit man mit den Familienverhältnissen zurechtkommt."
Auf dem Wohnzimmertisch liegen ein Zettel, mehrere Heftromane in Papierform und drei E-Book-Reader. Von den Geschichten überrascht wird er nicht mehr. Das Muster ist immer das Gleiche, sagt er. Ist aber auch gut so.
"Das kann man bei jedem Liebesroman feststellen. Da gibt es auch immer die Gute und die Böse, die schlechte Schwiegermutter und die gute Schwiegermutter, die gute Oma und die schlechte Oma. Und dann habe ich festgestellt, wenn es richtig spannend ist beziehungsweise wenn es irgendwie zum Tragischen kommt, dann stirbt meistens jemand. Also im Gebirge stürzt er dann ab, zum Besipiel. Am Schluss kriegen sie sich dann meistens. Ich schaue dann am Schluss nach, ob sie sich auch wirklich bekommen, so ungefähr. Man will ja die Richtigen zusammen haben."
"Das heißt: Sie schummeln, Sie gucken nach wie es ausgeht?" - "Nicht immer. Aber immer öfter."
Die Heftchenwelt lenkt ab von Alltagssorgen
Obwohl Rüdiger Semm seine Romane digital liest, bekommt er viele Exemplare von den Verlagen immer noch in Papierform zugeschickt. Die verschenkt er dann an die wenigen Menschen in seinem Umfeld. Ob sie die Hefte lesen, was sie von ihnen halten, erfährt er nicht, sagt er. So bleibt Rüdiger Semm mit sich und seiner Heftchenwelt allein und ist froh, dass es sie gibt.
"Ja, freilich, zum Beispiel, wenn ich morgens zum Doktor muss, ich habe dann immer unheimlich viel Bammel. Und da kommt man eben auf andere Gedanken. Oder der Tag vor dem Doktor. Oder im Krankenhaus. Oder wenn man ein schwerwiegendes Problem hat, dass man mal abschalten kann. Dann flüchtet man eben, und das würde ich auch jedem empfehlen, dass er mal solche Romane liest, damit er mal auf andere Gedanken kommt. Ohne Roman könnte ich nicht leben. Das ist, sagen wir mal, guter Lesestoff eben fürs kleine Geld."
"Wir brauchen einen Konflikt. Dann ist der Rest relativ leicht."
"Ich finde, jetzt haben wir genug darüber geredet, ich finde, wir schreiben jetzt mal zusammen einen Groschenroman." In der Chocolaterie in Berlin bringt Anna Basener Schwung in ihre Lesung.
"Ich dachte, wir machen mal was zu ‚Schloss der Versuchung. Wird der stolze Prinz die Liebe finden?’. Und da bräuchte ich jetzt von euch mal einen Prinzen aus dem Publikum. Wer möchte der stolze Prinz sein?"
Jeremias will der stolze Prinz sein; und Franziska die junge Frau, die sich in ihn verliebt. "Du bist bürgerlich, okay. Jetzt müssen wir noch kurz die finanzielle Situation klären. Habt ihr gleich viel Geld? Wir wollen Konflikt. Eher schwierig. Einer von euch sollte wirklich reich sein und einer sehr arm. Oder sind wir voll interessant: Und du bist superreich, und du bist so Etagenadel aus Wuppertal."
Dann braucht es noch die Nebenbuhlerin: Gerda. "Also, was du machen musst. Du musst Franziska glauben lassen: Dieser arme Mann will nur dein Geld. Der liebt dich gar nicht, der will nur dein Geld. Und wenn du das erreicht hast, sind wir am absoluten Tiefpunkt des Romans. Es geht natürlich trotzdem gut aus. Aber wie, das werden wir jetzt nicht klären können. Dafür müsst ihr das Buch lesen."
Sieben Minuten braucht Anna Basener, um mit Hilfe des Publikums den Plot für die Adelsschmonzette zu entwickeln. "Jetzt seid ihr auf jeden Fall gerüstet, um euren eigenen Fürstenroman zu schreiben. Weil tatsächlich: Wenn man einmal den Konflikt hat, dann ist der Rest relativ leicht."
Auf die Zubereitung kommt es an
Sie weiß genau, was einen guten Heftroman ausmacht. Sie hat auch schon einen Ratgeber dazu verfasst. Es ist wie beim Kochen, sagt sie später: Die Grundzutaten sind die gleichen. Es kommt darauf an, was man mit ihnen zubereitet. Einem jungen Mann im Publikum hat sie damit auf alle Fälle Lust auf mehr gemacht.
"Uns wurden ja diese kleinen Heftchen ausgeteilt, ist das erste Mal, dass ich so was in der Hand habe. Also maximal habe ich bei Omi mal einen gesehen, aber nicht mal aus Ironie habe ich ins Regal gegriffen im Kiosk. Deswegen spannend, was hier heute passiert. Das kleine Rollenspiel hat es mir dann doch noch mal aufgezeigt und hat mir Lust gemacht, selber einen Groschenroman direkt zu schreiben."
"Dr. Norden" kommt auf 25.000 gedruckte Hefte pro Woche
Hamburg-Hammerbrook: Auf dem Besprechungstisch im Büro von Gerhard Melchert liegt ein Stapel Heftromane – 15, vielleicht 20 Hefte.
"Gucken Sie mal, das ist eine Wochenauslieferung hier. Das ist die Wochenauslieferung von diesem Dienstag."
Melchert ist Seniorchef vom Martin Kelter Verlag, zusammen mit der Bastei-Lübbe AG in Köln der führende Groschenroman-Produzent in Deutschland. Gerhard Melchert blättert in einem Heft mit rosafarbenem Umschlag.
"’Mami’ ist die älteste Familienreihe, die es auf dem deutschen Markt gibt. Wir sind hier bei Nr. 2856. Der kommt jede Woche, der Roman. Und dann spielt auch noch eine Rolle, dass es hier heißt: ‚In großer Schrift’. Damit die auch gut lesbar ist."
Das Durchschnittsalter der Heftromanleser betrage 60 Jahre, fügt der Verleger hinzu. Er selbst ist 75. Dann liest er aus dem neuen "Mami"-Heft vor. Titel: "Mädchen, das niemand will. Was Sophies kleines Herz belastete".
"Im Radio lief ihr Lieblingslied. Und sofort trällerte Nora gut gelaunt mit. Schwungvoll bewegte sie sich zu dem flotten Tempo der Musik." (Auszug aus "Mami")
Etwa 50 Millionen Heftromane im Jahr liefert der Kelter Verlag aus. Von Dauerbrennern wie "Dr. Norden" oder "Mami" werden Woche für Woche 25.000 Hefte gedruckt. Wie viele davon tatsächlich verkauft werden, darüber gibt es keine Zahlen.
"'Was machst du da?' Nora warf dem fragenden Kind, das im Türrahmen stand, einen flüchtigen Blick zu, ohne ihr Tun zu unterbrechen. 'Siehst du doch: packen', trällerte sie. Diese knappe Antwort schien die Achtjährige weder zu überraschen noch zu verletzen." (Auszug aus "Mami")
"Das Entscheidende ist, und das haben Sie eben beim Vorlesen ja auch gemerkt: Die Autorin kann die Sprache vernünftig wählen, die Worte gut aneinander setzen, es klingt ein bisschen Gefühl und alles mit hinein. Man ist schon neugierig, was so weiter passiert."
Die heile Welt genießen
Die heile Welt als Ordnungsprinzip. Das ist das Erfolgsrezept, sagt Gerhard Melchert. Macht den Groschenroman jedoch unglaubwürdig, sagen seine Kritiker. Wo gibt es das, dass in den Familien immer alles gut ausgeht und die Ärzte immer genügend Zeit haben für ihre Patienten? Hier schaltet sich nun Christiane Gallo ins Gespräch ein, stellvertretende Cheflektorin für Heftromane im Kelter Verlag. Sie kann mit dieser Art von Kritik nichts anfangen.
"Es ist ein legitimes Bedürfnis der Leserschaft, sich einfach mal nach einem anstrengenden Arbeitstag zurückzulehnen, auszuspannen, die heile Welt zu genießen, genauso wie man den Fernseher anschaltet und vielleicht einen Liebesfilm von Rosamunde Pilcher, Inga Lindström genießt, so hat man eben auch den legitimen Griff zum Roman, um einfach mal zu entspannen und Mord, Terror, Krieg und die ganzen Konflikte draußen zu lassen."
"Entscheidend ist doch, dass wir einer großen Lesegemeinschaft herrliche Stunden bescheren können, das ist das Entscheidende. Wenn Sie mit einer jungen Dame, ob es ihre erste oder zweite Liebe ist, völlig egal, Sie gehen am Strand an einem Sonnenuntergang entlang, ist doch herrlich, das sind doch wunderschöne Gefühle. Das lieben Frauen, Männer auch."
Gerhard Melchert ist groß geworden mit solchen Geschichten. Sein Vater war der erste, der den Heftroman nach dem Zweiten Weltkrieg wieder unter die Leute brachte. Die Bevölkerung lechzte nach dieser Form von Ablenkung und Unterhaltung. In den 80er-Jahren kletterten die Verkaufszahlen auf bis zu 300 Millionen Heftromane jährlich. Dann kam das Privatfernsehen, seitdem ist es vorbei mit den Höhenflügen. Seitdem wird der Groschenroman auch immer wieder totgesagt. Aber bekanntlich gilt: Totgesagte leben länger.
Lebenshilfe beim Lesen
Heftromane könnten Bestseller sein, wenn ihre Verkaufszahlen exakt ermittelt würden. Dennoch gelten sie als Inbegriff der Trivialliteratur. Keine andere literarische Gattung wird derart vernichtend kritisiert wie der Groschenroman. Gründe: sein konservatives, betuliches Weltbild, die Idealisierung der Helden und die einfache, viele sagen, dümmliche Sprache.
"Das ist vom Stil her natürlich nicht vergleichbar mit irgendwelchen Produkten von Martin Mosebach oder Monika Maron, sage ich jetzt, Daniel Kehlmann. Kann man nicht vergleichen. Aber es ist auch die Frage: Was will Literatur, was soll Literatur eigentlich erreichen? Es ist vielleicht nicht nur Unterhaltung, sondern auch ein Stück Lebenshilfe. Das denke ich manchmal. Das sagen sogar auch Autoren, dass sie das teilweise als Lebenshilfe betrachten, die zu schreiben. Man sieht, wie man mit Situationen, mit Konflikten umgehen kann. Durch die Lektüre. Man kriegt ja praktisch ein Modell vorgelebt, wie eine dramatische Situation aufgelöst werden kann, dass es nachher doch noch für alle Beteiligten ein Happy End geben kann auch, nach der Lektüre."
"Und was das Triviale anbelangt, möchte ich noch mal kurz eins ergänzen: Die Geschichte Faust mit dem Gretchen war auch ziemlich trivial. Und Romeo und Julia könnte man ebenso in dieses ganze Szenario hineinbringen."
"Perry Rhodan" - unser Mann im All seit 1961
"Hekéner Sharoun saß allein in völliger Finsternis. Kein künstliches Licht schien, und, deutlich wichtiger: Nicht ein einziger Sonnenstrahl drang von außen in sein Büro." (Auszug aus "Perry Rhodan")
Ganz und gar nicht trivial geht es zu bei "Perry Rhodan", der größten Science-Fiction-Serie im deutschen Heftroman-Universum. Seit 1961 stürzt sich der Held in das Abenteuer Weltraum. Derzeit werden seine Geschichten von elf Autorinnen und Autoren verfasst. Kai Hirdt ist einer von ihnen.
"Er ließ all die Jahre Revue passieren, die er im Diplomatischen Dienst der Liga Freier Terraner, der späteren Liga Freier Galaktiker, zugebracht hatte – seinen Aufstieg bis in ihr höchstes Amt. Er war der Resident der Liga. Der wahrscheinlich letzte Resident der Liga." (Auszug aus "Perry Rhodan")
Kai Hirdt lebt mit Partnerin Madeleine und frisch geborener Tochter in einer Drei-Zimmer-Altbauwohnung in Hamburg-Hohenfelde. Die Regale sind bis unter die Decke voll mit Fantasy-Literatur und -Brettspielen. Abenteuer im Weltall faszinieren ihn seit seinem achten Lebensjahr.
"Von allen Science-Fiction-Geschichten, die ich kenne, ist 'Perry Rhodan', glaube ich, die einzige, die es schafft, in der näheren Zukunft eine positive Vision zu erzählen. Das habe ich mir als Achtjähriger natürlich nicht gedacht, jetzt sage ich das mit 42 schlau im Nachhinein. Aber so diese Geschichte: Die Menschheit ist gerade dabei, sich selbst auszulöschen mittels Atomkrieg oder kurz davor, und da kommt jemand dann mit außerirdischer Hilfe und schützt uns vor uns selber, das ist einfach eine tolle Geschichte, die sich von vielen anderen Science-Fiction-Geschichten unterscheidet."
Echte Teamarbeit und vielschichtige Abenteuer
Der Erfolg gibt den Machern Recht. Soeben ist der 3000. Band von Perry Rhodan in den Handel gekommen. Im ersten Heft 1961 landete der Held auf dem Mond und traf auf Außerirdische.
Mittlerweile sind die Abenteuer, die er zu bestehen hat, weitaus vielschichtiger. Die Vorgaben dazu kommen von zwei Exposé-Autoren. Die elf Heftautoren arbeiten sich am vorgegebenen Handlungsstrang ab. Kai Hirdt ist seit 2014 dabei. Jede Woche erscheint eine neue Folge. Das bedeutet, dass mehrere Autoren gleichzeitig an verschiedenen Folgen schreiben.
"Wir sind viel untereinander im Austausch, schreiben uns gegenseitig E-Mails: Hey, ich muss an dein Kapitel da und da anschließen, wie hast du denn das genau gemacht? Kannst du mir den Textabschnitt schon mal schicken? Und dann kommt gerne mal zurück: Oh Gott, so weit bin ich noch gar nicht, schreibe einfach mal los und zeig mir, wie du das gemacht hast, und dann mache ich meinen Teil so, dass das für dich funktioniert. Also 'Perry Rhodan' ist, was bei schriftstellerischer Tätigkeit selten ist, eine echte Teamarbeit. Das macht auch Spaß."
Zur Autogrammstunde kommen Hardcore-Fans
Kai Hirdt wird durch Handyanruf unterbrochen. Auf einmal steht Magnus in der Tür. Ein echter Perry-Rhodan-Fan. Auf seinem Motorrad ist er aus dem 50 Kilometer entfernten Bad Bramstedt hergekommen.
Der Grund seines Spontanbesuchs: das Jubiläum. An diesem Tag erscheint Perry Rhodan Band Nummer 3000. Kai Hirdt wird deshalb gleich zum Bahnhof fahren und in der dortigen Buchhandlung Hefte signieren. Weil Magnus dann aber keine Zeit hat, holt er sich das Autogramm jetzt ab.
Madeleine macht noch schnell ein paar Fotos von den beiden, und schon ist Magnus wieder weg, und Kai Hirdt auf dem Weg zum Bahnhof.
Auch wenn er Band 3000 gar nicht selbst geschrieben hat: Kai Hirdt macht die PR-Aktion gerne mit. Eine Stunde lang signiert er in der Bahnhofsbuchhandlung Perry-Rhodan-Hefte – seine eigenen, die manche Besucher extra mitgebracht haben, wie auch den neuesten Band.
Es kommen nicht viele zur Autogrammstunde: 20, vielleicht 25. Viele alte Leser, wenige junge. Aber die, die kommen, können getrost als Hardcore-Fans bezeichnet werden.
Perry-Rhodan-Fans lesen nur Perry Rhodan
Klar ist auch: Man sollte sich schon ein bisschen auskennen im Perry-Rhodan-Kosmos, sagen die Fans, sonst sei es schwer, dem intergalaktischen Dauerbrenner zu folgen. Mit Groschenromanen aus den Rubriken "Adel", "Arzt" und "Liebe" können sie nichts anfangen. Sie lesen nur Perry Rhodan. Und dann erzählt einer der Autogrammjäger, der 70-jährige Jan van Dieken, wie schwer er es hatte, 1961 an seine ersten Perry-Rhodan-Hefte heranzukommen.
"Meine Mutter fand, das sei Schundliteratur, die hat die immer verbrannt. Das war einfach Schund. Das kann man Jugendlichen in der aufstrebenden Republik nicht antun. Das fand ich übel, dass sie mir die weggenommen hat und in den Ofen gesteckt hat. Ich war entsetzt und habe mir heimlich Geld zusammengespart, um mir das wieder zu beschaffen. Und heute als emeritierter Historiker lese ich weiter diese Heftromane. Ich liebe sie."
"Der Mensch hat einen Gartenzwerg im Herzen"
Zurück in Berlin bei der Lesung von Anna Basener. In ihrem neuen Buch "Schund und Sühne" spielt eine junge Groschenromanautorin die Hauptrolle.
"Darüber wollte ich schreiben, auch darüber, wie man so als Groschenromanautorin arbeitet. Mit dem Vorurteil umgehen, dass Groschenromanautorinnen immer alle total romantisch sein müssen. Ich habe viele getroffen, mich eingeschlossen, die das gar nicht sind. Und deswegen ist auch die Protagonistin von ‚Schund und Sühne’ eher pragmatisch."
Als gute Pragmatikerin weiß aber auch sie: Am Ende muss die Geschichte gut ausgehen. Rosamunde Pilcher war ebenfalls kein romantischer Mensch, konnte mit Gefühlen nicht gut umgehen, fand in ihren Liebesschnulzen aber wunderbar profane Bilder.
"Dass es ein Happy End gibt, darüber gibt es auch Marktforschungen und Statistiken, dass Dinge öfter gekauft werden, wenn die Leute vorher wissen, das geht auf jeden Fall gut aus. Ich muss nicht bangen um irgendjemanden, das ist das eine, und das andere ist, unabhängig vom Happy End, dass man ein bisschen bekommt, was man schon kennt. Aber das ist ja im Kino auch nicht anders. Ich glaube, wir mögen schon alle, was wir kennen."
"Der Mensch hat einen Gartenzwerg im Herzen", behauptet eine erfolgreiche Kollegin aus dem Metier. Wenn das stimmt, und davon sollten wir aufgrund der enormen Verkaufszahlen ausgehen, dann hat der Groschenroman das Zeug zur Never Ending Story. Und eine große Zukunft.