Eine rührselig-sentimentale Berlin-Operette
Leander Haußmann inszeniert Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" am Berliner Ensemble. Es gelingt ihm zwar, viel Spiellust bei seinen Schauspielern herauszulocken - doch das Stück zieht sich trotzdem fast schon qualvoll.
"Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen. Den Vorhang zu und alle Fragen offen" heißt es im oft zititeren Schlussepilog, gemeint als didaktische Aufforderung an das Publikum, über das Stück hinaus weiter zu denken, ja, politisch zu handeln. Oder ist der Epilog doch ganz wörtlich zu nehmen, als Entschuldigung für ein missratenes enttäuschendes Theaterstück?
"Vielleicht fiel uns aus lauter Furcht nichts ein. Das kam schon vor", heißt es weiter. Brechts in Schule und Literaturwissenschaften so oft traktierter Klassiker also ein überschätztes Stück. Fiel Brecht ("das kam schon vor") beim "Guten Menschen von Sezuan" nicht mehr allzu viel ein? Brechts politische Belehrung, dass "Gut-Sein" nicht möglich, "Gut-Sein" eine unpolitische unbrauchbare idealistische Kategorie ist, scheint jedenfall zeitverhaftet. Keine leichte Aufgabe also für einen Regisseur, noch dazu in Brechts "Theater am Schiffbauerdamm".
Die Geschichte einer Göre auf dem Strich
Leander Haußmann lässt Brechts Werk ungeschoren, macht aber aus dem in China spielenden Parabelstück eine rührselig-sentimentale Berlin-Operette: Die Geschichte einer Göre auf dem Strich, die zu Geld kommt, damit nicht umgehen kann, von ihrer Verwandschaft bedrängt wird und sich in einen Filou, den Flieger Yang Sun (Matthias Mosbach) verliebt und von ihm natürlich ausgenützt wird. Angesiedelt ist das in einem schnoddrigen theatralischen Prekariat von heute: der Wassverkäufer Wang – ein Leerflaschensammler zum Beispiel (Norbert Stöß).
Leander Haußmann weiß dabei auch hier (wie bei "Woyzeck" und "Hamlet") viel Spiellust aus den Schauspielern des "Berliner Ensembles" herauszulocken und zeigt dann eine Qualität, die Brechts Parabelstück zweifellos hat: eine sehr theaterwirksame Titelrolle! Antonia Bill meistert diese Riesenrolle (die Aufführung dauert fast vier Stunden) mit ihren ständigen Verwandlungen bewunderswert: als verschlafene, etwas naive Prostituierte, als Verliebte, als rappender Vetter Shui Ta - mit und ohne Bart - , am berührendsten aber: wenn sie singt.
Kalauer und Pointen bis zum Überdruss wiederholt
Doch Haußmanns Sezuan-Berlin-Operette zieht sich - fast qualvoll - in die Länge. Karlauer und Pointen werden bis zum Überdruss wiederholt, saloppe eingestreute Wendungen ("genau") oder zum Beispiel das Sodbrennen, das den um Shen Te herumschwänzelnden Barbier Shu Fu (amüsant: Boris Jacoby), heimsucht, ermüden mit der Zeit. Es knirscht also hörbar im theatralischen Ablauf.
So bleibt die eindrucksvolle Bühnenbildinstallation von Via Lewandowsky: Zum Beispiel die drei Peitschenlampen, die sich plötzlich auch bewegen können und wie die drei "Erleuchteten Götter" (komödiantisch: Traute Höess, Swetlana Schönfeld und Ursula Höpfner-Tabori) das Spiel beobachten. Poetische naive Momente, auf die Leander Haussmann abzielt, stellen sich aber leider doch nur selten ein. Brechts schwieriger Klassiker ist also im Theater am Schiffbauerdamm nicht geborgen worden Die Frage, ob "Der gute Mensch vo Sezuan" ein wirkungsvoller Klassiker ist, bleibt offen. Als breit ausgemaltes Prekariats-Musical überzeugt Brechts Parabelstück nur bedingt.