Der Hafen verliert an Bedeutung

(Ge-)Zeitenwechsel in Hamburg

Die Sonne geht in Hamburg im Hafen hinter den Kränen der Containerverladung unter.
Die Sonne geht in Hamburg im Hafen hinter den Kränen der Containerverladung unter. © dpa / picture-alliance / Axel Heimken
Von Axel Schröder |
Über Jahrhunderte ist der Hamburger Hafen gewachsen - vor allem seit in den 60er-Jahren der Container erfunden wurde und asiatische Waren den Hafen fluteten. Doch inzwischen machen andere Häfen den Hamburger Reedereien ernsthafte Konkurrenz.
Eine Stahlbox nach der anderen hieven die Containerbrücken im Hamburger Hafen aus den Frachträumen der Schiffe. Im Akkord, 24 Stunden pro Tag.
Noch immer ist der Hamburger Hafen Deutschlands leistungsfähigste Drehscheibe für den Im- und Export. Aber seit der mittlerweile neun Jahre zurückliegenden Wirtschafts- und Finanzkrise sind die bis dahin zweistelligen Wachstumsraten des Hafens Vergangenheit.
Mit einem Umschlag von einst prognostizierten 25 Millionen Container pro Jahr – kurz: mit 25 Millionen "TEU" – rechnet auch Hans-Jörg Heims, der Sprecher der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA) nicht mehr:
"Das ist eine Zahl gewesen, die sehr optimistisch prognostiziert wurde. Man kann heute sehen, dass sich die Mengen, die transportiert werden - da gibt es ein Ende der Containerisierung."
Auch ein langsameres Wachstum der Weltwirtschaft und die Sanktionen gegenüber Russland dämpfen die Erwartungen der Hamburger Hafenlogistiker.

Abhängig von den Gezeiten

Vor der Wirtschafts- und Finanzkrise war die entscheidende Frage, die sich in allen europäischen Häfen stellte: Wie kann das vorhergesagte Wachstum im Containerumschlag überhaupt bewältigt werden? Heute geht es vielmehr darum, welche Standorte im harten Wettbewerb um die transportierte Ladung bestehen können.
Die größten Konkurrenten der Hansestadt Hamburg sind die Tiefwasserhäfen der sogenannten ARA-Range: Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen.
Im Wilhelmshavener Jade-Weser-Port können Schiffe mit großem Tiefgang unabhängig von den Gezeiten festmachen. In Hamburg ist das nicht möglich. Auch dann nicht, wenn die schon seit Jahren geplante Elbvertiefung irgendwann einmal umgesetzt wird. Ohne Elbvertiefung bekäme der Hamburger Hafen auf Dauer Probleme, so Hans-Jörg Heims:
"Das Problem ist nicht nur der Tiefgang. Diese großen Mega-Boxer sind besonders breit. Und das könnte dann aufgrund der Strömungsverhältnisse und auch der physikalischen Bedingungen, die entstehen, wenn zwei große Schiffe aneinander vorbeifahren, gefährlich werden. Deswegen ist nicht nur eine Vertiefung notwendig, sondern es ist auch eine Verbreiterung an einigen Stellen notwendig, damit die großen Schiffe aneinander vorbeifahren können."

Rotterdam ist Hamburgs größter Konkurrent

In Rotterdam, beim schärfsten Konkurrenten der Hamburger, gibt es diese Beschränkungen nicht. Franz von Keulen arbeitet für den Port of Rotterdam. Er steuert seinen blauen Kombi über die Stadtautobahn in Richtung Hafen. Rechts ragen die Schlote der Petrochemischen Industrie in den blauen Himmel, daneben liegen die unzähligen Tanklager: mächtige, zylinderförmige Bauten so weit das Auge reicht. Über 45 Kilometer erstreckt sich das Gelände.
"Wir sind hier im Europort-Gebiet. Das ist ein Teil, der in den 60er-Jahren gebaut wurde. Der größte Teil ist für die petrochemische Industrie. Aber es gibt auch Terminals für Eisenerz und Kohle."
Seit 2012 ist "Maasvlakte II" in Betrieb. Allein diese letzte Hafenerweiterung ist größer als der gesamte Hamburger Hafen.
Zuletzt wurden in Rotterdam rund 12 Millionen Container umgeschlagen, in Hamburg nur knapp neun Millionen. Franz von Keulen nennt die Vorteile des Rotterdamer Hafens.
"Hier gibt es die größten Containerschiffe. Es werden 20.000, sogar 20.500 TEU-Schiffe gebaut. Und es kommen immer noch größere. Aber die kann man hier haben, das ist kein Problem. Der Tiefgang ist kein Problem. Hier ist es 20 Meter tief. 24 Stunden pro Tag kann man hier reinfahren."
Ein Seitenhieb auf den Hamburger Hafen, den viele Schiffe nur bei Flut erreichen können. Die Elbe soll nach den geplanten Baggerarbeiten einen Tiefgang von 14,5 Meter haben.
Dass die weltgrößten Frachter heute im Hamburger Hafen festmachen können, liegt daran, dass sie einen Teil ihrer Ladung schon in Rotterdam löschen. Andernfalls hätten sie zu viel Tiefgang.

Kooperation mit Wilhelmshaven hätte auch Nachteile

Aber wäre es nicht möglich, die Riesenfrachter nicht in Rotterdam, sondern im Jade-Weser-Port zu entladen?
Eine enge Kooperation zwischen dem Hamburg und Wilhelmshaven war schon während der Planung des Jade-Weser-Ports im Gespräch. Damals loteten die Hamburger aus, welche Vorteile eine Beteiligung der Hamburger Hafen- und Logistik AG in Wilhelmshaven haben würde.
Das Ergebnis: möglicherweise könnte die HHLA, die zu fast 70 Prozent der Stadt gehört, durch eine Beteiligung Gewinne machen. Aber der zweistellige Millionenbetrag, der dafür an Steuern fällig werden würde, käme nicht Hamburg, sondern Niedersachsen zugute. Die Hamburger brachen die Verhandlungen damals ab.
Eine Hafenkooperation hätte zwar auch heute durchaus Vorteile, urteilt Professor Burkhard Lemper vom Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik. Eine Patentlösung sei das aber nicht:
"Die Kooperation kann dann beispielsweise etwas bewirken, wenn man gemeinsam Marketing betreibt, wenn man gemeinsam Geräte nutzt, Infrastrukturen nutzt wie zum Beispiel zum Vertiefen und Ausbaggern der Hafenbecken und der Zufahrten. Aber dass man in der Lage wäre, den Reedereien zu sagen: ‚Die großen Schiffe schickt ihr nach Wilhelmshaven und die kleineren und mittleren Schiffe, die lasst ihr dann vielleicht nach Hamburg und auch nach Bremerhaven fahren, das funktioniert nicht."
Jan Ninnemann von der Hamburg Beratungsfirma "Hanseatic Transport Consultancy" erklärt, warum das nicht funktionieren kann:
"Die Logistiker, die Reeder, die sonstigen Prozessbeteiligten entscheiden hier ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien, welchen Hafen sie anlaufen, warum sie mit welchem Schiff, welche Container über welchen Hafen routen - und hier eingreifen zu wollen, ist absolut unrealistisch.
Der Hamburger Hafen hat eine jahrhundertealte Tradition.
Der Hamburger Hafen hat eine jahrhundertealte Tradition.© Axel Schröder / Deutschlandradio
Eine direkte Beteiligung am Jade-Weser-Port kann sich auch Hans-Jörg Heims, der Sprecher der Hamburger Hafen- und Logistik AG, nicht vorstellen:
"Wenn Wilhelmshaven so eine Erfolgsstory wäre, warum sind die Zahlen von über 2,5 Millionen TEU, die man da umschlagen kann, warum werden die nicht umgeschlagen? Warum ist man noch nicht einmal bei einer Million TEU? Das liegt einfach daran, dass die Hinterlandanbindung in Wilhelmshaven bislang nicht funktioniert. Das heißt, der Reeder, der sich darauf verlässt, und der Kunde, der seine Ware schnell in den Süden Deutschlands transportieren will, der fährt nach Hamburg."
Nicht der Jade-Weser-Port sei der entscheidende Konkurrent für Hamburg, sondern der Tiefwasserhafen in Rotterdam.
Bislang kann der Hamburger Hafen mit reibungslosen Abläufen und eng getaktetem Schienenverkehr ins Hinterland punkten. Ladung verlieren könnte der Binnenhafen aber, wenn in einigen Jahren die Schienenanbindung der Konkurrenz in Rotterdam verbessert wird. Dann könnten die Rotterdamer den Güterverkehr ins deutsche Hinterland übernehmen, das bislang vom Hamburger Hafen aus bedient wird.

Pessimistische Aussichten für den Hamburger Hafen

Und trotz der Elbvertiefung könnte ein anderer Trend die Stellung des Hamburger Hafens schwächen. Die Struktur der weltweit operierenden Flotten ändere sich, sagt Jan Ninnemann:
"Der Trend wird sicherlich dahin gehen, dass auf den großen Europa-Asien-Routen dann zukünftig eine relativ homogene Flottenstruktur von 16.000, 18.000 TEU sich einstellen wird. Und das heißt, dass bestimmte Flexibilitäten und Freiheitsgrade, die heute noch gegeben sind, weil wir einen Mix aus größeren und mittelgroßen Schiffen haben, weiter aufgezehrt werden..."
… und in einigen Jahren werden dann nur noch die ganz großen Schiffe die europäischen Häfen anlaufen. Wo sie dann einen Teil ihre Ladung löschen werden, ob in Rotterdam oder Wilhelmshaven, und ob es sich für die Hamburger Hafen- und Logistik AG doch lohnen könnte, beim Jade-Weser-Port einzusteigen, bleibt offen.
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