Der Hass auf den Hass

Über einen untauglichen Universalfeind

Anti-Trump-Proteste in New York.
Menschen protestieren gegen Donald Trump mit teils aggressiven Slogans: Hilft uns Hass auf den Hass weiter? © imago/Pacific Press Agency
Von Gesine Palmer · 07.02.2017
Es wird wieder gehasst in der Gesellschaft - auf allen Seiten. Und die so dringend nötige Trennung von Gefühl und Verstand bleibt dabei auf der Strecke, meint die Publizistin Gesine Palmer. Ja, Hass sei wichtig, aber wohl dosiert.
Jeder Mensch, der älter als vier Jahre werden durfte, hat es schon einmal gesagt. Und die meisten Menschen haben es auch schon mal gehört: "Ich hasse dich!" Herausgebrüllt mit größter Heftigkeit – oder kalt hervorgezischt zur Erklärung einer Schandtat, die man soeben beging. Hass gehört zu den elementaren Impulsen der menschlichen Seele und dient der Abwehr von Überwältigungserfahrung.
Meist bilden wir uns ein, ganz gut zwischen analytischer Beschreibung und moralischer Wertung unterscheiden zu können. Aber seit der Hass in die Politik gegangen ist, hat er eine zauberische Wirkung entfaltet: Wo immer er auftaucht, bricht die Unterscheidung zwischen Beschreibung und Wertung zusammen, und aus den Menschen heraus bricht das Bekenntnis gegen den Hass. Bundeskanzlerin und Bundespräsident, Friedenspreisträgerin und all die Kritiker islamistischer Hassprediger sind wundersam vereint, wenn sie ihre Ausführungen mit allgemeinsten Verwerfungen des Hasses an sich und der Angst an sich garnieren. Von Stendhal haben wir gelernt: "Sei darauf bedacht, dein Leben nicht in Hass und Furcht zu verbringen."

Die feine Sensibilität der Intellektuellen ist nicht die Regel

Doch genau das scheint mal wieder zu kippen. Beschäftigt mit Seelenhygiene und feinsten Ausschlägen der Sensibilität für dieses und jenes, was den Generationen vor uns noch als "Zipperlein" erschien, haben wir völlig übersehen, dass ganze Bevölkerungsschichten in verschiedenen Ländern an unserer vornehmen Tugendwelt mit Marathon und veganem Essen keinen Anteil hatten.
Nun sitzen wir da mit unserem feinen psychoanalytischen Besteck und versuchen vergeblich, ihnen zu erklären, warum ihre Angst vor Flüchtlingen unbegründet, ihr Hass gegen Schwule wahrscheinlich eine Verschiebung eigener homoerotischer Impulse und ihre ganze mangelhafte Impulskontrolle irgendwie noch behandlungsbedürftig ist.
Es hilft uns nicht weiter. Sie haben ausgerechnet in Amerika jemanden zum Präsidenten gewählt, der zusammen mit seiner schönheitschirurgisch hochgerüsteten Frau all das verkörpert – nämlich körperlich zur Schau stellt –, was unseren sorgsam sensibilisierten Seelen zuwider ist. Und auch die Flüchtlinge vom anderen Ende der Welt dürften für viele eine gewisse Enttäuschung sein. Denn unter ihnen sind doch manche, die einen starken Hang zu Klan-Ordnungen, homophoben und Frauen verachtenden Religionsformen deutlich erkennen lassen. Wohin soll sich der liberale, wohlwollende, gute Mensch noch wenden?
Ich selbst glaube ja immer noch an solide Analyse und ehrliches moralisches Urteil. Und da ist klar: Der Hass auf Homosexuelle ist eine klassische Verschiebung. Da Homosexuelle in aller Regel niemanden bedrohen, muss also das Gefühl von Bedrohtheit und die Reaktion mit Hass eine Ursache haben, die nicht beim Homosexuellen, sondern bei seinem Hasser liegt. Ähnlich mit Judenhass, gewöhnlichem Fremdenhass, Schwabenhass und Frauenhass.

Kann Hass auf Trump notwendig sein?

Hingegen der Hass auf Trump? Ist das dann ein vernünftiger, ein angemessener Hass? Weil Trump ja eine wirkliche Gefahr darstelle? Sind wir in einer ähnlichen Lage wie die Gegner Hitlers? Sie brauchten ihren Hass, wenn sie noch tätig werden wollten, statt unter der Wucht der massenhaften Verehrung des Diktators einzuknicken oder in Depression zu verfallen.
Aber für uns heute gilt wohl eher, dass wir erst einmal wieder lernen müssen, das richtige Maß an Abstraktion zu finden. Von Hegel kennen wir den Ausdruck "schlecht abstrakt." Wer "Fremde" zur Adresse seines Hasses macht, hat sicher nicht abstrakt genug gedacht und seine eigenen Impulse nicht genügend reflektiert. Wer aber nicht nur ein bestimmtes Hassgebaren bestimmter Menschen gegen bestimmte Menschengruppen kritisiert, sondern schlecht abstrakt "den Hass selbst" zum universalen Feind erklärt, der hat es mit seiner Abstraktion entschieden übertrieben. Und verwickelt sich in innere Widersprüche, aus denen ihn keine noch so ausgefuchste Seelenhygiene befreit.
Da hilft vor allem erstmal klares Denken, angetrieben durch gut abstrakten Hass auf schlecht reflektierte Pseudotheorie.

Gesine Palmer, geboren 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik" – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.

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