Der Herr der Affen

Der amerikanische Psychologe Harry Harlow konnte in den 50er-Jahren anhand von Experimenten mit Affen nachweisen, wie wichtig Liebe und Zuneigung für Kinder sind. Deborah Blum beschreibt das Leben des Forschers in "Die Entdeckung der Mutterliebe".
Wie wichtig sind Liebe und Zuwendung für die Entwicklung eines Kindes? Gibt es so etwas wie Mutterliebe, und wie lässt sie sich wissenschaftlich messen? Deborah Blum erzählt die Geschichte des amerikanischen Psychologen Harry Harlow, der Mitte der 1950er-Jahre wissenschaftlich bewies, dass Liebe der grundlegende Faktor für die sichere Entwicklung von Kindern ist. Doch "Die Entdeckung der Mutterliebe" ist weit mehr als eine Biografie über einen herausragenden Forscher. Das Buch ist Gesellschaftschronik, Wissenschaftsgeschichte und Porträt zugleich. Ein echtes Leseabenteuer, das hinreißend und nachvollziehbar beschreibt, wie sehr die Meinung angesehener Forscher das Leben ganzer Generationen beeinflussen kann und wie schwer es ist, dagegen anzugehen.

Harry Harlow wird am 31. Oktober 1905 in Fairfield, im Bundesstaat Iowa als drittes von vier Kindern geboren. Seine Kindheit und Jugend verlebt er in armen, aber glücklichen Verhältnissen, erzählt Deborah Blum. Anschaulich beschreibt sie Harry als kleinen, schmalen Jungen mit kantigem Gesicht, der schon als Kind gerne Verse dichtet – eine Leidenschaft, die Harry Harlow sein Leben lang pflegt. Wir erleben Harry auf Familienfesten, in Prüfungsgesprächen und auf Vorlesungsreisen, begleiten ihn bei seinen wissenschaftlichen Erörterungen und erleben hautnah, mit welchen Fragestellungen und Problemen er sich beschäftigt. Deborah Blum beherrscht die Kunst des Erzählens, sie lässt uns mitfühlen, wenn Harry sich zum ersten Mal verliebt, oder er während einer seiner ersten Vorlesungen als Professor ausgebuht wird.

Eindrucksvoll beschreibt sie, mit welcher Hartnäckigkeit sich der Wissenschaftler gegen die in den 50er- und 60er-Jahren herrschende Lehrmeinung stellt. Dazu lässt die Autorin zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen, die über die Zusammenarbeit mit Harry Harlow berichten.

So erzählt zum Beispiel einer seiner Schüler, wie er monatelang zusammen mit Harlow jeden Tag in den Zoo fuhr, um dort mit den Affen zu arbeiten. Ein anderer Wissenschaftler erinnert sich lebhaft daran, wir er beim Bau des ersten Labors für Primaten Steine schleppen musste, weil die Universität nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stellte.

Harlows Experimente über das Lernen und Verhalten von Affen faszinieren noch ein halbes Jahrhundert später. Es bewegt, zu lesen, wie kleine Affenbabys, die ohne Zuwendung und ohne Kontakt zur Mutter aufwachsen, später enorme soziale Störungen aufzeigen: desinteressiert, apathisch, ängstlich sind. Dieselben Symptome zeigten damals Kinder, die in Waisenhäuser aufwuchsen oder längere Zeit von ihren Eltern getrennt lebten, erläutert Deborah Blum. Es waren Harlows Affenexperimente, die Wissenschaftlern und der Gesellschaft die Augen öffneten. Harry Harlow hat in einer Zeit, in der Sauberkeit, Distanz und Kontrolle als Maximen der Kindererziehungen galten, bewiesen, dass Liebe nichts weniger als lebensnotwendig ist.


Besprochen von Susanne Nessler


Deborah Blum: Die Entdeckung der Mutterliebe. Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow.
Aus dem Amerikanischen von Sabine Grunwald.
Beltz-Verlag. 351 Seiten, 24,90 Euro.
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