Der Herr und sein Hund

Von Frank Lisson · 19.07.2010
Der Hundehalter ist mehr Mensch als jeder andere. Man beobachte homo sapiens, in welchem Verhältnis er zu seinem Hund steht, und man erfährt im Grunde alles über Wesen und Tragik der eigenen Spezies. Etwa, wenn homo sapiens Stöckchen wirft. Der lauernde, heiter-begierige Blick des Hundes.
Wie er in Stellung geht, wartend, endlich lossprinten zu dürfen, um seinem Herrchen die Beute vor die Füße zu legen. Es folgt die gönnerhafte, überlegene Geste: braver Hund! Dann der beliebte angetäuschte Wurf. Hund läuft los ... aber kein Stöckchen, nirgends. Hund kommt zurück, wenn es sein muss, zehnmal. Und keiner von beiden verliert je die Freude daran. Ja, man versteht sich.

Zum "Herrentum" des Menschen gehörte lange das Hundehalten als Ausdruck der Macht: Friedrich der Große, Bismarck, selbst Hitler waren demonstrative Hundehalter. Dies ist der Demokrat anstandshalber schon nicht mehr. Bei ihm ist die Lust am Hund ins Private verschoben. Sein "Herrentum" würde er nicht mehr so nennen, obwohl er es nur ein wenig zivilisiert hat.

Im Hundehalter Thomas Mann können wir den Übergang beobachten. Die Erzählung ‚Herr und Hund’ von 1919 verrät schon manches über die wachsende republikanische Gesinnung eines sich demokratisierenden Herrn, der jedoch auf einen Rest Aristokratismus nicht verzichten will. Denn ‚Bauschan’, dem etwas tollpatschigen, weil "herunter gezüchteten" Hühnerhund, ist die Fähigkeit zum Jagen abhanden gekommen - er trägt sie nur noch als Instinkt in sich.

"Ich habe meinem Schmerz einen Namen gegeben und rufe ihn ‚Hund’", sagt Nietzsche in der ‚Fröhlichen Wissenschaft’. "Er ist ebenso treu, ebenso zudringlich und schamlos, ebenso unterhaltend, ebenso klug wie jeder andere Hund - und ich kann ihn anherrschen und meine bösen Launen an ihm auslassen: wie es andere mit ihren Hunden, Dienern und Frauen machen."

Wo Diener und Frauen nicht mehr den unteren Rand der Hackordnung bilden, bleibt beiden Geschlechtern nur der Hund, um das "innere Herrentum" - die Selbsterhöhung über ein Anderes - auszuleben. Es reicht von dem Bedürfnis, gebraucht zu werden, wie bei der rührenden Dackeloma, über das Symbol schwarzer Streuner im linken Straßenkindermilieu, bis hin zu den Machtallüren der Glatze mit Pitbull. Überall ist der "Herr" in Wahrheit ein Bedürftiger, der sich im Grunde seinem Hund unterwirft.

Thomas Bernhard schreibt: "Die Leute haben einen Hund und sind von diesem Hund beherrscht. Die Menschen lieben Tiere, weil sie nicht einmal zur Selbstliebe fähig sind. Die in der Seele zutiefst gemeinsten halten sich Hunde und lassen sich von diesem Hund tyrannisieren und schließlich kaputtmachen. Sie setzen den Hund an die erste und an die oberste Stelle ihrer letzten Endes gemeingefährlichen Heuchelei. Lieber würden sie ihren Hund vor dem Fallbeil retten als Voltaire."

Autokraten wie Nietzsche oder Thomas Bernhard konnten folglich keine guten Hundehalter sein. So wenig wie sie "gute" Menschen im heutigen Sinne sein konnten. Vielleicht wären sie ihrem Wesen nach eher Katzenhalter gewesen. Denn die Katze ist das Tier der "inneren" Aristokratie: sauber, leise, geschmeidig und bis zum Hochmut eigenwillig.

Immer mehr Menschen bedürfen jedoch des Hundes. Ihre Zahl wächst vor allem in Großstädten kontinuierlich. Doch was sie hinterlassen, bekümmert Herrchen nur selten. Peter Fox schreibt in ‚Schwarz zu blau’, seiner herb-melancholischen Hymne auf Berlin: "Überall liegt Scheiße, man muss eigentlich schweben, jeder hat ’n Hund, aber keinen zum Reden." Der Schweizer greift immerhin zum Belloo-Beutel, auch Kot-Schnappi genannt. Der Deutsche sieht, wie so oft, wenn es stinkt, einfach weg.


Frank Lisson, philosophischer Schriftsteller, Jahrgang 1970, Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Würzburg und München, schreibt Romane, Features, Hörspiele und Sachbücher mit dem Schwerpunkt Kulturphilosophie. Letzte Veröffentlichung: "Homo absolutus. Nach den Kulturen". Im Herbst 2010 erscheint: "Der kulturelle Selbsthass. Versuch zum Verständnis abendländischer Befindlichkeiten".
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