Der Himmel über New Delhi

Eine Stadt ringt nach Luft

Auf dem Motorrad sitzt ein Mann mit lila Turban. Das Motorrad stößt weißen rauch aus. Es fährt hinter einem orangefarbenen LKW her.
Der öffentliche Aufschrei der Bewohner gegen Smog ist eher verhalten. © AFP / MONEY SHARMA
Von Margarethe Blümel |
Delhi ist die am höchsten mit Smog belastete Stadt der Welt. Trotzdem war lange Zeit der öffentliche Aufschrei der Bewohner eher verhalten, auch wenn immer mehr Menschen unter Husten, Haut- und Lungenkrankheiten leiden.
Auf silbernen Tabletts balancieren die Kellner des 5-Sterne-Hotels in Delhi ausgesuchte Häppchen und Getränke durch die Menge. Noch anderthalb Stunden, bis das große Buffet geöffnet wird. Viele Teilnehmer der Konferenz wenden den Blick kurz vom Rednerpodest auf das kulinarische Angebot und greifen zu. Der Duft pikant gewürzter Teigtaschen und die Frische der mit grünen Limettenscheiben und Minze dekorierten Drinks erfüllen die Halle.
Auf den Tribünen stehen derweil die Themen Klimawandel, nachhaltige Energieträger und die Umweltproblematik großer Städte wie Peking und Delhi auf dem Programm.
Die Säle, Hallen und Räume des exklusiven Tagungsortes sind gut gekühlt und vom Lärm der Außenwelt abgeschirmt.
Der Geschmack Dehlis: scharf, metallisch und unnachahmlich bitter
Draußen, nur wenige Meter weiter, liegt eine gelblich-graue Smog-Glocke über der Stadt. Ein durchdringender Gestank setzt den Passanten zu. Ihre Augen jucken und tränen in einem fort. Gopal Murti hat, wie er sagt, den "Geschmack Delhis" auf der Zunge: scharf, metallisch und unnachahmlich bitter.
Der junge Büroangestellte wartet gerade auf den Bus. Mund und Nase hält er mit einem Taschentuch bedeckt. Immer wieder rinnt Gopal Murti der von den Abgasen getränkte Schweiß von Kinn und Stirn auf den ehemals weißen Hemdkragen herab. Delhi, sagt er, Delhi stinke zum Himmel.
"Wir bekommen ja kaum noch Luft! Unsere Gesundheit ist dadurch schwer beeinträchtigt. Und die Regierung? Tut so gut wie gar nichts. Wie auch? Jeden Tag werden in Delhi zweitausend neue Autos verkauft. Und das soll natürlich so bleiben. Die Banken wiederum haben etwas davon, indem sie großzügig Kredite anbieten. Es ist wirklich leicht, hier an einen fahrbaren Untersatz zu kommen. Auch zwei Autos zu finanzieren, ist kein Problem!"
Dass die Bewohner der Metropole nach Luft ringen, ist nicht neu. Die von den Verantwortlichen bereits ausgesprochen großzügig bemessene Obergrenze für gefährliche Feinstaub-Teilchen wird regelmäßig deutlich überschritten. Hals- und Lungeninfektionen sind für die Bewohner Delhis an der Tagesordnung. Fachärzte haben festgestellt, dass die Lungenkapazität vieler Betroffener durch die fortwährende Feinstaubbelastung merklich eingeschränkt ist.
Die bisher getroffenen Maßnahmen der Regierung reichen nicht aus, auch wenn inzwischen die meisten Fabriken aus dem Stadtgebiet verbannt worden sind, eine U-Bahn gebaut wurde und die Umstellung von Bussen, Taxis und PKW auf umweltfreundliche Treibstoffe erfolgt ist.
"Und so nimmt die Luftverschmutzung hier immer weiter zu. Von den schlechten Parkmöglichkeiten ganz zu schweigen! Ob mich das wütend macht? - Klar. Nur: Ich bin hilflos. Auf diese Dinge habe ich keinen Einfluss."
Über das wahre Ausmaß sind sich die meisten nicht im Klaren
Wer über einen längeren Zeitraum stark verschmutzter Luft ausgesetzt ist, trägt bleibende Schäden davon. Herzversagen, Schlaganfälle und Lungenkrebs können die Folge sein. Außerdem kommt es fast immer zu chronischen Atemwegserkrankungen. Weltweit leiden in Indien die meisten Menschen an Asthma. Bei alldem nimmt die indische Hauptstadt den Spitzenplatz ein. Obwohl die meisten anderen Großstädte Delhi wahrscheinlich längst dicht auf den Fersen sind. Prof. Srinath Reddy:
"Der Hauptstadt kommt natürlich besondere Aufmerksamkeit zu. Schließlich leben hier unsere Politiker, die hohen Richter, Journalisten und die Diplomaten. Darüber sollten wir aber nicht vergessen, dass eine ganze Reihe anderer Städte ähnliche Probleme haben wie Delhi. Um diese Städte, in deren Umfeld häufig große Industriebetriebe angesiedelt sind, müssen wir uns ebenfalls kümmern. Und das beginnt mit der Überwachung der Luftverschmutzung."
Prof. Srinath Reddy ist Kardiologe und leitet die Gesundheitsorganisation "Public Health Foundation of India". Wenn die Regierung dieser Probleme schon in ihrer Hauptstadt nicht Herr werde, sagt Professor Reddy, wie sollte der Rest des Landes dann ernsthaft Abhilfe erwarten können?
"Die Regierung hat kürzlich einen Index für die Luftverschmutzung festgelegt, was sich aber bisher leider noch nicht sonderlich herumgesprochen hat. Viele Leute wissen natürlich, dass die Luft hier schlecht ist. Ihnen ist bewusst, dass wir da wirklich ein Problem haben. Aber über das wahre Ausmaß der Luftverschmutzung hier vor Ort sind die meisten sich noch nicht im Klaren."
Demonstrieren gegen schlechte Luft in Dehli? Nein.
In Delhis Geschäftszentrum, gleich hinter dem Bazar Pahar Ganj, sind an die hundert Menschen zusammengekommen, um zu demonstrieren. Der Protest richtet sich gegen die Staatsbank, die ihre Angestellten nach Ansicht der Beteiligten viel zu schlecht bezahlt. Es sind ausschließlich Männer, die hier ihre Fäuste schütteln, Banner schwingen und in den Chor der Gewerkschaftsvertreter einstimmen.
Die anwesenden Polizisten wirken ziemlich schläfrig. Die Gummiknüppel im Anschlag, richten sie ab und an einen professionellen Blick in die Menge, um sich dann wieder ihren Smartphones oder der auf dem Mauervorsprung abgesetzten Tasse Tee zu widmen.
Fast jeden Tag findet in irgendeinem Winkel Delhis eine Demonstration statt. Hier ziehen die sogenannten Unberührbaren gegen das Unrecht, das ihnen widerfährt, zu Feld. Da beklagen die Bewohner und Bewohnerinnen Delhis die weitverbreitete Armut oder die Gewalt gegenüber Frauen.
Der Bankkassierer Pukraj Singh sagt, er könne sich vorstellen, auf die Straße zu gehen, damit seiner Schwester, Mutter, Frau oder Tochter kein Leid angetan werde. Oder wenn ihn die Angestellten des Krankenhauses nicht zum Arzt vorließen, weil er kein Schmiergeld bezahle. Aber weil die Luft in Delhi schlecht sei, nein! Die Regierung kümmere sich schon darum. Nun ja, vielleicht liefe das noch nicht optimal, aber schließlich sei das Ganze doch auch ziemlich kompliziert.

"Es ist schon deshalb nicht einfach, weil jeden Tag viele neue Fahrzeuge auf die Straße kommen und weil die Verordnung, über fünfzehn Jahre alte Autos aus dem Verkehr zu ziehen, noch nicht umgesetzt worden ist. Dies muss und wird bestimmt auch demnächst geschehen. Der hiesige Ministerpräsident ist ja noch nicht all zulange im Amt. Mit seiner Hilfe hoffen wir darauf, dass Delhi bald sicher und schadstofffrei sein wird."
Anzahl der Fahrzeuge auf der Straße muss verringert werden
Außerdem, betont Pukraj Singh, habe Delhi ja nun auch seit Jahren seine U-Bahn, die Metro:
"Seitdem wir unsere Metro haben, sind zwar viele neue Fahrzeuge hinzugekommen, aber zugleich wird die U-Bahn täglich von hunderttausenden Pendlern genutzt. Delhi ohne die Metro – das wäre die Hölle."
Dennoch hat der Ausbau der Metro nicht mit dem Bedarf Schritt gehalten. Viele Bewohner Delhis benötigen noch immer zwanzig, dreißig Minuten oder länger, um mit dem Bus die nächstgelegene U-Bahn-Haltestelle zu erreichen. Auch deshalb ist Delhis Metro nicht das Verkehrsmittel der Armen – die Fahrt mit dem Bus ist allemal billiger. Und eine Kombination von Bus- und U-Bahn-Ticket ist für die meisten ärmeren Leute unerschwinglich.
"Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört es, die Anzahl der Fahrzeuge auf unseren Straßen zu verringern. Außerdem muss der Schadstoffausstoß der Verkehrsmittel begrenzt werden. Als Nächstes kommen die Kohlekraftwerke an die Reihe und selbstverständlich müssen wir auch das Baugewerbe unter die Lupe nehmen, weil von dieser Seite her erheblich zur Luftverschmutzung beigetragen wird."
Außerdem, erläutert der Umweltwissenschaftler Sumit Sharma, spielten diverse andere Faktoren eine Rolle dabei, dass sich Delhis Luftverschmutzung trotz der bereits getroffenen Maßnahmen auf einem völlig intolerablen Stand befinde.
"Dieselgeneratoren sind in Ihrem Teil der Welt wahrscheinlich weitgehend unbekannt, weil Sie täglich von morgens bis abends Zugang zur Stromversorgung haben. In Delhi und Umgebung sind vier bis sechs Stunden pro Tag ohne Strom nichts Ungewöhnliches. Also legen die Leute sich Dieselgeneratoren zu. Wenn der Strom mal wieder ausfällt, springen zum Beispiel in unserem Apartmentkomplex fünf große Dieselgeneratoren an. Was das für eine zusätzliche Umweltbelastung ist, können Sie sich bestimmt denken. Es geht also nicht nur um die Anzahl und die Schadstoffreduktion unserer Fahrzeuge, sondern auch um andere Faktoren, die zur Luftverschmutzung beitragen. Wir müssen deshalb eben auch dafür sorgen, dass wir rund um die Uhr mit Strom versorgt sind, zumindest in den Gebieten, in denen die Lage besonders prekär ist."
Viele machen weiter wie gehabt
Und Elektro-Fahrzeuge? Stünden durchaus zur Debatte, sagt Sumit Sharma. Auch wenn Regierung, Wirtschaft und Umweltwissenschaftler ihrem Einsatz mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegensähen.
"Ein paar Modelle mit Elektromotoren gibt es, aber sie sind mit Problemen behaftet. Zum einen sind diese Autos so teuer, dass sie schon deshalb für viele Leute nicht infrage kommen. Zum anderen wird der Strom, den sie verbrauchen, von Kohlekraftwerken produziert. Die umweltfreundlichen Elektrofahrzeuge werden also mit dem massiven Schadstoffausstoß von Kohlekraftwerken erkauft. Wir müssen unsere komplette Energiepolitik umstellen. Und das bedeutet für die Regierung unter anderem: mehr Fördermittel. Der Betrag, den man im Moment für die Bezuschussung von Autos mit Elektromotoren bereithält, ist viel zu niedrig angesetzt. Ich denke aber, dass Elektrofahrzeuge hierzulande eine Zukunft haben. In zehn, fünfzehn Jahren sollten diese Autos in Indien wesentlich beliebter sein."
Um Delhis Luftverschmutzung Einhalt zu gebieten, um dafür zu sorgen, dass sich die Situation vor Ort zum Besseren wendet, müssten die meist als soft, als "weich" aufgefassten Umweltaspekte von den Politikern als Kernaufgaben wahrgenommen werden, ergänzt Professor Reddy. Was fehle sei der politische Wille, der sich in einer konsequenten Gesetzgebung niederschlage.
"Mitfahrzentralen oder Fahrgemeinschaften sind hier bei uns nicht üblich. Aber mit diesen Dingen müssen wir uns beschäftigen. Wir sollten uns auch an Singapur und an unserem eigenen Vorreiter, an Chennai, ein Beispiel nehmen, wo zum Beispiel die Anzahl der Autos innerhalb einer Familie beschränkt wird. Da ist eine entsprechende Gesetzgebung gefragt."
Viele derer, die von alldem profitieren sollen, machen derweil so weiter wie gehabt.
"Wir Inder leben viel zu sehr in der Gegenwart"
Ein kühler Winterabend in New Delhis Hauptgeschäftsviertel, dem Connaught Place. Zehn in verschlissene Decken gehüllte Gestalten sitzen in einer windgeschützten Ecke abseits des Publikumsverkehrs, trinken Tee und unterhalten sich. Aus dem Feuer, das sie mit eigens hierzu gesammelten Blättern speisen, steigt eine übel qualmende Rauchsäule auf. Ab und an landet auch ein Stück Pappe oder ein Plastiküberbleibsel auf dem Haufen.
Die Unsitte, im Winter Feuer mit Blättern zu entzünden, ist alt und bis heute weitverbreitet. Der Programmierer Dilip Sarwar wohnt in einem belebten Viertel im Norden Delhis. Er hasst es, wenn in seiner Nachbarschaft solche Qualmwolken die Luft noch zusätzlich verpesten. Als hätten er, seine Frau und die drei Kinder es nicht bereits schwer genug damit, gegen die Melange von Giftstoffen zu kämpfen, die sie hier in Delhi täglich einatmen müssten. Aber was bliebe einem schon außer zu resignieren, fragt Dilip Sarkar. Er jedenfalls glaube nicht daran, dass sich wegen des offiziellen Verbots an dieser Praxis auch nur das Geringste ändern werde.
"Erst vor kurzem wurde für Delhi ein Gesetz erlassen, welches das Verbrennen von Blättern untersagt. Aber, mal ganz ernst – diese Stadt ist riesig. Wenn hier jemand in irgendeiner Ecke Blätter verbrennt und damit ein Feuerchen unterhält, wer wird denjenigen wohl davon abhalten? Jeder von uns muss sich da seiner Eigenverantwortung bewusst werden. Sonst bleibt alles, wie es ist. Die Regierung kann noch so oft betonen, dass diese Straftat fünfhundert oder von mir aus auch tausend Rupien Strafe nach sich zieht. Aber wenn ich mich draußen hinsetze und so ein Feuer entfache, kommt da ein Polizist, um die fünfhundert Rupien Strafe einzufordern? Natürlich nicht."
Und noch etwas, fügt der schwergeprüfte Familienvater hinzu. Wissen Sie, was wir hier in Delhi jedes Jahr während des Diwali-Fests durchmachen? Wenn unzählige Feuerwerkskörper in den Himmel katapultiert werden, der Achtjährige wegen seiner Asthmaanfälle die dreifache Dosis Cortison benötige, während er selbst einen heftig juckenden Hautausschlag entwickle und seine Frau mit ihrem quälenden Dauerhusten weder am Tag noch in der Nacht Ruhe finde?
"Khao, piio, maja karo" – "Hab' Spaß am Leben, mach's Beste draus!" Er verstehe die Leute ja. Nur – nicht allein die Politiker, auch die Bürger und Bürgerinnen Delhis müssten sich engagieren. Wenn schon nicht für sich selbst, dann doch zumindest für ihre Kinder und Enkel.
"Wir Inder leben viel zu sehr in der Gegenwart. Über die Zukunft machen wir uns wenig Gedanken. Als Dreißigjähriger zum Beispiel denkt man kaum weiter als, okay, ich habe wahrscheinlich noch vierzig, fünfzig Jahre vor mir. Nun denn. Prima. Diese Sichtweise, die Philosophie, sich nicht um das zu kümmern, was nach uns geschieht, müssen wir unbedingt revidieren."
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