Der Himmelsstürmer
Mit seinen Konterreliefs machte er Picasso Konkurrenz, sein monumentaler Turmbau sollte die Ziele der Russischen Revolution propagieren, sein Flugapparat wollte dem Menschen Flügel verleihen. Das Museum Tinguely widmet Vladimir Tatlin (1885-1953) eine große Schau.
400 Meter, also höher als der Eiffelturm, sollte sich die Zentrale des Weltkommunismus in einer stählernen Spirale schräg in den Himmel über Moskau schrauben. Im Inneren der Konstruktion sollten sich vier gläserne Gehäuse um die eigene Achse drehen.
1920 hatte Vladimir Tatlin das größenwahnsinnige Bauwerk entworfen und ein Modell gebaut, das Lenin persönlich besichtigt hatte; und auch wenn der maschinenhafte Turm niemals gebaut wurde, war Tatlin damals ganz nah am Zentrum der Macht.
Mit 14 Jahren war er von zu Hause ausgerissen, zunächst Seemann und dann Maler geworden. Ein Selbstporträt als Matrose von 1911 zeigt sein schmales, kantiges Gesicht - ein Pionier am Puls der Zeit. Er pflegt einen etwas derben Kubismus, und 1914 fährt er nach Paris, besucht Picasso in seinem Atelier. Angeblich will er dessen Assistent werden, der Meister allerdings winkt ab.
Doch Tatlin hat genug gesehen. Zurück in Moskau, entwickelt er seine so genannten "Konterreliefs". Das sind bizarre Konstrukte aus gebogenen Blechen und Brettern, aus Pappe und Glas, die Tatlin akrobatisch mit Tauen und Drähten in Raumecken verspannt, so dass sie in der Luft hängen - eine radikale Auffassung von Plastik, die sich vor der Wand schwebend mit dem Raum verschwistert, sagt der Kurator Gian Casper Bott:
"In diesem Bereich ist er wohl auch wirklich objektiv gesehen revolutionärer als Picasso in der Zeit. Und 1917 bricht die Revolution aus, und dann wird er, wie er selbst sagt, zum ersten Künstler, der sich bei den Bolschewiken zur Arbeit gemeldet hat. Und er trägt in diesen frühen Jahren die Ideale der kommunistischen Weltrevolution wirklich mit. Man wusste damals ja auch nicht, wie das enden würde."
Vladimir Tatlin, das ist heute vor allem sein legendärer Turm. In der Basler Schau stehen zwei rekonstruierte Modelle, wie überhaupt viel rekonstruiert werden muss in diesem Fall. Gerade mal drei Originale sind von seinen Konterreliefs erhalten, der Rest ist Rekonstruktion.
Die Schau zeigt Tatlin als einen Mann, dessen Sinn für das Plastische so stark entwickelt ist, dass er - wie er selber sagt - die Augen am liebsten durch den Tastsinn ersetzen möchte; er ist ein Mann mit einer Ader fürs Aktionistische, mit einem Hang auch zur theatralischen Inszenierung, wie seine vielen Entwürfe für die Bühne belegen, unter anderem für den "Fliegenden Holländer".
Von der Decke hängt ein abenteuerliches Fluggerät, "Letatlin" genannt, das aus der Werkstatt Leonardos stammen könnte. Der alte Traum des Dädalus steckt dahinter, dem Menschen das Gefühl des Fliegens zurückzugeben, nicht mit Motor und moderner Technik, sondern mit reiner Muskelkraft.
"Ich denke, das ist ein poetisches Objekt in erster Linie. Seine Vorstellung war wohl, dass der Mensch in einer frühen Entwicklungsphase vielleicht auch fliegen konnte, dass er das verloren hat und dass es letztlich nur darum ginge, die perfekte Form zu finden und dann könne das der Mensch mit Üben auch zustande bringen. Das geht dann quasi ins Blut über und dann kann man das einfach."
In den 20er-Jahren hat Tatlin an dem Fluggerät herumgetüftelt. In die Lüfte ging es nie, auch wenn der Dichter Chlebnikow den Künstler einen "Sonnenfänger" nannte. Stalin mit seinem reaktionären Kunstverständnis holte den Himmelsstürmer endgültig auf den Boden der Tatsachen zurück. Zu abgehoben waren seine Ideen, sagt Dmitrii Dimakov, Tatlin-Spezialist aus Moskau, der die Ausstellung betreut.
"Die Kunst der Revolution hatte sich sehr rasch erschöpft. Diese Kunst hatte kein breites Publikum, und es gab dann eine allgemeine Tendenz zu einer Kunst, die eben keine revolutionäre Kunst mehr war."
Wie so viele seiner Kollegen, fiel auch Tatlin als Formalist in Ungnade, und es gab eine Zeit, in der sein Werk von den Sowjets schlicht verschwiegen wurde.
"Ja, es gab eine solche Zeit. Das war keine lange Periode, aber Tatlin hat das noch miterlebt in den letzten Jahren seines Lebens. Er war dennoch ständig von ein paar Leuten umgeben, die ihn sehr geschätzt haben, die ihn auch als einen radikalen Künstler wahrgenommen und bewundert haben."
Andere Weggefährten hatten weniger Glück. Tatlins Mitstreiter Nikolai Punin, der die erste Monographie über ihn verfasst hatte, kam in einem sibirischen Arbeitslager um. Tatlin ließ man in Ruhe, sagt Kurator Gian Casper Bott:
"Man hat ihn möglicherweise gar nicht mehr so ernst genommen und ihn kaltgestellt. Eigentlich, als er starb, war er völlig vergessen."
Vor allem in dem schönen Katalog, der wie ein Manifest aufgemacht ist, versucht die Schau, Tatlin auch als politische Figur zu fassen, der mit seiner Kunst nichts weniger als eine neue Welt gestalten wollte.
Beide, Katalog und Ausstellung, erzählen die Geschichte vom Abenteuer der russischen Avantgarde, die auch die Geschichte eines grandiosen Scheiterns war, weil die Politik die Kunst beherrschte und nicht die Kunst die Politik.
1920 hatte Vladimir Tatlin das größenwahnsinnige Bauwerk entworfen und ein Modell gebaut, das Lenin persönlich besichtigt hatte; und auch wenn der maschinenhafte Turm niemals gebaut wurde, war Tatlin damals ganz nah am Zentrum der Macht.
Mit 14 Jahren war er von zu Hause ausgerissen, zunächst Seemann und dann Maler geworden. Ein Selbstporträt als Matrose von 1911 zeigt sein schmales, kantiges Gesicht - ein Pionier am Puls der Zeit. Er pflegt einen etwas derben Kubismus, und 1914 fährt er nach Paris, besucht Picasso in seinem Atelier. Angeblich will er dessen Assistent werden, der Meister allerdings winkt ab.
Doch Tatlin hat genug gesehen. Zurück in Moskau, entwickelt er seine so genannten "Konterreliefs". Das sind bizarre Konstrukte aus gebogenen Blechen und Brettern, aus Pappe und Glas, die Tatlin akrobatisch mit Tauen und Drähten in Raumecken verspannt, so dass sie in der Luft hängen - eine radikale Auffassung von Plastik, die sich vor der Wand schwebend mit dem Raum verschwistert, sagt der Kurator Gian Casper Bott:
"In diesem Bereich ist er wohl auch wirklich objektiv gesehen revolutionärer als Picasso in der Zeit. Und 1917 bricht die Revolution aus, und dann wird er, wie er selbst sagt, zum ersten Künstler, der sich bei den Bolschewiken zur Arbeit gemeldet hat. Und er trägt in diesen frühen Jahren die Ideale der kommunistischen Weltrevolution wirklich mit. Man wusste damals ja auch nicht, wie das enden würde."
Vladimir Tatlin, das ist heute vor allem sein legendärer Turm. In der Basler Schau stehen zwei rekonstruierte Modelle, wie überhaupt viel rekonstruiert werden muss in diesem Fall. Gerade mal drei Originale sind von seinen Konterreliefs erhalten, der Rest ist Rekonstruktion.
Die Schau zeigt Tatlin als einen Mann, dessen Sinn für das Plastische so stark entwickelt ist, dass er - wie er selber sagt - die Augen am liebsten durch den Tastsinn ersetzen möchte; er ist ein Mann mit einer Ader fürs Aktionistische, mit einem Hang auch zur theatralischen Inszenierung, wie seine vielen Entwürfe für die Bühne belegen, unter anderem für den "Fliegenden Holländer".
Von der Decke hängt ein abenteuerliches Fluggerät, "Letatlin" genannt, das aus der Werkstatt Leonardos stammen könnte. Der alte Traum des Dädalus steckt dahinter, dem Menschen das Gefühl des Fliegens zurückzugeben, nicht mit Motor und moderner Technik, sondern mit reiner Muskelkraft.
"Ich denke, das ist ein poetisches Objekt in erster Linie. Seine Vorstellung war wohl, dass der Mensch in einer frühen Entwicklungsphase vielleicht auch fliegen konnte, dass er das verloren hat und dass es letztlich nur darum ginge, die perfekte Form zu finden und dann könne das der Mensch mit Üben auch zustande bringen. Das geht dann quasi ins Blut über und dann kann man das einfach."
In den 20er-Jahren hat Tatlin an dem Fluggerät herumgetüftelt. In die Lüfte ging es nie, auch wenn der Dichter Chlebnikow den Künstler einen "Sonnenfänger" nannte. Stalin mit seinem reaktionären Kunstverständnis holte den Himmelsstürmer endgültig auf den Boden der Tatsachen zurück. Zu abgehoben waren seine Ideen, sagt Dmitrii Dimakov, Tatlin-Spezialist aus Moskau, der die Ausstellung betreut.
"Die Kunst der Revolution hatte sich sehr rasch erschöpft. Diese Kunst hatte kein breites Publikum, und es gab dann eine allgemeine Tendenz zu einer Kunst, die eben keine revolutionäre Kunst mehr war."
Wie so viele seiner Kollegen, fiel auch Tatlin als Formalist in Ungnade, und es gab eine Zeit, in der sein Werk von den Sowjets schlicht verschwiegen wurde.
"Ja, es gab eine solche Zeit. Das war keine lange Periode, aber Tatlin hat das noch miterlebt in den letzten Jahren seines Lebens. Er war dennoch ständig von ein paar Leuten umgeben, die ihn sehr geschätzt haben, die ihn auch als einen radikalen Künstler wahrgenommen und bewundert haben."
Andere Weggefährten hatten weniger Glück. Tatlins Mitstreiter Nikolai Punin, der die erste Monographie über ihn verfasst hatte, kam in einem sibirischen Arbeitslager um. Tatlin ließ man in Ruhe, sagt Kurator Gian Casper Bott:
"Man hat ihn möglicherweise gar nicht mehr so ernst genommen und ihn kaltgestellt. Eigentlich, als er starb, war er völlig vergessen."
Vor allem in dem schönen Katalog, der wie ein Manifest aufgemacht ist, versucht die Schau, Tatlin auch als politische Figur zu fassen, der mit seiner Kunst nichts weniger als eine neue Welt gestalten wollte.
Beide, Katalog und Ausstellung, erzählen die Geschichte vom Abenteuer der russischen Avantgarde, die auch die Geschichte eines grandiosen Scheiterns war, weil die Politik die Kunst beherrschte und nicht die Kunst die Politik.