Der Hochmut vor dem Fall

Von Susanne Mack |
Besonders Politiker verwechseln oftmals ihr Amt mit ihrer Person - und werden hochmütig. Bereits Papst Gregor der Große, der im sechsten Jahrhundert den Katalog der sieben Todsünden erstellte, beschrieb, woran man den Hochmut erkennt.
"Lieber Gott, gib endlich zu,
dass ich größer bin als Du.
Und preise künftig meinen Namen,
denn sonst setzt es etwas. - Amen!"


Ein Gedicht von Robert Gernhardt.

Ernst: "Es ist natürlich ironisch gemeint. Aber so ironisch ist es gar nicht, manche Menschen meinen das durchaus ernst. Halten sich für gottgleich. Wir kennen ja das Wort von der Arroganz der Macht …"

Joschka Fischer: "Alles kommt dran! Arbeitsmarkt-Reform! Hartz IV! Rente! Gesundheit! Angela Merkel! Guido Westerwelle! Und auch die Außenpolitik. Geduld – deswegen seid Ihr doch da!"

Renate Künast: "Mich braucht ihr nicht neben Joschka Fischer zu stellen, da steh’ ich ja schon! Ich habe mich geärgert an diesem Tag – wie ihr alle!"

Gerhard Schröder: "Das tun wir jetzt! Es ist notwendig, und wir werden es machen- basta!"

Ernst: "Macht korrumpiert. Und große Macht korrumpiert eben in großem Maße. Das heißt, man verliert tatsächlich die Bodenhaftung. Wir haben das schöne Wort vom 'Abheben': man wird arrogant und blind für die wirklichen Bedürfnisse der Menschen. Auch wenn man 'die Menschen' ständig im Munde führt als Politiker …"

Angela Merkel: "Jetzt geht es darum, für die Menschen in Deutschland eine stabile Regierung zu bilden, das ist die Aufgabe, und dazu haben wir ganz eindeutig den Auftrag!"

Franz Müntefering: "Im Wahlkampf konnten die Menschen vergleichen. Und in diesem Vergleich ist klar geworden: die Menschen haben Vertrauen zu Gerhard Schröder, sie haben kein Vertrauen zu Frau Merkel!"

Ernst: "Das tatsächliche Verhalten ist natürlich Hochmut. Die verwechseln das Amt mit der Person sehr oft und schreiben sich gottgleiche Fähigkeiten zu."

Die "Arroganz der Macht" ist nur ein politisches Phänomen. Betrachten wir das Wirtschaftsleben: In vielen Unternehmen zählt nur noch die Rendite, und die Bosse schieben ihre Angestellten wie Schachfiguren hin und her.

Zoche: "Das ist eine große Gefahr. Dass Menschen in ein materialistisches Erfolgskonzept einfach subsumiert werden. Dann spricht man von "Humankapital" - ein Begriff, den ich für sehr zweifelhaft halte. Da geht es um Menschen! Und es ist noch was anderes, als wenn es nur um materielle Belange geht."

Pater Hermann-Joseph Zoche. – Und nicht zuletzt findet man den Hochmut auch dort, wo der Hochmut als Todsünde am Pranger steht: in der Kirche nämlich. – Heiko Ernst:

"Natürlich. Denn auch da wird ja Macht verliehen, und hohe Ämter werden verliehen. - Das höchste Amt, das Papst-Amt, beginnt ja ausdrücklich mit einer Demutsgeste. Und der jetzige Papst hat das ganz deutlich getan bei seiner Amtseinführung. Er hat vom 'demütigen Arbeiter im Weinberg des Herrn' gesprochen, der er doch nur sei: dieses Bewusstsein: 'Ich darf jetzt nicht abheben!' Und dass das Amt mir nur verliehen ist, um Gutes zu tun, oder um vernünftige Arbeit zu leisten, und nicht, um meine Eitelkeit zu befriedigen."

Andererseits: Wenn die päpstliche Glaubenskongregation in Rom verkünden lässt, die Kirchen der Reformation seien, so wörtlich "keine Kirchen im eigentlichen Sinn", was ist das anderes als - Hochmut.

Ernst: "Wir leben natürlich in einem Zeitalter, in dem Selbstbewusstsein eine Tugend ist, etwas Positives. Das Selbstbewusstsein ist zunächst eine Eigenschaft, die wir brauchen, um uns behaupten zu können - aber man braucht, als Politiker zum Beispiel, schon ein bestimmtes Maß mehr an Selbstbewusstsein. Das ist eben die Perversion dieses Machtspiels. Dass man bestimmte Eigenschaften mitbringen muss oder kultivieren muss, um ganz nach oben zu kommen. Dieser Kampf um Positionen wird selten fair oder geradlinig geführt, das wissen wir alle …"

Helmut Kohl (Wahlkampf-Rede in Dresden): "Also, an Ihrer Stelle würde ich den Zwischenruf ja nun wirklich nicht machen! Denn wenn ich mir vorstelle, wie Sie in diesen Jahrzehnten sogenannte Wissenschaft betrieben haben, um das Regime zu festigen … Da würde ich mal ganz ruhig sein!"

Ernst: "Wir kennen die Literatur über ehemalige Politiker, die dann auspacken, wie das alles gelaufen ist, und das ist dann immer sehr ernüchternd. Hochmut war ja in der Theologie früher die größte aller Sünden. Diese Sünde ist gegen Gott direkt gerichtet, also, man hält sich für Gott. Adam und Eva wollten sein wie Gott. Sie hatten also diese Arroganz, diese Überheblichkeit, so würde man heute sagen, gottgleich sein zu wollen."

Heiko Ernst. - Oder denken wir an die Geschichte von Luzifer, wie sie in der "Offenbarung des Johannes" erzählt wird. – Luzifer, zu deutsch "der Lichtbringer" war ursprünglich ein schöner Engel, aber er wollte sein wie Gott, am besten noch größer als Gott. Darum hat ihn Michael, auch ein Engel, aber Gottes treuer Gefolgsmann, aus dem Himmel geworfen. – Hochmut ist eine Todsünde. Denn Hochmut tötet die Seele.

Ernst: "Man wird blind für die Realitäten, für die eigenen Schwächen, für die eigenen Unzulänglichkeiten …"

"Den Splitter, der im Auge deines Bruders ist, den siehst du; aber den Balken, der in deinem eigenen Auge ist, den siehst du nicht."

Ein Christus-Wort aus dem Thomas-Evangelium. Es verweist auf den ersten Glaubensartikel des hochmütigen Charakters: kritikwürdig sind immer die anderen, man selbst ist natürlich unfehlbar.

Papst Gregor der Große, er hat im sechsten Jahrhundert den Katalog der sieben Todsünden erstellt, beschreibt, woran man den Hochmut im Einzelnen erkennt:

"Ein Hochmütiger betrachtet nicht Gott, sondern sich selbst als den Urheber all seiner Talente und Erfolge. Er prahlt mit diesen Erfolgen, stellt ihre Früchte zur Schau und glaubt, dass ihm bestimmte Dinge einfach zustehen. Er sieht auf (vermeintlich) weniger erfolgreiche Menschen herab."

Zoche: "Erfolg wirkt ja heute immer so salonfähig. Also, Menschen, die Erfolg haben, die nach Erfolg streben, Menschen die ihren Erfolg auch zeigen nach außen, das wird immer anerkannt. - Wie viel Fehlhaltung, wie viel Materialismus, wie viel Sinnlosigkeit hinter dem Erfolg, der dann so zur Schau gestellt wird, steht, das erkennt man eben oft nicht. Und Erfolg ist ja eigentlich zunächst 'ne leere Menge. Es gibt ja gar keine Definition für das, was Erfolg ist."

Pater Hermann-Joseph Zoche. - Geld. Macht. Mediale Aufmerksamkeit. Das sind die Kriterien, woran Erfolg heute gewöhnlich gemessen wird. Wer diese Insignien des Erfolges vorweisen kann, dem lauert die Todsünde "Hochmut" auf – und schickt ihm zunächst ein paar Claqueure vorbei, die ihm zu Füßen sitzen, ihm zu Diensten sind und vor allem kräftig Beifall spenden. – Heiko Ernst:

"Man trifft natürlich eine Auswahl. Man will sich in den Augen und auch den Gesichtern der Kollegen, der Umgebenden spiegeln, man will die eigene Größe dort erkennen, und man genießt das natürlich."

Publikum bei Wahlkampfreden:
"Er spielt natürlich mit den Massen!"
"Also, ich find’ ihn gut!"
"Er ist unser Kanzlerkandidat, wir kämpfen für ihn!"

Ernst: "Es tut uns ja allen gut, wenn wir anerkannt werden, wenn wir gelobt werden, wenn wir auf die Schulter geklopft bekommen. Das gefällt jedem Menschen. - Und wenn man das in hohem Maße sich selbst sozusagen verabreichen kann, dann ist man gefährdet. Dass man das auch immer für bare Münze nimmt. Und tatsächlich glaubt, das ist alles ernst gemeint.

Musik Gruppe "Siechtum":
"Wer bist du überhaupt
dass du denken kannst,
dass du gegen mich ankommst,
dass du an mich rankommst …"

Ernst: "Die Blindheit hat natürlich ihre Nachteile, sie macht auch dumm. Wir kennen ja dieses Sprichwort: 'Hochmut und Stolz wachsen auf einem Holz.' Das heißt, wir werden buchstäblich dümmer, wenn wir blind sind vor Eitelkeit. Wir sehen die eigene Lächerlichkeit auch nicht mehr …"

"Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein kleiner Schritt."

Napoleon Bonaparte.

Ernst: "Nichts befriedigt die Menschen natürlich so sehr, als wenn einer stolpert, der hochmütig war. Der Fall der Hochmütigen ist ja auch ein ständiger Topos in unserer Medienlandschaft, wir genießen es ja förmlich, wenn jemand auf die Nase fällt und kleine Brötchen backen muss."

"Man versucht, aus dem Ehrenbürger Europas (...) eine beinahe kriminelle Figur zu machen …"

… empört sich Helmut Kohl in einem ZDF-Interview anno 2000 gegen die Angriffe auf seine Person im Kontext der CDU-Spendenaffäre.

Ernst: "Oft machen es die Medien. Sie heben einen Menschen, Politiker, Schauspieler, wen auch immer, hoch - und dann schreiben sie ihn auch oft genug nieder. Also, dieses Ritual des Erhebens und wieder Herunterholens oder vielleicht sogar Hinunter-Stoßens ist auch ein Teil unserer Unterhaltungsindustrie."

Musik Gruppe "Siechtum":
"Wer bist du überhaupt
Dass du denken kannst
Dass du gegen mich ankommst
Dass du an mich rankommst …"


Ernst: "Der Macht hat, sollte eigentlich die Sünde des Hochmutes kennen. Er sollte auch die Schwäche darin erkennen. Er sollte auch jemanden haben, der ihm ab und zu Wahrheiten sagt, um eben auch die schlimmsten Fehler der Machtblindheit zu vermeiden. Also, früher war das der Hofnarr, der dem König doch ein paar mehr oder weniger verblümte Wahrheiten sagen durfte, sozusagen auf den Boden der Tatsachen zurückholen konnte. Solche Hofnarren haben wir heute nicht mehr, aber wir können nur hoffen, dass unsere Mächtigen immer noch jemanden haben, einen Vertrauten, einen Freund, die ihnen dann doch sagen, was Sache ist, was wirklich läuft, und von dieser Blindheit befreien, zumindest gelegentlich."

Die Antike kannte die Demutsübung. Wenn einem siegreichen Feldherrn im alten Rom ein Triumphzug gewährt wurde, musste er sich zuvor das "memento mori" ins Ohr flüstern lassen: "Bedenke, das Du sterblich bist!" – und zwar von einem Sklaven. Erst danach durfte der Siegreiche unter dem Jubel der Massen den Weg zum Forum Romanum antreten.

Übrigens: Zum Hochmut gehören immer zwei Parteien - der Hochmütige selbst und ein devotes Gegenüber. Wenn sich jemand dauerhaft hochmütig benehmen darf, ist das immer ein Zeichen dafür, dass sein Publikum der Komplementär-Sünde verfallen ist: der "Trägheit" nämlich, die in diesem Fall im Kleid der Feigheit des Weges kommt. Man ist zu feige, sich zu wehren. – Der Dichter Gottfried August Bürger weiß denn auch ein gutes "Mittel gegen den Hochmut der Großen":

"Viel Klagen hör ich oft erheben
Vom Hochmut, den der Große übt.
Der Großen Hochmut wird sich geben,
Wenn unsre Kriecherei sich gibt!"