Der HSV-Erinnerungskoffer

Hilfreiche "Reliquien" für Fans in Pflegeheimen

05:39 Minuten
Der Erinnerungskoffer vom Hamburger Sport-Verein.
Der Erinnerungskoffer des HSV: Die 80er-Jahre als die erfolgreiche Zeit des Vereins sind besonders präsent. © Matthias B. Scharf
Von Heinz Schindler |
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Ein Koffer, der Erinnerungen an bessere Zeiten weckt: Mit diesem Projekt aktiviert in Hamburg die Fanabteilung des HSV zusammen mit Ehrenamtlichen das Langzeitgedächtnis von Menschen mit Demenz oder Alzheimer, die in Pflegeeinrichtungen leben.
"Ich packe unseren HSV-Erinnerungskoffer", erklärt Birgit Scheffner. "Da ist standardmäßig ein Fußball drin, da ist eine alte HSV-Kutte drin. Dann sind da ein Paar Fußballschuhe, aber ganz alte, wie man sie früher getragen hat, drin."
Birgit Scheffner bereitet sich auf ihren Einsatz in einer Pflegeeinrichtung für demenziell Erkrankte irgendwo in Hamburg vor. Ihr HSV-Erinnerungskoffer enthält aber noch viel mehr. Ein Buch von Uwe Seeler etwa oder das Foto der Meistermannschaft von 1979. Vielleicht erkennt ja jemand Kaltz, Kargus oder Keegan. Oder erinnert sich an dessen Hit-Single...

Das Langzeitgedächtnis aktivieren

Alte Zeiten zurückrufen, das Langzeitgedächtnis aktivieren. Darum geht es, sagt Fanny Boyn. Sie ist Fanbeauftragte mit dem Schwerpunkt Inklusion beim HSV, hat früher selbst im Pflegebereich gearbeitet und den Koffer gemeinsam mit Studierenden der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaft entwickelt.
"Die haben sich schon damit auseinandergesetzt: Wer ist die Zielgruppe und bei welchen Jahrgängen macht das einfach auch Sinn? Und da war relativ schnell klar, dass die erfolgreichen Jahre, die 80er, praktisch die Jahre sind, die sehr, sehr präsent sind", erklärt sie.
Wie die Nacht von Athen 1983, der Gewinn des Europapokals der Landesmeister.
Die Idee zum Erinnerungskoffer hatte in Deutschland zuerst Fortuna Düsseldorf. Fanny Boyn hat sie für den HSV adaptiert und mit 20 Helferinnen und Helfern umgesetzt.
"Das ist derjenige, der seit Jahren auf der Nordtribüne bei uns steht, eine Dauerkarte hat und noch sehr jung ist. Und das ist aber auch der Rentner, der gesagt hat, er möchte sich ehrenamtlich betätigen", erzählt sie. "Was aber alle verbindet, ist, dass sie irgendeine Berührung haben zum Thema Demenz: Dass Oma, Opa, Vater, Mutter, Bekannter, wer auch immer, eine demenzielle Erkrankung hat oder hatte. Von daher ist ein ganz, ganz großes Verständnis dafür da."

Zu zweit in die Pflegeeinrichtungen

In die Pflegeeinrichtungen gehen die Ehrenamtlichen zu zweit und treffen dort auf kleine Gruppen von sechs Bewohnern, berichtet Birgit Scheffner.
"Und dann habe ich ein paar Sachen mitgebracht und öffne meinen Koffer und biete den Gästen an, dass sie sich mal ein Utensil aus diesem Koffer herausnehmen können", erzählt sie. "Wenn die Gäste im ersten Moment noch zu schüchtern dafür sind, dann nehme ich einfach ein Utensil in die Hand und frage, ob sie vielleicht früher auch mal Fußball gespielt haben oder ob sie schon mal im Volksparkstadion waren, also eine kleine Warmup-Runde erst mal."
So animiert, kommen allmählich Gedanken an das Damals im Volkspark. Demenziell Erkrankte zeigen ihre Resonanz dabei auf ganz eigene Art.
"Auch wenn die Gäste am Anfang noch ein bisschen tatenlos da saßen, kann man schon sehen, dass da auf einmal Bewegung in die ganze Sache kommt", erklärt sie. "Nicht nur körperlich Bewegung, indem sie sich Sachen greifen oder so, sondern auch an der Mimik erkennt man das oder, wenn man genauer hinschaut, auch an den kleinen Lachfalten zum Beispiel oder an dem Blinzeln der Augen. Da ist dann schon sofort eine Reaktion zu erkennen, relativ schnell."

Hauptsache, es werden Erinnerungen geweckt

Es wird erzählt, von früher, vielleicht vom HSV, vielleicht auch von anderen Dingen, die irgendwie mit Sport zu tun haben. Aber Hauptsache, es werden Erinnerungen geweckt und wenn möglich geteilt.
All das hängt natürlich auch vom Grad der Demenz ab, gibt Fanny Boyn zu bedenken:
"Wir wollen ja gemeinsame Geschichten entstehen lassen, wir wollen Erinnerungen aufkommen lassen. Wir wollen praktisch das Wohlbefinden der Bewohner stärken. Und wieweit das Sinn macht, jemanden, der schon weit fortgeschritten ist in seiner Erkrankung – im Stadium drei ist beispielsweise – mit an den Tisch zu holen, das muss die Pflegeeinrichtung selber entscheiden."
Mitunter trifft man aber auch auf Fans des FC St. Pauli. Der Nachbarverein will nun auch einen Erinnerungskoffer entwickeln. Das Lokalderby in Pflegeeinrichtungen – warum nicht?

Digitale Alternative für die Pandemie

In der Coronazeit entstand eine digitale Alternative, die über das Internet auf die Reise geschickt wird.
"Das ist ein Film, ein Beitrag, der entstanden ist, über 30 Minuten, mit ganz vielen Beiträgen aus der HSV-Geschichte. Mit vielen positiven Erinnerungen, mit O-Tönen, aber auch mit Eintrittskarten, die wir da reingespielt haben. Wie die Pflegeeinrichtungen jetzt diesen digitalen Erinnerungskoffer nutzen, ist auch ihnen selber überlassen. Ob sie den am Stück zeigt, 32 Minuten, oder immer nur einzelne Beiträge, das muss man dann selber gucken."
Damit überbrücken sie die Zeit, in der keine Besuche möglich sind – und der Erinnerungskoffer bleibt selbst in Erinnerung.
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