Der Inbegriff der unzufriedenen und unbefriedigten Frau

Gustave Flaubert zählt zu den größten Romanciers der europäischen Literatur. Sein 1856 erschienenes Erstlingswerk "Madame Bovary" wurde bereits über 30 Mal ins Deutsche übersetzt. Elisabeth Edl fügt eine weitere Übertragung hinzu - und liefert ein neues Lektüreerlebnis.
Es war sein erstes Werk, und es führte gleich zu einem Prozess. Gustave Flauberts "Madame Bovary", inspiriert durch einen Zeitungsartikel über eine junge Frau, die sich umgebracht hatte, wurde 1856 in einer Pariser Zeitschrift veröffentlicht, ein Jahr später dann in Buchform. Die Zensurbehörde hatte Anstoß an dem Werk über eine Ehebrecherin in der Provinz genommen, der Autor wurde jedoch freigesprochen.

Flauberts kleinbürgerliche Romanheldin Emma Bovary ist zum Inbegriff der unzufriedenen und unbefriedigten Frau geworden, die nach einem romantischen Leben, nach Liebe, Leidenschaft, Reichtum und Eleganz strebt und damit am Ende sich und ihre Familie zugrunde richtet.

Die hübsche Tochter eines normannischen Bauern gewinnt in einer Klosterschule durch einen schwärmerischen Katholizismus und romantische Romane die Überzeugung, das Leben müsse so sein wie in der Literatur. Die zunächst vorteilhaft scheinende Ehe mit dem bescheidenen Landarzt ödet sie bald an; sie versucht, durch einen aufwändigen Lebensstil ihren Wunsch nach einem anderen, vermeintlich aufregenderen Leben zu erfüllen, nimmt sich Liebhaber, von denen ihr mitnichten die ersehnte romantische große Leidenschaft zuteil wird, und vergiftet sich am Ende, nachdem ihre Liebhaber sie schmählich im Stich gelassen haben und sie durch ihre unmäßigen Ausgaben die Familie finanziell ruiniert hat.

Eingebettet ist dieses Leben in ein kleinbürgerliches Provinzmilieu, dessen geistiger Borniertheit Emma nichts als überzogene Ansprüche entgegensetzen kann. Erzählt ist alles in sachlichem, knappem, ungemein präzisem Stil, der jedes Urteil den Lesenden überlässt. Die Figuren werden scheinbar von außen geschildert und enthüllen, da ihre Gedanken in erlebter Rede wiedergegeben werden, doch ihr Inneres. Eine modern anmutende Schnitttechnik macht in der Kontrastierung des Nicht-Zusammenpassenden die Heuchelei der "Sitten der Provinz" geradezu spürbar. An der unpersönlichen, die Heldin nie explizit verurteilenden Erzählweise nahm die Zensurbehörde Anstoß, sodass es zum Prozess kam.

Große Werke streben nach Neuübersetzungen. Denn die Originale bleiben aktuell, Übersetzungen hingegen tragen den Stempel der literarischen, sprachlichen und auch moralischen Moden ihrer Entstehungszeit und veralten darum schneller. "Madame Bovary" wurde ungefähr dreißig Mal ins Deutsche übertragen, keineswegs alle Übersetzungen sind schlecht.

Und doch bietet Elisabeth Edls neue Übertragung ein neues Lektüreerlebnis. Sie mildert die Präzision, Kargheit, ja Strenge des Originals an keiner Stelle ab, sie vollzieht Flauberts Suche nach dem "mot juste", dem exakten Ausdruck, genau nach und bleibt nahe an der Flaubertschen Syntax, statt sie gefälliger und "deutscher" zu machen.

Die Ausgabe des Hanser Verlags zeichnet sich zudem durch Anmerkungen aus, durch ein ausgezeichnetes Nachwort der Übersetzerin sowie den Abdruck der Dokumente des Prozesses um die vermeintliche Unmoral des Romans. Charles Baudelaires Gedichtband "Die Blumen des Bösen" wurde im selben Jahr angeklagt und zur Entfernung einiger besonders anstößiger Gedichte verurteilt.

Besprochen von Gertrud Lehnert

Gustave Flaubert: "Madame Bovary. Sitten in der Provinz"
Roman
Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl
Carl Hanser Verlag, München 2012
260 Seiten, 34,90 Euro
Zeitgenössische Darstellung des französischen Schriftstellers Gustave Flaubert (1821-1880).
Zeitgenössische Darstellung des französischen Schriftstellers Gustave Flaubert (1821-1880).© picture alliance / dpa / Bifab