Der Indianer von Niemegk
Auf halber Strecke zwischen Berlin und Leipzig - endlose Wiesen, viele Bäche, mächtige Kiefernwälder. Dort hat Burghardt Pietack am Rande einer brandenburgischen Kleinstadt sein Tipi aufgeschlagen. Warmer Wanne, Glotze und Südfrüchten aus dem Supermarkt hat er abgeschworen. Aus dem Handwerker ist ein Indianer geworden.
Auf halber Strecke zwischen Berlin und Leipzig - endlose Wiesen, viele Bäche, mächtige Kiefernwälder. Dort hat Burghardt Pietack am Rande einer brandenburgischen Kleinstadt sein Tipi aufgeschlagen. Warmer Wanne, Glotze und Südfrüchten aus dem Supermarkt hat er abgeschworen. Aus dem Handwerker ist ein Indianer geworden.
Heizen. Damit beginnt der Tag. Das ist es was ihn von Morgen bis Abends bewegt und beschäftigt. Sogar noch kurz vor dem Schlafen denkt er dran. Eben: Holzhacken, Heizen, Holzhacken! Die Sonatenhauptsatzform indianischen Lebens in Niemegk.
"Läuft alles im kleenen Gang."
Sechs Uhr. Müde schlurft Burkhard in schmutziger Arbeitshose und T-Shirt durch seine indianische zeltähnliche Erdhütte. In der riecht es muffig. Nach Schlaf, kaltem Rauch und nassen Socken.
Im schummrigen Licht von zwei Kerzen wühlt der schlaksige, beinahe schmächtige Endvierziger, wie in Trance, in einer schwarzen Tonne nach geeigneten Holzbrocken. Seine Hände sind feingliedrig aber kräftig. Dann schiebt er das Holz langsam ohne hektische Bewegungen in den Ofen. Eine verrostete Kochmaschine.
Perfekt eingeübte Handgriffe.
"Jetzt müssen wir aber anfangen, sonst wird es zu spät. Als Erstes, als Erstes kommt der Pullover in die Buchs'n damit es nicht so zieht."
Draußen ist eisig kalt. Fast so, dass der Atem auf den Lippen gefriert. Der märkische Wind ist unerbittlich.
"Weeßt doch, im Rücken muss es immer schön warm sein. Dann gucken wir mal auf das Thermometer bei dit Fenster. Minus Zwei Grad, letztens hatten wir noch Minus elf jehabt, Montag oder wann dit war. Soo, dann kommen die Schuhe an."
Der Wind zieht unangenehm durch das Innere der Hütte. Kegelförmig wie eine Raketenspitze ragt sie aus dem Boden. Eine Art Kreuzung aus einer Erdhütte und einem typischen Indianerzelt. Doch statt dünner Zeltwände aus Bisonfellen gibt’s hier dunkles Holz. Der Eingang, ein dunkler dielenartiger Vorraum, wirkt wie ein Windfang. Und hält den Wind wenigstens ein bisschen ab. Hat sich Burkhard, Brandenburgs Indianer von den Mandan, einem Stamm der Sioux abgekuckt.
"Ist doch bloß draußen kalt und nicht hier drinne. Ist zwar drinne kühl, und die kleene Kochmaschine muss schon ganz schön lange eingeheizt werden."
Das macht Burkhard ohne Lendenschurz, ohne Federschmuck, ohne Kriegsbemalung. Nicht mal ein Pferd hat er. Von Pfeil und Bogen ganz zu schweigen. Dafür aber eine Axt und viele Sägen.
Burkhard fasziniert das einfache, aber wilde Leben der Indianer: Die Freiheit und das Abenteuer. So will auch er leben. Vor sechs Jahren kam ihm das in den Sinn. Seitdem macht er es so.
Hat er alles aus Büchern. Selbst dort war er allerdings noch nie. Burkhard ist Aussteiger. Eine Mischung aus Öko und Hippie: Blass, unrasiert, lange Haare.
"Eigentlich jeht dit ziemlich nach der Sonne hier draußen. Und wenn dit morjens helle is kann man uffstehn. Wenn es draußen langsam duster wird, jeht man langsam rin."
Einen labbrigen, löchrigen meerblauen Wollpulli trägt er. Hat er sich umständlich in die graue schmuddelige Arbeitshose gewurschtelt. Den braunen Gürtel hat Burkhard, die einzige Rothaut Brandenburgs, richtig festgezurrt. Sieht unbequem aus.
Damit ihm die schulterlangen, dünnen, dunkelblonden Haare nicht ständig ins Gesicht fliegen, hat er sich ein rot weißes Band um den Kopf gebunden. Liegt breit über der Stirn und bedeckt an der Seite auch ein bisschen seine Ohren.
Sechs Uhr. Jetzt geht’s raus. In die Kälte. Burkhard zieht sich seine zerschlissene, schmuddelige DDR-Arbeiterwattejacke an, und schlägt den Kragen hoch. Keine Handschuhe, keine Mütze.
"So Klappe zu. Au da liegt ja Schnee."
"Erstmal kommen die Hühner dran"
"So ihr Puttis. Eener fehlt noch. Frau Weiß. Die sitzt auf Nest. Macht den General. Ist schon mehr als drei Jahre alt, kann man nicht mehr essen. So jetzt kriegt ihr erstmal ein paar Körner. Ihr müsst ja drinne bleiben. Is ja Hühnerpest angesagt in Brandenburg."
"Die Hühner gehen sogar rin in die Hundebuchte und legen ein Ei. So een verrücktes Hund hat tick jehabt. Hab ick irgendwann festgestellt. Komme über die Wiese." (Lacht, imitiert das Huhn)
"Ick sach wat denn hier los. Guck ick. Der Hund hat ein Ei jelegt, so ungefähr.
Mit der Harke das Nest rangezogen. Ei rausgeholt."
In Burkhards Indianerwelt gibt’s kein Handy, keinen MP3-Player und schon gar kein fließendes Wasser. Nichts was das Leben verschönt. Auch eine warme Toilette existiert nicht. Stattdessen ein rustikales Klo. Draußen hinter der Hecke.
"Einfach mit dem Balken quer drüber. Das man hocken kann. Naja und fertig."
Die Sonne steigt auf. Am blauen Himmel ist kaum ein Wölkchen zu sehen. Die Landluft hat die allerbeste Pfefferminz-Kaugummifrische. Verbunden mit der belebenden Wirkung der kühl säuselnden Brise ergibt das einen explosionsartigen Wachheitseffekt. Von außen gesehen, hat Burkhards Hütte was Außerirdisches. Könnte durch die Gras- und Moosbewachsung, auch ein bestens getarnter Bunker sein.
Hinter Niemegk liegt es: das indianische Anwesen. An einem Bach. Niemegk: Das kommt aus dem Holländischen. Von Nijmegen. Denn: Im Mittelalter kamen Holländer von der Nordsee nach Brandenburg und haben hier der Gegend ihren Stempel aufgedrückt.
"Meckerzicken. Komm Elfriede…mecker, mecker, mecker…So nun kommt. Hoppa, hoppa, hoppa. Los Elfriede jib Gas."
Unendlich weite, sanft geschwungene, brachliegende, matschige Wiesen! Durchschnitten von kleinen Bächen und Gräben. Am Horizont sind neben dichten Wäldern, die mittelalterlichen Turmspitzen rustikaler Feldsteinkirchen zu sehen.
Hinter der Niemegker Feuerwache geht ein unscheinbarer, holpriger Weg rechts ab. Raus aufs Feld. Irgendwann ein Schild: Achtung Indianer. Darunter hängt die Eule: das Zeichen der Naturschützer. Dann ist man bei Burkhard, dem einzigen Indianer Brandenburgs. Seit sechs Jahren lebt er schon hier. Zusammen mit zwei Hunden, drei Ziegen, fünf Kaninchen und diversen Hühnern.
Ab und zu kommt auch Peggy! Seine zehn Jahre jüngere Squaw, mit ihren zwei kleinen Kindern. Alle drei wohnen gern mal mit im Zelt, sagt Burkhard. Wie eine Rubensfrau sitzt sie im Hintergrund auf einem Stuhl. Verträumt lächelt sie. Mit himmelblauen Kulleraugen himmelt sie ihn an: Ihren Indianer! Er gibt ihr und den Kindern, wie ein edler Prinz, in seiner Hütte eine Herberge. Schützt sie! Vor dem unwirtlichen Leben draußen.
Das Wasser, kommt ganz frisch aus dem Bach. Ein Wildbach mit eingebauter Staustufe. Der fließt mitten durch das Fußballfeld große wilde Anwesen. Mittelmeerblau. Kalt. Und sauber.
Mit zwei Eimern bewaffnet geht Burkhard jetzt zum Ufer des Baches. Beugt sich, fast ein wenig artistisch runter. Lässt die Plastikbottiche ins Wasser plumpsen. Die gehen gefährlich unter, und werden von den Strudeln fast fortgerissen. Doch genau wenn das passiert, zieht Burkhard die vollen Eimer mit seinen langen, sehnigen Armen aus dem Wasser. Federleicht.
"Bei so kaltem Wetter ist das Wasser top in Ordnung. Könnte man im Prinzip – das kommt vier Kilometer südlich von de Quellen. Ick bin da schon mal hinjeloofen.
Ick hab zeitweise mit dem Wasser mein Kaffee jekocht."
Neun Uhr. Burkhard Pietack hat noch kein ein einziges Mal gegähnt. Ein Mann ohne Alter. Obwohl er schon Ende vierzig ist, hat er kaum Falten im Gesicht. Auch keinen richtigen Bartwuchs. Stattdessen sprießen im Gesicht einzelne wilde Stoppeln.
Sein Rhythmus, der Takt ist immer derselbe. Er wird pünktlich wach, pünktlich müde und pünktlich bekommt er mittags Hunger. Ohne Tempoverschiebung. Im Kopf werden die Dinge kurz angedacht, erledigt, abgehakt und vergessen. Burkhard lebt im Aktiv.
"Was machen wir jetzt vor lauter Schreck? Holzhacken schaffen wir noch. " (Hunde knurren) " Na Inari was los. Hast’n Knochen? Na da hast ja richtig Arbeit .Na mein kleiner Hund."
Ein Heimattreuer. Kein Gestrandeter. Einer der dem ursprünglichen Leben ganz nah sein will. Nicht weil es modern oder hipp ist.
Ohne Sorgen, ohne Verpflichtung aufstehen, das ist es was ihn entspannt. Einfach frei und mit weiter Brust: Ein- und Ausatmen. Brandenburgs letzter Mohikaner ist ein flämischer Hüne. Ein stolzer mittelalterlicher Ritter.
Stille. Das einzige, rauschende Echo aus der Ferne der Welt: Die Autobahn Berlin - München. Sie liegt hinterm Wald und spült Tausende Täglich Richtung Süden. Während dort für die Menschen die Landschaft nur so vorbeifliegt, ist Burkhard umso mehr in ihr verankert. Verwurzelt und hineingewachsen.
Burkhard verharrt. Hier ist alles Zeitlupe. Fast unwirklich. Selbst die Häuser in Sichtweite haben mit ihm nichts zu tun. Seine Erdhöhle ist ein Haltegriff. Verbindet ihn mit seiner eigenen Welt. In der er frei lebt. Nach seinen selbst gegebenen Regeln, die eine individuelle, nur ihm zugehörige Wirklichkeit schafft.
Jetzt: Sägen und Hacken.
Zwei bis drei Stunden täglich macht er das. Eine ganze Schubkarre Holz braucht er täglich. Damit es wenigstens ein bisschen warm wird. In seiner leichten, doch sehr sommerlichen Behausung. Ohne Thermofenster, ohne dicke Wände, und natürlich ohne Gasetagenheizung.
Beim Sägen fallen Burkhard die langen Haare fast lästig ins Gesicht. Mit schmutzigen Händen, streicht er sie sich immer wieder zurück.
"Naja, der normale neudeutsche Bundesbürger, würde aus dem Baumarkt die Motorkettensäje anwerfen, und Hauf’n Krach und Benzin verdudeln dafür.
Dabei ist Handarbeit so jesund. Stärkt die Armmuskulatur."
Das Leben der Anderen ist ihm mittlerweile fremd. Kennt er, versteht er, ist aber absolut nicht seins. Will er nicht leben. Nicht mehr.
"Wir hatten doch een tollet Jugendleben. Ja, Disco die man sich leisten konnte mit eene Mark sechzig Eintritt. Dit Bier für fünfzig Pfennig. Wat will man mehr also. Die Jugend genossen, und auch so in den letzten Jahr’n genossen wie weit et jeht. Und hier auf der Wiese geniess ick och mein Leben. Weil ick ja dit eene Leben nur habe."
Sein Leben: 10 Jahre im 15 Kilometer entfernten Treuenbrietzen in die Polytechnische Oberschule gegangen. Ausbildung zum Fußbodenleger. Anschließend 18 Monate Dienst an der Waffe: NVA. Dann auf Montage. Quer durch die alte DDR-Republik. Mädchen kennengelernt, sich verliebt, geheiratet. Sohn geboren. Wende. Neue Chancen. Selbständigkeit probiert. Nicht geklappt. Geschieden. Der Entschluss - raus aus der normalen Welt, rein in das Leben. In das was ihn schon seit Kindesbeinen fasziniert: Die wunderbare Welt der Indianer. Jetzt ist er Ende 40, sein genaues Alter verrät er nicht.
Zwölf Uhr Mittags. Sechs Stunden ist Burkhard schon an der frischen Luft. Jetzt braucht auch ein Indianer eine Pause. Isst einen Eintopf. Den hat ihm seine Squaw gemacht. Dann legt er sich hin. Zu einem ausgedehnten Schläfchen. In voller Arbeitskleidung macht er es sich dazu auf seiner kleinen Liege bequem und kuschelt sich unter schneeweiße Rentierfelle. 16 Uhr.
Der Takt wird langsamer. Jetzt wird noch ein bisschen rumgewerkelt. Heute räumt er auf. Das macht er mit einer verrosteten Schubkarre. Mit der er nach einer nur ihm logischen Ordnung Dinge von einer Ecke des Anwesens zur Anderen schafft.
Sind die ersten Vorbereitungen für das Frühjahr. Denn sobald das Wetter schön ist, erzählt er, wird umgegraben. Dann beginnt die Feldarbeit und Frühjahrsbestellung seiner kleinen Felder. Dort pflanzt er dann vor allem Kartoffeln und Rüben an. Davon ernährt er sich hauptsächlich. Denn Geld, um einfach in den nächsten Supermarkt zu gehen, hat er keins.
"Naja dit mischt sich ja im Prinzip. Dit meiste hab ick hier schon selber anjebaut also. Wat man so machen kann. Kartoffeln, Kohlrüben, Erbsen. N’ bisschen Mais."
Was die Natur nicht hergibt, wie Kaffee, Seife oder eine Tube Zahnpasta, das bringt ihm seine Squaw mit. Oder Menschen aus der Nachbarschaft. Die kommen manchmal einfach so vorbei. Und überraschen ihn.
300 bis 400 Euro das ist sein jährliches Budget. Kriegt er geschenkt. Vom Staat will er nichts. Macht ein Indianer nicht, sagt er. Von den paar Euros kauft er sich mal ein Sägeblatt, oder Südfrüchte.
19 Uhr. Langsam senkt sich der Tag. Mittlerweile ist es auch in seinem Heim kuschelig warm. Hat fast einen ganzen Tag gedauert.
In der Mitte seiner kreisförmigen Behausung gibt’s eine riesige Feuerstelle. Ringsherum hängen dutzende von Maiskolben. Wie riesige goldene Zapfen. Darüber in etwa vier Metern Höhe eine schmale Öffnung, der Rauchabzug.
Einziger Luxus: Eine winzige Solarzelle die kläglich schief auf dem Dach hängt. Die füttert eine Autobatterie mit Strom. An das hat er ein Autoradio angeschlossen. Denn ganz aus der Welt will er nicht sein.
"Heute hab ick schön Power wieder. Mein Solarmodul ladet meine Autobatterie. Ja, dann bin ick schon zufrieden mit."
Es wird stiller als ruhig. Kein Laut. Nur die Autobahn fließt ohne Pause.
Draußen ist es stockdunkel.
"Jetzt wird’s langsam Neune. Man merkt’s, meine Oogen werden schon janz kleene bei mir. Ja, dit is der Rhythmus."
Nur oben am Himmel ist noch richtig was los. Ein Meer blinkender Sterne.
Melancholischer kann die Welt nicht sein.
Und Burkhard? Brandenburgs einziger Indianer legt sich hin, kuschelt sich unter Felle. Schließt die Augen. Und träumt.
Heizen. Damit beginnt der Tag. Das ist es was ihn von Morgen bis Abends bewegt und beschäftigt. Sogar noch kurz vor dem Schlafen denkt er dran. Eben: Holzhacken, Heizen, Holzhacken! Die Sonatenhauptsatzform indianischen Lebens in Niemegk.
"Läuft alles im kleenen Gang."
Sechs Uhr. Müde schlurft Burkhard in schmutziger Arbeitshose und T-Shirt durch seine indianische zeltähnliche Erdhütte. In der riecht es muffig. Nach Schlaf, kaltem Rauch und nassen Socken.
Im schummrigen Licht von zwei Kerzen wühlt der schlaksige, beinahe schmächtige Endvierziger, wie in Trance, in einer schwarzen Tonne nach geeigneten Holzbrocken. Seine Hände sind feingliedrig aber kräftig. Dann schiebt er das Holz langsam ohne hektische Bewegungen in den Ofen. Eine verrostete Kochmaschine.
Perfekt eingeübte Handgriffe.
"Jetzt müssen wir aber anfangen, sonst wird es zu spät. Als Erstes, als Erstes kommt der Pullover in die Buchs'n damit es nicht so zieht."
Draußen ist eisig kalt. Fast so, dass der Atem auf den Lippen gefriert. Der märkische Wind ist unerbittlich.
"Weeßt doch, im Rücken muss es immer schön warm sein. Dann gucken wir mal auf das Thermometer bei dit Fenster. Minus Zwei Grad, letztens hatten wir noch Minus elf jehabt, Montag oder wann dit war. Soo, dann kommen die Schuhe an."
Der Wind zieht unangenehm durch das Innere der Hütte. Kegelförmig wie eine Raketenspitze ragt sie aus dem Boden. Eine Art Kreuzung aus einer Erdhütte und einem typischen Indianerzelt. Doch statt dünner Zeltwände aus Bisonfellen gibt’s hier dunkles Holz. Der Eingang, ein dunkler dielenartiger Vorraum, wirkt wie ein Windfang. Und hält den Wind wenigstens ein bisschen ab. Hat sich Burkhard, Brandenburgs Indianer von den Mandan, einem Stamm der Sioux abgekuckt.
"Ist doch bloß draußen kalt und nicht hier drinne. Ist zwar drinne kühl, und die kleene Kochmaschine muss schon ganz schön lange eingeheizt werden."
Das macht Burkhard ohne Lendenschurz, ohne Federschmuck, ohne Kriegsbemalung. Nicht mal ein Pferd hat er. Von Pfeil und Bogen ganz zu schweigen. Dafür aber eine Axt und viele Sägen.
Burkhard fasziniert das einfache, aber wilde Leben der Indianer: Die Freiheit und das Abenteuer. So will auch er leben. Vor sechs Jahren kam ihm das in den Sinn. Seitdem macht er es so.
Hat er alles aus Büchern. Selbst dort war er allerdings noch nie. Burkhard ist Aussteiger. Eine Mischung aus Öko und Hippie: Blass, unrasiert, lange Haare.
"Eigentlich jeht dit ziemlich nach der Sonne hier draußen. Und wenn dit morjens helle is kann man uffstehn. Wenn es draußen langsam duster wird, jeht man langsam rin."
Einen labbrigen, löchrigen meerblauen Wollpulli trägt er. Hat er sich umständlich in die graue schmuddelige Arbeitshose gewurschtelt. Den braunen Gürtel hat Burkhard, die einzige Rothaut Brandenburgs, richtig festgezurrt. Sieht unbequem aus.
Damit ihm die schulterlangen, dünnen, dunkelblonden Haare nicht ständig ins Gesicht fliegen, hat er sich ein rot weißes Band um den Kopf gebunden. Liegt breit über der Stirn und bedeckt an der Seite auch ein bisschen seine Ohren.
Sechs Uhr. Jetzt geht’s raus. In die Kälte. Burkhard zieht sich seine zerschlissene, schmuddelige DDR-Arbeiterwattejacke an, und schlägt den Kragen hoch. Keine Handschuhe, keine Mütze.
"So Klappe zu. Au da liegt ja Schnee."
"Erstmal kommen die Hühner dran"
"So ihr Puttis. Eener fehlt noch. Frau Weiß. Die sitzt auf Nest. Macht den General. Ist schon mehr als drei Jahre alt, kann man nicht mehr essen. So jetzt kriegt ihr erstmal ein paar Körner. Ihr müsst ja drinne bleiben. Is ja Hühnerpest angesagt in Brandenburg."
"Die Hühner gehen sogar rin in die Hundebuchte und legen ein Ei. So een verrücktes Hund hat tick jehabt. Hab ick irgendwann festgestellt. Komme über die Wiese." (Lacht, imitiert das Huhn)
"Ick sach wat denn hier los. Guck ick. Der Hund hat ein Ei jelegt, so ungefähr.
Mit der Harke das Nest rangezogen. Ei rausgeholt."
In Burkhards Indianerwelt gibt’s kein Handy, keinen MP3-Player und schon gar kein fließendes Wasser. Nichts was das Leben verschönt. Auch eine warme Toilette existiert nicht. Stattdessen ein rustikales Klo. Draußen hinter der Hecke.
"Einfach mit dem Balken quer drüber. Das man hocken kann. Naja und fertig."
Die Sonne steigt auf. Am blauen Himmel ist kaum ein Wölkchen zu sehen. Die Landluft hat die allerbeste Pfefferminz-Kaugummifrische. Verbunden mit der belebenden Wirkung der kühl säuselnden Brise ergibt das einen explosionsartigen Wachheitseffekt. Von außen gesehen, hat Burkhards Hütte was Außerirdisches. Könnte durch die Gras- und Moosbewachsung, auch ein bestens getarnter Bunker sein.
Hinter Niemegk liegt es: das indianische Anwesen. An einem Bach. Niemegk: Das kommt aus dem Holländischen. Von Nijmegen. Denn: Im Mittelalter kamen Holländer von der Nordsee nach Brandenburg und haben hier der Gegend ihren Stempel aufgedrückt.
"Meckerzicken. Komm Elfriede…mecker, mecker, mecker…So nun kommt. Hoppa, hoppa, hoppa. Los Elfriede jib Gas."
Unendlich weite, sanft geschwungene, brachliegende, matschige Wiesen! Durchschnitten von kleinen Bächen und Gräben. Am Horizont sind neben dichten Wäldern, die mittelalterlichen Turmspitzen rustikaler Feldsteinkirchen zu sehen.
Hinter der Niemegker Feuerwache geht ein unscheinbarer, holpriger Weg rechts ab. Raus aufs Feld. Irgendwann ein Schild: Achtung Indianer. Darunter hängt die Eule: das Zeichen der Naturschützer. Dann ist man bei Burkhard, dem einzigen Indianer Brandenburgs. Seit sechs Jahren lebt er schon hier. Zusammen mit zwei Hunden, drei Ziegen, fünf Kaninchen und diversen Hühnern.
Ab und zu kommt auch Peggy! Seine zehn Jahre jüngere Squaw, mit ihren zwei kleinen Kindern. Alle drei wohnen gern mal mit im Zelt, sagt Burkhard. Wie eine Rubensfrau sitzt sie im Hintergrund auf einem Stuhl. Verträumt lächelt sie. Mit himmelblauen Kulleraugen himmelt sie ihn an: Ihren Indianer! Er gibt ihr und den Kindern, wie ein edler Prinz, in seiner Hütte eine Herberge. Schützt sie! Vor dem unwirtlichen Leben draußen.
Das Wasser, kommt ganz frisch aus dem Bach. Ein Wildbach mit eingebauter Staustufe. Der fließt mitten durch das Fußballfeld große wilde Anwesen. Mittelmeerblau. Kalt. Und sauber.
Mit zwei Eimern bewaffnet geht Burkhard jetzt zum Ufer des Baches. Beugt sich, fast ein wenig artistisch runter. Lässt die Plastikbottiche ins Wasser plumpsen. Die gehen gefährlich unter, und werden von den Strudeln fast fortgerissen. Doch genau wenn das passiert, zieht Burkhard die vollen Eimer mit seinen langen, sehnigen Armen aus dem Wasser. Federleicht.
"Bei so kaltem Wetter ist das Wasser top in Ordnung. Könnte man im Prinzip – das kommt vier Kilometer südlich von de Quellen. Ick bin da schon mal hinjeloofen.
Ick hab zeitweise mit dem Wasser mein Kaffee jekocht."
Neun Uhr. Burkhard Pietack hat noch kein ein einziges Mal gegähnt. Ein Mann ohne Alter. Obwohl er schon Ende vierzig ist, hat er kaum Falten im Gesicht. Auch keinen richtigen Bartwuchs. Stattdessen sprießen im Gesicht einzelne wilde Stoppeln.
Sein Rhythmus, der Takt ist immer derselbe. Er wird pünktlich wach, pünktlich müde und pünktlich bekommt er mittags Hunger. Ohne Tempoverschiebung. Im Kopf werden die Dinge kurz angedacht, erledigt, abgehakt und vergessen. Burkhard lebt im Aktiv.
"Was machen wir jetzt vor lauter Schreck? Holzhacken schaffen wir noch. " (Hunde knurren) " Na Inari was los. Hast’n Knochen? Na da hast ja richtig Arbeit .Na mein kleiner Hund."
Ein Heimattreuer. Kein Gestrandeter. Einer der dem ursprünglichen Leben ganz nah sein will. Nicht weil es modern oder hipp ist.
Ohne Sorgen, ohne Verpflichtung aufstehen, das ist es was ihn entspannt. Einfach frei und mit weiter Brust: Ein- und Ausatmen. Brandenburgs letzter Mohikaner ist ein flämischer Hüne. Ein stolzer mittelalterlicher Ritter.
Stille. Das einzige, rauschende Echo aus der Ferne der Welt: Die Autobahn Berlin - München. Sie liegt hinterm Wald und spült Tausende Täglich Richtung Süden. Während dort für die Menschen die Landschaft nur so vorbeifliegt, ist Burkhard umso mehr in ihr verankert. Verwurzelt und hineingewachsen.
Burkhard verharrt. Hier ist alles Zeitlupe. Fast unwirklich. Selbst die Häuser in Sichtweite haben mit ihm nichts zu tun. Seine Erdhöhle ist ein Haltegriff. Verbindet ihn mit seiner eigenen Welt. In der er frei lebt. Nach seinen selbst gegebenen Regeln, die eine individuelle, nur ihm zugehörige Wirklichkeit schafft.
Jetzt: Sägen und Hacken.
Zwei bis drei Stunden täglich macht er das. Eine ganze Schubkarre Holz braucht er täglich. Damit es wenigstens ein bisschen warm wird. In seiner leichten, doch sehr sommerlichen Behausung. Ohne Thermofenster, ohne dicke Wände, und natürlich ohne Gasetagenheizung.
Beim Sägen fallen Burkhard die langen Haare fast lästig ins Gesicht. Mit schmutzigen Händen, streicht er sie sich immer wieder zurück.
"Naja, der normale neudeutsche Bundesbürger, würde aus dem Baumarkt die Motorkettensäje anwerfen, und Hauf’n Krach und Benzin verdudeln dafür.
Dabei ist Handarbeit so jesund. Stärkt die Armmuskulatur."
Das Leben der Anderen ist ihm mittlerweile fremd. Kennt er, versteht er, ist aber absolut nicht seins. Will er nicht leben. Nicht mehr.
"Wir hatten doch een tollet Jugendleben. Ja, Disco die man sich leisten konnte mit eene Mark sechzig Eintritt. Dit Bier für fünfzig Pfennig. Wat will man mehr also. Die Jugend genossen, und auch so in den letzten Jahr’n genossen wie weit et jeht. Und hier auf der Wiese geniess ick och mein Leben. Weil ick ja dit eene Leben nur habe."
Sein Leben: 10 Jahre im 15 Kilometer entfernten Treuenbrietzen in die Polytechnische Oberschule gegangen. Ausbildung zum Fußbodenleger. Anschließend 18 Monate Dienst an der Waffe: NVA. Dann auf Montage. Quer durch die alte DDR-Republik. Mädchen kennengelernt, sich verliebt, geheiratet. Sohn geboren. Wende. Neue Chancen. Selbständigkeit probiert. Nicht geklappt. Geschieden. Der Entschluss - raus aus der normalen Welt, rein in das Leben. In das was ihn schon seit Kindesbeinen fasziniert: Die wunderbare Welt der Indianer. Jetzt ist er Ende 40, sein genaues Alter verrät er nicht.
Zwölf Uhr Mittags. Sechs Stunden ist Burkhard schon an der frischen Luft. Jetzt braucht auch ein Indianer eine Pause. Isst einen Eintopf. Den hat ihm seine Squaw gemacht. Dann legt er sich hin. Zu einem ausgedehnten Schläfchen. In voller Arbeitskleidung macht er es sich dazu auf seiner kleinen Liege bequem und kuschelt sich unter schneeweiße Rentierfelle. 16 Uhr.
Der Takt wird langsamer. Jetzt wird noch ein bisschen rumgewerkelt. Heute räumt er auf. Das macht er mit einer verrosteten Schubkarre. Mit der er nach einer nur ihm logischen Ordnung Dinge von einer Ecke des Anwesens zur Anderen schafft.
Sind die ersten Vorbereitungen für das Frühjahr. Denn sobald das Wetter schön ist, erzählt er, wird umgegraben. Dann beginnt die Feldarbeit und Frühjahrsbestellung seiner kleinen Felder. Dort pflanzt er dann vor allem Kartoffeln und Rüben an. Davon ernährt er sich hauptsächlich. Denn Geld, um einfach in den nächsten Supermarkt zu gehen, hat er keins.
"Naja dit mischt sich ja im Prinzip. Dit meiste hab ick hier schon selber anjebaut also. Wat man so machen kann. Kartoffeln, Kohlrüben, Erbsen. N’ bisschen Mais."
Was die Natur nicht hergibt, wie Kaffee, Seife oder eine Tube Zahnpasta, das bringt ihm seine Squaw mit. Oder Menschen aus der Nachbarschaft. Die kommen manchmal einfach so vorbei. Und überraschen ihn.
300 bis 400 Euro das ist sein jährliches Budget. Kriegt er geschenkt. Vom Staat will er nichts. Macht ein Indianer nicht, sagt er. Von den paar Euros kauft er sich mal ein Sägeblatt, oder Südfrüchte.
19 Uhr. Langsam senkt sich der Tag. Mittlerweile ist es auch in seinem Heim kuschelig warm. Hat fast einen ganzen Tag gedauert.
In der Mitte seiner kreisförmigen Behausung gibt’s eine riesige Feuerstelle. Ringsherum hängen dutzende von Maiskolben. Wie riesige goldene Zapfen. Darüber in etwa vier Metern Höhe eine schmale Öffnung, der Rauchabzug.
Einziger Luxus: Eine winzige Solarzelle die kläglich schief auf dem Dach hängt. Die füttert eine Autobatterie mit Strom. An das hat er ein Autoradio angeschlossen. Denn ganz aus der Welt will er nicht sein.
"Heute hab ick schön Power wieder. Mein Solarmodul ladet meine Autobatterie. Ja, dann bin ick schon zufrieden mit."
Es wird stiller als ruhig. Kein Laut. Nur die Autobahn fließt ohne Pause.
Draußen ist es stockdunkel.
"Jetzt wird’s langsam Neune. Man merkt’s, meine Oogen werden schon janz kleene bei mir. Ja, dit is der Rhythmus."
Nur oben am Himmel ist noch richtig was los. Ein Meer blinkender Sterne.
Melancholischer kann die Welt nicht sein.
Und Burkhard? Brandenburgs einziger Indianer legt sich hin, kuschelt sich unter Felle. Schließt die Augen. Und träumt.