Der Islam in China

Moscheen nur für Frauen und andere Besonderheiten

Die Frauenmoscheen in Zentralchina entstanden einst als Bildungseinrichtungen.
Die Frauenmoscheen in Zentralchina entstanden einst als Bildungseinrichtungen. © Ruth Kirchner / für Deutschlandradio
Von Ruth Kirchner |
In Zentralchina genießt die Minderheit der muslimischen Hui religiöse Freiheiten - mit Moscheen für Frauen und Koranschulen für Mädchen. In Nordwestchina, der Heimat der Uiguren, sind die Rechte der Muslime beschnitten.
Die große Beida-Moschee von Zhengzhou in Zentralchina. Der Ruf des Imam hallt über den Hof, alte Männer kommen zum Mittagsgebet. Von außen sieht die Moschee aus wie eine chinesische Pagode – mit grauen Steinmauern, roten Holztüren und geschwungenen Dächern. Allein die arabischen Schriftzeichen über dem Eingang verraten, dass es sich um ein muslimisches Gotteshaus handelt. Und das neue Minarett, das hinter dem alten Gebäude in den Smog-grauen Himmel ragt
"Die Moschee hat eine 600 Jahre lange Geschichte. Sie wurde zu Beginn der Ming-Zeit erbaut und ist daher ziemlich alt."
Liu Baoqi ist der Iman der Beida-Moschee und Vize-Präsident der Islamischen Vereinigung der Provinz Henan – eine staatliche und damit parteitreue Organisation. Doch Liu, der mit seinem langen Bart aussieht wie ein alter Gelehrter, ist vor allem stolz auf die lange Tradition der Muslime in der Provinz:
"Es gibt keine schriftlichen Dokumente, aber vermutlich sind die Muslime schon sehr früh nach Zhengzhou gekommen. Vermutlich schon zur Tang-Zeit, also im siebten Jahrhundert."
Heute leben Muslime in allen Provinzen der Volksrepublik – vor allem im Nordwesten, aber auch in Zhengzhou, einer grauen Industriestadt mit rund 5 Millionen Einwohnern.
"Es gibt 110 Moscheen allein in Zhengzhou. 1,2 Millionen Muslime leben in der ganzen Provinz, davon 120.000 hier in der Stadt."
Die moslemischen Hui sind die drittgrößte ethnische Minderheit in China
Die Nachfahren der ausländischen Händler, die Hui, sind zahlenmäßig die drittgrößte ethnische Minderheit der Volksrepublik. Sie sprechen Chinesisch, sehen aus wie Chinesen und sind stolz auf ihren Beitrag zur chinesischen Kultur. Pan Shijie ist Islam-Forscher an der Akademie der Sozialwissenschaften in Zhengzhou.
"Während der Yuan Zeit, also während der mongolischen Herrschaft im 13. Jahrhundert, haben die Hui vor allem die Entwicklung wissenschaftlicher Instrumente vorangebracht. Sie unterhielten eine Reihe Forschungseinrichtungen in den Bereichen Astronomie, Medizin, Waffen, Sprache. Die Hui galten schon damals nicht mehr als Fan-Ke, was Ausländer hieß. Sie waren naturalisiert. Ihr kultureller Einfluss auf China war sehr groß."
Die Provinz Henan ist Heimat der ältesten Hui-Siedlungen Chinas.Außerhalb von Zhengzhou gibt es Dörfer, in denen fast nur Hui leben – zum Beispiel Jinzhai, keine 30 Kilometer von der Provinzhauptstadt entfernt. Auch hier ist die Hauptmoschee ein traditionelles Gebäude mit einem modernen Anbau mit Minarett. Dass die Moscheen heute wieder ausgebaut werden, hat einen Grund: Nach Jahrzehnten der religiösen Repression unter Mao Zedong, der keine Götter neben sich duldete, erlebe der Islam eine Renaissance, erzählt Bai Xianci, Imam der Moschee von Jinzhai.
Solange sich die Hui aus der Politik raushalten und ansonsten treu zur Kommunistischen Partei stehen, lässt man sie gewähren. Zumal über allen Moscheen die Islamische Vereinigung wacht: Jeder Imam, jeder Ahong braucht einen staatliche Zulassung.
"Derzeit ist es relativ locker. Niemand mischt sich ein, wenn du in die Moschee gehst. Aber natürlich gibt es Regeln. Außerhalb der Moscheen darf es keine religiösen Aktivitäten geben. Wir sind frei, so lange wir uns an die Regeln halten."
Auf dem Markt von Jinzhai werden Gemüse und Jacken verkauft; ein Zahnarzt bietet seine Dienste an – er wirbt mit einer stattlichen Anzahl gezogener Zähne. Daneben fährt ein Bauer mit einer Ziege auf seinem Lastkarren vorbei. Buntes Straßenleben wie überall in China.
Nur wenige Frauen tragen Kopftücher
Die Muslime fallen nicht auf. Nur wenige Frauen tragen Kopftücher; und wer in den Fabriken von Zhengzhou arbeitet, hält nur selten die täglichen fünf Gebetszeiten ein. Trotzdem spielen die islamischen Traditionen eine große Rolle: jedes Kind bekomme neben seinem chinesischen auch einen arabischen Namen, erzählen die Muslime von Jinzhai. Schweinefleisch ist verpönt. Und nach den Anschlägen auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo in Paris fürchteten auch die Muslime in Henan - wie Muslime in anderen Teilen der Welt - einen Backlash gegen ihre Religion, sagt Islam-Kenner Pan Shijie.
"Diese Vorfälle verstoßen gegen den Koran und gegen die Menschlichkeit. In China machen sich einige Muslime Sorgen. Wenn sich der Extremismus durchsetzt, wird das Einfluss auf den Islam haben, obwohl es mit Religion eigentlich nichts zu tun hat. Wir hoffen, dass sowohl in China wie auch im Westen ein moderater Islam propagiert werden kann."
Chinas Hui sind aufgeklärte, liberale Sunniten, die sich selbstbewusst zu ihrer chinesisch-muslimischen Identität bekennen. Und die auch stolz sind auf eine Errungenschaft, die als einzigartig im Islam gilt: Moscheen nur für Frauen, geleitet von weiblichen Ahong. Die Frauen-Moscheen entstanden im frühen 18. Jahrhundert in Henan in Zentralchina und haben sich bis in den Nordwesten ausgebreitet.
Zum Beispiel in der Stadt Guyuan in der Provinz Ningxia – rund 1000 Kilometer von Zhengzhou entfernt. Auch hier leben viele Hui. Sie sind konservativer als ihre Glaubensbrüder – und schwestern in Henan: fast alle Frauen tragen Kopftuch. Aber auch hier gibt es eine Moschee für Frauen.
Morgens um halb sechs, während es in der Stadt noch stockfinster ist, unterziehen sich junge Frauen in einem Nebenraum des modernen, großen Gebäudes langwierigen Waschungen und eilen dann in den Gebetsraum im ersten Stock.
Die 77-jährige Ahong leitet die Moschee in der Stadt Guyuan in der chineischen Provinz Ningxia.
Die 77-jährige Ahong leitet die Moschee in der Stadt Guyuan in der chineischen Provinz Ningxia.© Ruth Kirchner / für Deutschlandradio
Geleitet wird das Frühgebet von einer 77-jährigen Ahong mit weißem Kopftuch und schwarzem Umhang. Dai Ahong ist seit 19 Jahre Leiterin der Moschee. Ihre Familie kommt ursprünglich aus Henan, schon ihr Vater war ein Imam. Als Ahong in der Frauenmoschee sei ihre Rolle genau die gleiche, erzählt sie stolz.
"Bei den täglichen Ritualen gibt es keine Unterschiede. In China sind Frauen und Männer doch gleichgestellt. Andere Länder haben andere Sitten. Andernorts dürfen Frauen oft nicht einmal das Haus verlassen."
Die Frauenmoscheen sehen ihre Aufgabe in der Bildung
Entstanden sind die Frauenmoscheen einst als Bildungseinrichtungen. In den weit verstreuten muslimischen Gemeinden in China sollten auch Frauen in die Lage versetzt werden, die religiösen Traditionen weiterzugeben.
Bis heute sehen die Frauenmoscheen ihre Aufgabe in der Bildung – auch in Guyuan. In diesem Kurs lernen Frauen Arabisch – damit sie später den Koran selbst lesen können. Über 20 Frauen sind an diesem Vormittag gekommen. Für sie ist die Moschee auch ein sozialer Treffpunkt. So wie für diese junge Frau.
"Ich komme jeden Tag mit meinem kleinen Sohn. Ich bin jung, ich will was lernen. Die Lehrer sind gut, viele Frauen kommen hierher und es nicht weit weg von unserem Haus."
Reformorientierte Muslime in Guyuan und der Provinz Ningxia würden die Frauen-Moscheen gerne ausbauen, vor allem auf den Dörfern. Denn im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung Chinas verlassen immer mehr junge Leute die Dörfer und ziehen in die Großstädte und reichen Provinzen im Osten des Landes. Zurück bleiben die Alten, die jungen Mütter und Kinder.
Die Frauen-Moschee beherbergt auch ein Internat mit Koranschule für Mädchen. Die meisten Schülerinnen haben einen Mittelschul-Abschluss und damit der neunjährige Schulpflicht Genüge getan. Jetzt studieren sie den Koran. Darunter die 17jährige Han Jingjing.
"Mein Vater hat gesagt, ich hätte ja nicht viel zu tun nach dem Ende der Mittelschule. Ich bin noch zu jung um zu heiraten. Daher bin ich hier her gekommen, um erst einmal hier etwas zu lernen."
Eine zweitätige Eisenbahnreise von Guyuan entfernt, über 3000 Kilometer weiter westlich, liegt die alten Oasenstadt Kashgar, einst ein wichtiger Zwischenstopp auf der Seidenstraße, die China mit Europa verband. Das Zentrum von Kashgar wird von der Id Kah Moschee dominiert, der größten Moschee in ganz China. Zum Freitagsgebet kommen jede Woche zehntausend Menschen zusammen.
Kashgar ist der westlichste Außenposten Chinas, kurz vor der Grenze zu Zentralasien. Hier leben fast nur Muslime – keine Hui, sondern Uiguren. Sie sind ein Turkvolk, ihre Sprache ähnelt dem Türkischen, benutzt aber arabische Schriftzeichen. Auch ethnisch unterscheiden sie sich deutlich von den Han-Chinesen und den Hui.
Unweit der Moschee ist von der historischen Lehmziegel-Architektur der Altstadt nur noch wenig erhalten. In einem der flachen gelbbraunen Häuser wohnt Frau Bu Sha Re Mu mit ihrem Mann. Sie trägt ein Kopftuch und ein besticktes langes gelbes Kleid. Sie und ihre Familien sind praktizierende Muslime. Doch wie viele Uiguren klagt die 53jährige über die Herrschaft der Chinesen – und die Unterdrückung ihrer Religion. Denn immer wieder würden die Familien von den Behörden ermahnt und schikaniert:
"Polizisten in Zivil kontrollieren ständig die Ausweise und Handys unserer Kinder. Wir müssen jede Woche zu Sitzungen des Nachbarschaftskomitees:
Bei diesen Treffen sagt man uns, wir sollen unsere Kinder zur Schule schicken und nicht in die Moscheen. Wir bringen ihnen daher nur zu hause etwas religiöses Wissen bei – wie man betet und ein bisschen was aus dem Koran."
Die Frauenmoschee in Guyuan und der Provinz Ningxia beherbergt auch ein Internat mit Koranschule für Mädchen.
Die Frauenmoschee in Guyuan und der Provinz Ningxia beherbergt auch ein Internat mit Koranschule für Mädchen.© Ruth Kirchner / für Deutschlandradio
Religionsunterricht für Kinder wie in Henan oder gar Koran-Schulen wie in Ningxia sind in Xinjiang nicht erlaubt. Die Moscheen in Kashgar und Umgebung werden strenger kontrolliert als in allen anderen Landesteilen. Im Alltag gibt es unzählige Verbote: So dürfen Beamte, Lehrer und Studenten während des Ramadan nicht fasten. Junge Männer sollten keine Bärte tragen, heißt es in Medienberichten. Frauen dürfen sich nicht verschleiern. Einschränkungen, die es in anderen Landesteilen nicht gibt, und die in Xinjiang zu wachsendem Unmut führen:
"Im Ausland würde man das als Menschenrechtsverletzung betrachten. Aber hier kümmert es niemanden. Keiner steht für uns ein. Jeder hat doch seinen eigenen Glauben. Das schadet doch niemandem."
Religion im Visier der Sicherheitsbehörden
Dass in Xinjiang die Religion im Visier der Sicherheitsbehörden steht hat vielschichtige Gründe: Seit Jahren begehren die Uiguren auf gegen die als Fremdherrschaft empfundene Kontrolle der Chinesen. Ost-Turkestan nennen die Uiguren ihre Heimat, die sich Peking 1949 einverleibt hatte. Viele Uiguren fühlen sich durch Pekings Politik in ihrer kulturellen Identität bedroht und klammern sich an ihre Traditionen und die Religion.
Die Spannungen entladen sich immer wieder in gewalttätigen Anschlägen. Die Regierung vermutet Drahtzieher im Ausland, sieht Einflüsse religiöser Extremisten und Separatisten. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, selbst Exil-Uiguren warnen mittlerweile vor einer Radikalisierung ihrer Landsleute. Solchen Trends mit der Unterdrückung religiöser Traditionen zu begegnen, sei allerdings der falsche Weg, sagt James Leibold von der La Trobe University in Australien und Experte für chinesische Minderheiten. Das habe den gegenteiligen Effekt:
"Der gesunde Menschenverstand lehrt uns zwei Dinge: Informationen und Ideen fließen über Landesgrenzen – egal wie streng die Zensur, die Große Firewall Chinas aus sein mag. Und das zweite ist, Druck erzeugt Gegendruck."
Im fernen Henan in Zentralchina, sieht man die Entwicklungen in Xinjiang mit Sorge. Die Probleme dort hätten mit Religion nichts zu tun, betonen die chinesischen Experten, sondern hingen mit der Geschichte, mit ethnischen Unterschieden und wirtschaftlichen Problemen zusammen. Der Vize-Chef der Islamischen Vereinigung, Liu Baoqi, stellt sich auch schützend vor die Kommunistische Partei:
"Die Partei glaubt nicht an Religion, aber die chinesische Verfassung garantiert die Religionsfreiheit. Die Muslime in China erleben keinen Druck. Sie werden geschützt, ihre Religion wird respektiert."
Im privaten Gespräch räumen aber auch chinesische Experten ein, dass in China mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Hui in Henan, Ningxia und vielen anderen Landesteilen seien weitgehend integriert. In Xinjiang bei den Uiguren sei die Lage jedoch bedrückend. Von religiöser Freiheit und der von Peking so oft proklamierten Harmonie zwischen Han-Chinesen und den muslimischen Minderheiten könne dort nicht die Rede sein.
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