Der italienische Kaschmirkönig

Von Brigitte Neumann |
Brunello Cucinelli ist einer der reichsten Männer Italiens. In seiner Heimatregion Umbrien kennt ihn jeder. Denn Cucinelli ist einer der wenigen Arbeitgeber und zugleich Kulturmäzen. Ein Theater ist nach ihm benannt, kürzlich hat er die Restaurierung eines etruskischen Bogens in der Stadt Perugia bezahlt.
Brunello Cucinelli, Sohn eines Bauern aus Solomeo, ist heute einer der reichsten Männer Italiens. Unter den Modemillionären, die Italien hervorgebracht hat, zählt er zu den Unbekannteren. Aber in Umbrien kennt ihn jeder. Nämlich als einen der wenigen Arbeitgeber und als Kulturmäzen. In seinem 400-Seelen Dorf Solomeo steht das Brunello Cucinelli Theater mit 200 Sitzen. Kürzlich hat er die Restaurierung eines etruskischen Bogens in Perugia finanziert. Für seine Verdienste um die Kultur in der Region bekam Cucinelli 2010 die Ehrendoktorwürde der Universität Perugia verliehen. Er bedankte sich mit einer Rede über die Würde der Arbeit.

Umbrien ist schön, aber arm. Ganz Umbrien? Nein, das Dorf Solomeo, nicht weit von der Landeshauptstadt Perugia, wirkt wie eine Insel der Seligen. Frisch restauriert, reinlich, aber seltsam still. Nur die Geräusche arbeitender Maschinen sind von der Piazza aus zu hören.

Arbeiterin: "Ich kontrolliere die Übereinstimmung der Schnittmuster mit dem fertigen Pullover. Und ob die Farbreihen an den Nähten übereinstimmen."

Fast alle der 400 Bewohner Solomeos arbeiten für Brunello Cucinelli. Insgesamt hat er derzeit doppelt so viele Angestellte, ausschließlich in Italien. Jeder von ihnen erhielt zu Weihnachten 6000 Euro vom Chef:

"Die Geschäfte laufen sehr gut."

Jedes Jahr neue Rekorde. Jedes Jahr verkauft Cucinelli mehr von seinen Stricksachen aus hochwertigem Kaschmir in alle Welt. Der Preis eines Pullovers: rund 1000 Euro.

Solomeo ist Cucinellis Dorf. Es war zerfallen und verlassen. Er hat es wieder aufgebaut, die Häuser bewohnbar gemacht. Und den Leuten Arbeit gegeben. Hier ist er geboren. Hier lässt er produzieren. Hier lebt er mit seiner Frau und seinen beiden erwachsenen Töchtern:

"Jeder meiner Arbeitstage wird bestimmt von Schönheit, Wissenschaft und Erkenntnis."

Brunello Cucinelli wird dieses Jahr 60. Breites Grinsen, unsteter Blick, sympathischer Dreitagebart. Zum Interview geht’s in den Chefturm. Die Treppe ist steil, eng, blankgewienert. Er sprintet nach oben. Die Reporterin tappt vorsichtig hinterher.

Aber ist er nicht beeindruckend? Diese Dynamik, dieses Selbstbewusstsein, dieses maßgeschneiderte Hemd, das so perfekt den trainierten Oberkörper zur Geltung bringt? Andererseits dann wieder: dieser fast gehetzte Blick.

Der will nicht so ganz zur Devise des Hauses passen. "Schönheit wird die Welt retten." Aber Cucinelli findet, diesen Satz könne sich ganz Europa auf die Fahne schreiben:

"Ja, denn die ganze Welt ist fasziniert davon, wie wir in Europa leben. Die Inder, die Chinesen, die Südamerikaner, sie wollen leben wie wir. All die Qualitätsprodukte, die wir herstellen. Unsere Handwerkskunst, unsere Kreativität, davon ist die Welt fasziniert. Deshalb sehe ich für Europa, sowie für die ganze Welt, ein goldenes Zeitalter kommen."

Für Brunello Cucinelli ist das goldene Zeitalter vor 35 Jahren angebrochen. Damals besorgte sich der Sohn eines Fabrikarbeiters einen Klein-Kredit von umgerechnet 500 Euro und ließ ein paar farbige Kaschmir-Pullover stricken. Damit fuhr er nach München auf die Modemesse, denn er hatte gehört, dass die Deutschen pünktlich bezahlen. Und sie waren ganz versessen auf Cucinellis Stricksachen.

"Ich bin fasziniert von der deutschen Kultur. Und von den Regeln bei Euch. Wir Italiener lassen häufig den Respekt vor Regeln vermissen. Wenn wir das verbessern könnten, dann hätten wir viele Probleme gelöst. Wir sollten die Gesetze respektieren, auch wenn sie uns nicht gefallen. Aber wir tun es nicht."

Der Aufstieg Brunello Cucinellis ist bereits zu einer Legende geworden, die er routiniert in sämtlichen Interviews wiederholt. Dreh- und Angelpunkt ist der Wechsel der bäuerlichen Familie vom Dorf in die Stadt, wo der Vater in einer Fabrik arbeiten muss:

"Dort wurde er beleidigt und gedemütigt, wie ein Sklave behandelt. Das hat mir gar nicht gefallen. Und in diesem Moment reifte mein Entschluss, etwas für die Menschheit zu tun. Ich wollte der Arbeit wieder Würde verleihen."

Nach seinen Vorstellungen hat er das getan. Und mehr noch: Er hat der Menschheit Solomeo geschenkt – das Dorf erneuert, erweitert und dort auch ein Theater gebaut, das seinen Namen trägt: Brunello Cucinelli:

"Ich habe hier einen Ort geschaffen nach dem Vorbild des antiken Griechenland. Ein Amphitheater, als Ort der Diskussion und Horizonterweiterung."

Meist steht italienische Barockmusik auf dem Programm. Sehr stolz ist Cucinelli auf ein Stück unter der Regie von Peter Brook, "The Suit" über Apardheit in Südafrika. Was das alles mit Kaschmir-Pullovern zu tun hat?

"Wenn ein Mensch sich einen Pullover von Cucinelli kaufen will und zudem weiß, dass ein kleiner Teil des Preises dafür genutzt wird, um der Menschheit zu dienen, dann kauft er diesen Pullover vielleicht mit einem besseren Gefühl."

Schneller Blick auf die Uhr: Brunello Cucinelli muss los, eine Delegation chinesischer Geschäftsleute wartet auf ihn. Er springt in seinen Bentley und rauscht davon.

Zurück auf der Piazza ist der Eindruck plötzlich deutlicher. Solomeo ist Cucinellis Modelldorf. Er hat die Spuren der Zeit daraus getilgt. Und irgendwie ist dabei auch das Leben auf der Strecke geblieben.