Der Jahrhundert-Chronist

Von Peter Kaiser · 06.04.2006
Er hat viele Ehrungen bekommen, neben dem Edgar Allan Poe Award 1966 und fast 20 Jahre später dem Bundesverdienstkreuz noch Ehrenmedaillen und sogar Medizinpreise. Der Autor Jürgen Thorwald, der vor allem literarisch-dokumentarisch schrieb, errang 1956 einen Welterfolg mit dem Sachbuch "Das Jahrhundert der Chirurgen". Am Dienstag ist er im Alter von über 90 Jahren gestorben.
Ob sie sich gekannt haben, der frühere Dresdner Chefdirigent Heinz Bongartz und der Schriftsteller Heinz Bongartz, der vom Niederrhein kam, weiß man nicht mit Sicherheit. Auch für die Millionen Leser war der Schriftsteller Bongartz mehr oder weniger ein Unbekannter, denn Bongartz hatte ein Pseudonym: Jürgen Thorwald. Dass Bongartz, der im Oktober 1915 als Sohn eines Gewerbelehrers geboren wurde, sich ein Pseudonym zulegte und bald 80 Jahre lang darunter schrieb, lag vielleicht auch am Vater.

Thorwald: " Ich habe angefangen als kleiner Junge sozusagen, mit zwölf Jahren, in einem kleinen Dorf am Niederrhein, was heute zu Duisburg gehört. Warum, weshalb weiß niemand, in der ganzen Familie hat es nie jemanden gegeben, der geschrieben hat, nicht wahr. (…) Mein Vater war als Beamter ein strikter Gegner dieser Geschichte. Er hat mir keine Schreibmaschine gekauft, er war immer der Meinung, das ist ein Zigeunerleben, damit kann man keine Familie ernähren. Und als es mir wirklich gelang, das muss so etwa 1924/1925 gewesen sein, ich glaube, ich war gerade 10 Jahre alt oder 12 Jahre, in einem
Tageblatt eine Geschichte zu veröffentlichen, und sechs Reichsmark Honorar bekam, da war der Hohn meines Vaters grenzenlos. Und er sagte: damit willst du mal eine Familie ernähren? "

Eigentlich wollte Jürgen Thorwald Arzt werden. Doch aufgrund einer frühen Nieren- und Herzerkrankung musste er sein 1935 begonnenes Medizinstudium wieder aufgeben. Auch andere Lebensträume blieben ihm verwehrt, so wurde er weder Seefahrer noch Flieger. Dennoch verließ ihn die Begeisterung für diese Berufe, für diese Art Leben, nicht. Thorwald schrieb später über die Fliegerei und über die Marine. Doch zuerst erregte er nach dem Krieg Aufsehen mit einer Reportage über das damals noch unbekannte Ende des Feldmarschalls Rommel. Aber das war nur der Anfang.

" Das war ein bitterer Kampf, als ich anfing Geschichten zu schreiben. Also ich hatte wirklich den Wunsch, einmal ein Erzähler zu werden. "

Doch was ist das: Erzählen? Thorwald war einer der ersten Schriftsteller in Deutschland, die sich literarisch-dokumentarisch - in Neudeutsch heißt das heute: Fakt und Fiktion, Faction - mit medizinischen Themen auseinander setzte. So las die halbe Nation 1954 seine Recherche über die Bluterkrankheit in Fürstenhäusern mit dem Titel "Blut der Könige". Einen Welterfolg errang Thorwald zwei Jahre später mit dem Sachbuch "Das Jahrhundert der Chirurgen" und "Das Weltreich der Chirurgen", das kurz darauf auch verfilmt wurde.

Als Thorwald wenig später über den Chirurgen Ferdinand Sauerbruch kritisch schrieb, strengten die Angehörigen gegen ihn einen Prozess an. Thorwald gewann, zog dann aber weg. Erst lebte der Erfolgsautor in Kalifornien, dann 1958 in Lugano. Doch neben den kriminalistischen Sachbüchern, die dann folgten, wie "Das Jahrhundert der Detektive" oder die Satire auf die Filmstadt Beverly Hills "Die Traumoase" verließ Thorwald nie ein sehr alter Wunsch:

" Damals in so einem Bürgerhaus, wie es mein Vater hatte, er war ein Volksschullehrer (…) da gabs Peter Rosegger und diese Volksbücher. Und ich wollte so etwas schreiben. "

In seinen letzten Jahren wurde aus dem Autor unerhört erfolgreicher Sachbücher ein stiller Romancier. Bücher wie "Der Mann auf dem Kliff" oder "Die Monteverdi Mission" und "Tödliche Umarmung" zeigen eine sensible und verletzliche Seite des Schriftstellers.

Nun ist Jürgen Thorwald im Alter von über 90 Jahren gestorben. Und womöglich bekommt er auch einmal - wie sein musikalischer Namensvetter - eine nach seinem richtigen Namen - Heinz Bongartz - benannte Straße.